Читать книгу Wenn dein dunkles Herz mich ruft - Mary C Brooks - Страница 4
Wer Wind sät…
ОглавлениеDas Meer glitzerte im Licht der karibischen Mittagssonne, als hätte man das Firmament wie ein Tuch über das Wasser gelegt und betrachtete nun die unzähligen Sterne, die nicht mehr verblassen wollten, seit man sie vom Himmel geholt hatte. Wellen rollten mit einer weißen Krone aus Gischt an den Strand und umspülten Kimberlys nackte Füße, griffen nach ihr wie kalte, tote Finger, die sie in die Fluten ziehen wollten. Das Meer war hier anders, hinter seiner Schönheit wirkte es tückisch und bösartig, als lauerte es. Ob das an der Insel lag? Oder an dem, was hier verborgen war?
Über Kimberlys Kopf kreiste eine Möwe, neugierig, was ein Mensch hier zu suchen hatte, doch sie beachtete den Vogel nicht weiter. Sie war viel zu sehr mit dem Smaragd in ihren schlanken Händen beschäftigt – und dem Lichtstrahl, den er auf die Felswand vor ihr warf. Aus den Augenwinkeln sah sie das kleine Boot, mit dem sie hergekommen war, auf den Wellen schaukeln. Wäre es nicht so gut festgetaut gewesen, würde das Meer es mit sich reißen und Kimberly allein auf der Insel zurücklassen. Allein mit einem in einer Höhle verborgenen Kristall und einem dunklen, gefährlichen Geheimnis. Dem Geheimnis, wegen dem sie hergekommen war.
Schweiß lief ihr in die grünen Augen, tropfte von ihren dichten schwarzen Wimpern, ihrem Kinn und ihren Rücken hinab auf den feuchten Sand. Die Sonne stand hoch, brannte heiß auf sie nieder, aber das Mittagslicht war der einzige Zeitpunkt, an dem es funktionierte. Funktionieren sollte. Es dauerte eine Weile, bis Kimberly es schaffte, dass der Lichtstrahl, der sich in dem Edelstein in ihren Händen brach, auf die Vertiefung im Fels traf, ein kaum noch zu erkennendes Muster im rauen Gestein: Eine Schlange, die sich um ein Pentagramm wandte und deren Kopf in der Mitte eines Sterns ruhte.
Zuerst geschah gar nichts, bis auf das Rauschen der Wellen und dem Zirpen einiger Insekten war es still. Sie lauschte, starrte angestrengt auf das Symbol im Stein und bemühte sich, den Lichtstrahl dort zu halten. Ein Grollen schwoll an, dunkel und bedrohlich, es war ein Rumpeln, das tief aus dem Inneren des Gesteins zu kommen schien und ein Stück der massiven Felswand zur Seite gleiten ließ. Vor Kimberly öffnete sich ein schmaler Spalt, dessen Gang in ein Nichts aus Dunkelheit führte. Das Licht der Sonne verlor sich rasch, wurde von der tiefen Finsternis verschluckt.
Den Smaragd ließ Kimberly in die Tasche ihrer Wollhose gleiten, bevor sie eine mitgebrachte Fackel hervorholte, sowie zwei Feuersteine, die sie nun gegeneinander stieß. Ein Funke glomm auf, rieselte auf die Fackel und schien für einen Moment erloschen, bis er sich in das trockene Material verbiss und zu wachsen begann. Orangeblaue Flammen loderten auf. Hoffentlich brannten sie lange genug, bis Kimberly wieder draußen war.
Sie warf einen letzten Blick auf das Meer und auf die Holy Devil, die etwas weiter draußen vor Anker lag. Das Schiff würde warten bis sie zurückgekehrt war. Hoffentlich.
Mit der freien Hand ihren Säbel ziehend, schritt sie in die Dunkelheit und fühlte sich sofort von dem Fels um sie herum eingeengt. Das Fackellicht konnte die Finsternis nur spärlich vertreiben und ließ unheimliche Schatten an den Wänden tanzen. Ihre nackten Füße machten tapsende Geräusche, ließen ihr Herz schneller schlagen. Sie fühlte, dass etwas hier war, etwas Böses. Und jetzt wusste es, dass sie da war.
