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Der Fremde

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Mein Körper fühlte sich an, als wäre er zertrümmert worden. Jede Sehne schien gerissen, jeder Knochen gebrochen. Was war geschehen? Ich erinnerte mich nur noch an den Traum von eben. Er handelte von Onkel Aaron, Elmon und dem jüngeren Fynn.

Wäre ich doch nur nicht aufgewacht, dachte ich verbittert. Wie ein Blitz durchzuckte mich der Schmerz, wenn ich es auch nur wagte, mich zu rühren.

Ich hatte Angst vor dem, was sich mir offenbarte, wenn ich die Augen öffnete. Doch mir blieb keine andere Wahl. Früher oder später musste ich es tun, da ich nicht wusste, was um mich herum los war, ob ich gar in Lebensgefahr schwebte. Allerdings war jeder Versuch, die Augen zu öffnen, vergebens.

Die Panik wuchs. Ich fragte mich, ob ich erblindet war. Vorsichtig wollte ich die Lider abtasten. Doch ich konnte nicht einmal meinen kleinen Finger anheben, geschweige denn den Arm. Der Schmerz ließ mich beinahe das Bewusstsein verlieren.

Plötzlich spürte ich eiskalten Wind und merkte dadurch, dass irgendetwas die Lider verklebte. Einerseits erleichtert darüber, dass mein Sehnerv intakt schien, kam jetzt die Erkenntnis, was es sein musste: Eis! Je mehr ich über den Schmerz hinweg fühlen konnte, umso deutlicher spürte ich die Kälte. Mein ganzer Körper befand sich in einem Schockzustand. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis ich erfrieren würde.

Nun galt es, keine Zeit zu verlieren, denn allmählich übermannte mich eine todbringende Müdigkeit. Ein neuer Versuch, mich zu bewegen, wies meinen Körper in die Schranken.

Was jetzt?, fragte ich mich und wurde immer unruhiger. Es gab eine Sache, die ich tun konnte: Ich musste meine Energie nutzen. Aber es gelang mir nicht, sie zu bündeln. Zu sehr hielt mich der Schmerz gefangen und die Panik tat den Rest.

Ist es damit vorbei? Werde ich sterben?

Ich startete einen neuen Versuch, Energie zu fokussieren. Und dieses Mal gelang es mir. Direkt im Zentrum meines Körpers begann es zu pulsieren. Zwar war es nur eine geringe Energiemenge, doch sie würde genügen, um wenigstens die Eisschicht auf den Lidern zum Schmelzen zu bringen. So leitete ich alles, was ich aufbringen konnte, zu meinen Augen und wartete ab. Bereits nach wenigen Sekunden bemerkte ich, wie die dünne Eisschicht zu schwinden begann. Wassertropfen rannen meine Wange hinab. Diese gefroren zwar wieder schnell, und spannten unangenehm auf der Haut, aber ich hatte es geschafft. Die Augen waren frei!

Vorsichtig öffnete ich sie einen Spalt und das gleißende Sonnenlicht ließ sie sofort tränen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Was ich dann sah, ließ meinen Atem stocken und all die gebündelte Energie verpuffte im Nichts: Schnee – soweit das Auge reichte! Zu all dem Unglück kam hinzu, dass ich vollständig nackt war, und meine Haut sah erschreckend blau und erfroren aus.

Wie bin ich hierhergekommen? Was ist geschehen?, fragte ich mich erneut.

Während meine Augen das ewige Eis absuchten, fiel es mir wieder ein: Das Portal des Ahrmonen! Bei dem Versuch, Amalia zu retten, war ich vom Sog erfasst und offenbar hierhergebracht worden. Nun kreisten all meine Gedanken um die junge Elfe. Ob es ihr gutging?

»Amalia …«, krächzte ich.

Meine Stimme klang wie die eines alten, sterbenden Mannes. Schließlich war ich dem Tode näher als dem Leben. Doch ich weigerte mich, jetzt aufzugeben!

