Читать книгу Aus smarter Silbermöwensicht - Martina Kirbach - Страница 14
Bewegung
ОглавлениеMacus Steger hatte, außer zu den Mahlzeiten, über mehrere Tage sein Zimmer nicht verlassen. Damit sollte jetzt Schluss sein. Er hatte sich in den Rollstuhl geschwungen in der Absicht, das Haus zu erkunden. Nachdem er die Tür zu seinem kleinen Apartment zugezogen hatte, rollte er den breiten Flur entlang in Richtung auf den Eingangsbereich. Dort fiel sein Blick auf das Leitbild der Pflegeeinrichtung, welches auf jeder Etage aushing.
‚Uns liegen eine selbstbestimmte Lebensführung und das Wohlbefinden unserer Bewohner am Herzen, wir bemühen uns um ein Gleichgewicht zwischen ihrer Teilhabe am Gemeinschaftsleben und ihrer Privatsphäre ....‘
Für Marco klang das alles positiv und vielversprechend, doch zu allgemein und abstrakt, beinahe inhaltslos. Ja, in seiner Privatsphäre fühlte er sich respektiert und zugleich, über viele Stunden hin, auch sehr allein.
Aber, wie man in den Wald hineinruft, so ... Ja, er konnte von den Mitarbeitern tatsächlich nicht erwarten, dass sie täglich einen neuen Versuch machten, ihn für die angebotenen Aktivitäten zu motivieren. Hatte er sich womöglich wie ein trotzendes Kleinkind verhalten? Sollte er Anjas Rat aufgreifen und sich einer der Spiele- oder Gesangsgruppe anschließen? Vielleicht würde er sich morgen dazu aufraffen.
Doch ganz untätig wollte er schon heute nicht sein und so beschloss er, erst mal die Räumlichkeiten des Hauses zu erkunden, und dann würde er eventuell demnächst ...
Mit seinem Rollstuhl erkundete er die verschiednen Etagen und ertappte sich dabei, gelegentlich nach Anja Ausschau zu halten. Vergeblich, und dennoch fühlte es sich gut an, wieder etwas aus eigenem Antrieb zu tun. Morgen, so nahm er es sich vor, würde er seine Erkundungen ausweiten.
Beim Abendbrot im Hausrestaurant traf Marco erneut auf Herrn Hummer, dessen joviale Art ihn leicht befremdete. Dennoch fand er es weitaus angenehmer, Belanglosigkeiten auszutauschen als allein auf dem Zimmer zu Abend zu essen.
»Na, Herr Hummer, was macht die Kunst? Sind Sie schon zu einem Urteil über dieses Haus gekommen?«
»Nicht endgültig, wissen Sie, es gibt da noch das ein oder andere, was ich abklären muss. Neulich sah ich eine etwas ältere Pflegerin, wie sie recht grob bei einer Bewohnerin Blutdruck gemessen hat. Sie hatte nicht bemerkt, dass ich hinter ihr stand.«
»Da gibt es aber auch andere!«, hielt Marco Steger dagegen. Ihn interessierten solche Beobachtungen nur bedingt, fürchtete er doch, dass sie ihn herunterziehen würden. Zugleich war er froh, einen Tischpartner zu haben, mit dem er halbwegs auf einer Wellenlänge lag. Die Frauen im Haus waren in der Überzahl, und bislang war ihm keine begegnet, mit der er sich gerne länger unterhalten hätte. Marco Steger war offen, sich an Herrn Hummer zu gewöhnen, bereit, ihn ein wenig ins Herz zu schließen.