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Vorwort von Anna Trökes

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Langsam spricht es sich in der westlichen Welt rum, dass Yoga noch viel mehr ist als Sonnengrüße, Armbalancen und kräftigende Standhaltungen. Nach mehreren Jahrzehnten der Körper-Übungspraxis lässt sich bei vielen Übenden ein zunehmendes Interesse beobachten, den Yoga in der Vielschichtigkeit seiner Wirkweisen verstehen zu lernen.

Warum vertreten alle Yoga-Richtungen den Anspruch, uns aus leidhaften Erfahrungen herausgeleiten zu können? Warum fühlen wir uns tatsächlich nach (fast) jeder Yogapraxis wohler und sind besser gestimmt als vorher? Was wirkt hier?

Viele Antworten auf diese Fragen finden wir in den uns überlieferten Quellentexten, wie zum Beispiel dem Yogasutra. Wenn wir – mit der Unterstützung eines erfahrenen Lehrers/einer erfahrenen Lehrerin – diesen Text studieren, werden wir verstehen lernen, wie unser Geist funktioniert und womit er sich immer wieder selbst leidhafte Erfahrungen erschafft. Es werden uns Konzepte und vor allem Methoden – in Form von Übungs-Wegen (sadhana) – angeboten, die uns zeigen, wie wir alte, beschwerende Erfahrungen hinter uns lassen können und wie bestimmte Veränderungen unseres Verhaltens zu mehr Wohlbefinden führen. Die Quellentexte können das leisten, weil sie in Indien nicht als rein ­philosophische Texte (eben »Yoga-Philosophie«) verstanden werden, sondern als »Atma-Vidya«, also als eine Wissenschaft (vidya) vom Selbst (atman). Im Zentrum fast aller Lehren steht die Einladung zur Entwicklung von Meta-Perspektiven (Beobachter, Zeuge, Seher, drashthu), um uns selbst zu erforschen (svadhyaya), von einer Ebene aus, die es möglich macht, unseren Wesenskern (svarupa) bzw. unser unwandelbares Selbst (purusha oder atman) zu erkennen und zu erfahren.

So geschah es, dass sich die Yogapraxis in der für sie typischen Kombination aus Körperpraxis, Beschäftigung mit den Konzepten des Atman-­Vidya und der Verinnerlichung in der Reflexion oder Meditation allmählich immer mehr zu einer »Yogabasierten Psychotherapie« wurde – und damit zu dem, als was Yoga eigentlich gedacht war.

Wer so wie ich seit Jahrzehnten die Körperarbeit (asana, pranayama) und Meditation in Verbindung mit der ständigen Reflexion der Yogakonzepte unterrichtet, weiß, dass dieser Weg nur in genau dieser Vernetzung nachhaltig wirksam werden kann. Lehrerinnen und Lehrer wie ich verfügen über sehr viel Erfahrung in der Umsetzung der Konzepte und der Begleitung der Übenden auf ihrem Weg, aber wir waren lange Zeit selber dafür verantwortlich, schlüssige Theorien herauszubilden, warum der Yoga diese Wirkungen zeigt. Eine »Psychologie des Yoga« bildete sich erst langsam und vereinzelt heraus und blieb deswegen ohne Breitenwirkung.

Ich denke, das wird sich nun grundlegend ändern!

Mit »Verkörperter Wandel«, dem Buch, das uns Martin Witthöft hier vorlegt, steht uns nun endlich ein Grundlagenwerk (!) zu diesem wichtigen Thema zur Verfügung. Ein Grundlagenwerk, weil Martin sich dieses Themas wirklich grundlegend angenommen hat.

Mit großer Sorgfalt hat er Konzepte des Yoga, die sich mit unserem Gewordensein (vasanas und samskaras) und unserem aktuellen Sein und Verhalten (repräsentiert durch die Wirkkraft der kleshas) beschäftigen, zu Konzepten der modernen Psychologie wie Neuropsychotherapie, ­Bindungsforschung und Körperpsychotherapie, insbesondere der Biosynthese in Beziehung gesetzt.

Wir lernen verstehen, wie wir uns natürlicherweise zu einer »Gestalt« formen (bzw. durch Erziehung und gesellschaftliche Bedingungen zu ihr geformt werden), die zumeist in ihren Annahmen, Bewertungen, Glaubenssätzen und in ihren Verhaltens- und Handlungsmustern (= »alte Gestalt«) erstarrt ist. Yoga hilft uns mit seinen oft herausfordernden Praktiken wie intensives Atmen und vor allem der Meditation, dass wir uns als Erstes dessen bewusst werden und in der Folge für uns klären können, ob wir so weiterleben und weitermachen wollen – oder nicht.

Falls wir spüren, dass sich etwas in uns wandeln möchte, bietet der Yoga uns Konzepte an, die uns darin unterstützen, zu einer »neuen Gestalt« zu finden. Diese Gestalt zeigt die Wesenszüge von zunehmender Bewusstheit, Achtsamkeit, Klarheit und innerer Freiheit, aber auch von Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und einem lebendigen Mitfließen mit den sich ständig wandelnden Strömungen des Lebens.

Diesen Prozess der Umkehr (pratipakshabhavana) und der Wandlung beschreibt Martin genau und nachvollziehbar. Er weist uns auf unsere Ressourcen hin, auf die Kraft, die sich auftut, wenn wir zu unserem eigenen Weg (svadharma) und zu unserer eigenen, authentischen Gestalt (svabhava) finden.

Wesentlich ist meiner Ansicht nach, dass er seinen Leser*innen eine Vielzahl von Übungen mit auf den Weg gibt. Die meisten dieser Übungen sind so angelegt, dass sie zu einer achtsamen und von Selbstmitgefühl geprägten Selbstreflexion einladen, die hilft, mehr Klarheit und Einsicht in das eigene Fühlen und Denken und das daraus resultierende Verhalten und Handeln zu gewinnen.

»Verkörperter Wandel. Die Praxis der integrativen Yogapsychologie« ist somit ein unverzichtbares Handbuch für Yogalehrende, Meditationslehrer*innen und vor allem für alle, die Yogalehrer*innen ausbilden. Es ist aber auch ein wertvoller ­Begleiter für die Yoginis und Yogis, die als Übende auf dem Yogaweg unterwegs sind und merken, dass eine Sehnsucht in ihnen sie hinausführen möchte über die stete Verfeinerung der asanas – nämlich in die Begegnung mit sich selbst.

Die Themen der Yogapsychologie sind vielschichtig, komplex und gehen oft sehr tief. Martin ist das Kunststück gelungen, diese Tiefe zu bewahren und trotzdem einen Ton zu finden, der von Leichtigkeit und Verständlichkeit geprägt ist. Dabei helfen die diversen biografischen Einschübe sehr, mit denen Martin sich uns als ein Spiegel anbietet, und seine sehr schöne, oft bildhafte Sprache.

Ich wünsche diesem reichhaltigen, so spürbar auf Erfahrung beruhenden Buch eine vielfältige, interessierte und offene Leserschaft, und empfehle es gleichermaßen gerne vom Kopf und vom Herzen.

Anna Trökes

Berlin, März 2021

Verkörperter Wandel

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