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Wie sich unser Menschenbild verändert hat oder Wer wir heute sind

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Seit den frühen Neunzigerjahren sind alle westlichen Konsumstaaten, die sich mittlerweile zu postmodernen Technologiegesellschaften transformiert haben, also Sieger. Und mit ihnen natürlich auch ihre Grundüberzeugungen und ihr Selbstkonzept, das allein durch die »Befreiung der anderen« und die Durchsetzung »unserer Ideologie« einen enormen Schub fürs Ego erhalten hat. Wir haben mit unserer Haltung letztendlich also »recht« gehabt! Recht zu haben ist ein sattes, schmeichelndes Gefühl und führt bekanntlich dazu, dass man sich überlegen fühlt und glaubt, andere belehren zu können.

Was also ist unser Erfolgsrezept? Wie baut man die richtige Gesellschaft auf?

Wir präsentieren die Zutaten unserer Erfolgsgeschichte gern laut und inszenieren uns in unserer Verliebtheit in Selbstdarstellung am liebsten permanent.

Besonders bedeutend, ja fast schon sakral verbrämt in unserem gesellschaftlichen Wertekoffer ist natürlich »die Freiheit«, und zwar bitte die »vollkommene«. Wir wollen heute alle frei leben, absolut frei, und ja keine Zwänge oder irgendetwas, das unsere Freiheit beschränken könnte, akzeptieren. Folgerichtig haben wir alles, das wir auch nur in der Nähe von autokratisch oder autoritär vermuten, auf der Fahndungsliste. Autorität per se ist schon suspekt. Dementsprechend haben wir in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten auch gerne und viel von der Freiheit gesprochen: von der freien Marktwirtschaft zum Beispiel, dem freien Spiel der Kräfte, der freien Entfaltung und natürlich der freien Wahl, denn Wahlfreiheit – nicht die bei der politischen Wahl, die interessiert uns und die Jüngeren zunehmend weniger, sondern die der persönlichen Lebensgestaltung – ist uns nahezu heilig. Wir wollen jeder in unser Mickymaus-Leben hineinpacken, was uns gerade gefällt, und es natürlich auch jederzeit wieder verändern, wenn eine Durststrecke droht und das Gewählte sich vielleicht als mühevoll herausstellt. Sonst wären wir ja blöderweise nicht mehr frei.

Damit stehen wir bereits am Rande einer Schlangengrube. Denn wenn das wundervolle Privileg der Wahlfreiheit nicht auch eine entsprechend ernsthafte Wahlverantwortung mit einschließt, entsteht daraus Beliebigkeit mit all ihren fatalen Konsequenzen. Aber das ist möglicherweise nur etwas für Spitzfindige – und für unsere Kinder, die das ganz genau erfasst haben.

Gleich neben der Fürstin »Freiheit« finden sich als beste Freundinnen »die Potenzialentfaltung« und »die Individualität«, praktisch unzertrennlich, die eine heute die Steigbügelhalterin der anderen. Dass sie bisweilen auch schrill daherkommen können, tut ihrer Popularität nicht im Geringsten Abbruch. Kein Extrem wird hier ausgelassen, egal, ob es um Körperschmuck, Haartracht, skurrile Hobbys oder das Zusammenleben mit Alligatoren geht. Hauptsache, man fällt auf. In dieser Siegerpose des unverwechselbaren Individualisten, der sein Potenzial voll ausschöpft und sein Leben nach eigenem Dafürhalten inszeniert, sehen wir uns heute gerne.

Wir sehen uns überhaupt äußerst gerne und beschäftigen uns am liebsten mit »Postings« in der ornamentalen Bilderkultur von Facebook und anderen Social Media Plattformen. Jeder sein eigenes Kunstwerk, eine Selbstinstallation »in progress«, denn Selbstbespiegelung wärmt und tut gut. In einer Zeit, in der das Bekenntnis zum Egoismus als ehrliches Outing unserer angeblichen Natur schicke Partygängigkeit verspricht, gehört es als Grundhaltung einfach dazu. Ein wenig infantil mutet diese Selbstverliebtheit in die eigene Größe allerdings schon an, bisweilen sogar etwas verzweifelt. Nämlich dort, wo das Bedürfnis nach Originalität bizarre Formen anzunehmen droht, indem man als Bilderstürmer der letzten Tabus unterwegs ist, um damit die ersehnte Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das Bedürfnis, in dieser so beängstigend freien Gesellschaft, die gleichzeitig immer engere Kontrollmechanismen als Gegenbalance einzuziehen versucht, seine Originalität zu begründen und etwas Besonderes zu sein, um endlich einen festen Punkt zu finden, ist enorm.

Gesehen werden ist alles! Man nennt diese Störung Narzissmus. Dabei wird das Ego in der Sucht nach Anerkennung als Nabel der Welt erlebt und inszeniert. In der heutigen Elterngeneration kommt sie bereits dreimal so häufig vor wie in der vergangenen. In der schlimmsten Ausprägung erlebt ein Narzisst sein Gegenüber nur mehr als Erfüllungsgehilfen und als Material für die eigene Selbstbestätigung, denn zu echter Hingabe und Liebe ist er nicht mehr fähig. So treten wir dann unseren Kindern gegenüber.

Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden

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