Читать книгу Die Hexe Rixt van het Oerd - Mathias Meyer-Langenhoff - Страница 10

Das Wiedersehen

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Während unsere Eltern schon ins Restaurant gingen, hielten Meike und ich am Anleger nach der Fähre Ausschau. Bei klarem Wetter entdeckten wir sie manchmal schon am Horizont – noch klein wie eine Nussschale. Aber jetzt sahen wir nichts, deshalb folgten wir Mama und Papa ins Hafenrestaurant. Dort konnten wir warten und durch riesige Fensterscheiben aufs Meer schauen.

Als ich die schwere Glastür öffnete, sah ich auf den ersten Blick, dass sie unsere Freunde schon getroffen hatten. In der hinteren Ecke herrschte großer Trubel. Unsere Eltern begrüßten gerade die Münstermänner. Marlies, Rainer und ihre Kinder Paula, Lara und Oliver wohnten in Coesfeld, eine kleine Stadt in der Nähe der holländischen Grenze. Paula war 13 und meine beste Freundin.

„Hi, Hannah!“ Sofort steuerte sie auf mich zu. „Ich muss dir unbedingt was erzählen!“

„Lass mich raten“, antwortete ich, „es geht um deine Clique?“

„Genau, Schlaumeierin, hab’ ich dir davon schon geschrieben? Ach ja. ... Aber jetzt pass auf! Das Neueste ist, eine aus meiner Clique, Tine, hat ein Piercing am Bauchnabel, das sieht sooo geil aus!“

„Echt jetzt? Lässt du dir auch eins machen?“

Paula verdrehte die Augen und deutete auf ihren Vater. „Er will nicht. Als ich gefragt habe, ist er fast ausgeflippt.“

„Das tut doch auch weh, ich hätte viel zu viel Angst.“

„Tine fand’s gar nicht so schlimm, nach zwei Tagen hat sie nichts mehr davon gemerkt“, entgegnete Paula.

Paula und ich sahen uns eigentlich nur in den Ferien, aber wir schrieben uns viel übers Handy. Deshalb wusste ich auch einiges über ihre Clique. Tine und die anderen Mädchen waren fast alle ein oder zwei Jahre älter. Vielleicht zog sich Paula auch deshalb ganz anders an als ich. Sie trug zum Beispiel fast bei jedem Wetter bauchnabelfreie T-Shirts.

„Und was ist mit mir?“ Am Tisch saß Paulas Schwester Lara und strahlte mich an. Sie war 12, so wie ich. So stark wie sie war kein anderes Mädchen, das ich kannte. Wie immer war sie braun gebrannt.

„Du weißt doch, dass du mir egal bist!“ Ich ging lachend auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Backe. „Wie viele Hanteln hast du wieder gestemmt?“

„Keine Ahnung“, strahlte sie. „Aber letzte Woche hab’ ich die 50-Meter-Strecke gewonnen.“ Sie ballte triumphierend ihre Faust. Lara war Wettkampfschwimmerin.

Oliver schien unterwegs zu sein. Wahrscheinlich unternahm er mal wieder eine seiner berühmten Entdeckungstouren. Olli, wie Paula und Lara ihn nannten, sprühte vor Ideen. Er war extrem neugierig mit seinen acht Jahren. Mama hielt ihn für einen ziemlichen Chaoten, aber ich fand, er hatte eigentlich super Einfälle, nur übertrieb er’s manchmal.

„Wat leuk, jij bent ook weer hier!“, rief Rainer in seinem komischen Holländisch und klopfte mir mit seiner riesengroßen Pranke auf die Schultern. Er sah mit seinem dicken Bauch und den beharrten Armen aus wie ein großer Bär. „Bist du denn jetzt endlich getauft?“, wollte er wissen.

„Bis jetzt noch nicht“, antwortete ich etwas genervt, denn er stellte diese Frage oft. Rainer wollte Papa unbedingt davon überzeugen, uns religiös zu erziehen.

