Читать книгу Wille und das Ungeheuer vom Vechtesee - Mathias Meyer-Langenhoff - Страница 9

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In der Schule

Wille war nervös, als er am nächsten Morgen zur Schule fuhr. Er wusste ja nicht, ob die drei Idioten von gestern aus dem Freibad wieder Streit mit ihm suchen würden. Dort musste er auf jeden Fall ohne Andy klarkommen, denn der ging ja auf die Ludwig-Povel-Schule. Als Wille sein Rad durch das Eingangstor zum Schulhof des Stadtring-Gymnasiums schob, wanderte sein Blick automatisch nach rechts. Dort standen Patrick, Lars und Ole oft unter den Arkaden. Meist rauchten sie noch eine Zigarette, obwohl es auf dem Schulhof eigentlich verboten war. Aber kein Lehrer rechnete damit, dass Schüler so dreist waren, ausgerechnet direkt unter den Arkaden zu rauchen. Und richtig, jetzt standen sie wieder da und hatten Wille sofort gesehen. Er merkte es an ihrem Grinsen. Das Einfachste wäre, quer über den Schulhof zu gehen, um den Gebäudeeingang auf der anderen Seite zu benutzen. Zum Glück traf er am Fahrradständer Daniel, mit dem er in der Schule am engsten befreundet war.

„Hey, Daniel, alles klar bei dir?“, grüßte ihn Wille und warf immer wieder einen Blick in Richtung Arkaden.

„Ja, alles im Lot. Was ist los, du schielst immer so nach hinten?“

„Ach, nichts eigentlich. Hatte nur gestern im Freibad etwas Ärger mit den drei Vollpfosten aus der 9b.“

„Warum?“

Wille winkte ab. „Nicht weiter tragisch. Andy hat mir geholfen, aber jetzt glotzen sie so komisch.“

„Am besten du beachtest sie nicht, die machen doch allen gerne Stress, nicht nur dir.“

Wille war froh, dass Daniel ihn sofort verstand. Sie gingen zusammen zum Nordeingang, ohne dass die drei ihnen folgten. Für Wille war damit die Angelegenheit erledigt. Die erste Stunde ging an ihm völlig vorbei. Eigentlich war Mathe bei Herrn Diepmann eine coole Sache. Wille mochte ihn, denn er war nicht so trocken wie die meisten anderen Lehrer und trotz seines Alters ein ziemlich witziger Typ. Diepmann war für Wille der erste Lehrer, der es schaffte, Mathe so zu erklären, dass es spannend war und man wirklich etwas verstand. Sie rechneten nicht ohne Sinn und Verstand, sondern beschäftigten sich mit Themen, die sie im Alltag gebrauchen konnten. Einmal hatten sie zum Beispiel ausgerechnet, wie ein optimaler Handytarif aussehen könnte. Und immer wenn sie ein Thema beendet hatten, gab es Musik. Diepmann nannte es den Abschlussblues. Er spielte Mundharmonika und trug Strophen vor, die mit den Matheprojekten zu tun hatten und bei denen die Schülerinnen und Schüler mitsingen und auch eigene Texte erfinden konnten.

Aber heute schweiften Willes Gedanken ständig ab. Immer wieder überlegte er, was er die Frau fragen könnte, die das Ungeheuer im Vechtesee gesehen haben wollte. Endlich war die Stunde vorbei, Wille stand auf und zog sein Handy aus der Tasche.

„Was war los mit dir, Junge?“, wollte Herr Diepmann wissen, als er an seinem Pult vorbeiging.

„Wieso?“ Wille antwortete, wie Schüler eben antworteten, wenn ein Lehrer fragte, was los sei.

„Komm, du weißt genau, was ich meine“, lächelte Herr Diepmann, „du warst mit deinen Gedanken überall, nur nicht bei Mathe.“

„Kann schon sein“, knurrte Wille, „aber ich muss jetzt auf die Toilette.“ Er wusste, dass seine Tante Schichtpause hatte, deshalb war die Gelegenheit für einen Anruf günstig. Da durfte auch Herr Diepmann ihn nicht aufhalten. Der schüttelte zwar den Kopf, ließ ihn aber gehen. Als erfahrener Lehrer wusste er genau, dass es nichts nützen würde, Wille weiter zur Rede zu stellen.

Noch während Wille die langen Schulflure und das Treppenhaus durchquerte, wählte er die Handynummer seiner Tante. „Hey, Wille, du Strietzel“, begrüßte sie ihn lachend, „hast lang nichts mehr von dir hören lassen.“ Strietzel nannte sie ihn schon, solange er denken konnte, denn Wille liebte den österreichischen Topfkuchen, Strietzel genannt, den niemand so großartig backen konnte wie sie.

„Hey, Tante Ines, stimmt, wird wirklich Zeit, dass ich mal wieder deinen Kuchen esse. Aber jetzt habe ich eine Frage: Kannst du mir sagen, auf welcher Station diese Frau liegt, die das Ungeheuer im Vechtesee gesehen hat?“ Für einen Moment war es still am anderen Ende der Leitung. „Tante Ines? Bist du noch dran?“ Wille war irritiert.

