Читать книгу Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden - Martina Leibovici-Mühlberger - Страница 11
Kind ja oder nein?
ОглавлениеBernadette ist eine attraktive, schlanke Frau knapp vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Auch drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ist die Wölbung ihres Bauches überblickbar. Sie vertraut auf Disziplin und Planung, wie sie mir sofort verrät. Ein Sichgehenlassen ist da nicht drin, und ihre forsche Art lässt vermuten, dass sie ihre Haltung zum Thema Kind mit zahlreichen Studien und ausgewählter Ratgeberliteratur untermauern könnte.
Aber ich nehme ihre Selbstbeschreibung ohne Nachfrage hin. Immerhin soll es hier ja um ein anderes Thema gehen – ihr Kind. Dass dies als Besitzanzeige zu werten ist, präsentiert sie als unhinterfragbar und unterstreicht es, indem sie ihre Hände auf ihrem Bauch verschränkt. Deshalb ist sie auch hier, denn Markus, der in allen zukünftigen Gerichtsprozessen als sogenannter Kindesvater bezeichnet werden wird, ist da anderer Meinung.
Dabei hat sie alles sorgfältig überlegt und geplant. Sogar das Timing ist perfekt. Ein Karriereplateau ist erklommen, die zukünftige Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchdacht und durch einen familienfreundlichen Arbeitgeber mit Betriebskindergarten zumindest aus heutiger Sicht relativ bequem realisierbar. Auch pädagogisch ist Bernadette gut vorbereitet. Klare Vorstellungen zu Förderung, Potenzialerschließung und Erziehungsgrundsätzen fügen sich bereits zu einem Konzept. Das Problem ist Markus, denn der hat für die Rolle als Vater seine eigenen Vorstellungen. Dabei stand Bernadette ihm ursprünglich gar nicht so ablehnend gegenüber, wie es jetzt im Zuge der Meinungsverschiedenheiten der Fall ist. Markus hätte einfach den für ihn vorgesehenen Platz im Hintergrund einnehmen und definierte »Qualitätszeit« mit seinem Sohn zubringen sollen.
Dass ein Zusammenziehen für sie nicht erstrebenswert war, hatte Bernadette schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft geklärt. Langfristig gab sie dem traditionellen Konzept von Familie sowieso keine Chance. Schließlich hatte es seinen Grund, dass sie es sich seit Jahren gemütlich in ihrem Singledasein und dank ihrer beruflichen Position auch wirtschaftlich gut abgefedert in einem sehr selbstbestimmten Leben eingerichtet hatte. Warum sich jetzt also mit einem anderen erwachsenen Menschen abstimmen, ihn permanent um sich haben, das Terrain teilen? Da sprach einfach zu wenig dafür. Viel besser und freier war es doch, sich jeweils zu verabreden, statt sich mühevoll wieder Freiraum erkämpfen zu müssen. Und ein Kind machte es ja nicht unbedingt leichter, die eigenen Interessen mit denen des anderen abzustimmen. Im Gegenteil! Wenn sich Bernadette bei ihren Freundinnen mit Kindern so umsah, bestätigte sie alles in ihrem Entschluss, sich auf kein Zusammenleben einzulassen. Dabei war ihr Markus anfänglich so vernünftig vorgekommen. Doch jetzt, wo das Kind bald auf die Welt kommen sollte, hatte er augenscheinlich Angst, dass ihm die Felle davonschwimmen könnten.
Ich hoffe, es wird mir gelingen, Bernadette und Markus die Rolle ihres Kindes zu verdeutlichen…
Was das Thema »eigene Kinder in die Welt setzen« anlangt, hat sich der Zeitgeist stark gewandelt. Für meine Generation war das noch ein logischer, weiterer Entwicklungsschritt in der eigenen Biografie, der keiner gesonderten Diskussion bedurfte. Vorausgesetzt, man hatte ein gewisses Alter erreicht und im Idealfall sowohl eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche, als auch einen Ehering am Finger. Heute sieht das ganz anders aus, denn das mit dem »Kinderkriegen« ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit geworden. Jede Menge verborgener Risiken scheinen da auf einen zu warten, sodass man fast schon über ein Löwenherz verfügen und ein Abenteurer sein muss, um sich auf dieses Wagnis einzulassen.
