Читать книгу Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies - Страница 17
15. Kapitel
ОглавлениеAm frühen Abend saß derselbe junge Mann, Angelo Toccabelli, wieder auf einem steinernen Wegweiser neben der Landstraße, etwas außerhalb von Castellina, direkt am Rande des Straßengrabens. Hinter ihm ließ der Pflaumenbaum immer noch seine Zweige hängen. Ein paar Schritte entfernt hatte Angelo wieder sein schwarzes Auto abgestellt.
Der Himmel im Westen begann bereits, sein abendliches Farbenspiel zu zeigen und leuchtete in einem feurigen Goldgelb. Darüber stand ein fahles Katzengrün, und die Äste der Bäume, die in den leuchtenden Himmel emporragten, waren schwarz und scharf, wie mit der Reißfeder gezeichnet, doch diese Schönheit kümmerte Angelo nicht.
Er drehte sich eine Zigarette, da kam Pietro, sein Freund, mit seinem Wagen vorbeigefahren, hielt an, als er ihn erblickte, stieg aus und ging zu ihm. Sie begrüßten sich. Angelo bat ihn um Feuer. Pietro gab ihm sein Feuerzeug, und sie redeten wieder ein wenig miteinander.
„Wollen wir tanzen gehen!?“, sagte Angelo schließlich.
„Wie?“, fragte Pietro.
„Komm, wir fahren an die Küste! Dort gehen wir in die Strand-Diskothek!“
„Mir ist nicht mehr nach Tanzen!“, sagte Pietro ablehnend.
„Komm!“, sagte Angelo, „Es ist noch nicht zu spät!“
„Was hast du nur heute? - Vorhin wolltest du nicht und jetzt muß es unbedingt sein!?“
„Komm mit! Wir fahren mit meinem Wagen, der ist schneller.“
Das Meer war grau, ein riesiger düsterer Pfuhl, in dem alles zu versacken drohte. Darüber hing bewegungslos und schwer eine Wolkendecke, und erdrückte die schmalen Lichtbänder des Sonnenuntergangs, die sich am Horziont durcharbeiten wollten. Die beiden jungen Männer, Angelo und Pietro waren an ihrem Ziel angelangt, einem Touristennest an der Küste. Dort fuhren sie den Strandboulevard entlang und hielten an, als sie die Reklame-Beleuchtung einer Stranddiskothek sahen.
Zwei sehr junge Mädchen, blond, in Miniröcken, mit hochhackigen Schuhen, nach Touristenart gekleidet, kamen gerade aus der Diskothek heraus und schlenderten jetzt Arm in Arm die Promenade entlang. Angelo bremste, beugte sich über seinen Freund hinweg auf die andere Seite des Wagens und rief ihnen durch das offene Wagenfenster auf englisch zu,
„Wollt ihr schon nachhause gehen, ihr beiden Hübschen?“ Die beiden Mädchen blieben stehen, lachten und sahen sich kurz an.
„Da drinnen ist nichts los!“, antwortete die eine, die etwas größer, schlanker und wohl auch älter war.
„Nach dem Akzent vermutlich Schwedinnen!“, zischte Angelo seinem Freund zu, „Hast du die kleine Rundliche gesehen?“ Er sprang heraus und hielt die hintere Tür des Wagens auf,
„Habt ihr nicht Lust auf einen kleinen Ausflug? - Kommt, steigt ein! - Wir wissen eine bessere Disko, da ist immer etwas los!“ Die beiden Mädchen tauschten einen schnellen Blick, - 'Sollen wir?' - und stiegen ein.
Schnell machten sie es sich auf der hinteren Sitzbank bequem, holten ihre Taschenspiegel heraus, überprüften ihr Make-up, zogen den Lippenstift nach und unterhielten sich dabei ununterbrochen in ihrer Sprache, während Angelo im Radio immer wieder andere Musik einstellte.
„Wie heißt ihr?“, fragte Pietro.
