Читать книгу Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden - Martina Leibovici-Mühlberger - Страница 6

»Die checken einfach ihren Auftrag nicht!«

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Das war, wieder einmal, mein innerlicher Kommentar, als ich knapp eine Woche später die Eltern von Phillip in mein Behandlungszimmer bat. Wie so oft erwartete mich eine jener Situationen einer familiären Misere, die sich in dem zugegeben markigen Kondensat so treffend widergespiegelt fand.

Auf den ersten Blick sind sie ein Erfolgsduo Ende vierzig, Phillips Altvordere, und sie bemühen sich auch sehr, genau diesen Eindruck zu vermitteln. Als müssten sie sich gerade bei einem Hearing von sich selbst überzeugen. Der Anlass, der sie zu mir geführt hat, hat ihren Lebenskosmos so schwer erschüttert, dass sie nicht länger an die Unversehrtheit ihres eigenen strahlenden Lebensmodells glauben können. Dabei mutet alles wie eine Hollywood-Story in alpenländischem Format an.

Beate ist Nobeldermatologin mit Nebenschwerpunkt Anti-Aging und versorgt in ihrer Innenstadtpraxis nur die beste Klientel. Das gute Dutzend an Wiener Zinshäusern, das ihr ewig unberechenbarer, cholerischer Vater, der sie und ihre Mutter immer abgewertet hat, ihr letztendlich doch vererbt hat, schafft einen behaglichen wirtschaftlichen Hintergrund.

Robert, ihr Mann, wirkt mit seiner Selfmademan-Haltung und seinem forschen Auftreten wie die ideale Ergänzung. Er hat sich karrieremäßig dem Entrepreneurship verschrieben. Er erklärt mir, die beste Entscheidung seines Lebens sei gewesen, sein Betriebswirtschaftsstudium zu »versemmeln« und stattdessen ein Großhandelsunternehmen für Badezimmerarmaturen aufzuziehen. Mit seinem Gespür für die richtige Gelegenheit, Einsatz und dem angeborenen Verkäuferinstinkt gelang es ihm, Großkunden im Hotel- und Spitalsbau an Land zu ziehen und in der Branche ganz oben mitzumischen. Er macht auch gleich klar, dass er Akademiker für beschränkt, reich an Buchwissen, aber realitätsfern und in der freien Wirtschaft für wenig überlebenstauglich hält.

Selbstwert ist für den guten Mann also offenbar ein großes Thema. Beate muss sich permanent rechtfertigen und Robert spielt den Bewerter. In dieser Ehe gibt es also gewisse Grundturbulenzen, doch die Bedrohlichkeit der gegenwärtigen Situation vereint die beiden. Bis auf gelegentliche wechselseitige Seitenhiebe wird Harmonie demonstriert. Am Ende der Sitzung ist klar, dass beide zwar den Ernst der Lage und die möglichen Konsequenzen erkennen. Doch keiner von beiden hat genügend positive Veränderungskompetenz aufzuweisen, um das eigentliche Grundproblem anzupacken. Denn Beate hat es längst aufgegeben, ihrem Sohn als weisungsgebende Mutter entgegenzutreten. Sie bemüht sich in erster Linie um einen minimalen Frieden, indem sie ihm seine Wünsche erfüllt und möglichst konsequent über seine Präpotenz hinwegsieht.

Roberts erzieherische Inkonsequenz ist noch drastischer. Er erklärt mir: »Eigentlich müsste man das Ganze ja aus einem viel breiteren Blickwinkel betrachten. Natürlich war das nicht in Ordnung, was er getan hat, aber es war ja eine ganze Menge Alkohol im Spiel. Im Prinzip ist er ja sehr couragiert für sein Alter, hat sich überhaupt nicht in die Hosen geschissen. Peng, zack, einfach sein Ding durchgezogen.« Er unterstreicht seine Worte damit, dass er mit der Handkante die Luft zwischen seinem und meinem Sessel durchschneidet.

