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Vielleicht hätte sich Meisel statt um Kugellager um die neue Oberschicht kümmern sollen, überlegte Conrad, die allerdings nicht neu war, sondern nur aufpoliert und damit glänzend angepasst, die glatten Gesichter, ideologisch geschult in Berlin und Moskau und nun in Bonn. Das war der Lauf der Dinge, keinem konnte man übel nehmen, dass er sich anpasste, jeder verkaufte eben seine Haut so teuer wie möglich. Kooperierte Moskau jetzt nicht mit den Amerikanern, weil diese sonst die neue Weltraumstation nie zusammenbekämen? Dann müssten die Russen folgerichtig auch ihre ehemalige Parteihochschule für die Managerschulung hergeben, denn ihre Absolventen waren jetzt die besten Leute. Das hatte sich bis in die Führungsetagen herumgesprochen, wo noch an salonfähigen Modellen für die neuen Subchefs gebastelt wurde, die für die Drecksarbeit bestimmt waren. Bei den Empfängen waren sie schon von weitem zu erkennen, an ihrem gespannten Blick, mit der Aufmerksamkeit eines Spaniels, dem kein Signal seines Herrn entgehen durfte. Sie lachten an den richtigen Stellen und sie hörten damit auf, sobald die neuen Vorgesetzten aufgehört hatten. Wenn die neuen Chefs etwas erzählten oder gar erklärten, bekamen die Cheflehrlinge den Blick japanischer Abiturienten und das allgegenwärtige Lächeln legten sie nur zusammen mit Schlips und Schuhen ab. Und sie legten noch etwas anders ab, mit dem „Genossen“ auch das „Du“, um in einer wunderbaren Metamorphose zum „Herr“ und „Sie“ zu gelangen. „Also bitte“, musste der verdutzte Conrad hören, „mit der Duzerei ist nun Schluss, ich bitte mir ‘Sie’ aus.“ Da war auch in dieser Hinsicht die Wende vollzogen.

Natürlich mussten sie sich erst einarbeiten. So hatten sie anfänglich falsche Vorstellungen davon, mit welchen Geschenken man die wohlgeneigte Aufmerksamkeit erwecken konnte. Da war nichts mehr mit billigen Kugelschreibern, Notizbüchern oder dem Tand, der jetzt sogar auf einem Kindergeburtstag mit Verachtung gestraft worden wäre. Nein, wenn schon ein Schreibgerät, dann ein Füllfederhalter, der umso besser schrieb, je höherkarätiger seine Goldfeder war. Es war ein Geben und Nehmen, an das sich die Neuen erst gewöhnen mussten. Die Journalisten wurden nicht etwa gekauft, wie man das hätte annehmen können, indem ihnen große Versandhäuser oder Autohersteller einen Rabatt von 15 Prozent einräumten, nein, das öffnete lediglich den Blick für die Größe des Unternehmens, für seine Leistungsfähigkeit und erleichterte so manche Formulierung. Und die Neuen lernten erstaunlich schnell die differenzierte Kritik. Während sie zum Beispiel ein Theaterstück nach Herzenslust zerreißen konnten und als unbestechliche Journalisten in Kauf nahmen, dass ihnen der Intendant zur Strafe die Freikarten verweigerte, hielten sie sich bei den von ihnen eigenhändig getesteten Autos merklich zurück. Natürlich wurden da auch schonungslos die Mängel aufgedeckt, etwa, dass der Aschenbecher nicht ergonotmetrisch genug geformt sei oder der Motor so leise liefe, dass ihre vom Motorenlärm des Trabant und Wartburg verdorbenen Ohren glaubten, er sei ausgegangen. Da verglichen sie das Auto mit einem schnurrenden Kätzchen, das beim Gasgeben zum Tiger wird, solches hatten sie auf vielen unentgeltlichen Kilometern aufopferungsvoll getestet.

Und sie fühlten sich geschmeichelt und bestätigt, dass die Bonner Minister, alte wie neue, eine förmliche Sucht in sich verspürten, die östlichen Redaktionen mit ihren Besuchen zu erfreuen, auf dass diese aus erster Hand die reine und unverfälschte Politik erführen. Dies nahmen sie mit großen glänzenden Augen auf und die Politiker konnten sicher sein, dass alles, was sie gesagt und gemeint hatten, auch so gedruckt wurde. In Ostland waren sie sicher vor unangenehmen Fragen, die ihnen im Westen der Heimat als Knüppel zwischen die Beine geschoben wurden, über die so mancher gestolpert war.

Doch Conrad verwarf den Gedanken wieder, dass sich Meisel mit dieser Metamorphose beschäftigen könnte, wahrscheinlich würde das Meisel nicht abgenommen, denn zu diesem Spiel gehörten zwei, die Angepassten und diejenigen, die dies im Interesse des Geschäftes hinnahmen.

Der Wende-Journalismus. Verraten und verkauft?

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