Auf jeden Fall hat es seine Naturgesetzmäßigkeit verloren. Wir bekommen nicht mehr einfach so Kinder, bloß weil wir erwachsen sind. Es ist schließlich ja gar nicht mehr erstrebenswert, dem Status des ewigen Jugendlichen zu entwachsen. Wir bekommen auch keine Kinder mehr, bloß weil wir uns verlieben und einen Mann oder eine Frau zu unserem Lebenspartner machen. Für eine Elternschaft und damit Lebensphasenmarkierung ist das viel zu unsicher, denn heute gibt es höchstens noch »Lebensabschnittspartner« und rastlose Selbstoptimierung. Und einfach so Kinder zu kriegen, aus einem inneren Wissen heraus, trauen sich die meisten von uns auch nicht. Oft vertrauen Menschen in der entsprechenden Lebensphase nicht mehr auf das, was ihre Intuition ihnen sagt. Der richtige Zeitpunkt, abhängig von persönlicher Entwicklung, Lebensphase, Rahmenbedingungen und der grundsätzlichen Fähigkeit, langfristige Beziehungen einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, ist schwer zu finden. Manche sind auch der Überzeugung, sie würden den für sie richtigen Zeitpunkt sehr wohl spüren – nur scheint der eben nie zu kommen. Irgendeine Komponente passt nie!
Nur um eines klarzustellen: Es geht hier nicht um einen verantwortungslosen Umgang mit Fruchtbarkeit, bei dem Kinder vielleicht in bitterste Armut hineingeschleudert werden. Es geht hier um ein grundsätzliches Vertrauen in sich selbst und in die Welt und das scheint uns abhandengekommen zu sein. Der Verlust von Vertrauen in uns selbst und in die uns umgebende Welt ist die Schattenseite einer narzisstischen Gesellschaft. Und sie zieht einen Rattenschwanz von Kontrolle und Überreglement ierung nach sich, denn Narzissten sind ihrem Wesen nach ängstlich und süchtig nach Bestätigung. Beim Thema Kinderkriegen zeigt sich dies für viele moderne Menschen in besonders überfordernder, ja sogar Angst erregender Form.
Zuerst muss also die Kardinalentscheidung getroffen werden: Kind ja oder nein? Sicherheit sollen rationale Überlegungen liefern. Um Kinder zu kriegen, braucht es heute also gute Gründe! In allererster Linie für uns selbst. Wenn wir als reflektierte Vertreter der postmodernen Technologiegesellschaft durchgehen wollen und uns für Kinder entscheiden, muss sich das in erster Linie auf unser Selbst beziehen. Es ist kein Reifeschritt mehr, also nicht mehr das Gefühl, im Entwicklungszyklus der eigenen Menschwerdung fähig zu werden, Verantwortung für die nächste Generation zu übernehmen. Oh nein – es muss in unseren Plan von Selbstverwirklichung passen. Es ist damit begründungsbedürftig und rechtfertigungspflichtig.
»Hast du dir das gut überlegt? Hat die Partnerschaft mittelfristig wirklich Aussicht auf Bestand? Bedeutet ein Kind vielleicht gerade jetzt ein Karrierehindernis? Was tust du, wenn sich herausstellt, dass der andere überfordert ist oder dass du selbst überfordert bist? Willst du wirklich so lange Zeit für einen anderen Menschen da sein müssen? Was gibt dir das überhaupt, ein Kind zu bekommen? Was hast du davon? Willst du deine Ressourcen nicht lieber für dich selbst verwenden? Was tust du, wenn du herausfindest, dass du gar nicht scharf drauf bist, ein Kind zu haben? Hast du schon genug erlebt, bist du schon genug gereist, hast du schon genug Raum und Zeit für dich selbst gehabt, um diese Einschränkung wirklich auf dich zu nehmen?«
Ganz schön viel, was man da im strengen Verhör der Selbstoptimierung des eigenen Lebensentwurfs als Kriterienbaum alles durchdeklinieren muss, um sichergehen zu können, dass man mit dem Kinderwunsch die richtige Entscheidung getroffen hat. Das ist heute aber wichtig, denn als Mutter/Vater ist man in dieser postmodernen Konsumgesellschaft, die sich als alles andere als kinderfreundlich entpuppt, ziemlich allein. »Deine Wahl, dein Deal!«, lautet die Devise. Wer sich beschwert, bekommt höchstens ein mitleidiges Lächeln. Das hätte man sich halt früher (und besser) überlegen sollen. Statt Solidarität zu erfahren, beherrscht ein Klima der Beurteilung die gesellschaftliche Landschaft. Vielerorts rühmt man sich sogar, »kinderfreie Zonen« eingerichtet zu haben, wie in manchen Hotels. Das Kind ist heute ein Objekt, das man sich aus gewissen persönlichen Motiven angeschafft hat und das es dementsprechend gilt, im Idealfall zum eigenen Ruhm zu optimieren. Wer das schafft, der punktet, ähnlich wie der Besitzer einer teuren Luxuskarosse.