In der Ferne konnte ich einen Felsvorsprung erkennen, der etwas Schutz vor dem Schneesturm bot. Zumindest, falls ich es bis dorthin schaffte. Vielleicht konnte ich an diesem Ort ausharren, bis mich jemand ausfindig machte. Auch wenn ich daran zweifelte, dass in dieser trostlosen Gegend irgendwer lebte. Selbst wenn würde sich wohl keiner bei solch einem Sturm ins Freie wagen. Egal, etwas anderes konnte ich nicht tun.

Ich biss meine Zähne zusammen und mit aller Kraft versuchte ich, einen Arm zu heben. Es fühlte sich an, als würden mir tausend Nadeln ins Fleisch stechen. Der Schmerz ließ mich innerlich aufschreien.

Ich konnte nichts tun. Anscheinend würde ich mich mit meinem Schicksal abfinden müssen. So kämpfte ich nicht mehr gegen die Müdigkeit an, stattdessen hieß ich sie willkommen. Denn durch sie rückten Kälte und Schmerz in den Hintergrund. Jetzt musste ich nur die Augen schließen. Allerdings war wieder eine Eisschicht auf den Lidern gebildet und verhinderte dies. Egal, bald würde mein Bewusstsein entschwinden, was machte es für einen Unterschied, ob die Augen offen standen?

Die Helligkeit verblasste allmählich und Frieden überkam mich. Vor meinem geistigen Auge zeichneten sich schemenhaft die Umrisse von Onkel Aaron und Elmon ab. Gleich werden wir uns wiedersehen, dachte ich glücklich.

Es tauchte sogar eine dritte Gestalt auf. Diese wurde schnell deutlicher und schon bald erkannte ich, wer – beziehungsweise was – es war: Der Phantomwolf!

Lautlos und ohne einen Pfotenabdruck im tiefen Schnee zu hinterlassen, kam er näher und schmiegte seinen majestätischen Körper an mich. Ob er real war, vermochte ich in meinem Zustand nicht zu sagen. Doch das Gefühl von Wärme und Geborgenheit konnte keine Halluzination sein. Der starke Herzschlag beruhigte mich und spendete Trost. Jetzt war ich bereit zu sterben!

Das Knistern eines Feuers weckte mich aus einem langen, traumlosen Schlaf. Sofort schossen Gedanken durch meinen Kopf: Was ist passiert? Müsste ich nicht tot sein? Bin ich dieser schrecklichen Eiswüste entkommen?

Wieder hatte ich Angst, die Augen zu öffnen. Geschichten von durch Kälte verfaulten und abgestorbenen Körperteilen schwirrten in meinem Kopf umher und verursachten eine Gänsehaut. Letzteres deutete ich als gutes Zeichen. Immerhin spürte ich dadurch den Körper und realisierte, dass nichts Schlimmeres passiert sein konnte. Vorsichtig versuchte ich, mich zu bewegen. Starke Schmerzen – doch ich konnte meinen Arm heben.

Eine fremde Stimme erklang. »An Eurer Stelle würde ich das lassen!«

Ich hielt jäh inne. Ohne meinen Arm zu senken, öffnete ich die Augen. Alles wirkte verschwommen, ich erkannte einen Mann, der vor mir kauerte. Zweifelsohne derjenige, der gesprochen hatte.

Der Fremde berührte meinen Arm und bewegte ihn nach unten. »Wenn Ihr so herumzappelt, kann ich Euch nicht heilen«, sagte er eindringlich. Seine Stimme klang einzigartig. Dominant und kräftig, wie eine Naturgewalt. Aber auf eine positive Art.

