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Weltenwanderer
ОглавлениеIch hatte Logis Rat befolgt und Schlaf nachgeholt. Jetzt fühlte ich mich deutlich wohler in meiner Haut und konnte die Dinge klarer sehen. Vor allem, da mir die violette Flüssigkeit Leben einflößte. Ich hatte nicht einmal zum Schlafen die Wanne verlassen. Doch allmählich wurde es Zeit.
Vorsichtig stützte ich mich am Beckenrand ab und stand auf. Dabei wurde mir leicht schwindelig. Dennoch beeindruckend, wenn man bedachte, dass ich vor kurzem an der Schwelle des Todes gestanden hatte.
Auf der Suche nach meinen Kleidern vertrat ich mir ein wenig die Beine. Wobei ich mehr hinkte, als lief. Logis Höhle war größer, als ich vermutet hatte. Neben dem Hauptraum gab es viele Nischen und Verstecke. Dort herrschte ein kühleres Klima und Logi nutzte diese als Vorratsräume für Essen und merkwürdige Zutaten. Meine Beine fühlten sich so an, als hätte ich sie schon eine Weile nicht mehr benutzt. Fast waren sie etwas verkümmert und konnten gerade so mein Eigengewicht halten. Überhaupt, der ganzer Körper schien mir fremd und schmerzte.
Mir gingen die Worte von Logi durch den Kopf: Kommt wieder zu Kräften. Ihr werdet sie für das, was kommt, noch brauchen. Was er damit gemeint hatte?
Meine Ausrüstung entdeckte ich zwar nicht, dafür aber ein Gemälde, welches mich sofort fesselte. Darauf waren vier Personen abgebildet. Sie trugen Roben in verschiedenen Farben und ihre Gesichter wurden von Kapuzen verdeckt. Ich erkannte Logi unter ihnen. Doch war es nicht er, der meinen Blick auf sich zog, sondern die Person neben ihm. Ich konnte es mir nicht erklären, aber selbst durch das Bild strahlte diese eine Vertrautheit aus, als würde ich sie kennen.
»Ihr erholt Euch schnell.«
Logi stand hinter mir. Wie lange er mich schon beobachtet hatte, konnte ich nicht sagen. Er konnte sich absolut lautlos anschleichen – war es doch er, der Abby in der Diebeskunst unterwiesen hatte.
»Im Grunde überrascht mich das nicht«, fuhr er fort. »Trotzdem blockiert etwas Euren Heilungsprozess.« Ohne eine Erwiderung meinerseits abzuwarten, wandte er sich dem zweiten Becken zu. »Wenn Ihr Euch waschen möchtet, findet Ihr hier klares Wasser. Kommt doch bitte nach draußen, wenn Ihr damit fertig seid.«
»Was ist mit meinen Kleidern?«, wandte ich rasch ein, ehe er verschwinden konnte. »Und wo ist meine Ausrüstung?«
Logi zuckte gleichgültig die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Abgesehen von Eurem Amulett trugt Ihr nichts bei Euch.« Er deutete jetzt auf eine antike Kommode. »Hier drinnen findet Ihr saubere Bekleidung. Es ist bestimmt etwas in Eurer Größe dabei.« Mit diesen Worten kehrte er mir den Rücken zu und ging nach draußen.
Schweigend stieg ich in besagtes Becken. Das Wasser hatte eine angenehme Temperatur. Ich tauchte einmal komplett unter und schrubbte mich mit einer Bürste ab. Ich war verstimmt und trauerte meiner Ausrüstung hinterher. Besonders den Schwertern von Onkel Aaron. Ob ich in der Ohnmacht ausgeraubt wurde?, fragte ich mich. Aber warum hätten Banditen das Mondamulett zurückgelassen? Vielleicht hielten sie es für einen gewöhnlichen Stein, denn es leuchtete nicht mehr. Mir kam kurz in den Sinn, dass mich Logi ausgeraubt hatte. Doch diesen Gedanken verwarf ich schnell. Warum sollte er mich ausrauben und trotzdem gesundpflegen? Vielleicht als Lohn für den Aufwand? Nein, Logi schien kein Bandit zu sein, so viel stand fest. Auch wenn er die dafür nötige Geschicklichkeit besaß.