Im nächsten Schritt liefern sich jene, die sich entscheiden, etwas zur mageren Geburtenrate beizutragen, der Natur aus. Denn wird es einfach so klappen? Und welches Kind wird man bekommen? Für den kontrollverwöhnten Durchschnittsmenschen ist das eine große Herausforderung, denn bisweilen muss er gekränkt feststellen, dass sich eine Schwangerschaft nicht einfach so auf Knopfdruck produzieren lässt. Darum haben wir die moderne Fortpflanzungsmedizin auch heftig dazu angespornt, Einblick in die tiefsten Geheimnisse der Natur erlangen zu wollen, um sie dann zu manipulieren.
Vordergründig dürfen wir auch hier wirklich stolz auf das Erreichte sein. Unser Ego darf sich auf die Schulter klopfen, auch wenn die ethischen Probleme, die im Fahrwasser lauern, uns mit der Brutalität des gesellschaftlich akzeptierten Narzissmus konfrontieren. Gemacht wird, was geht, und wenn nicht hier, dann anderswo! Über die Konsequenzen und Kontrollrichtlinien müssen sich die überforderten Ethikkommissionen und juristischen Senate den Kopf zerbrechen. Als Gesellschaft ziehen wir es vor, uns als Zauberlehrlinge ganz naiv darüber zu freuen, wie wir scheinbar »Leben erschaffen können«, wenn wir wieder einmal in einer Hochglanzillustrierten lesen können, was heute alles möglich ist. Machbarkeit ist dabei das Zauberwort. Wir können heute beinahe alles, wie wir meinen: von Insemination und In-vitro-Fertilisation spannt sich der Bogen über gekaufte Eizellen und im Katalog bestellbare Samenspenden bis zu Leihmutterschaft und Pränataldiagnostik, um verwertbare Embryonen von unwerten zu unterscheiden. Streng genommen gingen auch Klonen und das Anlegen eines genetischen Ersatzteillagers für Notfälle. Hinter dem Triumphzug des technologischen Fortschritts öffnet ein Horrorkabinett seine Pforten.
Gott sei Dank ist es hier nicht unser Thema, zu überlegen, wie wir zu dem Fall eines australischen Ehepaars stehen, das über Leihmutterschaft ein Kind bestellte und Zwillinge geliefert bekam, von denen einer allerdings eine Trisomie 21 aufwies, worauf das Ehepaar entschlossen das gesunde Kind einpackte und das kranke bei der Leihmutter beließ.
Uns interessieren hier nur die Auswirkungen, die das Karussell der Fortpflanzungstechnologie auf das Thema Elternschaft und unsere Kinder zu entfalten vermag. Eines steht auf jeden Fall fest und wird im Ethikdialog der Reproduktionsmediziner und in ärztlichen Fachzeitschriften bereits laut diskutiert: Kinder werden immer mehr zu einem Produkt, zu einem Objekt, im schlimmsten Fall zu einer Ware in einem Dienstleistungsbetrieb. Dass damit in einem neuen Industriezweig mit hohen Zuwachsraten wie von selbst Begriffe wie Preis, Qualität und Wert auftauchen, sei nur nebenbei erwähnt.
Wir überspringen jetzt die nächsten neun Monate unseres Kindes, auch wenn sie von engmaschiger Belauerung, Kontrolle, Vermessung und Entwicklungscharts bestimmt wird, die uns sagen, ob unser Kind in einer Poleposition ist oder wir uns Sorgen machen müssen. Wir wollen hier auch die Pränatalforschung beiseite lassen, die zukünftige junge Mütter heute schon während der Schwangerschaft unter Verhaltensdruck setzt, noch bevor sie ihr Kind das erste Mal gesehen haben.
Wie einfach hatte ich es da noch. Ich folgte simpel meinem Instinkt, meinem Gefühl, meinem eigenen Befinden und Bedürfnis und dem, was ich als Resonanz in meinem Bauch spürte, ganz ohne schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht ausreichend informiert hätte. Ich konnte einfach alles noch voller Vertrauen auf mich zukommen lassen.