Auch Marlies begrüßte mich. „Wie geht es dir, Hannah?“

„Super, ich freu’ mich total auf die Ferien“, antwortete ich lachend.

Erst jetzt sah ich die Franzens. Pit und Hanjo beschäftigten sich gerade mit einer leeren Cola-Dose, die sie sich gegenseitig zuwarfen. „Ihr seid mal wieder die Letzten!“, nörgelte der dünne Pit. „Ich sitze mir hier schon seit einer Stunde den Hintern platt. Geht ihr gleich mit nach draußen?“ Er war so alt wie ich und begeisterter Fußballfan. „Ich habe voll viel trainiert zu Hause, wetten, dass ich es dieses Jahr schaffe, den Ball dreißig Mal auf dem Fuß zu jonglieren?“

„Lass gut sein, Ronaldo“, grinste Hanjo. „Das wird sowieso nichts.“ Dabei blinzelte er wie immer durch seine kleine Brille.

„Wie war die Reise, Professor?“, fragte ich.

Er verdrehte die Augen. „Jetzt geht das schon wieder los!“ Damit ärgerte ich ihn gerne. Er ging in die achte Klasse und war ein bisschen dick. Hanjo hasste es, Professor genannt zu werden. Seiner Meinung nach redete ein Professor nur über Sachen, die kein Mensch verstand.

Seine Mutter Heike lächelte. „Das Necken scheint ja schon wieder Spaß zu machen. Ich hoffe, es bleibt auch dabei und wird zwischen euch nicht wieder zu einem Krach.“

„Keine Angst, Heike, diesmal kriegen wir das schon hin!“, antwortete ich. Gleichzeitig dachte ich: „So sicher bin ich mir da gar nicht!“

„Könnt ihr euch übrigens noch an das Deichwettrutschen erinnern? Für dieses Jahr habe ich schon eine neue Idee, wenn das Wetter schlecht ist“, meinte sie.

„Und was für eine?“ Neugierig sah ich Heike an.

„Das wird noch nicht verraten, sonst ist es ja keine Überraschung mehr!“

Letztes Jahr, nach drei Tagen Dauerregen, war unsere Laune ziemlich im Keller. Da schlug sie vor, wir sollten unsere Regenhosen anziehen und vom Deich rutschen. Es war so glatt wie auf einer Rodelbahn. Solche Ideen hatte nur Heike.

Als ich an ihr herunterschaute, bekam ich große Augen.

„Ist was mit mir?“, fragte sie verwundert.

„Klar ist was mit dir, Mama!“, rief Katja. „Ihr fallen deine neuen, eleganten Schuhe auf!“ Heike trug trotz des schönen Wetters knallgelbe, große Gummistiefel, die bei jedem Schritt auf dem Fliesenboden des Restaurants quietschten. Ich musste lachen. Wahrscheinlich hatte sie die Dinger von einem Flohmarkt. Sie ging da öfter einkaufen. Die Sachen passten ihr zwar nicht immer hundertprozentig, aber sie waren echt cool. Auch Katja grinste. Sie war schon 14 und bestimmt einen Meter fünfundsiebzig groß. Wahrscheinlich hatte sie das von ihrem Vater Uli. Der konnte durch keine Tür gehen, ohne sich zu bücken, glaubte ich.

„Guckt mal, die Fähre kommt!“, rief Olli, der wieder aufgetaucht war. „Endlich!“

Pit sprang auf und rannte nach draußen zum Anleger. Wir liefen hinterher. Überall auf dem großen, weißen Schiff standen Menschen. „Die Armen“, sagte er, „die müssen bestimmt schon bald wieder arbeiten oder in die Schule.“

„Hör bloß auf mit der Schule!“, meinte Paula naserümpfend, „die steht mir bis hier! Unser Klassenlehrer hat uns bis zum Schluss noch mit Vokabeln und Tests genervt.“

