Читать книгу Ach Du liebe Anthroposophie - Mathias Wais - Страница 9
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ОглавлениеLiebe Anthroposophie,
Steiner scheint der Auffassung gewesen zu sein, Du seist ein richtiges Wesen, ähnlich wie ein Engel.
Das war so seine Art: Kräfte, Strömungen, Tendenzen waren in seiner Anschauung immer gleich wesenhaft, hatten ein Aussehen, einen Namen natürlich auch. Er pflegte eine Art spirituellen Animismus.
Mit Verlaub, ein krasses Beispiel sei erwähnt: Ich las einmal eine Aufzeichnung, er habe Ahriman, den er als eine Personifizierung bösartiger Kräfte sah, herbeigezwungen, um ihm Modell zu sitzen für ein Porträt. Da musste ich doch schmunzeln und dachte: „Da sind die Gäule mit ihm durchgegangen.“ Aber so war er eben. Immer sehr konkret. Ich bin übrigens sicher, dass er sie so erlebt hat, wie er sie beschrieb, diese skurrile Ahriman-Sitzung.
Aber heißt das, dass diese kleine Ahriman-Episode Teil von Dir, der Anthroposophie, ist? Grundsätzlich gefragt: Was Steiner an der geistigen Welt erlebt hat, wie er es erlebt, wie er es geschaut hat und wie er es in Vorträgen und Schriften übermittelt hat – bist Du das? Oder gehören die Schriften und Vorträge seiner Anhänger auch zu Dir? Oder auch durch Steiner und erste Schüler impulsierte Unternehmungen wie heilpädagogische Einrichtungen, pharmazeutische und landwirtschaftliche Initiativen oder Forschungen, von denen manche erst nach seinem Tod entstanden sind?
Steiner hat am Goetheanum für die Anthroposophische Gesellschaft auch eine Hochschule gegründet. Wenn man dort Mitglied des inneren Zirkels ist, der „Klasse“, dann soll man „Repräsentant der Anthroposophie“ sein, so heißt es. Fühlst Du Dich wohl, bei all’ diesen Repräsentanten von Dir? Wie zu hören ist, ist dieser Anspruch manchem zu viel und zu unklar. Dann tritt er oder sie lieber wieder aus.
Wenn ich Steiners Vortragsmitschriften ansehe, dann nehme ich vieles dankbar entgegen, verstehe manches auch sofort und frage mich oft, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Anderes bleibt fremd wie etwa seine Schilderung der Erdenkreisläufe, große Erzählungen darüber, wie sich Erde und Kosmos entwickelt haben. Wieder anderes war mir nie von Bedeutung, zum Beispiel war die Frage, wie die Kabiren ausgesehen haben, für mich nie ein Thema. Hin und wieder hat Steiner sich wohl auch geirrt, jedenfalls nach heutigem Stand der Wissenschaften. Ein kleines Beispiel aus meinem eigenen frühen Arbeitsbereich, der Neuropsychologie: Laut Steiner hätten Rechtshänder das Sprachzentrum links, Linkshänder dagegen rechts, in der rechten Gehirnhälfte. Ersteres stimmt, Letzteres nicht. Fast alle Linkshänder haben zwei etwa gleichwertige, gleich starke Sprachzentren, eines in der linken Hemisphäre, eines in der rechten. (Weil die beiden Sprachzentren manchmal um den Zugang zur Sprech- beziehungsweise Schreibmotorik in Konkurrenz treten, kommt es zu Stottern und Legasthenie). Gewiss, dieser Irrtum ist eine Bagatelle, gemessen an Umfang und Tragweite des Gesamtwerkes. Und vielleicht meinte Steiner es gar nicht so anatomisch als vielmehr ätherisch, den Ätherleib betreffend.
Dennoch führte mich gerade diese Nebensächlichkeit dazu, mich mit Steiners Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu beschäftigen.