Es war nicht direkt Furcht, die sie verspürte, es war vielmehr ein wachsendes Unwohlsein. Das Gefühl von Bedrohung und das Wissen, dass sie nicht hier sein durfte. Das, was sie tat, war verboten und gefährlich. Und es war ihre Aufgabe. Ihr Befehl.
Kimberly vertrieb diese Gedanken mit einem leisen Fluch und konzentrierte sich stattdessen darauf, schneller zu laufen. Obwohl es in der Sonne unerträglich heiß war und sich die Höhle eigentlich aufgeheizt haben müsste, war es hier drinnen geradezu kalt und sie fröstelte. Die Fackel flackert und spuckte grauen Qualm aus, aber sie erlosch nicht. Noch nicht. Immer wieder huschten Schatten an ihr vorbei, von denen sie sich beobachtete fühlte. Diese Insel war böse, also warum sollte nicht auch alles, was auf ihr war, ebenfalls böse sein? Vielleicht konnten hier selbst die Schatten gefährlich werden, wer wusste das schon? Kimberly wollte nicht lange genug bleiben, um es herauszufinden. Und noch viel weniger wollte sie daran denken, dass sie einen Teil dieses Bösen mit an Bord nehmen würde.
Ein schwaches Licht glomm am anderen Ende des Tunnels auf und ließ sie für einen Moment inne halten. Sie horchte, ob hier noch jemand war, aber das Licht schien nicht von einem Feuer zu kommen. Dazu war es zu grell, zu weiß. Was auch immer es war, es ging nicht von einem Menschen aus – was nicht gerade ein beruhigender Gedanke war. Ein Impuls in ihrem Inneren zog sie weiter, sagte ihr, dass sie dort finden würde, was sie suchte. Kimberly wurde noch wachsamer. Der tunnelartige Gang endete abrupt, weitete sich in eine Höhle aus, deren Ausmaße sich irgendwo in der Dunkelheit verloren. Unzählige Stalaktiten hingen von der Decke, schmückten diese wie steinerne Anhänger. Kisten voll Gold und Juwelen bedeckten den Boden, aber Kimberlys Blick war auf etwas anderes geheftet. Wegen den Schätzen war sie nicht hier, sosehr ihr Piratenherz auch danach verlangte, wenigstens eine Truhe mitzunehmen. Ihre Aufmerksamkeit galt der Statue mitten in der Höhle, umgeben von Säulen, die die Decke stützten. Es war eine Frau, gehauen aus schwarzem Stein. Ihre dunklen, toten Augen bohrten sich in Kimberlys, als wollte sie sie warnen, und über ihre Wange lief eine einzelne Träne, für immer dort erstarrt. Ihre Hände hielt sie vor ihrem Bauch, geformt wie eine Schale. Und darin lag die Quelle des weißen Lichts. Das, weswegen sie hergekommen war. Ein faustgroßer Kristall, der immer heller strahlte, je näher sie ihm kam. Er war es. Es gab keinen Zweifel.
Der Stein von Anór.
Sie ließ den Säbel zurück in ihre Gürteltasche gleiten, klemmte die Fackel in eine Armbeuge der Statue und streckte beiden Hände nach dem Stein aus. Sie hielt inne, verharrte mit ihren Fingerspitzen nur wenige Millimeter vor der Oberfläche des Kristalls. Langsam und tief atmete sie ein, vertrieb das Zittern aus ihren Muskeln und drängte ihr Herz, wieder ruhiger zu schlagen. Das Gefühl, etwas Falsches zu tun, wurde immer größer. Sie spürte, dass sie etwas Böses erwecken würde, wenn sie die Insel mit dem Stein verließ. Aber der Gedanke, was Captain Barron mit ihr machen würde, wenn sie mit leeren Händen zurückkäme, war beunruhigender als die unheilvolle Ahnung, die sich in ihr regte, wenn sie den Stein ansah.
Ein leises Schnauben entwich ihr.
Feigling, schalt sie sich selbst. Seit wann hast du Angst?
Mit einem Ruck nahm sie den Kristall aus den steinernen Händen und stopfte ihn in ihre Hosentasche, ohne noch einmal in die steinernen, leblosen Augen der Frau zu blicken. Er fühlte sich kalt und schwer an, sie spürte dieses böse Etwas, das von ihm ausging, durch den Stoff hindurch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und zog eine Gänsehaut über ihre Arme.
