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1. Rechtsschutz der Gemeinde
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Gerichtlichen Rechtsschutz kann die Gemeinde bei Beeinträchtigungen ihrer materiellen und verfahrensmäßigen Rechte sowohl gegenüber staatlichen Instanzen als auch gegenüber Privaten in Anspruch nehmen, da die Gemeinden nicht nur Träger öffentlicher Interessen sind. Sie können vielmehr in dieser Eigenschaft auch Träger eigener Rechte sein. Sie können darüber hinaus das Wohl der Allgemeinheit verteidigen, soweit dieses durch ihre Selbstverwaltungsbefugnisse qualifiziert ist[77].
Vgl zur kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Ingerenzen unten Rn 84 ff; zur Klage gegen aufsichtsbehördliche Eingriffe und auf Erteilung aufsichtsbehördlicher Genehmigungen unten Rn 363 ff; zum kommunalen Namensschutz gegenüber Privaten s.o. Rn 16.
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Soweit Entscheidungen anderer Verwaltungsträger in einzelnen Verwaltungsverfahren materielle kommunale Rechtspositionen beeinträchtigen, können die Kommunen sich konsequenterweise auch hiergegen vor den Verwaltungsgerichten wehren[78]. So bedarf es einer gemeindenachbarlichen Abstimmung gemäß § 2 II BauGB bereits dann, wenn unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde in Betracht kommen. Anders als für die rechtliche Betroffenheit einer Gemeinde durch eine Fachplanung ist hierfür nicht Voraussetzung, dass eine bereits hinreichend bestimmte Planung der Nachbargemeinde nachhaltig gestört wird oder dass wesentliche Teile von deren Gebiet einer durchsetzbaren Planung entzogen werden (BVerwG, DÖV 1995, 820; s. auch Rn 900).
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Den betroffenen Gemeinden steht in solchen Situationen zum einen – verfahrensrechtlich – ein Recht auf Beteiligung an dem betreffenden Verwaltungsverfahren
Beispiel:
Fernstraßenrechtliches Planfeststellungsverfahren (§ 17 FStrG)
durch Anhörung sowie des Weiteren – materiellrechtlich – ein Anspruch darauf zu, dass der betreffende Planungsträger bei der Betätigung seines Planungsermessens die sich berechtigterweise auf das Selbstverwaltungsrecht stützenden kommunalen Belange (zu Planungskompetenzen unten Rn 55) nicht unberücksichtigt lässt[79].
Beispiele:
Den Belangen des Denkmalschutzes kommt gegenüber den Selbstverwaltungsbelangen einer Gemeinde kein genereller Vorrang zu. Die Denkmalschutzbehörde darf mithin ihre Zustimmung zu einem kommunalen Abbruchvorhaben nur versagen, wenn das Interesse an der Erhaltung des Kulturdenkmals gegenüber den durch die Selbstverwaltungsgarantie geschützten Belangen der Gemeinde im konkreten Fall überwiegt[80].
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Einer Gemeinde steht die Antragsbefugnis für eine gemäß § 47 I VwGO verfügbare verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 II 1 VwGO zu, sofern ihr Gemeindegebiet von einer RVO erfasst ist[81].
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Lösungshinweis zu Fall 1 (Rn 12):
Im Ausgangsfall, in dem es um die Genehmigung eines Müllheizkraftwerkes geht, können nicht nur einzelne Bürger für den Schutz ihrer Gesundheit streiten[82], sondern auch kommunale Körperschaften sind insoweit klagebefugt. Dies zwar nicht treuhänderisch zum Schutz ihrer Einwohner vor potenziellen Gefahren[83], wohl aber zur Sicherung ihrer in der Selbstverwaltungsgarantie wurzelnden und darum wehrfähigen Rechte (dazu im Einzelnen noch unten Rn 55 f), etwa mit Blick auf ihre Planungsbefugnisse oder ihre Versorgungsaufgaben (Trinkwasser u.Ä.)[84]. Soweit daher der Kreis K und die kreisfreie Stadt S unter einem solchen Gesichtspunkt jeweils eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts geltend machen können, ist ihre Klagebefugnis für eine gegen die Genehmigungsbehörde gerichtete Anfechtungsklage (begünstigender VA gegenüber E mit belastender Drittwirkung) zu bejahen.
