Читать книгу Wille und das Ungeheuer vom Vechtesee - Mathias Meyer-Langenhoff - Страница 10

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Besuch im Krankenhaus

Sie schoben ihre Fahrräder vom Schulhof und fuhren an der Vechte entlang bis zur Moltkestraße, um dann zur Kreuzung am großen Supermarkt abzubiegen. Über die Kistemaker- und Veldhauser Straße erreichten sie die Euregio-Klinik. Es war gerade einiges los, mit lautem Sirenengeheul kam ein Rettungswagen vorgefahren, während vor dem Besuchereingang Männer und Frauen in Bademänteln standen, sich unterhielten und rauchten.

„Wir müssen in die vierte Etage“, meinte Wille, „sie liegt auf der Inneren, Zimmer 392.“

„Aufzug oder Treppe?“, wollte Andy wissen, der nicht sehr gerne ins Krankenhaus ging. Er hasste den Geruch. Vor zwei Jahren musste er mal eine Woche bleiben, weil er sich beim Skateboardfahren einen Armbruch zugezogen hatte.

„Aufzug“, antwortete Wille, der die Abneigung seines Freundes gegen Krankenhausluft kannte. Er drückte auf den Knopf und Sekunden später öffnete sich die Tür und gab den Blick auf zwei Pfleger frei, die ein Krankenbett mit einem Patienten mit Kopfverband aus dem Lift schoben. Nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte, schwebten Wille und Andy hinauf in den vierten Stock. Oben angekommen, ließ der Aufzug sein typisches Klingeln hören und sie betraten den langen Krankenhausflur.

„Links runter.“ Wille zeigte mit dem Finger in die Richtung, in die sie gehen mussten. Zimmer 392 war ganz am Ende der Station.

Wille klopfte zaghaft. Einen Moment wartete er, bis ein schwaches „Herein“ zu hören war. Er öffnete die Tür und betrat, gefolgt von Andy, das Zimmer. Die Frau, die laut Zeitungsbericht im letzten Augenblick einem Ungeheuer im Vechtesee entkommen war, sah die beiden jungen Detektive erstaunt an.

Sie war vielleicht zwanzig Jahre älter als Willes Mutter, aber längst noch nicht im Alter seiner Oma, obwohl sie graue Haare hatte und eine Brille trug. Sie saß aufrecht in ihrem Bett und sah die beiden Besucher freundlich lächelnd an. Auf ihrem Nachtschränkchen lag ein aufgeklapptes Buch. Zu Willes Überraschung handelte es sich um Tschik von Wolfgang Herrndorf, das zu seinen Lieblingsromanen zählte. Darin ging es um einen Jungen, Maik, der in seiner Klasse Außenseiter war und nur Psycho genannt wurde. Erst als ein neuer Mitschüler auftauchte, der von den anderen genauso verachtet wurde wie er, änderte sich seine Situation. Der Neue, eben Tschik, war ein wortkarger russischer Spätaussiedler, der sogar manchmal betrunken zum Unterricht erschien. Die beiden freundeten sich an und eines Tages fuhr er mit einem gestohlenen alten Lada vor Maiks Haustür vor und lud ihn zu einer Tour nach Russland zu seinem Großvater ein. Weil Maiks Eltern nicht da waren, stieg er ein und es begann eine spannende Reise ins Ungewisse.

Wille hatte sich schon häufiger gefragt, warum er das Buch so toll fand. Wahrscheinlich weil er sich mit Maik identifizieren konnte und sein Freund Andy sogar ein bisschen was von Tschik hatte. Und zu einer Spritztour quer durch Deutschland würde er mit ihm auch sehr gerne aufbrechen.

„Entschuldigen Sie die Störung, aber wir sind hier, weil wir gerne ein bisschen mit Ihnen über Ihr Erlebnis am Vechtesee sprechen würden“, begann Wille höflich und ein wenig unsicher, weil er nicht wusste, wie sie reagieren würde.

„Schon wieder? Von welcher Zeitung kommt ihr denn jetzt? Von einer Schülerzeitung?“

„Eigentlich nicht, wir sind Detektive.“

„So, so, Detektive. Sherlock Holmes und Dr. Watson, was? Wie heißt ihr denn überhaupt?“, lächelte die Frau spöttisch.

„Ich heiße Wille und das ist mein Freund Andy“, antwortete Wille.

„Mein Name ist Ingrid Schmid. Was wollt ihr denn ermitteln?“

„Sind Sie wirklich sicher, dass Sie im Vechtesee ein Ungeheuer gesehen haben?“, fragte Andy, bevor Wille antworten konnte.