Phillip hat seinem Vater mit seiner Aktion, die immerhin ein Verfahren für mehrere strafrechtliche Delikte nach sich zu ziehen droht, also imponiert. Ich frage mich, ob Robert sich eigentlich darüber im Klaren ist, was es für seinen Sohn bedeutet, wenn er als Vater die laut Strafgesetzbuch eindeutig kriminellen Handlungen seines Sohnes bagatellisiert und sein fragwürdiges Draufgängertum sogar bewundert. Bevor ich das jedoch thematisieren kann, krönt er seinen Gedankengang mit einer abschließenden Bemerkung, die mich daran zweifeln lässt, ob dieser Mann überhaupt selbst erwachsen und erziehungsfähig ist: »Eigentlich war das Ganze ja eine Art Mutprobe und dafür muss ein Richter, der halbwegs Grips im Kopf hat, Verständnis haben. Es gibt ja keine Rituale für junge Männer mehr, in denen sie sich beweisen können. Die Guten müssen sich dann eben selbst Herausforderungen schaffen und die Weicheier bleiben auf dem Sofa sitzen.«

Es würde also eindeutig ein weiter Weg werden, wenn wir für Phillip etwas zum Positiven verändern wollten.

Das Gleiche denke ich mir rund eine Woche später, als Phillip persönlich in meinem Behandlungszimmer Platz nimmt. Der »diagnostische Kommentar« meiner Tochter zum psychosozialen Status all dieser Kinder und Jugendlichen kommt mir wieder in den Sinn: »Mama, die sind ja nicht krank, die spinnen doch nur!«

Genau dieses »Der spinnt doch einfach« schießt in mir während dieser ersten Sitzung mit Phillip immer wieder auf. Er wird in ein paar Wochen siebzehn werden, ist also schon gut in der Kohorte der Jugendlichen installiert und im Outlook, auf den es heute bekanntlich vor allem ankommt, ein formidabler Bursche. Dünner, lässiger Kaschmirpullover einer edlen Marke, Jeans, die so kunstvoll zerfetzt sind, dass sie sicher ein Vermögen gekostet haben, und sockenlose Pubertätsfüße, die ein wenig seinem Körperwachstum vorausgeeilt zu sein scheinen – so präsentiert er sich mir, als ich ihm die Tür zu meiner Praxis öffne. Seine extrakorporale Identitätsquelle in Gestalt des neuesten Handymodells in der Hand, schreitet er aufrecht und mit federndem Gang in meinen Behandlungsraum.

Wie so manche seiner Altersgruppe ist er nicht freiwillig hier, sondern auf den guten und auch teuren Rat des Anwalts seiner betuchten Familie hin. Denn mit Einsicht und Bereitschaft zur Selbstreflexion ließe sich die Härte des Gesetzes ja vielleicht noch abfedern. Er lässt mich seinen Widerwillen spüren und deutlich durchblicken, dass der Anlass für unseren Termin eigentlich nicht der Rede wert ist. Damit will er auch gleich seinen Rahmen abstecken, dass es, wenn es nach ihm ginge, nicht viele solcher Rendezvous geben würde.

Ich bin anderer Meinung, doch ich muss ihm in dieser sensiblen ersten Phase Leine geben und höre einfach zu. Seiner Meinung nach handelte es sich um einen Spaß, einen Scherz, der bloß aufgebauscht worden sei. Mittlerweile sei das Ganze geradezu ein Witz, wenn auch ein schlechter, geworden.

Ich gebe mich weiter abwartend, mit einem Lächeln, das ihn zum Erzählen ermuntern soll, aber nicht meine Augen erreicht. Das gestriegelte Bürschchen im Fauteuil mir gegenüber ist ein Taktiker. Er will ganz offen mit mir konspirieren, um einer Gerichtsbarkeit, die er nicht respektiert, die lange Nase zu drehen. Das sagt er auch gleich ganz deutlich.

Am liebsten wäre ihm, ich würde ihm jetzt sofort eine Bestätigung über 20 absolvierte Sitzungen ausstellen und seine hohe reflexive Potenz und die daraus folgende Einsichtsbildung attestieren. Danach würden wir auf ein Bier gehen und uns köstlich darüber amüsieren.