„Unser war auch nicht besser!“ Hanjo nickte verständnisvoll. „Wisst ihr was? Ich habe eine Idee. Morgen oder so fahren wir nach Buren. Da gibt’s ein kleines Museum. Ich wollte letztes Jahr schon mit Papa hin, aber da haben wir es nicht mehr geschafft.“

„Was soll denn das?“, nörgelte Pit. „Davon hast du im Auto aber nichts erzählt. In den Ferien in ein Museum? Ist doch ätzend!“

„Weißt du doch gar nicht, ich hab’ gelesen, das soll ganz interessant sein. Da gibt’s nämlich was über eine Strandräuberin, die eine Art Hexe gewesen sein soll.“

Meine Schwester war sofort begeistert. „Tolle Idee, die will ich auch sehen!“, rief sie mit strahlenden Augen.

Plötzlich standen unsere Eltern hinter uns. „Los, ab mit euch in die Autos, wir müssen gleich auf die Fähre!“, rief Heike.

Kurze Zeit später waren wir an Bord. Vom Bug aus beobachteten wir die Abfahrt. Am Ufer wurden die schweren Taue gelöst. Die großen Maschinen ließen das Schiff erzittern und bewegten es ganz langsam rückwärts. Ich schaute in das brodelnde Wasser. Nachdem es sich weit genug vom Anleger entfernt hatte, stoppte es, drehte die Nase in Richtung Ameland und begann, immer schneller Fahrt aufzunehmen.

Mit Lara und Katja lief ich über das Sonnendeck. „Wie viele Menschen wohl auf so einer Fähre mitfahren können?“, überlegte Katja laut.

„Hm, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Aber vielleicht können wir’s herausbekommen“, sagte ich.

„Super Idee“, meinte Lara. „Wir gehen nach oben und fragen einfach den Kapitän auf der Brücke.“

„Quatsch, das geht nicht, der ist doch beschäftigt.“ Katja runzelte die Stirn, ließ sich aber trotzdem überreden. Wir drängten uns an den Menschen vorbei nach oben. „Und wie sollen wir jetzt weiterkommen?“, fragte sie nach der Hälfte des Weges. „Die Kapitänsbrücke ist ja noch höher.“

Wir blieben stehen und schauten uns um, ob eine Treppe weiter nach oben führte. Dabei fielen mir zwei Männer auf, die irgendwie anders aussahen als die meisten hier. „Guck mal!“, flüsterte ich Katja zu. „Der hat eine echt komische Frisur.“

„Wieso?“

„Auf dem Kopf ganz kurz und hinten im Nacken fallen ihm die Haare fast bis auf die Schultern.“

Sie sah ihn genauer an. „Stimmt, der sieht nicht besonders nett aus. Und diese große Narbe auf der Backe, echt unheimlich.“

Der Mann war muskulös und groß, seine Arme, die er vor der Brust verschränkte, erschienen mir so dick wie Papas Beine.

„Wisst ihr, woran der andere mich erinnert?“, fragte Lara.

„Keine Ahnung.“

„An eine Kugel auf zwei Beinen, der ist ja nur klein, dick und rund“, kicherte sie.

Der Typ trug eine schwarze Sonnenbrille, einen hellen Anzug und einen großen Hut und redete andauernd auf den Großen ein. Außerdem wuchs ihm ein buschiger, schwarzer Schnauzbart unter der Nase.

„Der sieht aus wie ein Walross“, staunte Katja. „Was sind denn das für Typen? Los, mal hören, worüber die sich unterhalten!“ Sofort steuerte Lara auf die beiden Männer zu. Den Besuch auf der Kapitänsbrücke hatte sie vergessen. Wir gingen hinterher und stellten uns unauffällig zu ihnen an die Reling.