Ich beschloss, das Beste aus der Situation zu machen, und ließ mich fürs Erste tief ins Wasser sinken. Sofort musste ich an mein letztes Bad denken und wie mir Amalia den Körper mit Badeöl eingerieben hatte. Ein Lächeln umspielte für einen Moment die Lippen. Doch bei dem Gedanken an die Elfe richtete ich mich abrupt auf. »Wie kann ich nur so entspannt ein Bad nehmen, obwohl ich nicht weiß, was mit Amalia und den anderen passiert ist?«
So verließ ich das Becken, schrubbte mich trocken und trat an die Kommode heran. Na wunderbar, ausschließlich Roben. Ich seufzte. Für Priester oder Gelehrte war diese Kleidung durchaus angemessen. Aber für einen in der Wildnis lebenden Krieger wie mich? Doch bevor ich nackt dastand, gab ich schließlich nach und probierte einige Roben durch, bis ich eine in passender Größe fand. Der samtähnliche, braune Stoff schmiegte sich perfekt an meinen Körper. Ein paar Schritte von mir entfernt stand ein Spiegel.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte ich belustigt und in der Annahme, dass ich albern aussah. Doch im Gegenteil: Ich sah keinen Krieger, der in unzähligen Schlachten gekämpft hatte vor mir, sondern einen anmutigen Magier. Magie faszinierte mich schon lange. Spätestens seit der Begegnung mit Fynn. »Ob ich wohl auch ein Magier sein könnte?«, fragte ich mich. Bei der Vorstellung zogen sich meine Mundwinkel nach oben. Doch dann schüttelte ich den Kopf. »Das ist lächerlich!« Mit diesen Worten verließ ich die Höhle.
Draußen herrschten andere Temperaturen. Die trockene und eiskalte Luft brannte in meiner Kehle. Ich sah mich um. Der Berg, in welchem sich die Höhle befand, war Mittelpunkt einer Gebirgskette, die sichelförmig verlief. Es gab scheinbar nur einen Weg, diese zu verlassen, und der wirkte äußerst gefährlich.
Wie hat es der Phantomwolf geschafft, mich herzubringen?, fragte ich mich. Ob ihn Logi mit Magie unterstützt hat?
Schnell übersättigt von diesem trostlosen Anblick kam mir der Gedanke, wieder Schutz in der Höhle zu suchen. Ich drehte mich um und stellte fest: Der Eingang war spurlos verschwunden!
Ich starrte gegen eine massive Wand aus Stein. »Eine magische Barriere, na wunderbar. Hätte ich mir denken können.« Aber dann stellte ich fest, dass nichts flackerte, wie es bei Barrieren der Fall sein müsste.
Ich fragte mich, wo Logi steckte. Von hier aus konnte man die komplette Gebirgskette überblicken, doch von ihm keine Spur. Schließlich entdeckte ich einen schmalen Pfad, der auf die höchste Ebene führen würde. Ich zögerte, aber nachdem mir der Wind erbarmungslos die Kälte entgegen blies, setzte ich mich in Bewegung. So würde ich wenigstens nicht sofort erfrieren.
Bereits nach wenigen Schritten waren meine Füße komplett taub. Immerhin besaß ich nur diese dünne Robe und einfaches Schuhwerk, das mir kaum Schutz vor der Kälte bot. Hinzu kam mein geschwächter Körper. Doch einen Vorteil hatte diese Eiseskälte: Die ganze Aufmerksamkeit war darauf ausgerichtet, nicht zu erfrieren, sodass die Schmerzen in den Hintergrund rückten.
Nach einem relativ kurzen Marsch entdeckte ich Logi in der Ferne. Er stand am Rande eines Abgrundes und blickte starr nach unten. »Habt Ihr so etwas schon einmal gesehen?«, fragte er, nachdem ich näherkam.
