Читать книгу Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur - Martina Stemberger - Страница 6
Von Star Trek bis Harry Potter: Fanfiction zwischen Poetik und Politik
ОглавлениеRund um Star Trek entwickelt sich ein Fandom mit eigenen Magazinen – den Fanzines (angefangen mit den legendären Spockanalia), die, postalisch oder bei eigenen Fan-Conventions vertrieben, von der Reichweite her klarerweise nicht annähernd mit der heutigen Internet-Fanfiction zu vergleichen sind. Und dennoch: Auf Star Trek gehen mancherlei nach wie vor gebräuchliche Kategorien der Fanfiction zurück. Diese verfügt über ein elaboriertes internes Organisationssystem, ihren eigenen Jargon – der, für Uneingeweihte obskur, zugleich eine Initiations- und Identifikationsfunktion erfüllt – sowie ihre eigenen Subgenres, darunter der sogenannte Slash: Kirk/Spock oder auch nur knapp K/S – so markiert wurden (und werden) Stories, in denen die Star-Trek-Protagonisten ein mehr als freundschaftlich-kollegiales Verhältnis verbindet. Der nach jenem Interpunktionszeichen benannte Slash, bei dem im Ausgangstext nicht – jedenfalls nicht explizit – vorhandene männlich-homosexuelle Beziehungen ausgestaltet werden, erfreut sich bis heute extremer Popularität – und wird ganz überwiegend von weiblichen Autoren für weibliche Leser verfasst: „Pornography By Women For Women, With Love“, titelt Russ 1985.
Zum Slash (signalisiert auch als M/M) gehört – im Rahmen einer symptomatischen Asymmetrie markierter Terminus – der Femslash (bzw. Femmeslash); ein Beispiel für „Roman femslash in epic poem format“ (so selbstironisch die Autorin) bietet die eben zitierte Aeneis-Fic, die die latinische Prinzessin Lavinia – bei Vergil passives Objekt väterlicher Verheiratungspläne – ins Zentrum des Geschehens rückt und sie weder mit ihrem ursprünglichen Bräutigam Turnus noch mit dem seinen Rivalen im Zweikampf tötenden Heros Aeneas, sondern mit Turnus’ Schwester Juturna vereint. Führt eine Fic derart zwei (oder auch mehr) im Ausgangswerk nicht liierte Figuren gleichen Geschlechts zusammen, wird der betreffende Text ‚geslasht‘ (slashed, slashé, slashato…): der Slash, auch ins Russische als слэш oder слеш transliteriert, hat sich im internationalen Fanjargon sowie quer durch alle erdenklichen Fandoms etabliert.
Zwar kennt die Fanfiction sehr wohl ein mit dem Kürzel PWP bezeichnetes Subgenre ‚Porn Without Plot‘ (zunächst dechiffriert als ‚Plot? What Plot?‘); doch handelt es sich bei Slash und Femslash um keine müßige pornographische Spielerei: Die Fankultur, die insgesamt „from a position of cultural marginality and social weakness“ operiert (Jenkins 1992: 26), formiert sich auch als Forum für minoritäre Stimmen, die sich im Mainstream weder zu Star-Trek-Frühzeiten noch heute adäquat repräsentiert sehen. „I began writing because as a queer woman I couldn’t find any representation in literature. Just the fact that I could be gay in this space is what mainly kept me going“, erklärt eine indische Autorin den Reiz eines auch in puncto Gender fluiden Genres (zit. Sarangan 2019). „For me, fanfic is partially a political act“, betont ein anderer Fan: „MGM [d. h. die US-Filmproduktions- und -vertriebsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer] is too cowardly to put a gay man in one of their multimillion-dollar blockbusters? And somehow want me to be content with the occasional subtext crumb from the table? Why should I?“ (zit. Grossman 2011).
Wie politisch Fanfiction, speziell Slash auch heute noch sein kann, zeigt ein Blick über den westlichen Kontext hinaus. In Russland bietet der Slash angesichts einer weit verbreiteten und von offizieller Seite favorisierten Homophobie ein kreatives Ventil: Eifrig wird neben diversen fiktiven und historischen Figuren auch die zeitgenössische Politprominenz geslasht, im Rahmen lustvoll transgressiver Fics, die pikante Pairings à la Putin/Medvedev, Putin/Naval’nyj (etc.) variieren; über die einschlägigen Sites hinaus funktioniert Slash als „discursive device“ in der Debatte über LGBT-Agenden (Rajagopalan 2015).
Sehr viel drastischer gestaltet sich die Situation in der Volksrepublik China: Hier gab es mehrfach, so im Jahr 2014, exemplarische Repressionswellen gegen Slash-Autorinnen; Ende Februar 2020 wurde der Internetzugriff auf eines der größten internationalen Fanfiction-Portale blockiert (Romano 2020a). Die westliche Berichterstattung über „China’s Insane Witch Hunt For Slash Fiction Writers“ (Tang 2014) ist freilich von einer gewissen Hypokrisie geprägt; besagte Slash-Affäre wird diskursiv instrumentalisiert, um „human rights issues in China in ways that clearly separate ‚us‘ from ‚them‘“ zu framen (Hampton 2016: 237), unter Ausblendung dessen, dass auch einige der okzidentalen Sphäre angehörige Staaten zeitweise eine sehr restriktive Linie gegenüber tatsächlich oder vermeintlich pornographischer Fanfiction verfolg(t)en: Dies betrifft Kanada (ibid.: 236) und besonders Australien, das sich nach einer größeren Kampagne 2007 – samt „mass deletion of fanfic blogs“, u. a. Harry-Potter-Slash – mit dem Projekt einer neuen Internet-„filter policy“ auf ein Zensurlevel mit „states such as Iran and Saudi Arabia“ zu begeben drohte (McLelland 2010).