Der Dicke redete immer noch wild gestikulierend auf den anderen ein. „Was glaubst du eigentlich, warum wir hier sind? Du kannst doch auf dieser Scheißinsel keinen Urlaub machen. Wir müssen die Figur wieder auftreiben. Und wenn du nicht spurst, mein Lieber, werde ich auf der Stelle zum Handy greifen und unserem Auftraggeber sagen, dass du aussteigst!“ Seine Stimme überschlug sich fast. „Mir reicht es wirklich, ich will endlich die Kohle sehen, noch einmal lass ich mich nicht so abspeisen. Und wenn wir die ganze Insel umgraben müssen, um das verfluchte Ding wiederzufinden.“

Der mit dem langen Nackenhaar nickte und antwortete mit tiefer Stimme: „Ja, ja, Walter, ist gut, du hast recht. Wir machen es so, wie du sagst. Aber jetzt lass uns noch schnell einen dieser Marzipankuchen kaufen, dafür könnte ich sterben!“

„Vielleicht eher als dir lieb ist“, grummelte der Dicke drohend. Dann gingen sie unter Deck zur Schiffscafeteria.

„Was war denn das? Die zwei haben doch irgendwas Merkwürdiges vor!“ Lara wollte sofort hinter ihnen her.

„Stopp!“, rief ich. „Das geht nicht. Die merken, wenn wir sie schon wieder belauschen!“

„Stimmt.“ Katja nickte. „Ich glaube, es ist besser, wir erzählen erst mal den anderen davon.“

Wir wollten sie gerade suchen, da hörten wir auf Holländisch eine Durchsage: „Wir werden in wenigen Minuten Ameland erreichen, bitte begeben Sie sich in ihre Kraftfahrzeuge!“

Mama und Papa kamen uns zusammen mit den Franzens und Münstermännern entgegen. „Wir haben euch gesucht. Ihr könnt doch nicht einfach verschwinden!“ Mama machte sich manchmal etwas zu viele Sorgen. Schließlich konnte man auf dem Schiff nicht weglaufen und außerdem fuhren wir ja nicht das erste Mal nach Ameland. Wir gingen zu unseren Autos.

„Am besten treffen wir uns nachher am Strand!“, rief Katja.

Ich nickte und stieg ein.

Meike saß schon auf ihrem Platz. „Wo seid ihr gewesen?“, fragte sie neugierig.

„Das erzähle ich dir später“, antwortete ich und sah sie dabei durchdringend an, damit sie mich jetzt nicht mit Fragen löcherte.

Mama und Papa sollten von unserer Beobachtung nämlich nichts mitbekommen. Zu meinem Erstaunen verstand sie mich und schwieg. Vorne öffnete sich die Bugklappe der Fähre, die Autos wurden gestartet, jeden Augenblick konnte es losgehen. Endlich kamen wir an die Reihe.

Wie immer fuhren wir nach Hollum, dem größten Ort auf Ameland im Westen der Insel. Schon die Fahrt auf der kleinen Inselstraße war unser erstes Urlaubserlebnis. Wir freuten uns auf unseren Huckel kurz vor Ballum, eine kleine Erhöhung auf der Straße. Meist saß Papa dieses letzte Stück am Steuer.

„Achtung, jetzt!“ Er beschleunigte, damit wir das Gefühl hatten, mit dem Auto etwas zu fliegen.

„Hüüüüüüüüpp!“, riefen wir im Chor, hoben ab und hatten die Erhöhung einen Augenblick später hinter uns. Dann folgte seine Standardfrage: „Seht ihr eigentlich schon den Leuchtturm?“

„Da vorne, auf der linken Seite!“, rief Meike. Sie hatte wie immer den Leuchtturmsuchwettbewerb gewonnen und damit das erste Eis der Sommerferien.

Schließlich erreichten wir die Ortseinfahrt von Hollum und kamen an dem Backfischgeschäft vorbei. Sofort stieg mir der würzige Geruch in die Nase. Das Rettungsbootmuseum auf der anderen Seite lag still im Sonnenlicht. Wir fuhren um den Ortskern herum zu unserem Ferienhaus. An der alten Kirche stellten wir unser Auto ab und gingen zum Haus unserer Vermieter.

Die Hexe Rixt van het Oerd

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