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SYMPTOMCHAOC DER ENDOMETRIOSE

WEHEN OHNE SCHWANGERSCHAFT

Bei der Endometriose gibt es nicht das eine, eindeutige Symptom. Es ist nicht so einfach wie: »Ihre Skibrille hängt an Ihrem Oberschenkelknochen – wir denken da an einen offenen Bruch.« Die »typischen« Symptome der Endometriose sind leider recht unspezifisch. Es gibt sogar Fälle, in denen die Patientin nur »untypische« Symptome zeigt.

Das Symptom, das wohl am häufigsten vorkommt, ist die Dysmenorrhö – klingt nicht nur fies, es fühlt sich auch fies an: Es sind krampfartige Schmerzen im Unterbauch vor, während oder nach der Periode.

Eine Endobekannte von mir wurde in diesem Zustand schon mal an einen Wehenschreiber gehängt, und der Wehenschreiber schlug aus. (Ich frage mich manchmal, wie viele Gebärende wohl zu hören bekommen: »Du musst nur positiv denken, dann gehen die Schmerzen weg!«)

Aber es ist nicht nur der Unterbauchschmerz, mit dem die Endometriose einem ins Leben grätscht:

Typische symptome bei Endometriose

 Extreme Schmerzen während der Menstruation

 Schmerzen vor oder nach der Periode

 Unterbauchschmerzen auch unabhängig von der Periode

 Schmerzen während oder nach dem Geschlechtsverkehr

 Unfruchtbarkeit

 Übelkeit und Erbrechen

 Übelkeit bei der Nahrungsaufnahme

 Sodbrennen

 Appetitlosigkeit

 Magenschmerzen

 Extrem aufgeblähter Bauch

 Schmerzen während des Eisprungs

 Schmerzen und/oder Blutungen beim Stuhlgang

 Verstopfung

 Durchfall

 Schmerzen und/oder Blutungen beim Urinieren

 Schwierigkeiten, die Blase zu entleeren

 Häufiger und/oder starker Harndrang

 Inkontinenz

 Schmerzen im unteren Rücken

 Schmerzen im Leistenbereich

 Starke Menstruationsblutung

 Verkürzter Zyklus

 Unregelmäßige Blutungen

 Ohnmacht durch starke Schmerzen

 Schmerzen wie bei Blinddarmentzündung

 Schmerzen wie bei Glutenunverträglichkeit (Zöliakie)

 Schmerzen wie bei Morbus Crohn oder Reizdarmsyndrom

 Schmerzen wie bei Blasenentzündung

 Erschöpfung

Weniger bekannte symptome bei Endometriose

 Unterbauchschmerzen unabhängig von der Menstruation

 Hüftschmerzen

 Schmerzen in den Beinen (überwiegend links)

 Fußheberschwäche (durch eventuellen Befall des Hüftnervs, überwiegend links)

 Schmerzen in der Vagina

 Schmerzen des Rektums

 Rücken- und Leistenschmerzen

 Nervenschmerzen (Ischias zwischen After und Vagina, im Schambein usw.)

 Muskel- und Gliederschmerzen

 Schmerzen in den Schultern, häufig während der Menstruation

 Nierenschmerzen, häufig während der Menstruation

 Schmerzen im Oberbauch, häufig während der Menstruation

 Schmerzen im Brustbereich, häufig während der Menstruation

 Lungenschmerzen und/oder Zwerchfellschmerzen oder Atemprobleme, häufig während der Menstruation

 Leberschmerzen, häufig während der Menstruation

 Säurereflux, häufig während der Menstruation

 Migräne, häufig vor und während der Menstruation

 Benommenheit

 Schneller Herzschlag bis zu Herzrasen

Es gibt sicherlich noch weitere Symptome, die hier nicht aufgeführt sind. Nicht umsonst nennt man die Endometriose das »Chamäleon« der Gynäkologie. Dr. Camran Nezhat, amerikanischer Endometriosespezialist und Initiator der weltweiten Endometriosekampagne »Endo March«, versucht seine Ärztekollegen dahingehend aufzuklären, Endometriose als systemische Erkrankung und weniger als gynäkologisches Problem zu begreifen. Mein systemisch gestörter Körper stimmt ihm da voll und ganz zu!

SCHMERZEN BEI ENDOMETRIOSE – LAST WOMAN STANDING!

Es gab eine Zeit, da gingen Haargummis und Socken bei uns nie verloren. Regelmäßig fand ich sie unter Bett und Sofa, wenn ich eh schon mal am Boden lag und mich vor Schmerzen wälzte. Es gibt Studien, die besagen, dass Endometriose neben Krebs und Cluster-Kopfschmerzen zu den zehn schmerzvollsten Krankheiten überhaupt gehört. Andere Studien vergleichen den Schmerz einer Endometrioseattacke mit der Schmerzintensität eines Herzinfarkts. Keine Ahnung, wie man das festgestellt hat. Aber ich denke, man kann bestätigen (und man entschuldige bitte den Kraftausdruck an dieser Stelle): Es tut scheiße weh! Eine recht banale und naheliegende Frage drängt sich auf:

Warum tut Endometriose weh?

