Читать книгу Single Malt Weihnacht - Matthias Deigner - Страница 11
ОглавлениеZwei Singles, ein Malt
Tobias Miller
Er half seiner blonden Begleitung galant aus dem schwarzen Mantel, bevor sie sich auf den Lederstuhl fallen ließ. Sofort war ich zur Stelle und nahm dem Gast das Kleidungsstück ab, um es an der Garderobe neben dem Eingang auf einen Bügel zu hängen. Ihr Haar verzierte den angerauten Stoff wie Goldfäden eine Uniform. Ich strich darüber und lächelte. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, verschwand ich hinter der Bar und bereitete den Aperitif vor. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich das Pärchen weiter. Die geröteten Lider der Dame verrieten eine schlaflose Nacht, die das Make-up nicht überdecken konnte. Doch der Lippenstift verlieh ihrem Lächeln eine Frische von Waldluft am Morgen. Nicht nur ich bemerkte das – es fing auch ihren Begleiter ein. Er vollführte eine linkische Handbewegung und setzte sich ihr gegenüber.
»Warum wohnst du im Hotel? Ich sehe dich viel zu selten.« Der raue Tonfall des Herrn im perfekt sitzenden Nadelstreifenanzug war unüberhörbar. Noch ist er nicht in diesem Moment angekommen, noch hat er nicht losgelassen. Ihn umgab weiterhin eine Aura, die es erschwerte, ihm zu widersprechen.
»Weil ich es so wollte.« Meine Mundwinkel zuckten. Ihre Stärke imponierte mir. Die knallroten Lippen formten die Worte mit aller Bestimmtheit, ohne einen Anflug von Ärger preiszugeben. Ich hing an ihnen und konnte mich nicht sattsehen. Er beugte den Oberkörper vor.
»Wie lange ist es her?« Er schenkte Wasser aus der Glaskaraffe ein.
»Das weißt du genau.«
Der Anzugträger nickte und senkte den Blick auf die Tischplatte.
»Eine Ewigkeit seit Paris.« Heiserkeit lag in seiner Stimme. Er räusperte sich und rieb sich ein Auge unter der Brille. In aller Stille polierte ich die Whiskeytumbler. Gemeinsam verloren sich unsere Blicke aus dem Fenster. Vom sechsundsechzigsten Stock betrachtet glichen die Häuser Spielzeugbausteinen. Einzelne Lichtpunkte aneinandergereiht zu endlosen Straßenzügen zeichneten ein chaotisches Muster auf die Erdoberfläche. Niemals erlaubten sie der Finsternis, auf die Stadt hinabzusinken.
»Das war eine wunderbare Auszeit«, flüsterte er, bevor er mit den Fingerkuppen sanft über ihre Hand strich.
»Hoffentlich vergeht nicht mehr so viel Zeit bis zu deinem nächsten Besuch.«
»Ich bin doch gerade erst angekommen«, schmollte sie. Er nickte.
»Hoffentlich bist du nicht enttäuscht. Wir feiern Weihnachten nicht so, wie du es ...«
»In dieser Stadt ist mir nie langweilig«, unterbrach sie ihn und deutete mit dem Blick auf den bunt erleuchteten Tokyo-Tower. Diesmal war er es, der eine Schnute zog. Ich schniefte auf und schüttelte den Kopf. Er hatte wohl erwartet, sie wäre wegen ihm gekommen.
»Wie war dein Flug?«
»Zu lang ... – ein tolles Restaurant. Danke.« Sie ließ den Blick durch den Saal schweifen und zupfte die Träger ihres Abendkleids zurecht.
»Alles in Ordnung?«
»Der Jet-Lag ... Die Zeitumstellung haut mich immer um.«
»Wie lange bleibst du? Das hast du mir über Skype nicht gesagt.« Sie schaute wieder aus dem Fenster, antwortete aber nicht.
»Wie geht es deinem Vater? Kommt er allein klar?«, fragte sie stattdessen.
Er neigte den Kopf von links nach rechts, was sein schwarzes Haar hin und herfallen ließ.
»Seit meine Mutter ihn verlassen hat, trifft er sich zweimal die Woche in einem Izakaya zum Kartenspielen. Er gewinnt immer ...«
Sie lachte lauthals auf und zwinkerte ihm zu.
»Das passt zu dem alten Schlitzohr.«
Er prustete los. Sie hatte es geschafft. Der knallharte Geschäftsmann hatte sich innerhalb von Minuten in einen fühlenden Menschen verwandelt.
»Siehst du Akira oft? Du sprichst nur noch selten von ihr.« Aus seinem Gesichtsausdruck entwich jede Fülle wie Luft aus einem kaputten Fußball.
»Sie ist mit ihrer Mutter nach Osaka gezogen ...«, sagte er mit gesenktem Blick.