Frau Schmids Gesicht verfinsterte sich. „Und ob ich sicher bin. Warum hält mich in dieser Grafschaft eigentlich jeder für verrückt? Ein für alle Mal, ja, ich habe eins gesehen!“

„Entschuldigen Sie, Frau Schmid“, mischte sich Wille schnell ein, „mein Freund hat es nicht so gemeint. Es ist nur so, dass wir uns fragen, ob Ihnen vielleicht auch jemand einfach nur einen Schreck einjagen wollte. Können Sie uns beschreiben, wo genau Ihnen das Ungeheuer begegnet ist?“

„Natürlich kann ich das. Ich lief auf diesem roten Kieselweg, ziemlich nah am Ufer. An einer Stelle steht so ein Kunstwerk, eine Art Ente ohne Kopf, da bin ich hingegangen, um mir anzusehen, wer sie gemacht hat. Ich wollte gerade die Aufschrift auf dem Schild lesen, da tauchte es auf, fast direkt vor mir, ich habe wirklich gedacht, gleich packt es mich und zieht mich ins Wasser.“ Frau Schmid schien noch immer den Schreck in ihren Gliedern zu spüren, beruhigte sich dann aber wieder. „Wieso glaubt ihr, jemand wollte mir persönlich einen Schreck einjagen? Und dann auch noch mit so einem Ungeheuer?“

„Oder vielleicht mit der Attrappe eines Ungeheuers, also, einem nachgebauten Ungeheuer?“, meinte Wille. „Gibt es eventuell jemanden, der ein Interesse daran haben könnte, Sie zu erschrecken?“

„Unsinn, niemand, ich kenne in Nordhorn keinen Menschen und bin hier im Urlaub.“

„Woher kommen Sie denn?“, wollte Andy wissen.

„Aus Bochum.“

„Dann machen Sie in Nordhorn Urlaub? Bochum ist doch gar nicht weit weg.“

„Das ist ja gerade das Schöne. Ich muss nicht lange anreisen, bin mitten in der Natur und nach Holland ist es auch nur ein Katzensprung. Aber dass ich hier noch einmal herfahre, glaube ich kaum.“

Wille kratzte sich am Kopf.

„Wenn Sie so nah wohnen, könnte ja doch jemand aus Bochum etwas gegen Sie haben.“

„Unsinn, ich habe mit keinem Menschen Ärger, ich bin eine friedliche Frau.“

„Warum machen Sie denn allein hier Urlaub? Oder sind Sie gar nicht allein?“, wollte Wille wissen.

„Doch, mein Mann ist schon seit fünf Jahren tot und meine Kinder sind erwachsen. Da kann ich natürlich nicht verlangen, dass sie mit mir in den Urlaub fahren. Aber eigentlich geht euch das gar nichts an.“

„Stimmt, aber wir würden Ihnen gerne helfen.“

Frau Schmid musste lachen. „Ihr seid vielleicht Helden. Warum sollte ich eure Hilfe benötigen? Wie gesagt, ich habe mit keinem Menschen Ärger.“

„Das freut mich, Frau Schmid, aber trotzdem hätten wir gerne mehr Informationen, für uns ist alles wichtig. Wie viele Kinder haben Sie denn?“

„Zwei, einen Sohn und eine Tochter. Und zwei Enkelkinder“, antwortete Frau Schmid stolz, „die sind mein Ein und Alles und wären gerne mitgefahren, aber leider sind noch keine Schulferien.“

„Wohnen die alle in Bochum?“, fragte Andy.

Frau Schmid nickte. „Mein Sohn in Wattenscheid, meine Tochter in Bochum Stadt.“

„Haben Sie ein gutes Verhältnis zu ihnen?“

„Hört mal zu, Jungs, jetzt reicht es. Müsst ihr nicht mal langsam nach Hause? Warum seid ihr eigentlich nicht in der Schule?“

„Schon gut, Frau Schmid, war nicht so gemeint. Wir lassen Sie jetzt in Ruhe, aber eine Frage habe ich noch: Wer war denn vor uns bei Ihnen und hat sich nach dem Ungeheuer erkundigt?“

„Ein Reporter und ein anderer Mann, an den ich mich nicht mehr erinnern kann.“

„Ach so, trotzdem vielen Dank für alles. Wenn wir mal wieder vorbeikommen sollen, dann können Sie mich auch gerne anrufen. Das ist meine Handynummer“, meinte Wille und schrieb sie auf einen Zettel.

„Übrigens haben wir schon aus, nicht, dass Sie denken, wir schwänzen die Schule“, fügte Andy hinzu, bevor sie das Krankenzimmer verließen.

„Warum hast du das denn gesagt?“, wollte Wille wissen, als sie wieder im Krankenhausaufzug nach unten fuhren.

„Kleine Lügen erhalten die Freundschaft“, grinste Andy und atmete tief durch, als sie wieder draußen waren. „Was machen wir jetzt?“

„Erst mal nach Hause fahren, essen, wird nämlich langsam Zeit. Willst du mit zu uns?“

„Deine Mutter ist doch arbeiten.“

„Nö, die hat heute frei“, meinte Wille.

Das ließ sich Andy nicht zweimal sagen, denn Willes Mama konnte fantastisch kochen.

Wille und das Ungeheuer vom Vechtesee

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