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ENDOMETRIOSE – DAS PHANTOM DER GYNÄKOLOGIE

EIN RÄTSELHAFTES LEIDEN

Wien, Mitte des 19. Jahrhunderts: Carl Freiherr von Rokitansky, seines Zeichens Arzt und Pathologe, bereitete alles für die Operation vor. Es war schon seltsam, dass er bisher keine Erklärung für die rätselhaften Symptome der jungen Frau gefunden hatte, die nun vor ihm auf dem Operationstisch lag. Monat für Monat war sie ohnmächtig unter dramatischen Schmerzen im Bauchraum zusammengebrochen. Alle Untersuchungen hatten bisher kein Ergebnis gebracht. Es nützte alles nichts, er musste sie aufschneiden.

Rokitansky setzte das Skalpell an und legte erstaunt frei, was er in seiner bisherigen medizinischen Karriere noch nie gesehen hatte: Der gesamte Bauchraum der Frau war von Gewebe, ähnlich dem der Gebärmutterschleimhaut, durchzogen. Es breitete sich über Blase, Darm und Bauchfell aus. Rokitansky hatte soeben die Endometriose entdeckt.

Die Symptome der Erkrankung wurden angeblich bereits auf einer Schriftrolle des Alten Ägypten beschrieben. Man geht davon aus, dass es sich damals schon um Endometriose handelte, auch wenn man zu dieser Zeit noch keinen Namen für die Krankheit hatte.

Ein hinkender Vergleich

Oft ist zu lesen, Endometriose sei Gebärmutterschleimhaut, die sich außerhalb der Gebärmutter an anderen Stellen im Körper ansiedle und sich hormonabhängig mit dem Menstruationszyklus aufbaue und wieder abblute. Diese Definition ist allerdings ein bisschen wie Kapitän Ahab in Moby Dick: hinkend, frei erfunden und doch von einer wahren Begebenheit.

Das stark vereinfachte Bild der »versprengten Gebärmutterschleimhaut« trägt meines Erachtens dazu bei, dass es viele Missverständnisse um die Endometriose gibt und dass man uns Betroffene in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn wir überhaupt wahrgenommen werden, nicht ganz ernst nimmt – nach dem Motto: Frauen! Sind halt nicht »ganz dicht« und haben ein bisschen stärkere Menstruationsschmerzen, weil sie in den Bauchraum hineinsuppen. Doch ganz so einfach ist es nicht …

ZELLEN AUF ABWEGEN

Endometriose (abgeleitet vom griechischen »endon« = innen und »metra« = Gebärmutter) ist ein Getümmel von Zellen, die solchen Zellen ähneln, die man sonst nur in der Gebärmutter, im Gebärmutterhals und in den Eileitern findet. Von den dortigen Zellen unterscheiden sich Endometriosezellen in vielerlei Hinsicht: Sie weisen eine andere mikroskopische Struktur auf, liegen in vielen verschiedenen Entwicklungsstufen vor und verfügen über weniger bis gar keine Hormonrezeptoren. Zudem finden sich in Endometrioseherden unter anderem Enzyme, die in der Gebärmutterschleimhaut nicht. vorkommen. Generell verhält sich Endometriose ganz anders. Die tief infiltrierende Endometriose etwa (siehe »Formen der Endometriose«, Seite 36 f.) kann aggressiver in Organe hineinwachsen als mancher Krebstumor. Endometriose ist nie mit Gebärmutterschleimhaut identisch!

Endometriose gilt im Allgemeinen als östrogenabhängige Erkrankung, das heißt, sie wird in den meisten Fällen durch Östrogen aktiviert. So tritt sie für gewöhnlich erst mit der Geschlechtsreife ein. Ab dann passiert vereinfacht dargestellt Folgendes im weiblichen Körper: Die Eierstöcke bilden die Hormone Östrogen und Progesteron. Unter Einwirkung des Östrogens baut sich die Gebärmutterschleimhaut auf. Das Progesteron sorgt im Anschluss für deren Erhalt, damit sich ein befruchtetes Ei in Ruhe einnisten kann. Kommt es nicht zu einer Schwangerschaft, sinkt das Progesteron nach einer Weile wieder ab, und der Laden wird mit der Menstruation wieder leer gefegt.

Eine Frage des Charakters

Diejenigen Endometrioseherde, die der Gebärmutterschleimhaut in ihrer Struktur sehr ähnlich sind – das sind laut Becherer und Schindler (siehe »Literaturtipps«, Seite 221) etwa 50 bis 60 Prozent –, reagieren ebenfalls auf die Hormonveränderungen von Östrogen und Progesteron. So zeigen sie gesteigerte Aktivität unter Östrogeneinfluss und unterliegen schmerzverursachenden Veränderungen nach dem Abfallen des Progesterons während der Menstruation.

