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Kapitel 5 DIE ERSCHAFFUNG VON »UPTOWN«

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Dez Dickerson glaubt, dass, obwohl Lisa Coleman als Musikerin viel mehr draufhatte, Prince Gayle Chapman auch deswegen in die Band geholt habe, weil sie jünger war: »Dieses Muster, Leute durch jüngere Musiker zu ersetzen, behielt er zumindest teilweise deswegen bei, weil Jüngere gefügiger waren.«1 Prince’ Interesse an jungen Mitarbeitern war ein Merkmal seiner gesamten Karriere, von 1981, als er den unveröffentlichten Song »She’s Just A Baby« aufnahm, der The Vault zufolge wohl durch seine Beziehung zu der 16-jährigen Susan Moonsie inspiriert wurde, bis 2011, als er mit der jungen Independent-Musikerin Andy Allo auf Tour ging.

Die dunklere Seite solcher Beziehungen ist offensichtlich, aber Prince wurde offenbar von Talent ebenso angezogen wie von Schönheit. Umso besser, wenn beides zusammenkam. Wie muss es gewesen sein, als die 19-jährige Lisa Coleman mit ihrer unfassbaren musikalischen Bandbreite und ihrem Können ins Leben des 21-Jährigen trat? Der Prince-Mythos ist so prägend, dass wir automatisch denken, welch glückliche Fügung es für jeden Musiker war, mit ihm arbeiten zu können, und seine frühen Alben sind tatsächlich Ein-Mann-Shows. Coleman war jedoch seine vielleicht wichtigste Partnerin und förderte seine musikalische Entwicklung von 1980 bis 1986, vor allem indem sie ihm klassische Musik und Piano-Jazz nahebrachte und ihm damit eine klangliche Palette eröffnete, mit der keiner seiner Rivalen mithalten konnte.

Als ich Coleman, eine charmante, bescheidene Frau, in Los Angeles traf, scheute sie keine Mühe, ihren Einfluss auf Prince kleinzureden. Sie räumte ein, ihn »in gewisser Weise« mit klassischer Musik in Berührung gebracht zu haben, meinte aber halb im Scherz, wirklich neidisch sei er auf ihr Auto gewesen. »Er betrachtete mich als Quelle für diese Art Musik, und manchmal bat er mich um ein paar Platten. Ich hatte ein tolles Auto, einen pinken Mercury, mit einer richtig coolen Anlage. Er borgte sich das Auto aus und fuhr damit spazieren. Ich hatte immer Klassikbänder dabei und Dionne Warwick und so was, und ja, wir wetteiferten miteinander. Um ihn zu beeindrucken, spielte ich, wenn er ›nicht zuhörte‹, Mozart auf dem Klavier. Ich brachte ihn auf viele Komponisten – Vaughan Williams, Mahler, Hindemith, Bill Evans und Claus Ogerman. Symbiosis. Das haute ihn um.«

Bald nachdem Lisa Coleman in sein Leben getreten war, schrieb Prince einen Song mit ihrem Namen. Coleman glaubt indes nicht, dass das unveröffentlichte (aber sehr beliebte) »Lisa« von ihr handelt: »Es gibt andere Mädels, die Lisa heißen«, und »es war nur ein Name, den er in einem Song verwendete«. Sie meint, »Lisa« sei bei einem Soundcheck aufgenommen worden. Ein Song, in dem es sicher um sie geht, ist das unveröffentlichte »Strange Way Of Saying I Love U«, den Prince nach einem Streit zwischen den beiden schrieb. »Ich ging aus dem Haus und war irgendwie schwermütig, und als ich abends heimkam, sagte er: ›Ich will dir was vorspielen.‹ Er war echt süß und nett und meinte: ›Tut mir leid, dass ich deine Gefühle verletzt habe.‹ Der Chorus lautet: ›I guess I have a strange way of saying I love you.‹ Ich sagte Danke, wir umarmten und küssten uns, und alles war okay. Der Song war auf jeden Fall für mich.«

