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Adventskonzert

„Ich freue mich überhaupt nicht auf Weihnachten!“, pustet Melusine hinter den langen blonden Strähnen hervor. Sie zieht den viel zu warmen Pullover über den Kopf, wirft die Haare zurück und wiederholt: „Ich freue mich nicht auf Weihnachten!“ Pummelchen macht ganz erschrockene Augen und Wilma lässt die Flöte sinken. Sie hat – gerade als ihre Freundin zur Tür hineinkam – noch völlig fehlerfrei „Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit …“ gespielt. Und ihre kleine Schwester Anna, das Pummelchen, hat gesungen wie ein Barockengel. Jetzt ist die Stimmung verflogen. Anderen Leuten die Laune verderben, das kann sie gut, die schöne Melusine.

Wilma fragt ungerührt: „Kriegst du nichts geschenkt?“ Sie setzt die Flöte wieder an und spielt eine andere Melodie. „Ich steh’ an Deiner Krippe hier …“ Melusine kennt den Text. Niemand singt. Der kleinen Schwester kullert eine Träne über das dicke Bäckchen. Wilma sieht es nicht, nur Melusine. Kleine Händchen zupfen an Melusines Blusenärmel. Anna hält Melusine einen polierten Apfel hin: „Schenk’ ich dir!“ Das Licht der ersten Kerze vom Adventskranz glänzt darin. Das große Mädchen wird rot. Melusine hat ein schlechtes Gewissen. „Jetzt freue ich mich aber“, sagt sie laut, „du bist ja ein richtiger Weihnachtsengel, Anna!“

Wilma spielt weiter. Sie hat nur das Notenblatt im Auge. Melusine weiß, dass Wilma ihre Worte gehört hat, weil man die Ohren nicht verschließen noch abwenden kann. So zu tun, als könne man es, das ist Wilmas übliche Reaktion auf Melusine Wortattacken. Nicht immer hat Wilma dabei die Flöte zu Hilfe. Jetzt spielt die musikalische Wilma eine Melodie, die Melusine auch nicht kennt. Die Töne steigen und fallen in komplizierten Harmonien. Was ist das, ein Lied? Sie fragt nicht laut, da sie im Moment sowieso keine Antwort erhalten würde. Wilma musiziert weiter.

Melusine hat Anna auf den Schoß genommen und führt sanft die kleine Hand mit dem dicken, roten Stift. Sie malen beide zusammen einen Apfel. Als Wilma die Flötenmelodie das dritte Mal wiederholt, ist der rote Apfel fertig und Melusine malt einen grünen Tannenzweig mit geübten Strichen dazu. Jetzt weiß sie es. Wilma hat ein fröhliches Lied gespielt, das mehr als eine Strophe hat. Anna klatscht in die Hände: „Schööön! Schenk’ ich Mama!“ Sie hält das Blatt mit dem bunten Bild hoch. Melusine greift nach dem Blatt auf Wilmas Notenständer. Sie liest den Text, nicht die Noten. Es ist Latein. So viel weiß sie schon, auch wenn sie die Sprache erst ein halbes Jahr lernt: „In dulci jubilo, nun singet und seid froh …“ Gut, dass auch deutsche Wörter dabei sind.

„Ich habe gelogen“, sagt Melusine laut.

„Nicht ganz,“ meint Wilma, „manchmal, glaube ich, hast du so schlechte Laune, dass du die ganze Welt schwarz anmalen willst und dann ist deine Laune gleich wieder vorbei. Bloß die schwarzen Flecken, die bleiben …“ Wilma spricht nicht weiter. Sie nimmt Melusine das Notenblatt aus der Hand.

„Es tut mir auch leid!“, sagt Melusine sehr leise.

„Das nützt nichts!“ Wilmas Stimme ist scharf und kalt. Ihr Blick fliegt zu Anna, die sich gerade bemüht, mit großen Buchstaben ihren Namen auf das Apfelbild zu schreiben. Das große N steht seitenverkehrt neben dem A.

„Soll ich dir helfen?“, fragt Melusine. Anna nickt und Melusine schreibt das nächste N richtig. Sie korrigiert den Spiegelbuchstaben nicht, sondern fragt nur ihre Freundin Wilma: „Anna wird das doch später selbst merken, oder?“ Nun lächelt Wilma: „Anna hat noch viel Zeit!“

Melusine denkt nach. Sie freut sich nicht auf Weihnachten, weil sie im Moment überhaupt nichts freut. Alles hasst sie, alles langweilt sie. Sie weiß nicht einmal, was sie sich wünscht. Und niemand fragt sie. Die Eltern sind fürchterlich beschäftigt oder das Haus ist leer. Bei Wilma ist es nie langweilig, zu ihr kann Melusine fast immer kommen. Warum lässt sie dann ihre schlechte Laune an ihrer besten Freundin aus? Weil die gerade da ist! Anna ist ja selten dabei … und die ist noch so klein!

Während des Nachdenkens hat Melusine ein Schiff für Anna gefaltet. Anna fährt mit dem Papierschiff über eingebildete Flüsse auf dem Teppich. Melusine zeichnet eine Flusslandschaft und singt wieder mit, als Wilma anstimmt: „Es kommt ein Schiff geladen …“ Irgendwann fehlt Melusine der Text. Eigentlich hat Melusine ein gutes Gedächtnis. Wilma reicht ihr das Blatt mit Noten und Text: „Üben, üben, üben! Bald ist Weihnachten.“

„Danke! Vielleicht gelingt es mir, wenn ich mein Gedächtnis trainiere, auch dran zu denken, dir nicht immer die Laune zu verderben!“, sagt Melusine zu ihrer Freundin und beugt sich über das bedruckte Papier.

Ganz heimlich freut sie sich jetzt doch! Die alten Lieder sind wie Märchen. Vielleicht kann Melusine ja zu Hause in den leeren Haus auch singen, so laut, dass es schallt?!

Xenia Cosmann lebt in Berlin und München, hat Geschichte und Philosophie studiert und in Museen, Bibliotheken oder Archiven gearbeitet. Sie schreibt Lyrik, Kurzprosa und Romane, Arbeiten, die sich häufig an Kinder und „an das Kind in der Frau“ richten. Sie hat bereits in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht.

Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1

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