Auch die Gemeinde G, auf deren Gebiet das Müllheizkraftwerk errichtet werden soll, ist klagebefugt. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass G während des Genehmigungsverfahrens keine Einwendungen erhoben hat. Bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2017 wäre G aus diesem Grund nach den besonderen immissionsschutzrechtlichen Verfahrensvorschriften (§ 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG), die mit ihren umfänglichen Beteiligungs- und Anhörungsrechten für Dritte zum einen den Rechtsschutz vorverlegen und intensivieren, zum anderen aber mit Rücksicht auf die Vielzahl der Verfahrensbeteiligten und der zu berücksichtigenden Sachkriterien auf eine verstärkte Verfahrenskonzentration abzielen, wegen der nicht fristgerechten Erhebung ihrer Einwendungen im Verwaltungsverfahren mit diesen Einwendungen auch vor Gericht ausgeschlossen gewesen (Gedanke der materiellen Präklusion)[85]. Die Vorschrift wurde aufgrund der präklusionsverneinenden Rechtsprechung von EuGH und BVerwG[86] inzwischen jedoch dahingehend angepasst, dass Einwendungen nur „für das Genehmigungsverfahren“ ausgeschlossen sind. Mithin wäre auch eine Klage der G nicht materiell präkludiert, sondern zulässig.
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Die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung – eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie (unten Rn 49), kein Grundrecht – ist als „Recht“ iSv § 42 II VwGO anerkannt[87]. Daher hat die Gemeinde etwa die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage unter Berufung auf ihre Planungshoheit (dazu unten Rn 57), wenn die einem anderen Rechtsträger angehörende Widerspruchsbehörde unter Aufhebung eines ablehnenden gemeindlichen Bescheids ein Vorhaben zulässt. Die Klage hat Erfolg, wenn von den planerischen Festsetzungen der Gemeinde ohne Rechtfertigung abgewichen wurde[88].
Bei einer Berufung auf einfachgesetzliche Bestimmungen kommt es darauf an, ob die betreffende Norm zumindest auch den Schutz von Kommunen im Auge hat. So sollten laut OVG Rh.Pf., NVwZ 1989, 983 f = AS 22, 295 (296) gesetzlich festgelegte Ziele der Landesplanung ausnahmsweise dem Schutz der Interessen einzelner Gemeinden dienen und Abwehrrechte gegenüber der Bauleitplanung benachbarter Gemeinden begründen können, etwa bei Ausweisung als sog. Mittelzentrum in einem Landesentwicklungsprogramm gegenüber einem Einkaufszentrum in einer Nachbargemeinde ohne zentralörtliche Funktion[89]. Wehrfähig kann auch eine unter dem Schutz der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinde stehende materielle Rechtsposition sein[90].
Die Klagebefugnis gemäß § 42 II VwGO kann einer Gemeinde auch zustehen, wenn sie durch einen gegen einen Privaten gerichteten Bescheid einer Widerspruchsbehörde unmittelbar in ihrer Finanzhoheit (s. unten Rn 56) betroffen ist[91]. Eine Gemeinde kann aber nicht etwa verwaltungsgerichtlich überprüfen lassen, ob Eingriffe in auf einem Bahngelände entstandene Biotopflächen im Rahmen eines eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahrens (vgl § 18 AEG) einen naturschutzrechtlichen Kompensationsbedarf auslösen. Lediglich das allgemeine Interesse, das Gemeindegebiet vor einem Vorhaben der Fachplanung zu verschonen, reicht für die Geltendmachung einer Verletzung der Planungshoheit nicht aus[92].