*

Prince behielt seine kreative Vorgehensweise immer bei, sein steigendes Einkommen verschaffte ihm jedoch mehr Möglichkeiten. Von Anfang an nahm er zu Hause Demos auf, die er dann im Studio ausarbeitete, aber mit der neuen Band entstanden nun auch in den Sessions Songs. Matt Fink trug den Keyboard-Part zu »Dirty Mind« bei, das ihm zufolge aus einer Probe 1979 mit Gayle Chapman hervorging. Wie häufiger in den nächsten Jahren entstand der Song aus einem Jam, mit dem sich die Band zum Proben warm machte. Prince notierte die Akkorde, die Fink spielte, und meinte, er solle sie sich für später merken. Sie probten den Song bis Mitternacht. Als Fink gegangen war, arbeitete Prince schließlich weiter daran. Am nächsten Tag hatte er die Nummer fertig, die die Richtung des Albums vorgab.

Fink war überrascht, aber nicht beunruhigt über die Bildhaftigkeit des Albums, die in diesem Song ihren Ursprung hatte. Er fand das fertige Album »brillant«. Obwohl die Credits deutlich belegen, dass die Platte von Prince »produziert, arrangiert, komponiert und eingespielt« wurde – wobei »Dr. Fink« den Synthesizer zu »Dirty Mind« (für das er als Koautor genannt ist) und »Head« (mit Lisa als Backing-Sängerin) beigetragen hatte –, ist auf dem Innencover die gesamte Band im Bühnenkostüm zu sehen. Ungewöhnlich, dass er uns die Namen der Musiker verriet, es sei denn, es war als Werbung für die anstehende Tournee gedacht. Man kann es aber auch als Beginn einer Phase deuten, in der er mehr auf Zusammenarbeit setzte.

Drei weitere Songs auf dem Album sollen ebenfalls von außen beeinflusst worden sein. Fink und Coleman waren an »Head« beteiligt, und Dez Dickerson schreibt in seiner Autobiografie: »›Uptown‹ beruhte auf einem Bassgroove, den André bei einer Probe spielte. Die eindeutigste ›Anleihe‹ war jedoch der Song ›Partyup‹. Den hatte ursprünglich Prince’ Freund Morris Day geschrieben, der bei den Proben im Sommer ’80 immer dabei war.«2 Andere Berichte legen nahe, dass Dickerson ein bisschen übertreibt: Wenn der Song eine Gemeinschaftsarbeit war, hat ihn Prince wahrscheinlich erheblich überarbeitet, vor allem den Text.

Bei aller Qualität der ersten beiden Alben, seine Richtung fand Prince letztendlich doch mit Dirty Mind, einer Platte, die weit mehr als die Summe ihrer Einflüsse war und beim breiten Publikum Eindruck hinterließ. Gegenüber Steve Sutherland vom NME deutete Prince an, das Album sei autobiografisch, was man aber ebenso gut als Scherz auslegen konnte. Er äußerte sich in dem Interview zwar knurrig über seine angebliche Homosexualität, generell provozierte er aber zu jener Zeit lieber, als zu erläutern. Der Titelsong, der in »daddy’s car« beginnt, bestimmt das lyrische Ich des Albums: einen Mann, der so auf Sex fixiert ist, dass ihn nichts – weder soziale Tabus noch konventionelle Moral – davon abbringen kann. Und doch ist die Platte so charmant, dass das weniger als Obsession als wie eine ideale Lebensweise rüberkommt. Dass Prince ständig von sexuell ebenso freigeistigen Frauen abgewiesen oder gedemütigt wird, unterstützt dies zusätzlich. Es gibt mehr Synthesizer als Gitarren auf der Platte, aber gerade die sparsam eingesetzte Gitarre entfaltet die größte Wirkung und lässt Dirty Mind wie Prince’ erste Rockplatte wirken – insbesondere auf »Partyup«, »Sister« und »When You Were Mine«, einer seiner größten Singles, von der Prince sagt, er habe sie »in einem Hotelzimmer in Birmingham« geschrieben, nachdem er John Lennon singen gehört hatte.3 (Wenn das stimmt, könnte es im April in Alabama gewesen sein, bevor die Sessions für Dirty Mind starteten.) »Head«, das Highlight dieser frühen Auftritte, setzt vor allem auf den Oberheim-Synthesizer, den Prince auch auf Controversy und 1999 und Lisa auf Purple Rain spielten. Das Album changiert zwischen trotzigen Prahlereien (»Do It All Night«) und dem Schwelgen in Zurückweisung (»Gotta Broken Heart Again«), am berüchtigtsten ist es indes für »Sister«, eine scheinbare Inzestverherrlichung und Prince’ provokativsten Song überhaupt. Die ekstatischste Rezension lieferte Robert Christgau, der selbst ernannte »Übervater der US-Rockkritiker«. Sie wurde noch zitiert, als er 26 Jahre später die Village Voice verließ: »Mick Jagger sollte seinen Schwanz einziehen und nach Hause gehen.«

