Читать книгу Petrus Canisius - Mathias Moosbrugger - Страница 13
ОглавлениеWas dann passierte, könnte man sich nicht symbolträchtiger vorstellen: So wie der rebellische Teenager Peter Kanis Schritt für Schritt aus den Plänen seines Vaters verschwand, so verschwand schließlich auch der noch nicht zehnjährige Bub Peter Kanis aus dem Familienbild auf dem Nimwegener Flügelaltar. Er wurde etwa um 1580 herum übermalt mit seinem Halbbruder Gerit Kanis, dessen Lebensweg mehr nach dem Geschmack Jacobs war und der nach dem Tod des Vaters zum Oberhaupt der Familie werden und ihn viel später auch noch als Bürgermeister von Nimwegen beerben sollte. Wer diese massive Retusche am Flügelaltar in die Wege geleitet hat, wissen wir nicht. Genauso wenig wissen wir, ob sich Peter davon getroffen fühlte, dass man ihn aus dem Doppelporträt mit seinem Vater quasi ausradiert hatte (oder ob er vielleicht sogar erleichtert war). Als Jacob im Dezember 1543 im Sterben lag, war er aber jedenfalls sofort nach Nimwegen aufgebrochen. Er hatte seinen lange gesuchten geistlichen Weg jenseits der väterlichen Welt kaum mehr als ein halbes Jahr zuvor endlich gefunden. Im Mai war er zum ersten Mitglied der Gesellschaft Jesu aus dem römisch-deutschen Reich geworden. In seinen zahlreichen Briefen und vielfältigen anderen Schriften gibt es keinen Hinweis, wie sich Petrus Canisius angesichts des Todes des Vaters gefühlt haben mag. Allerdings gab er etwa ein Vierteljahrhundert später in seinen Bekenntnissen eine gewisse Furcht um das Seelenheil des Vaters zu Protokoll, der „viele Fehler begangen und manches nicht gesühnt hat“36. Ein anderer seiner Halbbrüder, Derick Canisius, der auch Jesuit geworden war, erinnerte sich viel später jedoch daran, dass Peter diesem Problem unmittelbar am Totenbett des Vaters auf seine typische Art begegnet war: Er bat „nach dem Tode seines Vaters die ganze Nacht unter vielen Tränen Gott […], seinem Vater Verzeihung und Frieden zu schenken. Und Gott, der Vater der Erbarmungen hörte seine kindlichen Seufzer und tat Canisius kund, daß sein Vater und seine Mutter im Himmel seien.“37
Einen vielleicht noch intimeren – und biographisch versöhnlicheren – Einblick in das komplizierte Vater-Sohn-Verhältnis als diese sehr fromme Erinnerung bietet das, was Petrus Canisius selbst etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später in seinem letzten Lebensjahr an seinen Neffen schrieb: „Mach deinem Namen Jakobus keine Schande; du hast dir ja mit diesem Namen das Leben meines Vaters zum Vorbild genommen, und du weißt wohl, welch seltene und hervorragende Fähigkeiten er hatte.“38 Die Befreiung aus der väterlichen Welt hatte seinen Traum von einem geistlichen Leben überhaupt erst möglich gemacht. Aber trotzdem blieb er bis zu seinem Tod mit spürbarem Stolz der Sohn des Jacob Kanis, der sich nicht nur unermüdlich um seine eigene Karriere gesorgt hatte, sondern genauso unermüdlich (wenn auch erfolglos) auch um die Karriere seines Sohnes.
Das Bild des jungen Peter Kanis auf dem Nimwegener Flügelaltar wurde erst bei einer Restaurierung im Jahr 1988 hinter der nachträglichen Übermalung wieder freigelegt, nachdem es kurz zuvor mit Hilfe von Röntgenstrahlen dort wiederentdeckt worden war. Der Altar wird heute in dieser ursprünglichen Form im Stadtmuseum von Nimwegen aufbewahrt.39 Erst seit damals blickt dieser noch nicht zehnjährige Bub mit seinem versonnenen Blick wieder in eine ihm noch weitgehend unbekannte Welt hinein – eine Welt, die er als Erwachsener vor allem auf religiöser Ebene wie kaum einer seiner Zeitgenossen im religiös höchst turbulenten 16. Jahrhundert mitgestaltet hat. Dazu musste er aber aus der väterlichen Welt von Nimwegen ausbrechen und nach neuen Welten Ausschau halten.