Читать книгу Maunz & Minka - Martina Meier - Страница 16
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Das Katzenmädchen
Es war kalt, eiskalt, als ich damals im tiefen Winter dieser Katze folgte. Sie war schneeweiß und hielt sich immer in unserer Straße auf, meist auf der Sonnenhügelhöhe. Dort wohne ich nämlich. Also, ich heiße Minkaya. Jetzt denkt bloß nicht, ich wäre ein Mädchen! Ich bin ein Junge, ein echter vierzehnjähriger Junge. Meinen Eltern ist damals wohl kein besserer Name eingefallen. Versteh ich auch nicht, warum sie mich nicht einfach Lukas oder Philipp genannt haben.
Auf jeden Fall schien diese Katze mich zu mögen oder unsere Straße. Jeden Abend, bevor ich ins Bett ging, hockte sie auf meinem Fensterbrett. Einmal dachte ich, dass sie mir eigentlich ein bisschen Gesellschaft leisten könnte, öffnete das Fenster, setzte mich zu ihr und erzählte ihr von allem, was mir Einzelgänger so passierte. Genau genommen so ziemlich gar nichts. In der Schule hielten sie mich für einen Langweiler und zu Hause war ich meist allein. Das ist eben so, wenn die Mutter als Krankenschwester arbeitet und der Vater sich immer im Büro aufhält und irgendwelche Überstunden macht. Ich hockte dann meist am PC und baute mir meine Wunschwelt auf, also eine ganz normale Familie und tolle Mädchen. Was ich mir unter tollen Mädchen vorstellte? Solche, die weder Zicken noch Tussis sind, die nicht auf zehn Zentimeter hohen Absätzen herumstöckelten und hundert Kilo Make-up im Gesicht trugen.
Doch ein Mädchen in unserer Klasse ließ mich immer an sie denken, Mauzeyla. Sie war neu in der Schule und wohnte hier wohl ganz in der Nähe. Sie sagte aber nie, wo genau. Jedenfalls hatte sie wunderschöne rote Locken, meerblaue Augen und eine helle Stimme. Außerdem hatte sie was in der Birne, im Gegensatz zu den anderen Mädchen! Sie schien mich aber nicht zu bemerken. Wie jeder andere. Ich war für die einfach nur Minkaya mit den braunen Strubbelhaaren und den popelgrünen Augen. Doch einmal brachte sie mir meine Mütze wieder, die mir Mitschüler gemopst hatten. Sie musste dafür sogar mit dem Fettklops Charlie kämpfen. Das war so süß von ihr! Doch so etwas erzählte ich nur der weißen Katze. Ich nannte sie Snow. Snow war ein guter Zuhörer. Sie saß einfach nur da und spitzte die Ohren. Meist war das abends. Irgendwann, wenn der Mond schon in seiner vollen, glänzenden Pracht zwischen den Sternen stand, sagte ich Gute Nacht und sie hopste vom Fensterbrett. Ich hüpfte wieder ins Zimmer, schloss das Fenster, schob den Vorhang zu und legte mich schlafen.
Als ich Snow damals folgte, führte sie mich durch weite Felder bis zu dieser Wiese. Ein roter Zaun versperrte uns den Zugang. Ich blickte starr auf die Katze und entdeckte am Rande der Wiese einen hellblauen Wohnwagen. Ein paar kleine Fenster mit weißen, gestrickten Vorhängen waren zu sehen. Das Dach war in knalligem Rot gestrichen. Snow schaute an mir hoch, tapste zum Zaun, quetschte sich unten durch und huschte zum Wohnwagen. Kurz vor der Tür hielt sie inne und guckte zu mir. Ich stand da und wusste nicht recht, was ich machen sollte. Da packte mich die Neugier. Ich stieß das quietschende Tor auf und lief in hastigen Schritten auf den Wohnwagen zu.
Es begann zu schneien. Meine Hände tief in die Taschen vergraben stoppte ich neben Snow. Diese sprang geschickt auf die höchste Stufe der kleinen Aufstiegstreppe und drückte mit ihrer Pfote die Tür auf. Ich folgte ihr und blickte schüchtern ins Unbekannte. Der Boden war mit bunten Teppichen ausgelegt. Da sah ich sie, Mauzeyla. Sie saß auf einer Eckbank, neben ihr viele kleine Kätzchen und auf dem Holztisch stand eine dampfende Tasse. Nun entdeckte sie auch mich. Eine ganze Weile schauten wir uns in die Augen. Ich in ihre meerblauen, sie in meine popelgrünen.
„Hallo“, sagte sie mit ihrer hellen Stimme.
Mein Herz raste. Es raste, als wolle es davonlaufen. Ich spürte den Herzschlag in meiner Brust. Bumm, bumm, bumm. Mir wurde warm. Verlegen kratzte ich mich am Kopf, hörte aber gleich damit auf, weil mir einfiel, dass dadurch meine Haare noch strubbliger aussehen würden. Ich drückte ein dummes, peinliches „Hi“ aus mir heraus.
Mauzeyla stand auf und füllte eine Kanne mit Wasser. „Tee?“, fragte sie und guckte zu mir. Ich nickte. Sie schaltete den Herd an und bald fing es an zu brodeln. „Setz dich“, forderte sie mich mit einer einladenden Geste auf. Unsicher suchte ich mir eine kleine Lücke zwischen den schnurrenden Katzen.
„Dies könnte auch die Wohnung einer Oma sein“, dachte ich plötzlich.
Irgendwie schien Mauzeyla meine Gedanken lesen zu können, denn sie erklärte: „Du denkst bestimmt, ich bin verrückt oder so. Erstens wegen der vielen Katzen und zweitens wegen dieser ungewöhnlichen Unterkunft.“ Sie füllte eine Tasse mit Tee. „Zucker?“, fragte sie, doch ich schüttelte den Kopf.
Unsicher spielte ich mit meinen Fingern und erwiderte: „Nein, ich glaube nicht, dass du verrückt bist. Bloß ... was ist mit deiner Familie?“
„Ich bin Waise“, antwortete Mauzeyla. „Doch im Waisenhaus hielt ich es nicht aus. Meine Tante July hat mich aufgenommen, meistens verbringe ich aber meine Zeit hier.“ Sie lächelte, strich einer kleinen Katze über den Kopf und ich bemerkte, wie ihre Augen strahlten.
Mein Herz pochte laut. Verlegen schaute ich zu Boden. Zum Teufel, wie dreckig waren meine Schuhe! „Minkaya, was ist?“ Ihre Stimme riss mich aus meinen Träumen.
„Ich möchte nur wissen, warum du den ganzen Tag hier bist“, hörte ich mich fragen. „Was zieht dich denn so zu den Samtpfoten?“
Interessiert verfolgte ich, wie Mauzeyla aufstand und sich mit einem zischenden Geräusch plötzlich in eine Katze verwandelte. Rot getigertes Fell, hellblaue Augen, wunderschön. Sie lief mir entgegen, schmiegte sich an mein Bein und verwandelte sich wieder in ein Mädchen. Wir standen so nah beieinander, dass sich unsere Nasenspitzen berührten und ich ihren Herzschlag fühlte. So nah, dass alles in einem Kuss zerfloss.
Yelda Erdogan (13) aus Berlin / Deutschland