Die Dirty-Mind-Tour begann mit einem ganzen Monat Konzerten im Dezember; es folgten drei Monate Pause und Umbuchungen auf kleinere Hallen. Während der Pause spielte Prince »Uptown« bei Saturday Night Live. Die Band war nun selbstsicherer, mit Prince, Dez und André als großspurigen Punks in Trenchcoats und Dr. Fink in seinem Kittel. Die Konzerte endeten damit, dass Prince seinen Mikroständer umstieß und von der Bühne rannte. Der Rest der Band folgte ihm und wirkte mehr als je zuvor wie eine Straßenbande. Nach einer Probe im Shea-Theater in Buffalo, New York, traf Prince Howard Bloom, der jetzt für seine Publicity zuständig war und die bedeutendste PR-Firma der späten 70er und der 80er leitete, die Howard Bloom Company. Später wurde Bloom als Autor von Büchern über Metaphysik bekannt. Tatsächlich hatte er einen wissenschaftlichen Hintergrund und betrachtete die Arbeit mit Musikern, denen er half, ein Massenpublikum zu erobern, als eine Art Feldversuch in Massenpsychologie.

»Prince hat normalerweise Angst vor Männern«, sagte er mir. »Das ist verständlich. Stell dir vor, wie man ihn in der Schule behandelt hat – es muss brutal gewesen sein. Unter Frauen fühlt er sich am wohlsten. Er gewährte mir für drei Jahre Zutritt zu seinem Leben, dann bekam er Angst vor mir. Für mich war das ein schlimmer Verlust.«

Prince’ Manager Bob Cavallo hatte sich an ihn gewandt, erzählt Bloom, weil damals »niemand wusste, wer Prince war. Ich hatte sieben Jahre lang gegen den Rassismus in den Plattenfirmen angekämpft. Das war heftig.« Cavallo nahm an, Bloom habe noch nie von Prince gehört, aber Bloom erinnert sich: »Bevor Bob und ich über Prince sprachen, hatte ich sein Album in den R&B-Charts beobachtet. Es wurde mit Platin ausgezeichnet – da bahnte sich was Umwerfendes an, ein verdammtes Phänomen.«

Prince’ späterer Tourmanager Alan Leeds ist wie Bloom der Meinung, dass es schwarze Künstler im Mainstream schwer hatten. »Die ganzen 80er hindurch war eine seiner größten Herausforderungen, die Kategorisierung schwarzer Künstler durch die Medien zu umgehen. Als Afroamerikaner stecktest du in der Industrie sofort im afroamerikanischen Ghetto und musstest dich da rausarbeiten. Earth, Wind & Fire hatten das geschafft, George Clinton zum Beispiel nicht. Prince war von Anfang an fest entschlossen, sich nicht in eine Schublade stecken zu lassen, weil die Radioformate so restriktiv waren. Restriktiv war nicht das Publikum, sondern die Medien.«