„Anni,“, sagte die ältere, ohne Pietro anzusehen, „und das ist Kati.“ Dann redete sie weiter mit ihrer Freundin. Pietro machte eine kleine Verbeugung,
„Ich bin Pietro - und der dort am Steuer ist Angelo. - Und wo seid ihr her?“
„Aus Finnland!“, sagte die ältere nach einer kleinen Weile, offfenkundig unwillig, daß er sie wieder in ihrem Gespräch gestört hatte.
„Ah! - Und aus welcher Stadt?“
„Aus Rovaniemi.“
„Nie gehört . . . “
„Das liegt am Polarkreis!“
„So weit im Norden?“, sagte Pietro, „Na, danke! - Scheint denn da überhaupt die Sonne?“ Die Mädchen lachten.
„Im Sommer länger als hier!“, sagte die ältere, „Fast den ganzen Tag. Und ein paar Tage lang geht sie überhaupt nicht unter.“ Und wieder redeten die beiden Mädchen auf Finnisch miteinander, ohne sich weiter um die jungen Männer zu kümmern.
An der nächsten Bar hielt Angelo den Wagen an, sprang heraus und öffnete die Tür.
„Was sollen wir hier?“, riefen die Mädchen. Sie unterbrachen ihr lautes Gespräch, steckten ihre hübschen Köpfe zusammen und tuschelten miteinander.
„Kommt, wir gehen etwas trinken!“, sagte Angelo.
„Wir haben keine Lust zu trinken!“, sagte die ältere.
„Nun kommt schon,“ rief Angelo, „wir haben Durst. Wir laden euch ein!“
„Ja, trinken wir einen!“, sagte Pietro. Endlich gaben die Mädchen nach und stiegen aus.
Die Bar war ziemlich voll, doch am Tresen war noch Platz. Angelo bestellte Cocktails für alle und zwinkerte dem Barmann zu, der sogleich begann zu mischen.
„Wo ist denn diese Diskothek, von der ihr gesprochen habt?“, fragten die Mädchen und blickten dabei in die Spiegelwand hinter dem Barmann, um ihre Frisuren und das Make-up zu kontrollieren.
„Nicht weit,“, entgegenete Angelo, „im nächsten Ort, Monsanti heißt er. - Es ist ein kleiner Ort, aber die Disko ist hier in der ganzen Gegend bekannt.“
„Laßt euch überraschen!“, sagte Pietro.
Schon waren die Cocktails fertig. Der Barmann verteilte die Gläser an alle.
„Kennt ihr den?“, fragte Angelo. Die Mädchen kosteten vorsichtig, dann schüttelten sie sich,
„Puh! Ist der stark!“, riefen sie fast gleichzeitig.
„Nein, überhaupt nicht,“, erwiderte Pietro, „das kommt euch nur so vor! Er ist gut! So müßt ihr ihn trinken!“ Er schlürfte das Getränk langsam in sich hinein und leerte so das Glas in einem Zug.
„Nachmachen!“ Die Mädchen protestierten, gickerten - und machten es ihm schließlich nach.
Bald kamen sie ein wenig in Stimmung. Die Mädchen erzählten von ihren Ferien. Beide waren sie das erste Mal in Sizilien, und daß sie noch zwei Wochen hier hätten, und daß sie jeden Tag baden gingen, und wie wundervoll es hier sei. Und allmählich schauten sie die beiden jungen Männer auch einmal kurz und neugierig an.
Angelo ließ sich noch eine Flasche Grappa geben und bezahlte für alle. Dann ging die Fahrt weiter. Der Wagen verließ nach wenigen Minuten die Küstenstraße und bog in eine kleinere Landstraße ein, die ins Landesinnere führte, in die Hügel. Die beiden Mädchen unterbrachen einen Moment ihr musikalisches Geplapper und riefen:
„Heh, wohin fahrt ihr? Wo wollt ihr mit uns hin?“
„Es ist nicht mehr weit!“, erwiderte Angelo, „Dort hinter dem Hügel liegt ein Dorf, - und da ist die Diskothek!“
Nach wenigen Kilometern verließ der Wagen auch die Landstraße und Angelo fuhr in einen kleinen steinigen Feldweg ein. Der Weg endete am Fuße eines Hügels, den ein paar Bäume umstanden. Davor erstreckte sich ein Stoppelfeld, und überall lagen Strohballen herum.