Ich fragte mich, was er mit heilen meinte, bis mich plötzlich eine wohlige Wärme umgab. Diese drang bis ins Mark. Allmählich normalisierte sich mein Körperempfinden und ich sah den Mann scharf und deutlich vor mir. Er schien meine Körpergröße zu haben, war nur etwas schlanker. Seine schulterlangen Haare trug er offen und wiesen einen leichten Kupferstich auf. Er hatte smaragdgrün Augen, die genauso lebhaft waren wie seine Stimme. Außerdem kleidete er sich in einem merkwürdigen schwarz-rötlichen Gewand, was an eine Robe erinnerte. Alles in allem wirkte er sehr auffällig. In einer größeren Menschenmenge wäre er sofort herausgestochen.

»Wer seid Ihr?«, fragte ich mit kratzender Stimme.

Der Fremde warf mir einen beiläufigen Blick zu. »Man nennt mich Logi. Nun seid still, ich muss mich konzentrieren.«

Logi – diesen Namen hatte ich schon einmal gehört. Doch wo, wusste ich in diesem Moment nicht. Skeptisch nahm ich auch die Umgebung in Augenschein. Es sah aus, als befänden wir uns in einer Höhle. Bei genauerer Betrachtung änderte ich meine Meinung. Die Decke hatte ein symmetrisches Gewölbe und das Gestein war glatt und funkelte. Große Feuerschalen erhellten den Raum und die Flammen erzeugten ein majestätisches Licht. Auch Mobiliar fehlte nicht – Feldbetten, eine Kochstelle, Kommoden, Schränke, Teppiche, Bilder und ein Tisch, der einer Tafel ähnelte.

Das Auffälligste befand sich in der Mitte: Zwei geflieste, im Boden eingelassene Becken. Sehr ungewöhnlich; zumal ich in einem dieser Becken lag. Doch statt in Wasser schwamm ich in einer violetten Flüssigkeit, die leuchtete.

Logi kauerte noch immer vorm Beckenrand. Die Arme hatte er bis zu den Ellbogen in die Flüssigkeit getaucht. Scheinbar ging das Leuchten von seinen Händen aus, denn dort war das Licht besonders stark. Was auch immer er tat, es schien meinen Körper zu regenerieren. Die Schmerzen wurden erträglich und bald hatte ich das Gefühl, ich könne aufstehen. Zweifelsohne, er musste ein Magier sein.

»Ihr hattet wirklich großes Glück«, sagte er, ohne seine Handlung zu unterbrechen. »Ein anderer hätte solche Verletzungen wohl nicht überlebt. Noch nie habe ich so viele Knochenbrüche auf einmal gesehen, ganz zu schweigen von den inneren Blutungen. Dennoch, lange hättet Ihr das nicht mehr durchgehalten.«

Seine Worte klangen wie ein Vorwurf. Trotzdem musste ich ihm danken. Zuvor fragte ich jedoch: »Wie komme ich hierher? Habt Ihr mich im Schnee gefunden?«

»Nein, ein Phantomwolf hat Euch zu mir gebracht.«

Jetzt kamen die Erinnerungen zurück. Der Phantomwolf war aufgetaucht, kurz bevor ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich spürte sogleich Sehnsucht nach dem Wesen und wünschte mir, dass er in dieser Höhle auf mein Erwachen gewartet hätte. Woher er nur wusste, dass ich hier die Versorgung bekam, die notwendig war? Doch darüber nachzugrübeln würde mich nicht weiterbringen. Deshalb fragte ich meinen Gegenüber: »Ihr wisst von den Phantomwölfen?«

»Ob ich von ihnen weiß?«, wiederholte Logi und lachte.

Es war einer dieser unangenehmen Momente, in denen man sich wünschte, einfach den Mund gehalten zu haben. Angesichts meiner Lage hatte ich es schwer genug. Da musste nicht auch noch der Spott eines Fremden mitwirken.