Howard Bloom hatte eine Taktik, um Künstlern ein Massenpublikum zu eröffnen. Um einen Künstler zu promoten, beobachtete er ihn einen bis drei Tage lang in seinem eigenen Milieu, befragte ihn intensiv und lotete den Kern seiner Leidenschaft aus. Das tat er nach der Probe in Buffalo auch mit Prince. »Um zwei Uhr nachts setzten wir uns zu zweit in eine Garderobe hinter der Bühne, und ich fragte Prince bis neun Uhr morgens aus und entdeckte seine prägenden Momente.« Der erste davon war, seinen Vater auf der Bühne zu sehen, laut Bloom eine persönlichere Variante dessen, was er bei den meisten Rockstars erlebt hatte, deren Inspiration für gewöhnlich daher rührte, dass sie Elvis Presley oder die Beatles in der Ed Sullivan Show gesehen hatten. Der zweite war seine Zeit mit André Cymone in Bernadette Andersons Keller. Bloom erarbeitete mit Prince Strategien für Interviews, worauf sich Prince die folgenden zwei Jahre der Presse öffnete, bevor er schließlich lange Zeit nicht mehr mit Medien sprach.

Bloom macht sich und Bob Cavallo für einen wesentlichen Teil von Prince’ Erfolg verantwortlich. »Prince hatte zwei verdammte Genies, die für ihn arbeiteten. Keine gewöhnlichen Menschen. Ich war ein verkappter Wissenschaftler, genauso ein Wunderkind wie er.« Cavallo wiederum meint, Bloom verdiene mehr Anerkennung, weil er Prince etablierte. »Er sagte den Leuten: ›Prince betrachtet Sex als Erlösung‹, und das stand dann in der Washington Post, der New York Times … Er erfindet einen Slogan, und zehn Reporter übernehmen ihn.«

*

Mick Jaggers Interesse wurde wohl von Robert Christgaus Schwanz-Kommentar geweckt – vor allem, weil er von einem Stones-Fan kam, der sogar über Dirty Work etwas Nettes zu sagen wusste. Am 22. März 1981 schaute er sich den jungen Rivalen auf einer der New Yorker Lieblingsbühnen der Stones an, im Ritz. Ein anderer Vertreter der alten Garde, der wie Prince aus Minnesota stammende Bob Dylan, hatte ihn bereits zuvor im Sam’s in Minneapolis gesehen.

Prince eröffnete die Show, indem er mehrmals sagte: »There’s no place like home«, und das traf zu: Seine Shows in der Heimatstadt waren oftmals Schauplatz seiner einschneidendsten Verwandlungen, wenn er vor einem ihm wohlgesinnten Publikum neue Ideen ausprobierte. An diesem Abend spielte er zwei bis heute unveröffentlichte Songs, »Broken« (eine Art Epilog zu »Gotta Broken Heart Again«, auch in New York gespielt) und als Zugabe »Everybody Dance«, eine Kurzversion der ausgedehnten roboterhaften Improvisationen in späteren Proben. Die Show im Sam’s 1981 steht bei Fans ganz oben auf der Wunschliste der Mitschnitte, die sie gerne offiziell veröffentlicht sähen.

Auf den Tourneen zu Sign O’ The Times und Lovesexy gab sich Prince auf der Bühne lockerer, bei den frühen Besetzungen, auch The Revolution, wurde die Band jedoch sorgfältig positioniert: die Keyboarder Dr. Fink und Lisa Coleman links und rechts vom Schlagzeug, Prince vorne in der Mitte, flankiert von Dez Dickerson und André Cymone (bald durch Mark Brown ersetzt). Zu dieser Zeit war die Choreografie simpel und 50er-Jahre-lastig; es gab spaßige Nummern wie »The Walk«, einen Tanzschritt, aus dem er später einen Song für The Time machte. Indem er die Setlist durcheinanderbrachte, was später ein Markenzeichen werden sollte, wollte Prince laut Coleman das Publikum testen. »Wir sammelten Erfahrungen, welche Shows funktionierten. Wenn wir zu viel Funk spielten, gefiel’s den Leuten nicht, also spielten wir mehr Rock. Das Gleichgewicht stimmte. Dez war so ein feuriger Rockgitarrist. Wendy beherrschte Funk besser als Dez, aber wenn Dez auf sein Verzerrerpedal trat – hui! Er spielte ein paar Soli, und die Kids grölten: ›Alright, Rock ’n’ Roll!‹ Prince war der Mastermind dahinter. Er sagte: ›Das ist die Setliste für diese Stadt.‹«