Ich musste nicht lange rätseln, was genau er damit meinte. Inmitten der riesigen Eiswüste stand ein gewaltiger Baum, dessen Stamm und Krone in tiefroten Flammen loderten. Doch dabei blieb es nicht, das Feuer schien ständig seine Farbe zu wechseln. Silber, Blau und sogar Grün erkannte ich; es war unglaublich! Dieses Feuer brannte völlig unberührt vom Schneesturm. Fast wirkte es, als käme es aus dem Inneren des Baumes.
Logi löste seinen Blick und musterte mich. Bei meinem erstaunten Gesichtsausdruck entwich selbst ihm ein Lächeln. »Dies, John, ist der Baum des Feuers. Einer der vier Elementarbäume. Wie Ihr nur unschwer erkennen könnt, haben die extremen äußeren Einflüsse keinerlei Auswirkung auf seine natürlichen Flammen.«
»Baum des Feuers?«, wiederholte ich wie hypnotisiert. »Was hat es damit auf sich?«
Logi deutete auf einen Weg, der von dem Gebirge hinabführte. »Ich erkläre es Euch unterwegs.« Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung.
Ich zögerte. Zu sehr wünschte ich mich zurück in die warme Höhle, weit weg von dieser Kälte. Doch es half ja nichts und so ging ich los.
Der Anblick des gewaltigen, in Flammen stehenden Baumes, hielt mich in seinem Bann. Das wurde mir beinahe zum Verhängnis: Einmal kam ich ins Stolpern und wäre fast tief hinabgestürzt. Der Wind und die Kälte ließen mich zittern. So fiel es mir schwer, zu Logi aufzuschließen. Irgendwann schaffte ich es doch und bekam einen tadelnden Seitenblick, der da heißen konnte: Was trödelt Ihr so herum oder wenn Ihr nicht schneller macht, werdet Ihr erfrieren. Trotzdem drosselte er seine Geschwindigkeit.
Wir wanderten eine Weile schweigend den Pfad hinab. Während ich meine Arme zitternd um mich schlang, schien Logi diese Kälte nicht im Geringsten zu stören. Er sog die eisigen Temperaturen nur so in sich auf und schloss dabei oftmals genüsslich seine Augen. Das fand ich schon beinahe so beeindruckend wie diesen brennenden Baum.
»Wie könnt Ihr nur so unberührt von dieser unerträglichen Kälte sein?«, fragte ich mit klappernden Zähnen. »Ihr tragt doch auch nur eine einfache Robe, wie ich. Oder nutzt Ihr Magie, um Euch warmzuhalten?«
Logi schenkte mir einen beiläufigen Schulterblick, ehe er wieder weitermarschierte. »Kälte hat keinen Einfluss auf meinen Körper. Man kann es nicht direkt mit Magie vergleichen.«
Ärger überkam mich. Ihm schien es völlig egal zu sein, dass mir der unmittelbare Kältetod bevorstand. Doch ich schluckte meinen Zorn hinunter und fragte stattdessen höflich: »Könnt Ihr denn keinen magischen Kreis oder eine Art Blase erschaffen, die mich wärmt? Lange halte ich diese Kälte nicht mehr aus!«
»Eine Blase?«, wiederholte Logi belustigt. »Eigentlich keine schlechte Idee.« Er blickte in die Ferne. »Die Kälte sollte eigentlich Teil Eurer Ausbildung sein. Andererseits ist Euer Körper noch in schlechter Verfassung.« Er fuhr sich nachdenklich ans Kinn. »Meinetwegen. Ich werde es Euch mal nicht so schwermachen.« Logi legte eine Hand auf meine Robe und konzentrierte sich. Ein Impuls durchfuhr mich und dieser färbte sie von Braun zu einem dunklen Rot.
»Besser?«, fragte er.
Ich betastete den samtähnlichen Stoff und spürte, dass er Wärme ausstrahlte. Jetzt konnte ich die Kälte gut aushalten. Beinahe empfand ich den Stoff auf der blaugefrorenen Haut schon als unangenehm heiß. Hinzu kam, dass ich meine Schmerzen wieder deutlicher wahrnahm. Doch dies zog ich dem Erfrieren vor.