Doch Logi hatte sich schnell gefangen. Er schien nicht oft zu lachen. Zumindest hörte es sich erzwungen und krampfhaft an. Nun wirkte er wieder ernst und kontrolliert. Laut sprach er: »Es gibt nur wenige, die mehr mit diesen Wesen zu tun haben als ich. Zweifelsohne seid Ihr einer dieser Jenen, John Armis.«

Jetzt war ich beeindruckt. Woher kannte dieser Mann meinen Namen? »Ihr habt von mir gehört?«, fragte ich, ohne die Verwunderung zu überspielen.

»Bildet Euch nichts darauf ein«, meinte Logi mit der Spur eines Lächelns. »Ich weiß so einiges. Unter anderem, was in dem Zwergen-Königreich passiert ist. Ich weiß von dem Portal und dem Ahrmon.«

Er sprach, als seien es alltägliche Dinge – nichts Besonderes eben. Doch auf mich hatten seine Worte eine starke Wirkung. Als er den Ahrmon erwähnte, sprang ich, trotz der Schmerzen, auf, als stünde der Dämon persönlich vor mir. »Der Ahrmon!«, rief ich laut, sodass die Stimme in der Höhle widerhallte. »Was wurde aus ihm?«

Logi ging nicht auf die Frage ein. Er war wütend und das ließ er mich gleich spüren. »Seid Ihr verrückt!«, rief er. »Wollt Ihr meine ganze Arbeit etwa zunichte machen? Legt Euch hin, verdammter Narr!«

Ich bereute augenblicklich diese Reaktion. Nicht wegen Logis Wutausbruch, nein. Von sowas ließ ich mich nicht einschüchtern. Vielmehr wegen der Schmerzen. Diese hatten mich mit einem solchen Schlag getroffen, dass ich unter Schock stand und rücklings ins Becken fiel. Zum Glück löste die violette Substanz diesen Zustand wieder, sodass nur die Schmerzen da waren. »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich mit verbissenem Tonfall.

»Schon gut«, seufzte er. »Immerhin seid Ihr es, der das ausbaden muss. Wenn Ihr mir versprecht, Eure Emotionen zu zügeln, dann erzähle ich Euch, was mit dem Dämon passiert ist.« Ich willigte ein und dann sagte Logi ganz beiläufig: »Der Ahrmon wurde vernichtet.«

»Er wurde vernichtet?«, stieß ich hervor, nachdem mir die Kinnlade heruntergeklappt war. »Von wem?«

Der Fremde seufzte abermals. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er vermutlich niemals gesprochen. »Besonders geduldig seid Ihr ja nicht gerade. Aber gut.« Er nahm seine Hände aus dem Becken und trocknete sie mit einem Tuch ab. »Von Euch natürlich – oder glaubt Ihr, dass die Zerstörung des Weltenkristalls nichts bewirkt hat?«

Ich verstand kein Wort. Sicher, ich hatte besagten Kristall mit einem meiner Schwerter in tausend Stücke zerschlagen. Doch was hatte das mit der Vernichtung des Ahrmons zu tun?

Logi deutete mein Schweigen richtig und holte jetzt weiter aus. »Ihr wisst über die Entstehung der Ahrmonen soweit Bescheid?«

»Nicht die Einzelheiten. Aber ich weiß, dass sie von irgendeinem dunklen Magier ins Leben gerufen wurden.«

»Irgendein dunkler Magier?«, wiederholte Logi brüskiert. »Sein Name war Ragun – der mächtigste Magier, der je gelebt hat! So wie es scheint, hat sein Ruf die Jahrtausende nicht überdauert. Allerdings wundert es mich, dass Ihr nicht einmal von seinem Namen gehört habt.«

Er hatte recht. Dieser Name war mir bisher völlig unbekannt gewesen. Aus irgendeinem Grund wirkte das Böse, jetzt, da ich es benennen konnte, bedrohlicher. Dennoch verstand ich nicht, worauf Logi hinauswollte. So sah ich mein Gegenüber verwirrt an und fragte: »Das ist ja alles schön und gut, aber was hat das mit der Vernichtung des Ahrmons zu tun?«