„Seid ihr verrückt?“, riefen die Mädchen ängstlich und ein wenig ärgerlich, „Wo ist denn die Diskothek?“
„Ach, die Diskothek!“, erwiderte Angelo, „Hier ist es viel schöner! Was sollen wir in dem Lärm? Außerdem kostet es eine Menge Eintritt.“
„Was soll das?!“, sagten die Mädchen, und die ältere holte schon ihr Handy hervor, und begann, eine Nummer zu wählen.
„Keine Chance!“, rief Pietro grinsend, „Hier in der Gegend gibt es keine Polizei!“
Die Mädchen weigerten sich auszusteigen, sie wollten in die Diskothek, doch die jungen Männer kümmerten sich nicht viel darum. Angelo stellte das Autoradio lauter, kurbelte die Fenster herunter, holte die Flasche Grappa und eine Handvoll Kerzen aus dem Kofferraum, rückte mit Pietro ein paar Strohballen zu einem Kreis und rief den Mädchen zu:
„Nun kommt!“ Anni und Kati saßen wie versteinert auf der hinteren Sitzbank und starrten durch die Windschutzscheibe in die dunkle Landschaft hinein. Doch Angelo und Pietro redeten so lange auf sie ein und baten mit so honigsüßen Stimmen und Mienen, daß die Mädchen schließlich gute Miene zu bösem Spiel machten, ausstiegen und sich auf einen der Strohballen setzten, beide dicht nebeneinander.
„Na, ihr seid mir ja zwei Banditen!“, sagte endlich Anni, die ältere. Kati, die jüngere, holte ihr kleines Kofferradio aus der Handtasche, stellte es an und suchte eine andere Musik.
„Oho!“, Angelo tat beleidigt, „Nein, wir sind Ehrenmänner!“
„Und jetzt?“, fragte Anni.
"Feiern wir ein Fest!“, erwiderte Angelo, zerrte einen Stroh-Ballen in die Mitte und zündete ihn an einer Ecke an.
Bald loderte das Feuer hoch, als ob es bis in den niedrig hängenden Himmel hinauf reichen wollte. Die Flasche mit dem Schnaps ging herum, und die Mädchen begannen langsam, ihre Zurückhaltung und Scheu abzulegen. Sie lachten über die Scherze der beiden jungen Männer, fingen an leise zu singen, und schließlich genügte eine Kleinigkeit, um ein allgemeines Gelächter hervorzurufen.
Die Mädchen waren bald betrunken. Ihre Wangen glühten, und als die jungen Männer näher rückten, wehrten sie sich nicht, und ließen sich schließlich sogar küssen.
Doch, als die jungen Männer mehr wollten, wehrten sich Anni und Kati. Sie sprangen auf und riefen: „Nicht so eilig!“, zogen ihre Kleidung zurecht, und brachten sich wieder einigermaßen in Ordnung.
Die jungen Männer flüsterten sich etwas zu, sprangen rasch in den Wagen und Angelo startete. Die Mädchen waren noch benommen von diesem Abend im Freien, vom Grappa und dem üerraschenden Durcheinander; doch als sie merkten, daß die beiden im Auto davonfahren wollten, waren sie mit einem Male hellwach.
„Heh! Wo fahrt ihr denn hin?“, riefen sie und winkten dem Auto hinterher, „Und uns laßt ihr hier stehen? Nehmt uns gefälligst mit!“
„Was glaubt ihr denn, ihr Puppen!“, rief Pietro aus dem Fenster, „Glaubt ihr, wir machen euch den Taxidienst?“ Angelo fuhr weiter, so langsam, daß die Mädchen glaubten, es einholen zu können.