„Ja, ich bin noch dran.“ Tante Ines’ Stimme klang anders als zuvor, sie schien verärgert zu sein. „Was habt ihr alle mit dieser armen Frau?“, fauchte sie. „Du bist jetzt schon der Dritte, der wissen will, wo sie liegt.“

Wille runzelte die Stirn. „Wer wollte das denn noch wissen?“

„Das erzähle ich dir ganz bestimmt nicht. Aber was willst du von der Patientin?“

„Eigentlich nichts“, stotterte Wille, „nur ein bisschen mit ihr reden.“

„Einfach nur mit ihr reden? Wem willst du das denn erzählen? Ich kenn dich doch, du willst dich schon wieder in Sachen einmischen, die dich nichts angehen“, schnaubte Tante Ines so laut, dass Wille sein Handy leicht von seinem Ohr weghalten musste.

„Warum schreist du denn so, Tante Ines, ich bin doch nicht taub, mir wäre beinahe mein Ohr abgefallen.“

„Na und? Das geschieht dir recht.“ Sie sprach wieder in normalem Tonfall. Wille merkte sofort, sie würde sich nicht weiter weigern, ihm den Namen zu verraten. Da konnte er sich auf seine Tante immer verlassen. Sie war eigentlich stolz auf ihn und seine Detektivarbeit, obwohl sie sich immer Sorgen machte, wenn er zusammen mit Andy auf Verbrecherjagd ging.

„Also gut, sie liegt auf Station 4, Zimmer 392. Aber von mir weißt du das nicht. Und lass die Frau danach wieder in Ruhe, hörst du?“

„Klar, Tante Ines, kein Problem, demnächst komme ich auch mal wieder bei dir vorbei.“ Dann legte er auf.

Was jetzt? Sollte er die letzte Stunde noch in der Schule bleiben oder sofort zum Krankenhaus fahren? Eigentlich war Schwänzen nicht sein Ding, aber in diesem Fall gab es zwei Gründe, es doch zu tun. Einmal war er total neugierig, was diese Frau ihm über das Ungeheuer erzählen würde, zum anderen war er ja offensichtlich nicht der Erste, der das von ihr wissen wollte. Und wenn schon andere bei ihr gewesen waren, hatten sie einen Ermittlungsvorsprung und das ging gar nicht.

Entschlossen lief er zu seinem Fahrrad und wollte gerade aufsteigen, als ihm jemand auf die Schulter tippte. Wille drehte sich um und sah in das grinsende Gesicht von Patrick. Lars und Ole standen hinter ihm und grinsten genauso blöd. „Wohin denn so eilig? Hat Muttis Liebling nicht noch Unterricht? Was sie wohl sagen wird, wenn er einfach so die Schule schwänzt?“

„Wer sagt denn, dass ich die Schule schwänze?“, antwortete Wille. „Mir ist einfach nur schlecht. Und wenn ich in eure Hackfressen sehe, könnte ich sowieso sofort kotzen.“

Patrick grinste jetzt nicht mehr und holte zu einem Faustschlag in Willes Magengrube aus, der ihn zusammensacken ließ. „So, jetzt hast du Grund zum Kotzen!“

Während Wille sich wieder aufrappelte und versuchte, den Schmerz zu beherrschen, sah er sich Hilfe suchend um. Irgendwo musste doch die Pausenaufsicht sein.

„Suchst wohl jemanden, der dich beschützen kann, Muttersöhnchen, was?“, stieß Lars hervor.

Ole, der Wille jetzt direkt gegenüberstand, fügte böse hinzu: „Die Aufsicht ist weg. War Herfort, du weißt doch, der geht immer ins Lehrerzimmer zurück, bevor die Pause zu Ende ist. Da hast du jetzt wohl Pech gehabt.“ Ole wollte Wille ebenfalls einen Schlag versetzen, doch er kam nicht mehr dazu. Plötzlich sackte er zusammen, als hätte jemand bei ihm den Stöpsel gezogen und die Luft herausgelassen. Und dieser Jemand war Andy, der Ole von hinten in die Kniekehlen getreten hatte.

„Ihr seid vielleicht Penner!“, schrie er. „Drei gegen einen, das schafft ihr, was?“

Wille huschte ein Lächeln über das Gesicht. Mit Andy hatte er nicht gerechnet. Sofort kam sein Mut zurück, jetzt würden sie es den drei Krawallmachern zeigen. „Mann, Andy, wo kommst du denn her?“, rief er. Sein Schmerz war wie weggeblasen, Andy war wie ein schnell wirkendes Medikament.

„Bei uns sind zwei Stunden ausgefallen, da dachte ich, ich komme dich mal besuchen.“ Er stellte sich neben Wille und ballte die Fäuste. „So, Jungs, was ist, wollt ihr noch was?“

„Im Moment nicht“, meinte Patrick, während er Ole half aufzustehen, „aber fertig sind wir mit euch noch nicht!“ Dann zogen sich die drei zurück.

„Und schön aufpassen im Unterricht!“, rief Wille ihnen noch nach. Patricks Stinkefinger war fast wie eine Auszeichnung.

„Gut, was fangen wir zwei Supermänner jetzt mit der gewonnenen Freizeit an?“, fragte Andy. „Wenn ich das richtig sehe, wolltest du gerade die Schule schwänzen, oder?“

„Quatsch, wofür hältst du mich? Ich wollte nur wegen dringender Geschäfte die beiden letzten Stunden abhängen. Ich weiß jetzt, wo die Frau liegt, ich habe mit meiner Tante gesprochen.“

„Das trifft sich ja gut, dann können wir zusammen einen Krankenbesuch machen.“

Wille und das Ungeheuer vom Vechtesee

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