»Ist dem Herrn nun warm genug?«, fragte mich Logi sarkastisch. »Oder soll ich noch zusätzlich eine Blase um Euch zaubern?«
Ich lehnte dankend ab. »Ich will Eure Großzügigkeit nicht überstrapazieren.« Da sich die Gedanken nicht mehr nur um die Minusgrade drehten, sprach ich: »Ihr sagtet gerade, dass die Kälte ein Teil meiner Ausbildung sei. Aber ich habe Euch nie um eine Ausbildung gebeten. Ich will nicht undankbar klingen, aber das Einzige, was mich interessiert, ist, wie ich von hier wegkomme, um meine Gefährten wiederzufinden.«
Logi prustete wie ein Pferd. Wieder strafte er mein Verhalten mit einem verächtlichen Blick. »Und wie wollt Ihr von hier wegkommen, wenn Ihr nicht einmal wisst, wo Ihr seid?«
Über diese Frage musste ich nachdenken. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden. Dem vielen Schnee und den Gebirgen nach zu urteilen, schienen wir nordwestlich der Hammerberge zu sein, aber sicher war ich mir nicht. Während ich so darüber nachgrübelte, fiel mir plötzlich ein, was Fynn einst über Portale erwähnt hatte: Je weiter die Distanz eines Portals zu seinem Ziel war, desto größer wurde die Gefahr, in einer Parallelwelt zu stranden. »Sagt mir nicht, dass ich in einer anderen Dimension bin?«, fragte ich jetzt deutlich nervös.
Logis Blick bestätigte meine schlimmste Befürchtung. »Ja, das seid Ihr. Und Ihr könnt von großem Glück sprechen, dass Ihr in dieser Dimension gestrandet seid.«
»Ach, kann ich das?!«, antwortete ich barsch. »Na dann sollten wir wohl ein Freudenfest abhalten!«
»Eure dummen Bemerkungen könnt Ihr Euch sparen«, sagte er erzürnt. Durch seinen kurzen Wutausbruch begann der Baum des Feuers zu toben, als würde dieser mit Logi in Verbindung stehen.
Mit offenem Mund starrte ich abwechselnd Logi und den Baum an. Jedoch kühlte sich das Geschehen schnell wieder ab und der Wächter sprach deutlich ruhiger: »Ihr müsst wissen, dass das Portal des Ahrmonen Euch, ohne Umwege, in die Schattendimension befördert hätte. Und wenn dies geschehen wäre, wärt Ihr in Eurem Zustand für die Ahrmonen ein gefundenes Fressen gewesen.«
Mir war flau im Magen. Die ganze Situation wurde immer bizarrer und ich fragte mich, was noch kommen würde. »Wieso bin ich dann hier gelandet?«, fragte ich kleinlaut.
Logi blieb stehen, sodass ich beinahe in ihn reingelaufen wäre. Er hob Zeige- und Mittelfinger in die Höhe. »Zwei Faktoren spielten dabei eine wesentliche Rolle. Einer davon hat mit dem Phantomwolf zu tun und der andere«, er tippte genau an die Stelle, wo der Mondstein unter meiner Robe hing, »damit. Das Amulett hat Euch vor der Dunkelheit bewahrt.« Ungerührt marschierte er weiter.
Ich kramte das Amulett hervor und begutachtete es. Hätte Amalia es mir nicht übergeben, wäre ich jetzt vermutlich tot. Ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen bei dem Gedanken, dass mir die Elfe dadurch das Leben gerettet hatte. Doch dieses verging mir rasch, da eine böse Vorahnung in mir entstand. Was, wenn Amalia den Schutz des Amuletts ebenfalls gebraucht hätte? Ihr Zustand war äußerst kritisch, ehe wir getrennt wurden. Jetzt drängte mich mein Inneres mehr, von hier zu verschwinden und Amalia zu finden.
