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Engelsgeschenke

Paul saß am Fenster und blinzelte in die Weihnachtsnacht. Bunte Lichter und funkelnde Sterne in den Fenstern zauberten einen warmen Glanz in die abendliche Stille der Straßen.

Paul war mit seinen Gedanken bei Max, dem kleinen Meerschweinchen, das mit seinen beiden Geschwistern und seiner Mama bei Hannes lebte. Hannes und Paul waren die allerbesten Freunde.

Vor ein paar Wochen hatte Hannes von seinen Eltern die Lotte geschenkt bekommen. Lotte war ein struwweliges weißes Meerschweinchen. Paul war sofort total verliebt in Lotte und ein bisschen neidisch auf seinen Freund Hannes. Doch dann passierte das Unglaubliche! Eines Morgens hatte Hannes Paul aus dem Bett geklingelt. Es war an einem Sonntag – und Mama hatte ganz knurrig geguckt, weil sie noch so müde war. Paul war dann in seine Hausschuhe geschlüpft und die Treppen bis in den vierten Stock gelaufen. Dort wohnte Hannes mit seinen Eltern und mit Lotte. An diesem Morgen jedoch war ein Wunder geschehen. Plötzlich, über Nacht, hatte Lotte Babys bekommen. Drei kleine Meerschweinchen wuselten durch das Heu und quiekten ganz leise.

Hannes’ Eltern waren auch ziemlich erstaunt, doch sie beschlossen, dass ein Kleines bei Lotte bleiben durfte.

Jeden Tag besuchte Paul seinen Freund Hannes – und jeden Tag saßen die beiden bei Lotte und ihren Babys und wurden ganz traurig bei dem Gedanken, dass zwei von ihnen zu fremden Menschen ziehen mussten.

Am ersten Advent saßen die Freunde vor dem Gehege und beobachteten die Meerschweinchen.

„Ich finde, die kleine Weiße sollte Lilly heißen“, sagte Hannes, während er an seinem Zimtkeks knabberte.

„Das ist ein schöner Name“, nickte Paul zustimmend. „Lotte und Lilly, das passt!“

„Lilly bleibt bei mir, aber die beiden Jungs brauchen ein neues Zuhause.“ Hannes schnaufte unglücklich. Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass er sich von den Tieren trennen musste.

„Ich frage meine Mutter, ob Max zu mir ziehen darf“, sagte Paul schnell. Er hatte das schwarze Meerschweinchen längst Max getauft.

„Max?“, staunte Hannes. „Ich finde, dann sollte der Braune Moritz heißen.“

Die Jungen lachten vergnügt und waren sich einig, sie brauchten einen Plan. Lotte und Lilly und Max und Moritz waren eine Familie!

„Das soll so bleiben“, schworen Hannes und Paul. „Sie sollen nie weiter entfernt leben, als von dieser vierten Etage bis runter zur ersten!“

Pauls Mutter liebte die Weihnachtszeit. Den ganzen Tag über hörte sie Weihnachtslieder, buk Weihnachtsplätzchen und bastelte Weihnachtsschmuck. Es schimmerte und glitzerte in jedem Zimmer. Am Abend strickte sie Socken aus roter und grüner Wolle, und weil sie besonders gut gelaunt war, konnte sie Paul auch kaum einen Wunsch abschlagen.

Natürlich gab es auch Wünsche, die Paul am allerbesten auf seinen Wunschzettel schrieb, denn so war klar, dass diese besonders dringlich waren. Also malte Paul zwei Meerschweinchen auf das schöne Sternenpapier. Ein schwarzes und ein braunes, und er schrieb mit seiner schönsten Schrift in goldenen Buchstaben Max & Moritz darunter. Mehr Wünsche hatte er nicht!

Die Tage vergingen und Paul hatte immer noch keine zündende Idee, doch dann kam ihm ein Hinweis zu Hilfe, den ausgerechnet seine Mutter selbst gab. Weil es über Nacht doch noch winterlich kalt geworden war, holte Mama die dicke grüne Jacke aus dem Schrank und hielt sie Paul hin.

„Zieh die an, damit du nicht frierst“, lächelte sie, doch Paul mochte diese Jacke überhaupt nicht. Er hatte sie im letzten Jahr zu Weihnachten bekommen – und unglücklicherweise war er aus dieser nicht herausgewachsen. Er schlüpfte missmutig hinein – und sie passte. „Dieses doofe Ding“, maulte Paul, „die ist was für Mädchen mit der roten Zipfelmütze da hinten dran.“

Tatsächlich erinnerte die Jacke von hinten ein bisschen an das Mäntelchen eines Weihnachtszwerges.