Bei einer Endometriose fällt dem Körper vereinfacht gesagt auf, dass da etwas ist, was da nicht hingehört. Zum Zwecke der Zerstörung dieses »Etwas« reagiert er mit Entzündung. In solch einer entzündlichen Umgebung tummeln sich gerne Gewebsstoffe wie Zytokine (Proteine u.a. zur Immunantwort bei Entzündungsprozessen) und Prostaglandine (Gewebshormone, die eine Rolle bei der Schmerzübermittlung spielen), die nochmals zur Entzündung beitragen. Im Umgebungsgewebe kommt es zu Schwellungen und Blutungen. Muss man an dieser Stelle erwähnen, dass dies recht schmerzhaft ist?

Oft bilden sich durch die Blutungen entsprechende Vernarbungen im Umgebungsgewebe. Diese allein können schon Schmerzen verursachen. Doch damit nicht genug: Endometriose kann Nerven befallen, wodurch zum Beispiel Schmerzen in der Hüfte oder in den Beinen entstehen können. In Zystenform kann sich die Endometriose verdrehen und/oder aufplatzen. Dies verursacht weitere Entzündungen und Blutungen und trägt zur Schmerzbildung bei. Endometriose kann wie Krebsgeschwüre eigene Blutgefäße und Nervenzellen ausbilden. Damit erhöht sich die Anzahl der Schmerzrezeptoren. Und dann wären noch die Schmerzen zu nennen, die entstehen können, wenn Organe befallen oder sogar infiltriert werden. Wenn man Endometriose hat, fühlt es sich oft so an, als würde man mit einem zugeschnappten Fangeisen in den Organen den Alltag bestreiten müssen.

Prinzessin auf der Nano-Erbse

Kennt ihr das, der einzige Depp über acht Jahren am Strand zu sein, der Wasserschuhe trägt? Oder die Situation, wenn der Partner einem in die Seite knufft, man »Aua!« ausruft und zu hören bekommt: »Ich hab dich doch kaum berührt!« Auf dem letzten Endometriosekongress erfuhr ich den Grund dafür: In mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen fand man heraus, dass Patientinnen mit schmerzhafter Endometriose Schmerzen stärker spüren als andere. Das Ganze nennt man »generalisierte Hypersensitivität«.

Nein, ich genieße es nicht, im Sommer mit nackten Füßen durch den Garten zu rennen! Ich habe in der Schule nie eine Übung an Reck oder Stufenbarren hingekriegt, da man dabei mit jeglichen Körperteilen gegen die Holme schlägt, was mir immer höllische Schmerzen bereitete. Und Völkerball war für mich sowieso ein Fall für Amnesty International!

SCHMERZ-RANKING FÜR HELDINNEN

Ich für mich persönlich konnte bisher fünf Stufen des Endometrioseschmerzes ausmachen:

Stufe 1: Nur ein Kratzer!

Ein Ziehen, Zwicken und Zwacken – manchmal wie kleine Stromstöße –, und man weiß: Da ist was im Anmarsch!

Stufe 2: Bringt den Whisky!

Ein roher Schmerz, ein Brennen, ein leichtes Krampfen. Doch man schafft es noch, gerade zu stehen, normal zu atmen und alltäglichen Tätigkeiten nachzugehen – auch wenn man schneller erschöpft ist und öfters das Bedürfnis verspürt, sich setzen zu wollen.

Stufe 3: Ich bin getroffen!

Ein heftiger krampfartiger Schmerz, wie der schlimmste Muskelkater deines Lebens, der vom Bauch bis in den Rücken zieht. Man muss gebeugt gehen, reißt sich aber zusammen, wenn einem Leute begegnen. Eigentlich will man sich nur noch hinlegen, geht aber mit zur Grillparty, weil man nicht SCHON WIEDER absagen möchte – man kann ja den Abend sitzen. Unterhaltungen sind möglich, aber anstrengend, und eigentlich sehnt man sich nur noch nach bequemen Klamotten, Ruhe, Couch und Wärmflasche.

Stufe 4: In der sengenden Sonne am Marterpfahl

Wellen heftiger Schmerzen, wie Messer in den Eingeweiden. Die Eierstöcke sind bengalische Feuer, die immerzu gezündet werden, um das Endogeschwür wurde Stacheldraht gewickelt, der zugezogen wird. Man muss sich ständig setzen, die Atmung ist holprig. Man überlegt sich genau, ob es wichtig ist, was man gerade sagen möchte, denn die Energie zum Sprechen teilt man sich lieber ein. Mit Mühe schleppt man sich zur Arbeit, man hat Angst, SCHON WIEDER zu fehlen – lange macht die Firma das nicht mehr mit … Man bringt gegenüber Chef und Kollegen ein Lächeln hervor, würde sich aber am liebsten eruptionsartig seines Mageninhalts entledigen. Die Energie reicht gerade noch, einen Bleistift zu spitzen, was man dann trotzdem vollbringt, verdient mindestens das Bundesverdienstkreuz – es bekommt nur keiner mit.

