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„I appologize for my English“: Fanfiction zwischen den Sprachen und den Kulturen

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Englisch ist natürlich die lingua franca auch der Fanfiction-Welt. Sendlors (2011) bis heute standardmäßig zitierter FFN-Detailstatistik zufolge waren im analysierten Jahr 2010 57 % der identifizierten Accounts in den USA lokalisiert, gefolgt vom UK mit 9,2 % und Kanada mit 5,6 % (Deutschland findet sich nach Australien, den Philippinen, Frankreich, Mexiko, Indonesien, Brasilien und Indien auf Platz 11); angesichts der Werbenetzwerk-Kooperationen des Portals hat diese Distribution konkrete kommerzielle Implikationen. Dennoch wurde auf FFN im selben Jahr aus mindestens 173 Ländern zugegriffen; entsprechend viele User*innen von außerhalb der Anglosphäre sind hier aktiv.

„I appologize for my English :PP“ [sic] (contatlooby, FFN, 12.11.2012): Trotz vermeintlich oder tatsächlich defizitärer Kenntnisse bedienen sich auch diese Non-Natives sehr häufig des Englischen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen und nebenbei – oft angeführte Motivation – die eigene Sprachkompetenz zu verbessern. „[…] as you’ll probably suspect by reading my work, I’m Italian […]“, stellt sich unter dem selbstironischen Pseudonym „Master of Fangirling Art“ die Verfasserin zweier Resident-Evil-Fics auf FFN vor: „Being a non native english speaker, my writing may result weird sometimes […]. But I try to do my best and I’m so grateful for this chance to improve my writing skills and my vocabulary as well“ (Profil: 06.03.2019).

Bei aller Dominanz des Englischen als Kommunikations- und Literatursprache sollte man – wie es in den stark anglo-amerikanisch geprägten Fan Fiction Studies mit ihrem quasi-exklusiven Fokus auf „Western Anglophone media“ (Hellekson/Busse 2014: 2) häufig geschieht – allerdings nicht übersehen, dass Fanfiction ein ebenso internationales wie polyglottes Genre ist. „The first thing that should be said about Russian fandom is that it exists“, eröffnet Prassolova (2007) ihre Einführung in das russischsprachige Harry-Potter-Fandom: „It may come as a surprising and as a somewhat baffling statement, but not many people within English-language fandom realize that fandom is an international phenomenon […].“

Von besonderem Interesse sind dabei jene Transformationsprozesse, die mit dem Export englischsprachiger Fankultur und -terminologie einhergehen. Aus dem Star-Trek-Fandom – konkret aus Paula Smiths Parodie A Trekkie’s Tale (1973) – stammt z. B. der Typus der Mary Sue, Inbegriff der idealisierten Superheldin, die im Rahmen naiver Self-Inserts v. a. die Produktion jugendlicher Debütantinnen heimsucht und deren Status aus feministischer Perspektive kritisch diskutiert wird: Warum sorgt Mary Sue für so viel mehr Häme als ihr männliches Pendant Gary Stu (bzw. Marty Stu)? Die russische Fankultur übernimmt jedenfalls auch Mary Sue – und macht daraus Maška bzw. Mėris’ja, der bei Akitosan eine Metamorphose zum auch grammatikalisch maskulinisierten Mėrisij widerfährt (Mėris’ja v Zakarman’e [Mėris’ja im Land hinter den Taschen], Ficbook, 19.03.2016).

Umgekehrt speisen sich westliche Fandoms aus internationalen Importen: Aus der Manga/‌Anime-Tradition stammen Kategorien wie Lemon und Lime zur Bezeichnung sexuell expliziter resp. dezenter erotischer Inhalte; ebenso Subgenres wie Yaoi alias Boys’ Love bzw. – in der manchmal synonym gesetzten Softcore-Variante – Shōnen-ai (weibliches Äquivalent: Yuri bzw. Shōjo-ai), die auf ältere literarische Texte re-projiziert werden. So im Fall einer als „Shojo-aï, lime“ etikettierten Fic zu Colettes Claudine à l’école (Gossip Coco: Contre son corps, FFFRa, 30.06.2013) oder der bereits zitierten Shōnen-ai-RP-Fic La vera storia di Publio Virgilio Marone.