„Aber Paul“, staunte Mama, „diese Jacke stammt aus der Weihnachtswerkstatt. Daran haben viele Engel gearbeitet, damit sie dir eine Freude machen können.“

Paul verdrehte die Augen. Glaubte Mama wirklich, was sie da sagte? Dann jedoch sagte Mama den alles entscheidenden Satz: „Engelsgeschenke kann man nicht umtauschen!“

Der Weihnachtsabend rückte immer näher. Die Aufregung bei Paul und Hannes steigerte sich, denn noch konnte ihr Plan scheitern. Gemeinsam bastelten sie an der goldenen Kiste, zimmerten an einem Holzhäuschen, das sie mit Sternen bemalten und legten einen kleinen Apfel, eine dicke Möhre und ein saftiges Stück Gurke in eine Schale. Nun musste alles gut verpackt werden, bevor der Weihnachtscountdown startete.

Es war am Nachmittag, als Oma und Opa kamen und gleich ganz geheimnisvoll in die Küche huschten. Paul wusste, dass Mama jetzt noch eine Weile zu tun hatte, bevor sie ihn ans Telefon holte. Jedes Jahr wünschte ihm Papa, sozusagen über Satellit, ein frohes Weihnachtsfest. Er lebte mit seiner neuen Familie weit weg und feierte mit ihnen unter Palmen. Paul konnte sich das nicht vorstellen. Für ihn ging nichts über einen großen Tannenbaum mit Kerzen und Lametta, bunten Kugeln und goldenen Engeln.

Als draußen alles still war, schlich Paul schnell zur Tür. Er erschrak ein bisschen, denn dort stand schon Hannes und blickte ihn an.

„Wo bleibst du?“, flüsterte der Junge außer Atem. „Bei uns geht gleich die Bescherung los. Und dann ist auch noch Max abgehauen!“

Paul durchfuhr diese Nachricht wie ein Blitz. „Wo ist er?“, fragte Paul schnell, doch Hannes drückte ihn schon ein weiches braunes Bündel in die Hände.

„Hier“, hauchte Hannes, „nimm! Den Max suchen wir später. Ich muss jetzt wieder hoch!“ Während Hannes die Treppen hinauf flitzte, lief Paul in sein Zimmer zurück und schloss die Tür mit einem leisen Klacken.

„Bescherung“, trällerte Mama und schon schwappte Glockenklang und Stille Nacht durch die Luft.

Pauls Herz klopfte wild, während er ins Weihnachtszimmer trat und in Omas und Opas strahlende Gesichter blickte. Während sie zu viert standen und gemeinsam sangen, schielte Paul zum Weihnachtsbaum hinüber. Alles war so wie vor einigen Minuten, als er heimlich dieses schöne Paket mit der roten Schleife und den Luftlöchern unter den dicken Tannenast gestellt hatte. Natürlich lagen da noch viel mehr Geschenke, doch die interessierten den Jungen nicht. Er hoffte, dass jetzt alles nach Plan lief.

Als das Lied zu Ende war, begrüßte Paul seine Großeltern und sagte noch ein Gedicht auf.

„Jetzt aber Geschenke!“, drängelte Opa.

Natürlich gab es für jeden etwas. Oma sprühte ihr neues Parfum in die Luft und packte ein Seidentuch aus. Opa warf sich einen selbst gestrickten Schal um den Hals und hielt ein Paar Wollsocken in Rot und Grün in die Höhe. Mama freute sich über eine neue Backform und ein kunterbuntes Tuschebild. Schließlich blickten alle Paul an, der sich daranmachte, ein ziemlich großes Paket auszupacken. Es dauerte einen Moment, doch dann öffnete er den Deckel und erstarrte. Er glaubte seinen Augen nicht! Da drinnen saß der kleine Max und blickte ihn an.

„Da ist ja noch ein Geschenk“, rief Mama und holte das Paket mit der roten Schleife. „Das ist bestimmt auch für dich.“

In Pauls Kopf purzelten die Gedanken wild durcheinander. Der Max war gar nicht abgehauen, der saß hier unter dem Weihnachtsbaum. Und nun würde Paul auch noch den Moritz auspacken! Denn der saß ja in dem letzten Paket.

„Sieh an“, lachte Opa, „gleich zwei Stück. Das ist sehr gut, denn Meerschweinchen sollten niemals alleine sein.“

„Das sind Max und Moritz“, sagte Paul ganz leise. „Das sind Engelsgeschenke.“

„Ja“, schmunzelte Mama, „und Engelsgeschenke kann man nicht umtauschen!“

Ramona Stolle lebt in ihrer Heimatstadt Berlin. Sie schreibt Geschichten und Gedichte für kleine und große Leserinnen und Leser. Die Weihnachtszeit ist für sie die schönste Zeit des Jahres.

Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 12

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