Читать книгу Einmal mit der Katze um die halbe Welt - Martin Klauka - Страница 11
DAS FINDELKIND
ОглавлениеIch war auf dem Rückweg von einer Motorradreise nach Marokko, als plötzlich ein kleines verwahrlostes Kätzchen auftauchte. Es war noch sehr jung, total abgemagert und konnte sich kaum auf den Beinchen halten. Ich rief nur einmal kurz nach ihr, um »Hallo« zu sagen. Doch anstelle meines kleinen Fingers nahm sie gleich die ganze Hand, kam freudig angetapst, kroch auf meinen Arm und schlief ein. Der Hunger hatte sie vermutlich hierher getrieben, aber sie war noch zu jung und hatte nicht genug Energie, um der kalten Nacht zu trotzen. Sichtlich glücklich darüber, ein warmes und sicheres Plätzchen gefunden zu haben, machte der kleine Flohbeutel in meinem Arm keinerlei Anstalten, diesen zu verlassen, geschweige denn überhaupt aufzuwachen. Da seine Mutter, wie ich später erfahren sollte, von einem Auto überfahren worden war, stand es nicht gut um sein Schicksal. Aber davon wusste dieses kleine, süße Ding nichts. Es schlief tief und fest. Ich fragte mich, was ich mit ihm machen sollte. Ich konnte es schließlich nicht einfach auf dem Motorrad mit nach Hause nehmen. Oder doch? Aber wo sollte es sitzen? Der Tankrucksack war die einzige Möglichkeit, also polsterte ich ihn mit meinem Schal aus, legte die kleine Katze hinein und fuhr so vorsichtig, wie es nur ging. Zuerst hatte sie Angst, aber es dauerte nicht lange, bis sie verstand, dass sie in Sicherheit war. Und als wir zu Hause ankamen und ich in den Tankrucksack sah, blinzelten mich zwei verschlafene Augen an.
Ich wusste nicht einmal, ob es das Kätzchen ein Mädchen oder ein Junge war. Aber es war wie Mogli aus dem Dschungelbuch ein Findelkind. Und wenn dies mein Weg wäre, so dachte ich, dann würde alles gut gehen. »Hallo, Mogli!«, flüsterte ich leise. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Es war mittlerweile Ende März und somit waren es nur noch vier Monate bis zu meiner geplanten »Weltreise«. Wenn Mogli mich begleiten sollte, würde ein ganzer Schwung zusätzlicher organisatorischer Sachen auf mich zukommen.
Als Allererstes brachte ich Mogli zum Tierarzt. Ich wollte endlich wissen, ob er/sie ein Katerchen oder ein Kätzchen war. Außerdem brauchte sie eine Wurmkur und eine Tollwutimpfung. Und ich wollte unsere Reisepläne mit dem Arzt besprechen, um sicherzustellen, dass ich Mogli nicht irgendwo heimlich ins Land schmuggeln müsste. Denn dieses Risiko wollte ich nicht eingehen müssen.
Es stellte sich heraus, dass Mogli ein kleines Kätzchen war, ungefähr zwei Monate alt. Für die Tollwutimpfung war sie damit noch ein wenig zu jung. Aber sie bekam eine Wurmkur und die erste der drei Spritzen gegen Katzenschnupfen. Bis auf ihr verletztes Schwänzchen war die Kleine gesund, und nachdem dieses geröntgt worden war und ich den nächsten Termin ausgemacht hatte, ging es wieder nach Hause – sehr zum Erstaunen der Praxismitarbeiter natürlich auf dem Motorrad.
Es wäre vermutlich die einfachere Lösung gewesen, Mogli in ein Tierheim zu geben. Und ich gebe zu, dass ich auch selbst kurz darüber nachgedacht habe. Aber ein Leben im Käfig wollte ich ihr nicht zumuten. Ich konnte doch nicht einfach eine Straßenkatze retten und sie dann in ein überfülltes Tierheim geben. Das fühlte sich irgendwie falsch an. Es war meine Entscheidung gewesen, Mogli zu retten. Und deshalb lag es nun auch in meiner Verantwortung, mich um sie zu kümmern. Und ich wollte mich gut um sie kümmern. Ganz uneigennützig war meine Entscheidung am Ende aber doch nicht. Wir hatten in unseren ersten paar Tagen schließlich bereits viel erlebt und ich hatte mich schon lange in Mogli verliebt.