In grüner Fransenjacke, mit rotem Halstuch, schwarzer Unterhose und Strümpfen sah Prince aus wie einer von den Village People. Lisa rezitierte ihre Zeilen in »Head« mit trotziger, träger Stimme unter ihrem Fedorahut hervor, ganz anders als Gayle Chapman. Statt sich zum Objekt machen zu lassen, wirkte sie ebenso ganovenhaft wie der Rest der Band.

Prince entwickelte in der Folgezeit eine enge Beziehung zu Europa – statt gewaltige Welttourneen zu machen, war er abwechselnd in den USA und Europa unterwegs, für einen US-Künstler eher ungewöhnlich –, und wer seinen ersten London-Auftritt im Lyceum sah, spricht darüber so ehrfürchtig wie Punks über die Sex Pistols im 100 Club. Im Publikum waren Barney Hoskyns, Green Gartside, Geoff Travis,4 Lenny Henry und Paula Yates. Chris Poole, Prince’ späterer PR-Mann, begleitete Yates und erinnert sich: »Paula hatte wie jedermann die Anzeigen in Billboard gesehen – mit Sackhalter und Regenmantel –, und sie wollte unbedingt hin, wollte unbedingt nach oben und den Sackhalter sehen, den man von unten nicht sah, um zu schauen, wie prall er gefüllt war.«

Zu Prince’ Ankunft in Großbritannien erschien »Uptown« als Single, auf der B-Seite »Gotta Stop (Messin’ About)«, ein kritischer Song über eine promiske Frau, konservativer als die halbseidenen, grenzwertigen Sachen auf Dirty Mind.

Nachdem er ihn auf der Dirty-Mind-Tour gesehen hatte, lud Mick Jagger Prince ins Vorprogramm der Rolling Stones ein, wo er seine schlimmste Abfuhr vor einem Rockpublikum erlebte, sicher besonders traumatisch für Neumitglied Mark Brown (bald darauf in Brown Mark umbenannt). »Es war furchtbar«, erinnert sich Lisa Coleman. »Wir wurden von der Bühne gebuht. Wir hatten uns so gefreut, uns den Arsch abgeprobt. Das ist der Durchbruch, wir werden die Größten! Yeah, die Rolling Stones! Sie buchten uns für ein paar Gigs, zwei davon im L.A. Coliseum. Beim ersten hatten wir große Hoffnungen. Die Atmosphäre war unglaublich, viele große Stars hinter der Bühne. Und nach fünf Minuten wurden wir mit Hähnchen, Flaschen und Popcorn beworfen, und alle zeigten uns den Mittelfinger. ›Fick dich, du Schwuchtel‹, das N-Wort, alles furchtbar. Prince haute ab, und wir anderen dachten: Was machen wir jetzt? Wir spielten den Song zu Ende und gingen von der Bühne. Das war Freitag. Am Sonntag sollten wir wieder spielen. Wir gingen in unsere Garderoben, und Prince machte sich aus dem Staub, zum Flughafen, flog nach Minneapolis. Ich dachte, Mick Jagger habe ihn zur Rückkehr überredet, aber es war Dez Dickerson. Er redete 45 Minuten auf ihn ein: ›Wir lassen uns nicht von denen aus der Stadt vertreiben. Dagegen kämpfen wir schon immer – Rassismus, Sexismus. Bringen wir die Sache zu Ende.‹ Die Anspannung war unerträglich, uns war zum Kotzen. Ich war so nervös. Wir gingen auf die Bühne, und es kam einem vor wie in der Kampfsportarena. Am zweiten Tag hatten sie die Sache geplant – ›Buhen wir diese Leute aus!‹ Sie brachten Sachen mit, Schuhe, Äpfel, Orangen. Wir hielten durch und spielten ein kurzes Set, mehr Rocksongs – egal, für die war’s ein Spiel. Und wir hatten wirklich gedacht, das ist eine Riesenchance für uns.«