Logi ließ sich auf einem Sessel nieder und musterte mich. Er hatte einen durchbohrenden Blick, der Gänsehaut auslöste. »Was das damit zu tun hat, wollt Ihr wissen? Einfach alles! Raguns Macht war so groß, dass er sieben Kristalle erschaffen konnte, deren Energie alles andere in den Schatten stellte. Versteht Ihr jetzt, worauf ich hinauswill?«

»Ich denke schon«, antwortete ich, da der Groschen gefallen war. »Ihr meint die Weltenkristalle, richtig?«

Logi nickte.

»Wenn es sieben gibt, dann hängt also die Lebensenergie eines Kristalls mit jeweils einem Ahrmon zusammen, nicht? Ich habe einen zerstört und damit die Lebensenergie des Dämons verbraucht!«

Logi wirkte zufrieden. Scheinbar hatte ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen. »Ihr habt vollkommen recht, doch leider klappt es umgekehrt nicht. Wenn man den Ahrmon vernichtet, bleibt der Kristall mit seiner Lebensenergie erhalten. Eine Information, die man nicht vernachlässigen darf.«

»Wie meint Ihr das?«

Logi zog eine Augenbraue hoch. Scheinbar fand er diese Tatsache mehr als offensichtlich. Doch er spannte mich nicht zu lange auf die Folter. »Nun ja, es verbleibt nach wie vor eine intakte, böse Energie, die in vielerlei Hinsicht genutzt werden kann. Aber egal.« Er verschränkte die Beine übereinander und ließ sich tiefer in den Sessel sinken. »Ich nehme an, dass Ihr Eure lückenhafte Information von dem Magier Fynn habt?«

Für meinen Geschmack wusste Logi ein bisschen zu viel. Hatte er mich beschatten lassen oder konnte er Gedankenlesen?

»Dachte ich mir. Ein durchaus fähiger Magier, dieser Fynn. Allerdings fehlt ihm noch die gewisse Weitsicht.«

Dem hätte ich am liebsten widersprochen. Fynn mochte nicht so viele Informationen über die Ahrmonen haben wie Logi, doch auf mich wirkte er weise und sehr wohl weitsichtig. Aber ich wollte keine Diskussion anfangen. Stattdessen lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung: »Ich dachte, Fynn wäre der einzige Magier.«

Logi musterte mich einen Moment und fuhr sich dabei übers Kinn. »Dann habt Ihr richtig gedacht. Wenn Ihr mich für einen Magier haltet, muss ich Euch enttäuschen.«

»Bindet mir doch keinen Bären auf. Ihr habt mich durch Magie geheilt, oder etwa nicht?«

Auf meine Ansage hin erhob sich Logi und ging zu einem der Bücherregale, aus dem er einen zerschlissenen Band zog. Während er diesen auf den Tisch legte, sagte er, in Gedanken vertieft: »Ich gebe zu, dass man mich auf den ersten Blick für einen Magier halten könnte. Doch ich kann lediglich Energie von einer Quelle abzweigen und diese nutzen. Fynn hingegen bildet körpereigene Magie und ist unabhängig von anderen Quellen.«

Mir kam urplötzlich der Traum in den Sinn, den ich im Schnee gehabt hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, erwähnte Fynn darin, dass es keine magische Quelle mehr gab. Darum fragte ich Logi: »Was ist das für eine Quelle, von der Ihr Energie bezieht?«

Logi schenkte mir ein verschmitztes Lächeln. »Das erfahrt Ihr noch früh genug, keine Angst. Sobald Ihr Euch erholt habt, werde ich sie Euch zeigen.« Er widmete sich jetzt vollkommen seinem Buch. Ab und an fügte er mit seiner Feder eine Randnotiz hinzu.