Stufe 5: Reitet ihr weiter – lasst mich hier zurück!

Es geht gar nichts mehr. In meinem Kopf hat sich dieses Bild festgesetzt: Eine eiserne Hand drückt Gebärmutter, Geschwür samt Darm zusammen und lässt nicht locker – in 24 Stunden nicht für eine Sekunde. Es gibt keine Pause, in der man mal durchatmen könnte. Man atmet schwer durch den Mund, man kann kaum noch reden. Man muss sich ständig krümmen, auf dem Boden wälzen, hofft, durch Positionsänderung eine Verbesserung herbeizuführen, doch vergeblich. Schon am Anfang des Tages ist man total erschöpft – und hat noch einige Stunden Qualen vor sich. Es ist die reinste Hölle!

Ich muss schon öfter schmunzeln, wenn mein Mann mich beim Fahrrad fahren anfeuert, von wegen ich solle schneller machen – beim Sport müsse man mal an seine körperlichen Grenzen gehen …

THE TRICK IS TO KEEP BREATHING

Nach der großen OP vegetierte ich einige Wochen bei meinen Eltern vor mich hin. Dass ich nicht mit der Couch zusammenwuchs wie Stiefelriemen Bill mit der Black Pearl in Fluch der Karibik, war auch schon alles. Während meine Freunde auf Weltreisen, in Doktorprogramme oder ins Referendariat gingen, ging ich im Viertelstundentakt zur Toilette. Kurze Ausflüge rund um den Block waren so anstrengend wie das Sportabzeichen. Es ist ein Zustand, in dem man nur von Tag zu Tag lebt. An so etwas wie Zukunft dachte ich gar nicht mehr. Ich dachte generell in dieser Phase sehr wenig. Ich lag einfach nur da und atmete.

In meinem »eigentlichen« Leben war ich mit meinem Reiseleiterschein und meinem Zertifikat, Deutsch in der Erwachsenenbildung unterrichten zu dürfen, nach Schottland ausgewandert und jobbte mich wie gewohnt mit viel Energie durch. Seit meinem 16. Lebensjahr hatte ich immer gearbeitet. Auch mein Studium und das Jahr in Schottland hatte ich mir selbst finanziert, indem ich neben der Uni noch drei Jobs gleichzeitig hatte. In diesem »fremden« Leben wusste ich nicht mehr weiter. Ich war am Ende meiner Kräfte – und am Ende meines Dispokredits.

Keine Leistung – kein Mitleid

Es nützte alles nichts. Ich musste dringend wieder Geld verdienen. Ich zog zurück nach Bonn in meine WG und nahm meinen alten Studentenjob in einem Modehaus wieder auf, dieses Mal mit Aushilfsvertrag auf Vollzeit. Obwohl man meine Geschichte kannte, steckte man mich in das Team, das für das Lager zuständig war. Im Wesentlichen hieß das: Ziehen, Heben, Schleppen. Mit meinem operierten Bauch ging das natürlich nicht lange gut. Nachdem ich wegen massiver Schmerzen im Krankenhaus durchgecheckt wurde, empfahl man mir dort eine andere Tätigkeit.

So stellte man mich wieder an die Kasse. Trotzdem brach ich regelmäßig nach einem Arbeitstag mit Übelkeit, Herzrasen total zittrig und völlig erschöpft auf meinem Bett zusammen. Mein Leistungsabfall im Vergleich zu den Zeiten vor der OP war deutlich wahrnehmbar. Zunehmend wurde ich auf der Arbeit kritisch beäugt. In der Kantine sprach mich eine Mitarbeiterin aus einer anderen Abteilung an, was ich denn gehabt hätte. An ihrer Reaktion konnte man merken, dass sie es eigentlich schon wusste und nun auf die Gelegenheit wartete, mir etwas mitzuteilen. Denn ihre Antwort kam mit aufbrausender Emotion, die zuvor unterdrückt werden musste, wie aus der Pistole geschossen: »Ach, Endometriose! Hatte ich auch schon mal, hier hinten im Rücken. Wurde weggeschnitten, und erledigt war das Thema!«, und sie winkte das Gespräch mit der Gabel ab. Im Grunde konnte man aus ihrer Antwort nur eines herauslesen: Sie hatte keine Ahnung, was für ein Glück sie gehabt hatte! Mit dieser Erkrankung kann es in alle Richtungen gehen. Die Endometriose hat nun mal viele Gesichter.

Nicht ohne meine Wärmflasche

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