„Wartet! Laßt uns einsteigen!“, riefen sie. Dieses Spiel gefiel den jungen Männern.
Angelo, der am Steuer saß, lachte:
„Lassen wir sie ein bißchen laufen, das tut ihnen gut!“ Nach ein paar hundert Metern hielt er an, wartete, bis die Mädchen keuchend herankamen, und ließ sie wieder einsteigen.
„Wir wollten nur sehen, ob ihr auch laufen könnt!“, sagte er immer noch lachend. Anni und Kati blickten sich verängstigt und empört an, doch endlich stiegen sie ein.
Als sie wenige Kilometer auf der Landstraße gefahren waren, kam ihnen ein halboffener Wagen entgegen, so wie er auf dem Land häufig benutzt wird. Angelo stieß seinem Freund mit dem Ellbogen in die Seite, „Sieh mal! Da kommt schon der Bauer!“
Der entgegenkommende Wagen hielt mitten auf der Straße an, der Fahrer winkte ihnen zu, daß sie auch anhalten sollten. Angelo tat es, kurbelte die Scheibe herunter und rief:
„Suchen Sie die Kerle, die das Stroh angezündet haben?“ Die beiden Männer in dem Wagen, vierschrötige Bauernburschen, musterten sie mißtrauisch,
„Wo kommt ihr gerade her?“, fragte der eine.
„Von der Küste. - Wir haben sie gesehen.“, fuhr Angelo fort, „Irgendwelche verrückten Touristen waren es; Schweden wahrscheinlich oder Finnen;", und als die Mädchen hinten protestierten, „vielleicht auch Deutsche.“
„Wißt ihr, wo sie hin sind?“, fragte einer der Bauern.
„In Richtung Girgenti. - Sie sind gerade erst fort!“, erwiderte Angelo.
„Wir haben das Feuer gesehen,“, sagte Pietro zur Bestätigung, „und haben mit ihnen geredet, sie sollen es sofort löschen. Die Kerle haben nur gelacht! Und dann sind sie abgehauen.“ Die beiden Bauernburschen schauten sich kurz und mißtrauisch an und fuhren mit ihrem Wagen weiter.
Angelo und Pietro lachten. Anni und Kati schwiegen. Bald waren sie wieder an der Küste. Ein paar Kilometer vor dem Strandort, dort, wo die Straße in die Berge nach Castellina abzweigt, hielt Angelo plötzlich an. Die Mädchen waren inzwischen eingeschlafen.
„Heda! . . . “, rief Pietro, „Wacht auf! Steigt aus! Wir sind da!“ Folgsam stiegen die Mädchen aus, ohne recht zu verstehen warum.
„So, jetzt könnt ihr laufen!“, sagte Angelo. Da erst sahen sich die Mädchen um und begriffen, was die beiden jungen Männner mit ihnen vorhatten.
„Hier?“, protestierten sie, „Es ist noch so weit! - Bringt uns zurück!“
„Wir sind müde,“, sagte Angelo mürrisch, „wir wollen nachhause!“ Und ohne weiteres fuhr er davon und ließ die Mädchen stehen.
Ernüchtert und verloren schauen Anni und Kati sich um und versuchen, sich zu orientieren. Offenbar befanden sie sich noch ziemlich weit entfernt von dem Touristenort, in dem die Stranddiskothek lag. Sie machten sich verwirrt und wütend auf den Weg. „Noch bestimmt mehrere Kilometer!“, stöhnte Anni. „Und das mit diesen Schuhen!“, brummte Kati vor sich hin.
Angelo und Pietro jedoch schwiegen auf dem ganzen Weg zurück nach Castellina. Angelo dachte an Agustina, Pietro an seine Porcia, und auch daran, was sie ihren Mädchen wohl erzählen sollten, - wenn diese herausbekämen, wo sie gewesen waren.