Ich dachte derweil über unser Gespräch nach. Mir ließen diese Weltenkristalle keine Ruhe. Warum hat der Ahrmon seine Lebensenergie dafür geopfert, das Portal zu aktivieren? War ihm nicht klar, dass er sterben würde, sobald die Energie aufgebraucht ist?

»Das halte ich für unwahrscheinlich«, meinte Logi urplötzlich und schreckte mich aus tiefen Gedanken auf.

Ich starrte ihn verblüfft an. »Habt Ihr etwa -«

»Eure Gedanken gelesen?«, beendete er meinen Satz. »Ja, das habe ich! Jetzt sagt bloß, dass Ihr erst jetzt darauf gekommen seid?«

Ich lief rot an. Natürlich hatte er das, wie konnte er sonst so viel wissen? »Und wieso haltet Ihr das für unwahrscheinlich?«, fragte ich, als wäre es selbstverständlich, dass er Einsicht in meinen Kopf hatte.

Logi blickte von seinem Buch auf und musterte mich. »Ganz einfach, die Dämonen würden jeden Preis zahlen, um Ihre Pläne umzusetzen, selbst wenn einer oder zwei von ihnen dabei sterben müssten. Ihre Motivation ist berechtigt, denn durch die Magie ihres Meisters können sich die Ahrmonen wieder frei bewegen. Vermutlich sind sie auch der festen Überzeugung, dass Ragun all seine gefallenen Diener wiederbeleben würde.« Logi widmete sich erneut seinem Buch.

Der beschleunigte Heilungsprozess hinterließ allmählich Spuren und ich wurde schläfrig. Auch auf die Gefahr hin, dass Logi wieder die Gedanken las, dachte ich jetzt an meine Freunde. Wie es ihnen geht? Hoffentlich müssen sie nicht solche Strapazen durchleiden, so wie ich. Amalia, Will und Nicolae sind nicht so schnell unterzukriegen. Doch was ist mit Abby?

Kaum hatte ich an die junge Diebin gedacht, da fuhr Logi zusammen. Er hatte es schon wieder getan. Aber wieso war er ausgerechnet bei Abbys Namen zusammengezuckt? Welches Interesse könnte jemand wie er an ihr haben? Und da fiel es mir wieder ein: »Ihr seid DER Logi, der Abby einst aus der Patsche geholfen hat, stimmt’s?!«

Logi wirkte nervös. Eine Antwort erhielt ich nicht.

»Wusste ich es doch! Ich dachte mir gleich, dass mir Euer Name bekannt vorkam, doch wer hätte das gedacht? Wenn ich das Abby erzähle, wird sie sich bestimmt freuen!«

»NEIN!«, brüllte Logi und seine Wut ließ die Temperatur in der Höhle ansteigen. »Ihr dürft nichts von mir erzählen! Habe ich mich klar ausgedrückt?!«

Wir sahen uns ernst an. Andere hätte Logi vermutlich durch seinen Ton einschüchtern können, doch bei mir hatte er damit keinen Erfolg. Dennoch machte mich seine Reaktion stutzig.

»Könnt Ihr mir das erklären? Abby verehrt Euch, das weiß ich ganz genau. Sie hat immer nur Gutes über Euch erzählt und wird bestimmt wissen wollen, dass es Euch gut geht.«

Logis Gesichtsausdruck wirkte absolut emotionslos. Seine Fäuste jedoch waren geballt und zitterten. Schließlich schloss er das Buch und meinte knapp: »Das Gespräch ist hiermit beendet!« Er stand auf und ging zum Höhlenausgang. Doch ehe Logi verschwand, drehte er sich noch einmal um und sprach etwas versöhnlicher: »Ruht Euch aus, schlaft und kommt wieder zu Kräften. Ihr werdet sie für das, was kommt, noch brauchen.« Mit diesen Worten verließ er endgültig die Höhle und ließ mich alleine zurück.

John Armis

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