Ich fragte mich, ob mich der Mondstein wieder zurückbringen könnte, doch da schüttelte Logi den Kopf. »Vergesst es, normalerweise ist es absolut ausgeschlossen, aus dieser Dimension zurückzukehren. Selbst ich bin nicht in der Lage, hier ein Portal zu erschaffen.«
Allmählich machte mich sein ständiges Gedankenlesen wütend. Außerdem glaubte ich ihm nicht. Immerhin kannte er Abby, was bedeutete, dass er mindestens einmal diese Dimension verlassen hatte. »Und was heißt das jetzt im Klartext?«, fragte ich erzürnt. »Dass ich mein Dasein hier bei Euch fristen muss?«
Man musste kein Gedankenleser sein, um zu deuten, was Logi durch den Kopf ging. Sein Blick war mehr als herablassend. Zum Glück ersparte er mir, was er wirklich dachte, und sagte stattdessen: »Ich sage nicht, dass es immer unmöglich ist, sondern nur im Augenblick. Wenn die Zeit reif ist, werdet Ihr selbst in der Lage sein, zwischen den Welten zu reisen. Strengt doch mal Euer Gehirn an.«
Was meinte er damit? Wie sollte ich zu so etwas imstande sein? Da kam mir plötzlich in den Sinn, was Logi gesagt hatte: Zwei Faktoren spielten eine Rolle, warum ich in diese Dimension kam. Das Amulett und … »Der Phantomwolf!«
Logi nickte zufrieden. »So ist es. Wusstet Ihr, dass vor vielen Generationen die Phantomwölfe unter einem anderen Namen bekannt waren?«
Ich schüttelte den Kopf.
Er gab einen spöttischen Laut von sich. »Hätte mich auch gewundert. Ihr scheint ja nicht gerade viel über sie zu wissen, obwohl sie doch so ein wichtiger Bestandteil in Eurem Leben sind. Wie dem auch sei. Früher nannte man sie Weltenwanderer. Sie sind magische Wesen, die zwischen den Dimensionen reisen können. Die Rassen Eurer Welt hielten sie für Phantome, da sie aus dem nichts auftauchten, töten konnten, ohne gesehen zu werden, und wieder spurlos verschwanden.« Logi schwieg einen Moment, damit das alles auf mich wirken konnte. »Ihr selbst seid ein Hybrid. Ein Mensch mit Eigenschaften eines Weltenwanderers. Für jeden dieser Hybride gibt es parallel einen Wolf, dessen Lebensenergie mit ihm verknüpft ist. Das heißt, stirbt der eine, so stirbt auch der andere. Eine Gemeinsamkeit, die Ihr mit den Ahrmonen teilt«, fügte er hinzu. »Bloß, dass die Lebensenergien der Dämonen nicht an lebende Objekte gebunden sind.«
Dessen war ich mir nicht bewusst. Die Tatsache, dass ich etwas mit den Ahrmonen gemeinsam hatte, zermürbte mich. Ich schüttelte meinen Kopf, um diese Gedanken abzuwerfen, und fragte anschließend: »Diese Ausbildung, von der Ihr sprecht, hat sie mit dem Phantomwolf zu tun? Dass ich lerne, wie ich ihn kontrolliere, um mit ihm in meine Welt zurückzukehren?«
Logi fasste sich nachdenklich ans Kinn. »Nun ja, so könnte man es ausdrücken, obwohl noch sehr viel mehr dahintersteckt.«
»Das heißt, ich muss zuerst den Phantomwolf finden!«
Logi lachte spöttisch auf. »Den Phantomwolf finden? Oh nein, Ihr habt keine Chance, ihn zu finden. Er wird sich Euch nicht zeigen. Zumindest noch nicht.«
Ich runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, dass mich mein Wolf zu Euch gebracht hat. Wieso sollte er jetzt also nicht mehr auftauchen?«
Logi verdrehte, wie so oft, die Augen. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm allmählich der Geduldsfaden riss. Anscheinend hatte er nicht oft Besuch, weshalb er mit so vielen Fragen nicht gut umgehen konnte. »Das ist doch sonnenklar, warum er das tat!«, meinte er schließlich. »Der Wolf wusste, dass sein Leben von Eurem abhängt, deshalb hat er Euch gerettet. Aber Ihr könnt mir glauben, dass er nicht auf Befehl kommen wird, dafür hat er Wichtigeres zu tun. Vielleicht könnt Ihr ihn irgendwann herbeirufen, wer weiß. Doch wird das erst möglich sein, wenn Ihr in der Lage seid, bestimmte Energien in Euch zu kontrollieren. Ansonsten könnt Ihr suchen, solange Ihr wollt.«
Es war zum Verzweifeln. Was würde sich mir noch alles in den Weg stellen, ehe ich zurückkehren könnte?