Ich kaufte ein kleines Geschirr mit einer Leine und nahm Mogli überall mit hin. Sooft ich Zeit hatte, gingen wir an der Mangfall spazieren, wo ich sie eine Weile frei laufen lassen konnte. Ich wollte, dass sie lernte, mich als ihren Bezugspunkt anzusehen und nicht ihr Revier, wie es für Katzen normalerweise üblich ist.
Anfangs war Mogli noch sehr schüchtern, verkroch sich in meiner Jacke oder Kapuze und beobachtete gespannt und aus sicherer Entfernung alles, was sich bewegte. Nach und nach kam sie dann heraus – erst auf meinen Schoß, dann neben mich. Und irgendwann war sie mutig genug, um bis zum sicheren Gebüsch zu rennen. Besonders in der Anfangszeit musste ich sie oft aus dichtem Gestrüpp herausholen und meine Arme und Beine waren ständig von oben bis unten von Dornen zerkratzt. Außerdem hatte ich, wie Mogli auch, ständig mit Zecken zu kämpfen. War ich überhaupt gegen Zecken geimpft? Eine gute Gelegenheit, meinen Arzt zu konsultieren. Es stellte sich heraus, dass meine Zeckenimpfung (FSME-Impfung) aufgefrischt werden musste. Mein Arzt empfahl mir darüber hinaus gleich noch eine ganze Reihe anderer Impfungen. Er war selbst nicht nur ein Reiseenthusiast, sondern hatte als Mediziner auch schon Ralleys in Afrika betreut. Daher wusste er sofort, welche Impfungen ich brauchte. Er hatte außerdem bereits eine Erste-Hilfe-Checkliste mit dem treffenden Namen »Reiseapotheke für Fernreisen mit Expeditionscharakter« erstellt.
Dennoch graute mir vor unserem nächsten Termin beim Tierarzt. Das Röntgenbild hatte gezeigt, dass die Gliedmaßen in Moglis Schwänzchen auseinandergerissen waren. Es gab keinerlei Anzeichen für eine Quetschung oder dafür, dass es geknickt wurde. Die wahrscheinlichste Theorie war, dass jemand Mogli am Schwanz gepackt und stark daran gezogen hatte. Jetzt sollte sie operiert werden. Sie schaute mir ängstlich hinterher, als die Arzthelferin sie behutsam ins nächste Zimmer brachte. Es war das erste Mal, dass sie weder bei mir noch in meiner Wohnung war, und so richtig wohl war mir bei dem Gedanken nicht.
Man implantierte Mogli im Zuge der OP gleich noch einen Mikrochip zur eindeutigen Kennzeichnung. Um stolze Inhaberin eines Europäischen Heimtierausweises zu werden, war allerdings erst noch die Tollwutimpfung und der darauffolgende Bluttest nötig.
Als ich Mogli nach der Arbeit abholte, war sie von der Narkose noch ganz verschlafen. Ihr Schwänzchen war amputiert, an seiner statt besaß sie nur noch einen kleinen, rasierten Stummel. Ein komischer Anblick, aber ich war froh, dass alles gut geklappt hatte und Mogli wohlauf war.
Da Mogli am Morgen vor der OP nichts fressen durfte, hatte sie jetzt einen Bärenhunger. Ich wusste zwar, dass es nicht gut war, sie so kurz nach der Narkose zu füttern. Aber Katzen können unglaublich überzeugend sein – und so bekam sie zumindest ein bisschen. Dass das Futter postwendend auf dem Küchenboden landete, belehrte mich alsbald eines Besseren.
In den nächsten Wochen mussten wir noch ein paarmal zum Tierarzt. Mogli brauchte noch zwei Spritzen gegen Katzenschnupfen und zwei gegen Tollwut, einen Bluttest und außerdem wollte ich sie kastrieren lassen. Diese Entscheidung stand von Anfang an fest. Obwohl es mir leidtat, dass sie sich einer weiteren Operation unterziehen musste, überwogen doch ganz klar die Vorteile. Sie würde nicht rollig werden und auf der Suche nach einem Partner nächtelang verschwinden, das Infektionsrisiko würde enorm sinken und sie würde auch nicht zweimal im Jahr Babys bekommen.
Reisebereit? Manchmal fragte ich mich schon, ob Mogli das schaffen würde.