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Hannibal – der Marienkäfer
An der kleinen Laube im hinteren Teil des großen Gartens war das Holz verwittert und die blaue Farbe schon ziemlich abgeblättert. Alles sah ziemlich trostlos aus, so als ob sich schon lange Zeit niemand mehr um diese windschiefe Hütte gekümmert hätte. Die alte Tür mit der kleinen, blinden Glasscheibe stand etwas offen, Löwenzahn wuchs in der Türschwelle, ein paar dünne Zweige eines mageren Strauches streckten sich durch den Türspalt dem Licht entgegen.
Die weißen Fensterrahmen hatten auch nur noch wenig Farbe dran. Sie waren im Laufe der Jahre durch die Feuchtigkeit immer wieder aufgequollen und dann durch die Sonne eingetrocknet. Dadurch waren zwischen den Scheiben und den Rahmen offene Zwischenräume entstanden. Diese Zwischenräume nutzten viele kleine Tiere, Insekten und Käfer, als Unterschlupf. Einer davon war der kleine Hannibal, ein Marienkäfer. Er und viele andere seiner Art überwinterten gemeinsam in dem Fensterrahmen. Wie eine dicke Wollwurst sah ihr Winterquartier aus. So hielten sie sich gemeinsam einigermaßen warm, um im Frühjahr wieder in die Sonne hinauszufliegen.
Es war Mai und die Käfer lösten sich aus ihren Umarmungen, breiteten ihre kleinen Flügel aus und segelten in den blauen Sonnenhimmel hinein. Bei den Sträuchern, die um die Hütte herum wuchsen, landeten sie auf den frischen grünen Blättern und schauten sich ihre Umgebung an. Sie mussten sich zuerst orientieren, ob alles noch so war wie im letzten Sommer.
Der kleine Hannibal war ein Marienkäfer mit sieben schwarzen Punkten auf den tomatenroten Flügeln. Er fühlte sich mit den ersten warmen Sonnenstrahlen groß und stark und war voller Neugier, was die nächste Zeit ihm bringen würde. Er sah sich um. Seine ganze Käferfamilie schwärmte nun aus, alle brauchten sie die Wärme der Sonne, um wieder richtig beweglich zu werden.
Hannibal dehnte und streckte sich, seine Flügelchen flatterten kraftvoll und es dauerte nicht lange, bis er wie alle anderen hoch in die Luft und der Sonne entgegenschwirrte. Sie flogen im Schwarm über die Gartenkolonie, über einen kleinen See und landeten dann alle, es waren viele Tausend, in einem Bauerngarten am Rande eines Dorfes.
Hannibal saß auf dem dicken grünen Blatt eines hohen Strauches, schaute sich um, putzte mit seinen kleinen Füßchen seine roten Flügel und beobachtete dabei aufmerksam seine Umgebung. Kleine Marienkäfer, auch Muttergotteskäfer oder Junikäfer genannt, mussten sich vor Feinden, die sie auffressen wollten, in Acht nehmen. Dazu gehörten zum Beispiel Vögel, Eidechsen oder Spitzmäuse.
Plötzlich kam Hannibal der Gedanke: „Warum fliege ich nicht einmal ganz alleine irgendwohin, wo es vielleicht keine anderen Tiere gibt, die mich fressen wollen?“
Von den anderen Marienkäfern wurde er gar nicht beachtet, sie waren alle mit sich selbst und ihrer Suche nach etwas Essbarem beschäftigt. So fiel es nicht auf, dass er mit seinen roten Flügeln wirbelte und sich ganz schnell in die Luft erhob – weg war er von dem großen Käferschwarm.
Er flog und flog, weiter und immer weiter, ein warmer Windhauch nahm ihn ein langes Stück mit bis zu den Büschen am Wald-rand. Er sah einen Haselstrauch mit schönen grünen, saftigen Blättern. Ihm gelang eine glatte Landung auf einem Blatt, auf dem er sogar ein paar Blattläuse fand. Das war ein Festschmaus schon am Anfang seiner Reise.
Auf einmal purzelte neben ihm etwas auf sein Blatt. Erschrocken flatterte er mit seinen roten Flügelchen. Aber es war nur ein kleiner Freund aus der großen Marienkäferwolke, der auch gerne was alleine unternehmen wollte. „Wer bist du?“, fragte Hannibal.
„Ich bin Karlchen“, plapperte der kleine Käfer, „und ich würde gerne mit dir in die weite Welt hinausfliegen.“
Hannibal war begeistert und fand die Idee gar nicht so schlecht. Ein Begleiter konnte eine wunderbare Unterhaltung sein, gemeinsam konnte man so viel entdecken.