Im skizzierten Kontext asymmetrischer Globalisierung entstehen non-anglophone Portale, die von vornherein aus der Defensive agieren – was gelegentlich zu Inkonsequenzen führt. So verbietet FanFiktion.de als „deutschsprachiges Archiv“ im Prinzip „[n]icht in deutsch geschriebene Geschichten und Gedichte“, räumt dabei aber eine Ausnahme für „englische Gedichte“ (und nur solche) ein, „die in der Regel toleriert werden“. Fanfiction-Sites sind nicht national, sondern nach Literatur-/‌Kultursprachen organisiert; so adressiert Fanfic Fr die gesamte „communauté francophone“: „Du moment que vous comprenez le français nous vous accueillons avec plaisir!“ Défense et illustration, selbst in der Fanfiction: Die Sprachpflege wird hier auch abseits der literarischen Fandoms auffallend ernst genommen. „Pour l’amour de Dieu, choisissez une langue!“, appellieren die Amateur-Mentor*innen einer Neon-Genesis-Evangelion-Fansite (QCTX) an die Kollegenschaft, sei der Sprachmix doch ‚zum Kotzen‘. Ergänzend gibt es detaillierte Instruktionen nicht nur zu Plot- und Figurengestaltung, sondern auch zu Satzstruktur, Interpunktion und Gebrauch der Verba Dicendi – nicht zu vergessen: „Le correcteur orthographique est votre ami“! Zum Check von „la ortografía y la gramática“ ruft Fanfic Es – Fanfics en español auf, 2007 als für „fanfics de temática heterosexual“ reserviertes Komplement zum Portal Amor Yaoi gegründet; Wert auf möglichst fehlerfreies „italiano corretto“ legt auch das seit 2001 bestehende, bis heute größte italienischsprachige Portal EFP (ursprünglich nach der Webmistress als ‚Erika’s Fanfiction Page‘ benannt).

Als mit bis Ende 2017 bereits an die zweieinhalb Millionen Fanfics erfolgreiche Alternative zum US-basierten FFN kreiert wurde 2009 das russische Ficbook (Книга Фанфиков), das sich mit Bezeichnung und Design als spielerisch-anachronistisches ‚Buch der Fanfics‘ inszeniert und seinerseits zu einer gewissen sprachpflegerischen Agenda bekennt: Publikationswillige Autor*innen werden aufgefordert, ihren Beitrag mit den „Regeln der russischen Sprache“ in Einklang zu bringen; Texte in anderen Sprachen sind unerwünscht, einzelne fremdsprachige Passagen erlaubt. Wie sehr Fanfiction eine politische Angelegenheit sein kann, zeigen auch von eher mäßigem Erfolg gekrönte rezente Versuche, eigene Sites für ‚Ukrainian Fanfiction‘ bzw. ‚Фанфіки Українською Мовою‘ zu etablieren.

Doch auch auf den großen multilingualen Portalen finden sich zahlreiche Fanfics in anderen Sprachen als Englisch; gerade in sehr großen Fandoms sind auch kleinere und/oder non-okzidentale Sprachen vielfältig vertreten. Potterfiction bietet FFN z. B. auch auf Afrikaans, Arabisch, Bulgarisch, Estnisch, Farsi, Finnisch, Hebräisch, Isländisch, Kroatisch, Norwegisch und Slowakisch, auf Vietnamesisch, Thai, Türkisch und Ungarisch, sogar auf Esperanto… nicht zu vergessen auf Latein: Stolz präsentiert ein Fan ein Harry Potter A-Z Poem – In Latin! (PhoenixFire77, 13.09.2015). „Hoc mihi scribere Latine!“, freut sich RosaliePotter1221, samt prophylaktischer Selbstkritik: „Spero non lingua lanio…“ (AMOR, 24.11.2010). „Primus expero cum Latinus. Poeta non bene“, entschuldigt sich New Dragon Rider (Aestas Dies, 09.09.2007). „Quale exercitium hoc fuerat!“, so ein augenzwinkerndes Notum auctoris: „Hoc ficium (fic) tepidum fuit et peior conversio. Sed primum generis sui in fanfiction.net ergo, spero, dignum temporis tui“ (Jobey in Error: Fatum Est Optimum Cum Paratum Vicarium, 03.08.2006).

Mit Texten „in over 70 languages“ und „roughly 400,000 fanworks in languages other than English“ wirbt AO3, das fanfiktionale Vielsprachigkeit explizit encouragiert („Yes! You can post works in any language“). Seit November 2019 steht ein Set neuer „Language options“ zur Verfügung, in deren Rahmen – kleine, doch symbolträchtige Innovation – Englisch nicht mehr als Sprachwahl „by default“ fungiert.

Schon im August 2019 wurde das Archive, das derart auch in sprachlicher Hinsicht seiner Mission als „an open and inclusive place“ gerecht zu werden versucht, mit dem seit 1953 von der World Science Fiction Society vergebenen Hugo Award ausgezeichnet (benannt nach Hugo Gernsback, auf den der Begriff SF zurückgeht), dies in der Kategorie ‚Best Related Work‘ (Romano 2019). Diese euphorisch gefeierte Preisverleihung transzendiert – der Genre-Poetik entsprechend – das Konzept individueller Autorschaft; den Preis erhält AO3 als Millionen-Kollektiv.

Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur

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