Читать книгу Wenn dein dunkles Herz mich ruft - Mary C Brooks - Страница 5

Kristall-Licht

Оглавление

Captain Barron stand noch immer an der Reling der Holy Devi und starrte mit unbewegter Miene auf das Ruderboot, das die sinkende Insel mittlerweile erreicht hatte, um die junge Piratin zurückzubringen. Der salzige Wind blies die schulterlangen, aschblonden Haare aus seinem wettergegerbten Gesicht, zeigte die Narbe, die an seiner linken Schläfe begann und irgendwo in seinem Nacken endete. Ein Andenken an vergangene Zeiten.

Nur ein kleiner Muskel an seinem linken Auge zuckte, während er beobachtete, wie die zwei Piraten, die er losgeschickt hatte, Kimberly in das Ruderboot legten. Das Meer war wild, es griff nach ihnen, wollte sie nicht gehen lassen. Seine Finger waren kalt und nass, zogen an dem kleinen Boot, wollten es mit der Insel hinab in die Tiefe reißen.

Barrons rissige Hände krallten sich fester um die Reling, das Holz knackte unter seinem Griff. Die Wellen umspülten das Ufer immer heftiger, stießen zum Zentrum des kleinen Eilands vor, um es für immer ins nasse Grab des Vergessens zu ziehen.

Ihn ließ nicht kalt, was er dort sah, gewiss nicht. Aber die Crew durfte seine Sorge um das Mädchen und vor allem um den Stein nicht bemerken, durfte keine Schwäche erkennen. So lange er beobachtet wurde, durfte er sich seine Gedanken nicht anmerken lassen, schon gar nicht die, die um das Mädchen kreisten. Die Zeiten waren hart. Die Crew brauchte einen Captain, der nicht zweifelte, nicht zögerte. Sie brauchten keinen rührseligen Captain, sonst würden sie ihm niemals folgen, würden niemals tun, was sie tun mussten. Sie mussten glauben, was er ihnen sagte, alles. Bedingungslos. Das Holz unter seinen Händen knirschte erneut, ein dreckiger Fingernagel splitterte weiter ab.

Die Holy Devil schaukelte weiter sanft auf den Wellen, das Meer versuchte nicht, das Schiff ebenfalls zu verschlingen. Das kleine Beiboot hatte sie mittlerweile erreicht, die Piraten tauten es fest und hievten Kimberly an Bord. Sie war nur halb bei Bewusstsein, sah sich irritiert um. Ihre Augen fanden seine und ihr Blick wurde hart, kalt. Die schwarzen Locken hingen ihr strähnig und verdreckt im Gesicht, aber das zornige Funkeln ihrer grünen Augen konnten sie nicht verdecken. Smaragdaugen.

Barron runzelte die Stirn, er war es noch immer nicht gewohnt, dass sich ihre Wut gegen ihn richtete. In letzter Zeit geschah es öfters, sie dachte zu viel nach, zweifelte, obwohl sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie war erwachsen geworden in all der Zeit, er hatte es nur nicht bemerkt. Ihre ruhige, kalte Wut jagte ihm innerlich einen Schauer über den Rücken. Wenn sie so da stand wie jetzt, nass und zitternd, und ihn einfach nur anstarrte, beunruhigte ihn das mehr als die Prügeleien, die er tagtäglich erlebte. Mit offener Gewalt konnte er umgehen. Mit der Wut einer Frau nicht. Wie wütend würde sie erst werden, wenn sie die Lüge um seinen Bruder aufdeckte? Wenn sie erfuhr, dass er, Captain Barron, gar nicht ihr Onkel war?

Ein Raubtier, dachte Barron. Wie ein hungriges, wildes Raubtier steht sie da und lauert.

„Hast du ihn?“, hörte er sich selbst sagen, dabei wollte eine innere Stimme etwas anderes fragen. Er wollte sie in die Arme schließen, wie er es früher getan hatte, doch die Zeiten waren vorbei. Diese Lüge konnte er nicht mehr zurücknehmen, nicht nach all der Zeit. Es würde niemals wieder so sein, wie es einmal war.

Kimberly presste die Lippen aufeinander, strich sich mit einer heftigen Handbewegung die Haare aus dem Gesicht und verschmierte dabei das Blut, das aus dem Schnitt an ihrer Stirn lief. Sie sah es, ballte die Hände zu Fäusten und senkte den Kopf. Es sah aus wie eine Geste der Ergebenheit, aber Barron wusste es besser. Er kannte sie, kannte sie so gut. Sie versuchte nur, ihre Wut zu verbergen, sich zu kontrollieren.

„Na, Kimy, hast du deine Zunge verschluckt? Oder haben die bösen Schatten sie gefressen?“ Oliver, eines der Crewmitglieder, bedachte sie mit einem spöttischen Grinsen. Ein Goldzahn blitzte inmitten eines schwarzen, faulenden Gebisses auf. Seine schmutzigen, zerkratzten Hände spielten mit dem Entermesser an seiner Hüfte und in seinen schlammbraunen Augen blitzte es verschlagen.

Kimberly starrte ihn an, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. „Du hast ja keine Ahnung“, zischte sie.

„Uhh, jetzt bekomm ich aber Angst.“

„Halt den Mund“, wies Barron ihn zurecht, aber Oliver grinste nur.

„Wenigstens war ich mutig genug, hinzugehen“, gab Kimberly zurück. „Obwohl es mich beinahe das Leben gekostet hat. Du wärst dort gestorben, du dreckiger, kleiner -“

„Und, hat es sich gelohnt?“, unterbrach Barron sie. Er schaffte es, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen. Über ihnen schrie eine Möwe.

Kimberly schnaubte. „Natürlich.“ Sie holte den Kristall hervor und starrte einen Augenblick lang in sein helles, weißes Licht. „Fang!“

Captain Barron fing den Stein auf, ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Nur aus den Augenwinkeln sah er, dass die junge Piratin unter Deck verschwand, wahrscheinlich in ihrer Kajüte. Irgendwann würde sie dieses Schiff übernehmen, irgendwann war sie an der Reihe.

Tapfere, kleine Kimberly.

Er wüsste nicht, was er ohne sie tun würde. Er konnte sie sich einfach nicht in einem feinen Kleid auf adligen Empfängen vorstellen. Kimberly gehörte hierher, zu ihm. Daran änderten auch all die Lügen nichts. Nur hier konnte er sie beschützen, daran hatte Melinda keine Zweifel gelassen. Melinda… Er hoffte so sehr, dass sie recht hatte. Mit Kim. Mit dem Kristall. Mit allem.

Barron wandte sie ab und stiefelte davon.

Der Kristall leuchte nun nicht mehr, er wurde trüb und dunkel.

Wenn dein dunkles Herz mich ruft

Подняться наверх