Laut Prof. Dr. Schweppe, Vorsitzender der Stiftung EndometrioseForschung (siehe »Literaturtipps« Keckstein, Seite 221), weisen Endometrioseherde bei verschiedenen Patientinnen aber verschiedene Charaktereigenschaften auf. So erinnerten manche Herde nur noch entfernt an Gebärmutterschleimhaut und wüchsen von sich aus, ohne vom Menstruationszyklus beeinflusst zu werden. Manche reagierten erst gar nicht auf den Einfluss von Hormonen. Es gibt Endometrioseherde, die fast nur aus glatten Muskelzellen bestehen, oder Herde, die mehr der Schleimhaut im Inneren der Eileiter ähneln. Wie sich eine Endometriosezelle ausprägt, das ist von Beginn an in ihren Erbinformationen festgelegt. Jedenfalls liegt hierin wahrscheinlich die Ursache dafür, dass Hormonbehandlungen nicht bei jeder Endometriosepatientin gleichermaßen ansprechen.

Sternzeichen: Gebärmutter

Endometriose wächst außerhalb des »Cavum uteri«. Was hier wie ein Sternbild klingt, ist die »Gebärmutterhöhle«. Wie und warum man Endometriosezellen außerhalb dieser findet, ist bis heute ebenso wenig geklärt wie das Geheimnis der Dunklen Materie des Universums. Bei manchen Frauen beginnen die »falsch platzierten« Zellen zu wuchern. Da weiß auch noch niemand, warum das eigentlich so ist. Generell könnten wir »Endofrauen« uns bei derzeitigem Forschungsstand um die Position des achten Weltwunders bewerben.

Unter vielen spekulativen Ansichten gibt es die Theorie, dass jede Frau Endometriose hätte. Das Vorkommen dieser Zellen an sich stellt auch noch kein Problem dar. Tatsächlich gibt es Frauen mit ausgeprägten Endometrioseherden, die Zeit ihres Lebens nichts davon spüren. Bei anderen Frauen mit schmerzfreiem Verlauf kann es nach einer Blinddarmoperation schon mal heißen: »Sie standen übrigens kurz vor einer Nierenstauung. Haben Sie denn nicht gewusst, dass Sie Endometriose haben?«

Und dann gibt es die Frauen, die durch die Endometriose massive Beschwerden haben, einzeln oder all-inclusive: Schmerzen, Unfruchtbarkeit, Einschränkung von Organfunktionen. Und damit beginnt die »Krankheit« Endometriose.

MENSTRUATIONSMASKERADE

Die meisten Endometrioseherde verursachen besonders zurzeit der Menstruation heftige Schmerzen. Der Grad der Schmerzen richtet sich dabei nicht nach ihrer Größe. Auch stecknadelkopfgroße Miniherde können massive Beschwerden verursachen. Früher dachte man, dass das Endometriosegewebe selbst wie die Gebärmutterschleimhaut abblute. Mittlerweile hat die Molekularendokrinologie laut Prof. Dr. Huber (siehe »Link-Tipps« Huber, Seite 223) da mehr Licht ins Dunkel unserer geplagten Bäuche gebracht: Endometriosezellen setzen wohl eher Gewebsstoffe frei, die im umgebenden Gewebe Entzündungen, Schwellungen und Blutungen verursachen.

Genau genommen sind Endometrioseschmerzen jedenfalls keine Menstruationsschmerzen. Sie treten bei den Herden mit hormonabhängigem Aktivitätsmuster meist nur parallel zu den eigentlichen Menstruationsschmerzen auf. Manche Betroffene überfällt der Schmerz durchaus auch außerhalb der Periode. Da kann es einen jederzeit erwischen. Eine Art Nervenkitzel, auf den ich locker verzichten könnte.

Ach du heilige Endometriose!

Bevorzugt siedeln sich Endometriosezellen am Bauchfell (Peritoneum: kleidet den Bauchraum und die meisten inneren Organe unterhalb des Zwerchfells aus) und an den Eierstöcken (Ovarien) an. Gern nisten sie sich auch an oder in Blase und Darm ein, wo sie neben den Schmerzen beunruhigende Symptome wie Blut in Stuhl und Urin verursachen können. So manch eine diagnostizierte »Reizblase« oder ein »Reizdarm« hat es in Wahrheit vielleicht mit einer Endometriose zu tun.