Beinahe im gleichen Augenblick erschütterte ein Grollen die Höhle. Hastig griff Kimberly nach der Fackel und drückte sich einen Moment lang gegen die Statue. Alles in ihr schrie nach Flucht, aber sie war wie erstarrt, als sie sah, dass die stützenden Säulen zu schwanken begannen und ein hässliches Reißen die Luft erfüllte. Staub und Schutt rieselte von der Decke, die Stalaktiten knirschten.
Kimberly zögerte nicht länger und rannte los. Die Höhle knurrte erneut, sie war wie ein wildes Tier, das sich umher warf. Der Boden bebte, so heftig, dass Kimberly von den Füßen gerissen wurde und beinahe die Fackel fallen ließ. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung und rollte sich instinktiv herum. Neben ihr krachte einer der Stalaktiten zu Boden und zersprang, scharfe Steinsplitter flogen umher.
„Verdammte Scheiße“, fluchte sie, sprang auf die Füße und rannte weiter. Das Feuer war fast abgebrannt, nur ein kleiner Rest brannte noch oberhalb des feuchten Tuches. Wenn sie den Tunnel nicht bald erreichte, würde sie den Ausgang nicht mehr finden. Falls dieser nicht schon verschüttet war. Dann würde sie hier unten lebendig begraben werden – sofern nicht einer der Steine sie vorher zerquetschte.
Das Blut rauschte in ihren Ohren, ihr Herz schlug heftig und schmerzhaft. Sie sah das Loch im Fels, den Weg zum Ausgang, und eilte darauf zu. Wieder bebte der Boden so stark, dass Kimberly erneut fiel. Dieses Mal konnte sie die Fackel nicht mehr halten. Von einem Moment auf den anderen senkte sich Dunkelheit über sie und die Schatten fielen mit aller Bosheit über sie her. Die Angst raubte ihr den Atem, setzte sich wie ein Ungeheuer auf ihre Brust, das sie lähmte und gegen das sie nicht gewinnen konnte. Um sie herum stürzte die Höhle weiter ein, aber sie wagte es nicht, sich zu bewegen, obwohl sie wusste, dass sie nirgends sicher war.
Der Stein schimmerte sacht durch ihre Hose und sein Anblick schickte eine Woge von Zorn durch ihr Herz. Wegen diesem winzigen Ding würde sie nicht hier unten sterben, bestimmt nicht. Aber vielleicht konnte sie ihn als Lichtquelle benutzen. Vorsichtig holte sie ihn hervor, doch sie erkannte schnell, dass er ihr nicht helfen konnte. Er glühte, aber er erhellte den Raum nicht mehr, als wollte er verhindern, dass sie ging. Sie überlegte einen Augenblick, ihn hier zu lassen, aber dann wäre alles umsonst gewesen, dann hätte sie ihr Leben für nichts riskiert. Stattdessen ließ sie ihn vorsichtig zurück in ihre Tasche gleiten.
Bei dem Versuch, sich aufzusetzen, griffen ihre Finger in kaltes, glattes Metall. Gold. Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger um die Münzen und die Piratin in ihr verlangte nach mehr.
Ächzend rappelte sie sich hoch, verdrängte die Gier, die sie das Leben kosten würde, wenn sie ihr nachgab, und rannte weiter. Vertraute ihren Instinkten, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Über ihr knirschte und rumpelte es noch immer, der Boden bebte weiterhin, aber sie schaffte es, sich auf den Beinen zu halten. Sie wusste nur, dass der Ausgang ungefähr in der Richtung lag, in die sie lief.
Der Stein in ihrer Tasche schien mit jedem Schritt schwerer zu wiegen, zog sie zurück, als wollte etwas verhindern, dass sie ihn nach draußen brachte.
Sie rannte weiter und plötzlich stießen ihre Hände gegen rauen Stein, die Münzen fielen zu Boden. Das Klimpern ging in dem Getöse unter.
Nein!
Ein Teil von ihr jaulte entsetzt auf. Wo war der Ausgang, wo? Rechts oder links? Der Schrei, der in ihrer Kehle aufstieg, wurde von Staub und Dreck begraben bevor er hervorbrechen konnte. Ein gequältes, keuchendes Husten war alles, was sie zustande brachte.