Zuerst einmal erkundeten sie die Haselsträucher, naschten hier ein paar Blattläuse und da ein paar kleine Spinnenmilben. An einem Tautropfen, es war ja noch früh am Morgen, nippten sie mit ihren kleinen Rüsselchen.
Hannibal und Karlchen wollten sich eben weiter umschauen, als sie ein lautes und für sie unheimliches Geräusch hörten. „Muuuh.“ Was war das und woher kam es? Sie entdeckten den Verursacher hinter dem nächsten Zaun – eine Kuh. Aber das wussten sie noch nicht. Sie waren sehr erschrocken über dieses große Tier, hatten sie doch bisher nur die kleinen Käfer und Spitzmäuschen gekannt. Aber die Neugier trieb sie näher an die Kuh heran. Viele Fliegen schwirrten umher, Hannibal und Karlchen mischten sich unter das fliegende Volk, verstanden aber nichts von dem, was die Fliegen sprachen oder piepsten. Dies war eine andere Sprache als die der Marienkäfer. Also drehten sie noch eine Runde um die Kuh und verabschiedeten sich wieder.
Die Flugreise ging nun weiter zum Bauernhof. Viele Hühner liefen dort frei herum, gackerten und pickten die Körner vom Boden auf, auch mal kleine Würmchen.
Die beiden lernten an diesem Morgen viele Tiere kennen, von denen sie aber nicht wussten, wie sie hießen.
Von Mai bis August lebten Hannibal und Karlchen unbeschwert auf dem Bauernhof. Da gab es von morgens bis abends viele kleine Blattläuse und Milben, alles, was der hungrige Käfermagen begehrte. Nur vor den Mäusen, die im Stall lebten, und vor den Schwalben, die unter dem Dach ihre Nester an die Hauswand bauten, mussten sie sich fürchten. Die Schwalben, auch Mauersegler genannt, tauchten so plötzlich auf, dass unsere beiden Käferlein manchmal nur mit viel Geschick ihren gierigen Schnäbeln entwischen konnten.
Die Bauersfrau freute sich über die kleinen getupften Käfer, auch wenn es nur zwei waren, aber sie fraßen sehr, sehr viele Blattläuse. Zwischendurch flogen auch andere Marienkäfer aus ihrer früheren Gemeinschaft vorbei, blieben aber nicht lange.
Die beiden drehten ihre Runden durch den Schweinestall, umkreisten auf der Weide die Kühe, flogen mit den Mücken um die Wette. Ein Paradies für Hannibal und Karlchen. Der lange, heiße Sommer war eine wunderschöne Zeit für die Glückskäferchen.
Karlchen erzählte Hannibal, dass er im letzten Jahr einen Freund kennengelernt hatte, auch einen Marienkäfer, der aber ganz anders aussah als sie beide. Hannibal meinte, alle Marienkäfer seien tomatenrot und hätten sieben schwarze Punkte auf den Flügeln. Karlchen aber berichtete etwas von vielen, vielen Punkten und gelb-orangen Flügeln. Vierzehnpunkt-Marienkäfer hatte sich der Freund genannt, der von einem fernen Kontinent, aus Asien, gekommen war. Hätte er jedenfalls erzählt, meinte Karlchen.
Der August ging vorüber, die Tage wurden kühler, die Sonne stand auch nicht mehr so oft am Himmel und die Septembernächte wurden ziemlich kalt. Alle Marienkäferchen sammelten sich wieder in einem großen Pulk und flogen in den alten Garten mit dem kleinen, schiefen Gartenhäuschen zurück. Niemand hatte im Sommer die Fenster repariert, sodass die meisten sich wieder in ihren alten Ritzen im Rahmen einnisten konnten. Im Sommer waren zudem so viele Marienkäferchen geschlüpft, dass weitere Winterquartiere gesucht werden mussten. Die vielen dicken Laubhaufen im Garten warteten nur auf die Wintergäste.
In den letzten Wochen hatten sie in ihren kleinen Körpern durch das Fressen der Blattläuse viel Fett angesammelt. Von diesen Fettreserven konnten sie während des kommenden Winterschlafs gut zehren.
Karlchen und Hannibal kuschelten sich eng aneinander und schmiegten sich mit anderen Käferchen in eine kleine, windgeschützte Fensterritze. In diesem Sommer waren sie die dicksten Freunde geworden. Sie träumten vom nächsten Jahr und neuen Entdeckungen. Der Bauernhof mit reichhaltigem Futter und vielen Tierfreunden wartete schon auf sie.
Margot Gruber, Gründerin des Roßtaler Schreibkreises. Schreibt schon seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Märchen.