Ich trinke leider kein Bier und auch mein Humor folgt einem anderen Kompass. Meine sanfte, aber bohrend unausweichliche Nachfrage ist jetzt unvermeidlich. Was den Tathergang anlangt, hat er eine Art inneren Hollywood-Streifen à la »Stirb langsam 3« mit sich selbst in der Hauptrolle gespeichert. Dazu passt auch, dass er nicht das geringste Unrechtsbewusstsein hat. Er bringt sich in meinem Fauteuil in die passende, also lässig hingegossene, Position. Es war maximal ein Lausbubenstreich, also nicht der Rede wert. In Wirklichkeit ziemlich cool, mega-cool sogar, wenn man es genau nimmt und er sich an die ganze Action und das Gefühl dabei erinnert.

»Es war an einem Samstag, spät abends, eigentlich war es schon so gegen halb zwei Uhr«, beginnt er, als ich ihn auffordere, mir die ganze Sache nochmals zu schildern. Eigentlich war es ein ganz chilliger Abend gewesen. Jo-Jo, sein bester Freund, und er hatten ziemlich viel Bier getrunken und sich die Zeit mit Computerspielen, Warcraft und so, vertrieben. Sie waren allein im Haus seiner Eltern, die in ihr Wochenendhaus gefahren waren. »Uns ist dann das Bier ausgegangen«, eröffnet er mir in einem Ton, als würde das das Folgende bereits völlig selbstredend erklären.

Sie beschlossen also, zu einer Nachttankstelle auszureiten, um sich mit weiterem Bier einzudecken. Der Range Rover seiner Mutter schien in der elterlichen Garage nur darauf zu warten. Der zu diesem Zeitpunkt bereits recht hohe Alkoholisierungsgrad ließ nicht nur das geplante Unternehmen plausibel erscheinen. Er war auch dafür verantwortlich, dass die Fahrt in einer engen, beidseitig zugeparkten Seitengasse des 13. Wiener Gemeindebezirks mit einem großflächigen Schaden an gut einem Dutzend Fahrzeugen endete, als Phillip mit dem Wagen seiner Mutter die anderen Autos abrasierte. Durch kluges Gegensteuern war es ihm sogar gelungen, dabei auf beiden Seiten kein einziges Fahrzeug auszulassen. Doch damit nicht genug. Nach dem Eintreffen der Polizei kam es zu turbulenten Szenen, als Phillip sich mit einem von einem Fahrzeug kurzerhand abgebrochenen Scheibenwischer der Festnahme durch mehrere Beamte widersetzte. »Den Bullen habe ich es gezeigt«, sagt er zu mir, noch immer von sich selbst überzeugt und ohne jeden Ansatz von Reue.

Es ist zum Haare raufen! Da sitzt dieses Milchbubi vor mir, das in seinem ganzen Leben laut Aussage seiner Eltern keine größeren Härten als einen Zahnarztbesuch hat erleben müssen, trägt Kleidung, die ein durchschnittliches Monatsgehalt eines Normalverdieners kostet, gehört zur sogenannten Zukunftselite und hat nur ein Achselzucken dafür übrig, dass er neben einer ganzen Reihe von Delikten auch noch mindestens zwei Polizisten schwer verletzt hat. Das ist dem Polizeibericht leider unmissverständlich zu entnehmen.

Eigentlich ist Phillip streng genommen als soziopathisch einzustufen. Doch gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass hier vor mir ein großer Dreijähriger sitzt, der schlicht und einfach noch nicht imstande ist, die Tragweite seines Handelns zu begreifen, sondern in seiner Unbedarftheit immer noch meint, das Ganze würde als Scherz durchgehen.

Dass sich hinter Phillips vorgeschobener Coolness ein tief verunsicherter, sehr verwirrter junger Mensch verbirgt, der bereits seit Langem vergeblich nach Führung sucht, die ihm Handlungsanleitung und Orientierung gibt, wird sich in seiner ganzen dahinter liegenden Verzweiflung erst in den nächsten Sitzungen eröffnen. Im Moment denke ich mir bloß: »Der spinnt doch einfach.«

Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden

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