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Sein schönstes Weihnachtsgeschenk

Der stahlgraue Himmel drückte wie eine schwere Decke auf die Stadt. Er hörte die Glocken der St.-Annen-Kirche zum Gottesdienst läuten. Jeder Glockenschlag erinnerte ihn: Er würde zu spät kommen.

Katharina würde vor Wut schäumen. Ganz gleich, ob er das Geschenk, das sie sich sehnlichst wünschte, in der Tasche seines Mantels trug. Der Ring mit dem blauen Stein, einem richtigen Klunker, hatte ihn nicht nur ein kleines Vermögen gekostet. Aber Katharina war eine Frau, die Geschenke dieser Art erwartete. Schließlich feierten sie bereits das dritte Weihnachtsfest zusammen.

Aus einer Laune heraus – welcher Teufel ihn dabei geritten hatte, war ihm bis heute schleierhaft – hatte er ihr zusätzlich einen in allen Regenbogenfarben schillernden Kaschmirschal wenige Tage später gekauft. Er war ihm sofort ins Auge gefallen, als er Katharina auf einem ihrer zahlreichen Einkaufsbummel begleitet hatte, brachte er doch die Farbe und Heiterkeit in die trübe Jahreszeit, nach denen er selbst so lechzte. Er hatte sich vorgestellt, wie Katharina den Schal auf einem langen Winterspaziergang zu ihrem dunklen, eleganten Mantel trug. Erst zu Hause war ihm bewusst geworden, dass Katharina weder Spaziergänge noch Farbe liebte. Sehr wahrscheinlich traf der Schal nicht ihren Geschmack, dachte er freudlos. Katharina liebte es dezent, zurückhaltend, nicht auffällig. Eine Ausnahme machte sie lediglich beim Schmuck.

Hundert Meter bis zur Kirche – unter normalen Umständen keine Entfernung. Aber vor zwei Stunden hatte ein Eisregen die Stadt in eine einzige Schlitterbahn verwandelt, den Straßenverkehr lahmgelegt. Sein Vorschlag, direkt zur Weihnachtsfeier in das Haus ihrer Eltern zu kommen (dorthin konnte er relativ bequem mit der Bahn gelangen), war bei Katharina auf taube Ohren gestoßen. Er MÜSSE zur Kirche kommen, sie könne dorthin unmöglich ohne Begleitung gehen. All ihre Freunde, Bekannten seien dort. Ihre Familie. Was sollten sie denken? Außerdem hätte er es ihr VERSPROCHEN. Sie hatte getobt, als wäre es ein Kapitalverbrechen, Heiligabend nicht mit in die Kirche zu gehen.

Er war eine Person, auf die sich jedermann verließ. Katharina bildete darin keine Ausnahme.

Konzentriert, eine Schrittlänge abschätzend, warf er seinen Handschuh auf den gefrorenen Boden. Er trat auf das Stück Leder am Boden, um den nächsten Schritt zu gehen, rang um Gleichgewicht, fing sich. Und danach: Handschuh aufheben – werfen – Schritt. Immer wieder, unzählige Male das mühsame Prozedere von vorne. Zu quälender Langsamkeit verdammt, fühlte er sich wie in einem Albtraum gefangen, in dem er zu flüchten versuchte und nicht von der Stelle kam.

Warum hatte er sich bloß überreden lassen? Er bereute es längst. Schritt um Schritt, Meter um Meter kämpfte er sich vorwärts, während die Glocken weiterhin läuteten. Mit jedem Ton blieb ihm die Hoffnung erhalten, er könne es vielleicht noch schaffen. Läuteten Weihnachtsglocken nicht unendlich lang?

Nun die Straße: eine besondere Herausforderung. Das Kopfsteinpflaster war heimtückisch. Jeder der Steine war von einem buckligen Eispanzer überzogen. Für einen aberwitzigen Moment überlegte er, dass es das Beste wäre, auf allen vieren über die Straße zu kriechen – eine Methode, um sich dem Ziel schneller zu nähern. Er trug einen dunklen, teuren Anzug, darüber den schwarzen Wintermantel. Er verwarf den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Noch etwa zehnmal, rechnete er im Stillen, müsste er das Spiel mit dem Handschuh veranstalten, um die Straße zu überqueren. Zum Glück waren kaum Autos unterwegs.

„Könnten Sie ihn bitte schieben?“

Verwirrt blickte er auf, sah in die Richtung, aus der die Stimme kam. Dort stand mitten auf der Fahrbahn, nur wenige Meter von ihm entfernt, eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Neben ihr ein Esel. Tief versunken in Gedanken, seine Augen auf den Boden gerichtet, hatte er die beiden zuvor nicht bemerkt. Die Frau hatte sich auf einem verfilzten knallroten Wollschal auf das Eis der Straße gestellt und zerrte aus Leibeskräften an dem lumpigen Strick, der an das Halfter des Esels geknotet war. Allein das Tier wollte sich nicht von der Stelle rühren, war wie angewachsen auf dem Untergrund.