Unmittelbar über ihr knackte es. Ihr Kopf fuhr herum, ihre Augen suchten die Decke ab, obwohl es sinnlos war, etwas sehen zu wollen. Da war nur staubige Dunkelheit. Aber sie brauchte auch nichts zu sehen, um zu wissen, was über ihr geschah. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Decke – und den Riss, der entstand, der immer größer wurde, sich wie ein Spinnennetz explosionsartig ausbreitete. Immer schneller und schneller zogen sich die feinen Sprünge durch den Fels, es knackte und knirschte überall.
Kimberly fluchte erneut, legte eine Hand an die Wand neben sich und lief los. Entweder war es die richtige Richtung und sie fand den Ausgang jeden Moment, oder … Sie hatte keine Zeit, an das Oder zu denken, durfte nicht zulassen, dass Angst in ihr empor kroch und sie lähmte.
Der scharfe Stein zerkratzte ihre Handfläche, aber sie spürte den Schmerz nicht. Das Grollen erfüllte die ganze Kammer und ließ sogar die Luft zittern. Kimberly hatte Mühe, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten, es war als wollte die Höhle mit aller Macht verhindern, dass sie sie jemals verließ – oder der Stein. Haltlos stolperte sie weiter, hielt den freien Arm über den Kopf, um sich vor herabstürzenden Steinen zu schützen. Doch die kleinen Kiesel, die stetig herabrieselten, waren nur der Vorbote von etwas viel Größerem, Unaufhaltsamen.
Kimberlys Hand griff auf einmal ins Leere und obwohl sie nichts sehnlicher hoffte, kam es viel zu überraschend. Sie stürzte der Länge nach auf den harten, bockenden Boden, wurde von einer heftigen Erschütterung herumgerissen und zog automatisch die Beine an. Sie konnte spüren, wie nicht weit von ihr die Decke endgültig herabstürzte, eine Staubschicht senkte sich auf sie, ließ sie erneut keuchen und husten. Die Dunkelheit vor ihr war auf einmal massiv, undurchdringlich. Die Höhle war verschüttet, all die Schätze waren in ihr begraben worden. Doch der Boden zitterte noch immer, es war noch nicht vorbei.
Kimberly rappelte sich ächzend auf und stolperte blind durch den Tunnel, der ans Tageslicht führte. Die Wände rückten immer näher, zumindest fühlte es sich so an. Die Schatten griffen nach ihr, zogen sie zurück, rissen sie immer wieder von den Beinen.
Wir lassen dich nicht gehen, schienen sie zu wispern. Nie wieder!
Oder waren es doch nur ihre aufgeschürften und geprellten Beine, die sie nicht mehr tragen konnten?
Ihre tastenden Hände stießen unsanft gegen kalten Fels, als der Tunnel eine Biegung machte und schürften sich an den scharfen Kanten weiter auf. Der Kristall in ihrer Tasche schimmerte noch immer. Er war schwer, so schwer. Er zog sie auf den Boden, drückte sie nieder. Oder waren das die Schatten? Oder war alles das Ergebnis ihrer Angst und ihrer Erschöpfung?
Vor ihr war plötzlich etwas anderes als Dunkelheit und Staub und Lärm. Ein runder heller Fleck, der mit jedem Schritt größer wurde und der ihr die Kraft gab, noch schneller zu laufen. Die Sonne.
Die Höhle warf sie mit einem Beben erneut gegen die Wand, ihr Kopf prallte hart gegen eine Kante. Kimberly spürte das Blut, das an ihrer Stirn herablief, warm und klebrig, und wie sich der Staub darin verfing. Doch die Insel konnte sie nicht mehr aufhalten. Jetzt nicht mehr.
Ihre Beinmuskeln spannten sich, suchten Halt auf dem bebenden Boden und drückten sich kräftig ab. Das Sonnenlicht rauschte Kimberly entgegen, wie ein Fisch, der aus dem Wasser sprang, flog sie zurück in die Wirklichkeit. Sand wirbelte auf, dämpfte ihren Sturz nur kaum. Die Möwe über ihr kreischte erschrocken und verschwand irgendwo am Horizont. Kimberly spürte den heißen Sand unter ihrem Rücken, vergrub ihre Finger darin. Wellen umspülten ihre Füße, griffen wieder nach ihr. Sollten sie sie holen. Nur weg hier.
Kimberly blinzelte in den grellen Himmel, wollte die Augen mit der Hand abschirmen, aber dazu fehlte ihr die Kraft. Langsam schlossen sich ihre Augenlider. Das Rauschen des Meeres war das letzte, was sie hörte.