Ihre Freundin Wendy Melvoin war noch nicht in der Band, kennt die Geschichte aber gut: »Das Line-up war ein Albtraum – J. Geils, George Thorogood. Nur Prince und die Stones waren anders. Aber das war ein echtes Rock-’n’-Roll-Publikum. Die wollten keinen schwarzen Typen in Bikini und Trenchcoat sehen.«

Einen neuen Song brachte Prince in dem abgebrochenen Fünfer-Set unter: »Jack U Off« von Controversy, das drei Tage nach dem Stones-Gig erschien. Unter den ersten zehn Alben, die die meisten als den essenziellen Prince-Kanon betrachten, scheint Controversy bei aller Faszination zunächst am belanglosesten. Prince pendelte während der Aufnahmen 1981 zwischen seinem Heimstudio und zwei Studios in Los Angeles – Hollywood Sound und Sunset Sound –, aber obwohl der Sound bemerkenswert geschliffen ist, fehlt dem Album letztlich die Freiheit seiner besten Heimaufnahmen und die Experimentierfreude anderer Studioarbeiten. Jeder Track hat seine Stärken, und einige davon blieben bis zum Ende im Liveprogramm, aber keiner wirkt so richtig unverzichtbar. Wie bei Prince ist die Intention klar und in gewisser Weise käuflich: Die Platte scheint aus dem Ruf, den er sich mit Dirty Mind erworben hatte, Kapital schlagen zu wollen, gleichzeitig wurden die Texte braver, um ein breiteres Publikum anzusprechen.

Erneut ist es im Grunde ein Soloalbum, allerdings ist Lisa Coleman als Backgroundsängerin stark vertreten und könnte angesichts ihrer Beiträge zu den The-Time-Platten auch hier im Heimstudio mitgewirkt haben. Das einzige Mal in seiner frühen Karriere scheint Prince ein kohärentes Konzept zu fehlen. Auf Dirty Mind hatte er gezeigt, wie leicht es ihm fiel, kontroverse Sachen zu schaffen, nun schien er das Phänomen eher zu kommentieren, als neue Grenzen zu überschreiten. Die Anspielungen auf Ronald Reagan und das politische Klima der 80er (in dem kurzen, belanglosen Fragment »Ronnie, Talk To Russia«) haben die Platte textlich schlecht altern lassen. Ihr Sound wurde jedoch von späteren Generationen von Musikern ausgiebig geplündert, vor allem weil so viele von ihnen Prince’ Ein-Mann-Arbeitsweise übernahmen, bei der seine Stimme hauptsächlich von seinem Oberheim-Synthesizer und der hier erstmals eingesetzten Drum-Machine getragen wird, die zur Grundlage seines Sounds wurde – einer Linn LM-1.5

»Controversy« wurde live einer von Prince’ Lieblingssongs. In einem seiner ersten Anläufe zur Selbstmythologisierung betont er darin sieben Minuten lang, wie schwer er zu definieren ist. Inmitten all dieser Egozentrik findet er aber noch Zeit, das Vaterunser zu rezitieren (was Musiker immer gerne taten, von Elvis Presley bis David Bowie) und die selbst gestellte Frage zu beantworten, ob er mehr an sich selbst oder an Gott glaube. »Controversy« wirkt gläubig genug, um im Set des später viel religiöseren Künstlers zu bleiben, »Sexuality« hingegen – eine trotzige Proklamation der Bedeutung von Sex für die Existenz – bereitete ihm Probleme, die er zu überwinden versuchte, indem er Zeilen daraus in einen späteren religiösen Song (»The Rainbow Children«) einschmuggelte und den Titel (sowie den Text) änderte, um deutlich zu machen, dass in Wirklichkeit »Spirituality« alles ist, was man braucht.