„Er keilt nicht aus.“ Ihr Gesicht, umrahmt von ungebändigten, dunklen Locken, war vor Anstrengung oder von der Kälte gerötet. Ihren Atem, der stoßweise ging, konnte er sehen: Vor ihrem Mund bildeten sich Wölkchen.

„Bildschön“, schoss es ihm durch den Kopf. „Wie ein wilder, schwarzhaariger Engel.“ Er starrte die junge Frau wie hypnotisiert an, als wäre sie eine überirdische Erscheinung.

„Bitte! Schieben Sie ihn über das Eis. Tun Sie mir den Gefallen. Er muss von der Straße.“

Jetzt sah er das dunkle, fast schwarze Braun ihrer Augen, in denen ein Bitten lag.

Mit Mühe löste er sich aus seiner Starre, vergaß prompt, seinen Handschuh zu werfen, machte zwei ungelenke Schritte auf die Straße. Es war rutschig wie auf einer Schlittschuhbahn oder schlimmer. Er erinnerte sich an seinen Handschuh, bemühte das Stück Leder abermals. Als er sicher stand, schob er das Tier am Hinterteil, während sie gleichzeitig zog. Der Esel selbst tat keinen einzigen Schritt, dennoch bewegte er sich vorwärts. Zentimeter für Zentimeter rutschte er über die Straße, im Zeitlupentempo gelangten sie mit dem Tier auf den Gehweg, lachten gemeinsam befreit auf.

Das Ungewöhnlichste, was ihm seit langer Zeit widerfahren war. Während sie den schmutzigen Schal in die ausgebeulte Tasche ihres viel zu großen Mantels stopfte, lächelte sie ihn voller Dankbarkeit an. Das Kleidungsstück sah furchtbar schäbig aus, bemerkte er jetzt erst, genauso wie ihre Schuhe und die zerschlissene Hose. Sein Blick wanderte zu ihrem Gesicht. Er sah eine verblichene Narbe an ihrem Kinn und fragte sich kurz, woher sie rühren mochte.

Sie blickte ihn mit diesen unglaublichen Augen direkt an, als wartete sie auf eine Reaktion von ihm, bis er schließlich den Blick von ihr abwenden musste. Am Himmel zeigte sich über ihnen ein kleines Stück Blau. Gleichzeitig fiel ihm die Stille auf, die sich über die Großstadt gelegt hatte. Eine friedvolle Stille – ungewohnt und feierlich zugleich. Erst dann bemerkte er, dass die Kirchturmglocken verstummt waren. Es bedeutete, er war zu spät.

Er hatte es vermasselt.

Seltsamerweise fühlte er keine Reue. Dass er in der Kirche nichts verpasste, dessen war er sich sicher. Hier hingegen – diesen Moment würde ihm niemand nehmen können. Er fühlte sich ungewöhnlich gut an.

„Ich danke Ihnen. Sie haben mir sehr geholfen.“ Die Frau schenkte ihm ein süßes Lächeln. Dabei offenbarte sie eine kleine Lücke in der oberen Zahnreihe, die ihr etwas erfrischend Jugendliches, etwas nicht Perfektes gab. „Sie sind bestimmt auf dem Weg zu einer Feier. Fröhliche Weihnachten!“

Plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke wie ein Blitz. Eine hervorragende Idee. Mit dem Gefühl der tiefen Überzeugung zog er den in rotes Seidenpapier eingeschlagenen Schal aus der Tasche und reichte ihn ihr.

„Fröhliche Weihnachten!“ Er beobachtete sie genau: ihr erstauntes Gesicht, die unbekümmerte Neugier. Wie sich ihr Gesichtsausdruck in ehrliche Freude, wie er sie sonst nur von Kindern kannte, verwandelte, als sie das Päckchen ausgewickelt hatte. Kein bisschen gekünstelt oder berechnend.

Im Überschwang, nichts anderes konnte es sein, bedankte sie sich mit einer festen Umarmung. „Danke schön!“

Es war wie ein Sonnenstrahl an diesem kalten Wintertag, der sich den Weg direkt zu seinem Herzen bahnte.

Sein schönstes Weihnachtsgeschenk seit Jahren.

Bettina Schneider: 1968 in Berlin geboren, verheiratet, zwei Kinder und ein Hund, Studium der Betriebswirtschaftslehre, im Anschluss zehn abwechslungsreiche Jahre im Rechnungswesen in der Privatwirtschaft, heute Freiraum für kreative Tätigkeit. Sie schreibt Kurzgeschichten und Erzählungen, einige davon sind veröffentlicht. Hobbys: Lesen, Schreiben, Tagebuchschreiben, Spaziergänge und Joggen.

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 10

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