Logi zog seine Augen zu Schlitzen zusammen, als würde er wieder meine Gedanken lesen. »Ob es für Euch möglich ist, wird sich früher oder später zeigen. Zumindest bringt Ihr gute Voraussetzungen mit. Ihr könnt schon einige Eigenschaften der Weltenwanderer nutzen. Allerdings genügt das noch lange nicht, um den Wolf selbst zu rufen. Geschweige denn, ihn zu kontrollieren.«
Ich musste unweigerlich schmunzeln, da mir ein verrückter Gedanke gekommen war. »Dann ist der Fall also klar: Ich muss mich in Lebensgefahr bringen und er wird erscheinen.«
Offenbar hatte ich mit dieser Aussage ins Schwarze getroffen, denn Logi reagierte darauf nicht, wie sonst, genervt. Stattdessen sah er mich an, als wäre er von meiner Scharfsinnigkeit überrascht. »Ich weiß, dass Ihr dies als Scherz meintet, aber daran ist viel mehr dran als Ihr glaubt.«
Ich schluckte und ein längeres Schweigen setzte ein.
Je weiter wir gingen, desto wärmer wurde mir. Obwohl wir noch ein ganzes Stück vom Baum des Feuers entfernt standen, so spürte ich die Hitze, die er ausstrahlte. Diese und Logis Wärmezauber auf meiner Robe ließen mich die Kälte endlich nicht mehr spüren. Beinahe war mir das alles schon zu heiß, ich wollte aber nicht, dass Logi den Zauber rückgängig machte. Wer weiß, früher oder später würde ich ja doch wieder in der Kälte stehen.
Ich erhob meine Stimme. »Was sind das für Energien, die ich kontrollieren muss, um den Phantomwolf zu rufen?«
Logi seufzte. Er hatte wohl, für den Rest der Strecke, auf Schweigen gehofft. »Ich hatte Euch geduldiger eingeschätzt.« Er machte eine dramatische Pause und fing an, mit den Händen zu gestikulieren. »Ihr müsst lernen, die Energie eines der vier Elemente in Euch zu erwecken.«
Für einen Moment blieb mir die Luft weg. Dies hörte sich so fantastisch und gleichzeitig unmöglich an. Energien der Elemente erwecken: Würde mich Logi am Ende zu einem Magier ausbilden?
Dieser hatte wieder einmal meine Gedanken gelesen und schüttelte herablassend den Kopf. »Nein, da muss ich Euch leider enttäuschen.«
Er hatte recht, ich war enttäuscht. Ich konnte diese Wunschvorstellung nie loslassen. Besonders jetzt nicht, da die Magie um mich herum so präsent war. »Aber ich dachte, dass das Beherrschen der Elemente zu den fortgeschrittenen Stufen der Magie gehört?«
Logi lachte spöttisch auf. »Von wem habt Ihr diesen Humbug? Ein Element lässt sich doch nicht von einem popligen Magier beherrschen. Nein, man kann lediglich die Essenz des Elements in sich erwecken, was aber noch lange nicht heißt, dass Ihr dadurch zum Magier werdet. Dafür fehlen Euch gewisse körperliche Voraussetzungen.«
»Die da wären?«
Abermals verdrehte er die Augen. Seine Launen konnten einen auf die Nerven gehen. »Ein normaler menschlicher Körper ist nicht dafür ausgelegt, Magie zu praktizieren«, sagte er ungeduldig. »Doch gibt es ganz selten Ausnahmen, die den zerstörerischen Kräften standhalten können. Fynn ist einer der wenigen Magier mit Abstammung. Das heißt, er besitzt gewisse Stränge, die neben seinen Blutbahnen verlaufen. Dadurch ist er in der Lage, magische Energien durch seinen Körper zu leiten, ohne dass seine Organe Schaden nehmen. Soviel zu den Magiern. Dann gibt es noch eine untergeordnete Gruppe der Magier, welche durch eine harte Ausbildung ein Element in sich wecken können. Zu denen dürft Ihr Euch zählen. Dadurch bilden sich vergleichbare Stränge. Seht selbst!« Er krempelte seinen Ärmel hoch.