Wie bei einigen Tracks auf Dirty Mind wurde vermutet, dass »Do Me, Baby« zum Teil von André Cymone stammt (Pepe Willie sagt, Cymone habe den Song selbst geschrieben). Als Höhepunkt des Albums ist es die Blaupause – und das beste Beispiel – für alle späteren Prince-Balladen: »International Lover«, »Scandalous«, »Insatiable«, »Shhh« usw. Zudem enthält es zwei narrative Elemente, auf die Prince später öfter zurückgriff: die Vorstellung, sich in einem leeren Raum zu befinden, und die voyeuristische Idee, beim Sex zuzuschauen, die an Resonanz zunahm, wenn er vor Publikum sang und die Trennlinie zwischen Beobachter und Künstler in Frage stellte.

»Private Joy« fand ich schon immer etwas gruselig. Viele Prince-Songs handeln davon, dass er seine Geliebten von anderen fernhält, und die textliche Vorliebe für das Wegsperren der Frau motivierte einige seiner besten Arbeiten. Aber die Infantilität der Texte und die Darstellung des Objekts der Begierde als Spielzeug wirkt zugleich verstörend. Prince spielte den Song nicht oft, nach 1982 verschwand er aus dem Set.

In Prince’ Aufnahmen bezieht er sich häufig auf das Konzept von »Work« und »Play«. Anfangs standen beide Begriffe synonym für Sex, und darum geht es auch in »Let’s Work« (allerdings spielt es auch darauf an, dass mit einer Band zu arbeiten und in einer Band zu spielen dasselbe ist). Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich das, was an Prince’ Musik einst weitestgehend sexuell war, der Religion zuwandte, ist der viel spätere Song »The Work Part 1«, der die christliche Arbeit thematisiert. Es überrascht, dass eine von Prince’ sexlastigsten Platten später so viel Spirituelles in seiner Musik inspirierte.6 So auch der Titel von »Annie Christian«, das die Ermordung von John Lennon thematisiert, nur dass ihn in dem Song nicht Mark Chapman erschießt, sondern die weibliche Verkörperung des Satans. Prince war in New York, als Lennon starb, und Dickerson schreibt dazu in seiner Autobiografie, die Band (aber offenbar nicht Prince) sei nach den Todesschüssen zum Dakota Building gegangen. Er zieht eine explizite Verbindung zwischen der Band und Lennon: »Da waren wir, junge Leute aus dem Mittleren Westen, die in der Großstadt ihren Traum lebten, während ein paar Blocks weiter die Träume eines Mannes, der den Weg, auf dem wir unterwegs waren, maßgeblich geebnet hatte, für immer erloschen.«7

»Jack U Off« war der erste von der Band eingespielte Song auf einem Album, entstand aber nicht – wie später etwa »Computer Blue« und »America« – aus einem Jam. Matt Fink schildert, Prince habe der Band den Song vorgelegt und jedem erklärt, wie er seinen Part zu spielen habe. Für Fink stellte dies einen wichtigen Moment in der Entwicklung der Band dar, und er war froh, mehr zum kreativen Prozess beizutragen. Auch wenn diese Rockabillynummer wenig mit dem zu tun hatte, was Prince zuvor und danach je aufgenommen hatte (zumindest für seine eigenen Platten).

Die eigenartige Verbindung von Zügellosigkeit und religiöser Hingabe, die später Prince’ Markenzeichen wurde, prägte auch die Controversy-Tour, deren Konzerte er mit dem nie offiziell veröffentlichten »The Second Coming« einleitete. Damals war auch ein Film mit diesem Titel in Arbeit, der autobiografisches Material enthielt. Prince stellte sich jedoch nicht als auferstandenen Messias dar, sondern warnte unter Berufung auf das Buch der Offenbarung vor einer drohenden Apokalypse. Auf seinem nächsten Album wurde dieses Thema noch dominanter.