Die Endmometriose kommt in ganz seltenen Fällen da vor, wo man sie nie vermuten würde: in der Lunge, im Kiefer, in den Fingerspitzen, im Wadenmuskel, in der Nase oder sogar im Gehirn. Endometriose hat man außer im Herzen und in der Wirbelsäule schon überall im Körper entdeckt. Man vermutet, dass sich Endometriosezellen wie Krebszellen über Lymphsystem und Blutbahnen verbreiten können. Vielleicht entstehen sie aber auch an Ort und Stelle durch Zellumwandlung (siehe »Ursachen der Endometriose«, Seite 47 ff.). Man weiß es nicht genau. Gibt es in einem abgelegenen Dorf eine mysteriöse Frau, die Blut statt Tränen weint und so dem Örtchen spirituell motivierte, zahlungswillige Touristen einbringt, könnte dahinter jedenfalls eine Endometriose stecken.

Physiologisches Unkraut

Schätzungen zufolge leiden etwa 7 bis 15 Prozent aller Frauen im geschlechtsreifen Alter an Endometriose. Weltweit sind es rund 200 Millionen, in Deutschland allein bis zu 6 Millionen Frauen. Die Endometriose ist somit keine seltene Erkrankung und eine der häufigsten Ursachen für Unfruchtbarkeit (Infertilität). Bei fast jeder zweiten unfruchtbaren Frau liegt sie als eine der Ursachen vor.

Endometriose macht sich, wie gesagt, in den meisten Fällen erst ab Eintritt der Menstruation bemerkbar und klingt oft mit den Wechseljahren wieder ab. Doch wo eine Regel, da auch eine Ausnahme: In seltenen Fällen hat man auch noch nach den Wechseljahren mit Endometriose zu kämpfen. Endometriosezellen wurden laut Dr. Camran Nezhat (siehe »Link-Tipps« Nezhat, Seite 224) auch schon bei jungen Mädchen vor der ersten Regelblutung, bei Babys, Föten und sogar bei Männern gefunden.

Die Endometriose verläuft meist chronisch. Es gibt keine Substanz, die sie heilen könnte. Die Ursachen der Erkrankung sind bis heute unbekannt. So können nur die Symptome behandelt werden. Und diese sind in ihrer Komplexität und Individualität sehr vielfältig.

IRGENDWAS STIMMT MIT MIR NICHT!

Geboren und aufgewachsen bin ich in der Eifel. Vor langer Zeit, als ich jung war, gab es für uns Mädchen dort eine ganz klare Reihenfolge: Kommunion – Tanzkurs – Pille. Die Pille war so ein bisschen wie die Zahnspange, die hat man ab einem gewissen Alter einfach gekriegt. So fand ich mich mit 15 Jahren beim Frauenarzt wieder. Meine Mutter stellte mich mit den Worten vor: »Das Kind ist mir zu dünn und hat schlechte Haut!« Daraufhin bekam ich eine Pille mit hohem Östrogenanteil verschrieben Und die Probleme begannen.

Etwas später suchte ich den Frauenarzt wieder auf. Ich schilderte ihm, dass es mir seit Einnahme der Pille vor und während der Periode zunehmend schlechter ginge. Übelkeit und unerträgliche Schmerzen machten mir das Leben schwer. Der Arzt interpretierte es mit scharfem medizinischem Sachverstand und therapeutischem Feingefühl: »Ach, jede Frau hat da so ihre Probleme …!« Er fügte noch hinzu, dass meine Schilderungen so gar nicht stimmen könnten. Normalerweise würden Menstruationsprobleme unter der Einnahme der Pille gelindert. So ging ich mit dem Gefühl nach Hause, einfach nur ein besonderes Sensibelchen zu sein.

Schmerzmittel und Antibiotika oder: Wenn Ärzte nicht mehr weiterwissen

Ich nahm die vom Frauenarzt verordneten Schmerztabletten ein. Jeden Monat nur an den zwei schlimmsten Tagen. Meine Schmerzen waren von den Tabletten kein bisschen beeindruckt – mein Magen und meine Nieren leider schon. Langsam erhärtete sich bei mir der Eindruck, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Die Ärzte hingegen schienen alles für ganz normal zu halten.

Aufgrund der Nierenschmerzen musste ich zum Röntgen. Dabei sah man eine Verengung unterhalb der rechten Niere. Heute weiß ich ja, dass der Harnleiter voller Endometriose war. Damals sagte man mir, man wüsste nicht, was es sei – das »könne halt schon mal so sein«. Ich bin mir fast sicher, heimlich das Mutterschiff aller antibiotikaresistenter Keime zu sein: In dem Jahr bekam ich wegen Blasen- und Nierenentzündungen zehnmal (!) Antibiotika verschrieben.

Nicht ohne meine Wärmflasche

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