Anfangs wusste ich nicht, was er meinte. Doch bei genauer Betrachtung seines Armes erkannte ich ein spinnennetzartiges Geflecht aus verblassten, rötlichen Linien, die kaum wahrnehmbar unter seiner Haut verliefen. Ich vermutete, dass sich diese nicht nur auf den Arm beschränkten, sondern den gesamten Körper zierten. Dennoch wirkten sie auf mich nicht besonders beeindruckend. Doch plötzlich wurden die Linien deutlicher, bis sie schließlich zu glühen begannen. Eine Sekunde später stand sein ganzer Arm in Flammen.
Reflexartig sprang ich zur Seite, da er mir fast die Haare angesengt hätte. Dabei erhaschte ich einen Blick auf den Baum des Feuers. Dieser schien ebenfalls zu erstarken. Doch nur so lange, wie Logi die Flammen um seinen Arm aufrechterhielt. Kaum waren sie erloschen, beruhigte sich der Baum.
»Ich hoffe, meine Demonstration hat verdeutlicht, was ich meine«, sagte er. »Dafür war keine Magie notwendig. Ich habe lediglich den Baum des Feuers als Energiequelle angezapft. Und durch diese Stränge«, er fuhr mit den Finger seinen Arm entlang, »konnte ich sie kanalisieren und präzise freisetzen.«
Logi hatte es geschafft, dass ich ihn voller Ehrfurcht ansah. Noch nie sah ich etwas Vergleichbares und war schwer beeindruckt. Die Energie, die ihm der Baum zur Verfügung stellte, musste sehr befriedigend sein. Immerhin wirkte Logi plötzlich glücklicher.
Dennoch fragte ich mich: »Aber wozu das Ganze? Was hat das Erwecken eines Elements mit der Kontrolle über den Phantomwolf zu tun?«
Und schon war seine gute Laune vorbei. Logi hatte seine typische kontrollierte und mürrische Miene aufgesetzt. »Die Weltenwanderer haben eine sehr wichtige Aufgabe. Ihr Dasein ist an die Bäume der Elemente gebunden. Sie sammeln Energien für die Bäume, wodurch ein stabiles Gleichgewicht entsteht. Als Gegenleistung können sie diese, wie ich, als direkte Quelle der Macht nutzen und sind dadurch in der Lage, zwischen den Welten hin- und herzuspringen.« Logi wägte seine nächsten Worte gründlich ab, da es ihm scheinbar nicht leichtfiel, dies verständlich auszudrücken. »Wenn Ihr also Euren Weltenwanderer rufen wollt, müsst Ihr zu allererst die Energie des Elements in Euch manifestieren, für das Euer Wolf zuständig ist. Dann wird er auch Euch dienen.«
Das alles klang so verrückt und dennoch hatte ich das Gefühl, dass ein gewisser Teil in mir dies schon immer gewusst hatte – wie eine verdrängte Erinnerung, die plötzlich wieder auftauchte.
»Aber wie soll ich wissen, welchem Element mein Wolf dient?«, fragte ich ein wenig verdutzt.
»Das sollte Euch doch mittlerweile klar sein. Der Wolf hat Euch hierhergebracht, zum Baum des Feuers. Was wird folglich Euer Element sein?«
Mein Gesicht lief rot an. »Das Feuer natürlich.«
»Eure Kombinationsfähigkeit ist ja übermenschlich«, äußerte er stumpf.
Wir waren dem brennenden Baum nun ziemlich nah. Logi schlug die Faust in seine flache Hand. »So, genug um den heißen Brei geredet. Jetzt gehen wir die Sache an.«