Die Show, deren Schwerpunkt auf Controversy und Dirty Mind lag, zeigte, wie gut sich diese beiden Alben ergänzten. In späteren Jahren, als sich Prince seines Erfolgs und Könnens sicher war, reizte und spielte er mit dem Publikum gerne, aber vorläufig war er noch damit beschäftigt, es für sich zu gewinnen. »War das in Ordnung?«, fragte er, nachdem er »Do Me, Baby« auf fantastische 13 Minuten ausgedehnt hatte, und stürzte sich in »Controversy«, das nur davon handelt, dass Prince alles ist, als was wir ihn haben wollen. Erwartungen hatte er aber auch. »Wollt ihr nicht alle spielen?«, forderte er Minuten später, eine bei vielen frühen Auftritten wiederholte Einladung, auf die nicht selten als Kontrast »Let’s Work« folgte. Während einer fiebrigen Darbietung des Songs in Detroit rief Prince den Leuten zu: »Motor city, let’s work!«, und als sie nicht angemessen reagierten: »I’m not fucking around (Ich sage das nicht zum Spaß)!«

Ein älterer Song war als regelmäßiges Highlight im Programm geblieben: »Still Waiting«. Kurz nach Ende der Tournee sang ihn Prince mit Sue Ann Carwell (siehe Kapitel 6), die er zu seinem ersten Schützling erwählt hatte, bei einem Auftritt im First Avenue in Minneapolis. Dabei konterte er die Wärme des Songs mit der unglaublich kalten Message: »Wisst ihr, ich habe einen kleinen Grund zum Feiern … Meine Freundin ist tot. Sie ließ mich zu lange auf diese Liebe warten.« Den Tod einer widerspenstigen Geliebten zu feiern, passt nicht zur christlichen Seite von Prince’ früher Musik, aber schließlich experimentierte er gerne und genoss die Improvisation, während er an seiner Bühnenperformance feilte. Es folgten ähnlich düstere neue Songs, da Prince gerne Grenzen überschritt und auslotete, wie viel Befremdung ein Mainstream-Publikum schlucken würde. Auf Controversy und der folgenden Tour hatte Prince seine Arbeit abgemildert. Für seinen kommerziellen Durchbruch stellte er dieser neuen Softheit Extreme entgegen, allerdings in einer Hülle aus Zuckerguss, die ihm ein wesentlich größeres Publikum als je zuvor eröffnete.

1 Dickerson, My Time with Prince, S. 107.

2 Dickerson, My Time with Prince, S. 107.

3 AOL-Live-Interview mit Prince, 22. Juli 97. Auf Prince’ Haltung zu den Beatles gehe ich an anderer Stelle in diesem Buch ein, aber was immer er von der kompletten Band hielt, bezog sich seine Antipathie offenbar nicht auf John Lennon und dessen Soloarbeiten. Bezeichnend hierfür ist, dass Lennons Name neben Billie Holiday und Martin Luther King an der Seite der Graffiti Bridge steht.

4 Robert Fitzpatrick, »Facetime: Green Gartside«, The Word, April 2011.

5 Vgl. zur Linn LM-1 Greg Milner, Perfecting Sound Forever: The Story of Recorded Music (Granta 2009), S. 313.

6 Drew Daniel, Mitglied der Band Matmos und Akademiker, hat Interessantes über den Zusammenhang von Arbeit und Musik geschrieben, obgleich die von ihm dargelegten Möglichkeiten der Interaktion ausblenden, dass für Künstler wie Prince Musik ganz einfach Arbeit ist. Er argumentiert: »Die Musik hat versucht, uns von der Arbeit abzulenken, aber auch dazu beigetragen, dass wir den Klang der Arbeit auf neue Weise hören. Die musikalischen Anspielungen auf Arbeit finden kaum eine Grenze: Die Schiffsmotorensequenz in Fred Astaires Film Shall We Dance (1937) bietet eine höchst einflussreiche Fantasie des Gehorsams, während das metallische Hämmern der Einstürzenden Neubauten zur Zeit von Kollaps (1981) »Sturm und Drang« heraufbeschwört …« (Drew Daniel, »All Sound Is Queer«, The Wire, November 2011). Prince hingegen bot 1981 eine Alternative, in der die Distanz zwischen Arbeitsplatz (Fabrik) und Vergnügen (Nachtclub) aufgehoben ist.

7 Dickerson, My Time with Prince, S. 116.

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