»Ah, daher bist du öfter in der Zweigstelle.«
Er lächelte und wandte den Kopf kurz ab.
»Auch ...«
»Läuft die Firma gut?«
Eifriges Nicken. »Wir übernehmen gerade einen amerikanischen Konkurrenten. Ich werde in der nächsten Zeit öfter nach San Francisco fliegen.« Dabei lehnte er sich zurück und streckte sich über die Rückenlehne des Stuhls aus.
»Mmmhhh«, knurrte sie.
»Keine Angst, wenn du kommst, bin ich hier.« Er grinste breit, doch sie reagierte nicht darauf.
»Und bei dir?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
»Alles steht Kopf.«
»Klingt nicht begeistert.«
»Immer dasselbe. Die Firma will Stellen abbauen ...«
»Deine Abteilung ist wohl kaum betroffen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich überlege trotzdem, ob ich was anderes mache.«
Er zog die Brauen hoch und schaute sie gespannt an.
Lautlos pirschte ich mich an ihren Tisch und entzündete eine Kerze in der Mitte. Ich reichte die Aperitifs, die sie dankend annahmen.
Plötzlich vibrierte ihr Telefon.
»Ganz genau. Lagern Sie die Sachen bitte ein, bis ich mich melde.« Sie legte auf. Ihr Gegenüber wog den Kopf schräg. Sein jungenhaftes Gesicht verriet weder sein wahres Alter noch eine emotionale Regung. Nur die zusammengekniffenen Augen zeugten von Misstrauen.
»Mein Gepäck. Ich lasse es später liefern.«
»Wieviel hast du dabei?«, fragte er irritiert.
»Zu viel für einen Koffer ...«
Ihr Lächeln war aufrichtig, trotzdem verbarg sie etwas. War sie verlegen? Er bedeutete ihr mit der Hand, fortzufahren.
»Ich habe gekündigt.«
Der Herr im Anzug zuckte zurück. Mit geöffnetem Mund saß er da und hielt sich an der Tischkante fest.
»Ich verstehe nicht. Der Job kam bei dir immer an erster Stelle ...«, antwortete er einen Moment später.
»Ich fange neu an«, sagte sie felsenfest überzeugt.
»Mit weniger Gehalt.«
»Mit mehr Verantwortung.«
»Mit längeren Arbeitszeiten.«
»Mit freien Wochenenden.«
»Ohne Dienstwagen.«
»Mit weniger Reisen.«
»Was für ein Job soll das sein?« Die Schroffheit kehrte in seine Stimme zurück.
»Ich bin Großunternehmen leid. Es ist ein Mittelständler.«
Er wog den Kopf hin und her, als taumelte er wie Treibgut im Wasser.
»Wann?«
»Zum neuen Jahr.«
»Mmmh, du fliegst in ein paar Tagen zurück«, seufzte er. Sie griff in ihre Handtasche und wühlte darin umher. Unter dem Tisch blätterte sie in einem roten Büchlein, bis sie die Seite gefunden hatte. Sie legte sie ihm vor.
Ungläubig nahm der das Heft in die Hand. Erst lehnte er sich zurück, nickte dann aber anerkennend. Ehrfürchtig fuhr er mit den Fingern über das Visum.
»Du bleibst ...«
Er schaute sie mit leuchtenden Augen an, rieb sich mit der Hand das Kinn und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Gebannt starrte er erneut auf das Dokument, um ihm all die Geheimnisse zu entlocken, die er noch nicht entschlüsselt hatte.
»Warum hast du nichts gesagt? Lass mich raten: Weil du nicht wolltest?« Er lachte auf.
»Mmmh.«
»Daraus soll einer schlau werden. Und wie geht’s weiter?«
»Die Firma vermittelt mir eine Wohnung. Bis dahin bleibe ich im Hotel.« In ihren Augen blitzte es, aber er schien ihr Spiel nicht zu durchschauen.
»Ah ...« Er reichte ihr den Pass. Eine Weile schwiegen sie und nippten an ihren Gläsern.
»Was hast du?«, fragte sie schließlich, um die Stille zu durchbrechen. »Ich dachte, du würdest dich freuen.«
»Ich freue mich ...«
»Aber?«
»In einem solchen Fall ...«
»Ja?«
»Du könntest auch zu mir ziehen ...«
Sie kicherte wie ein kleines Mädchen. »Wir haben nie zusammen gewohnt.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich würd’s riskieren ...« Sie lachte herzhaft auf.
»Und was ist mit mir?«
»Du weißt, wie gut meine Miso-Suppe ist.«
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Deine Nudeln sind auch nicht von schlechten Eltern.« Sein Blick entspannte sich wieder und der Mund formte ein verschmitztes Lächeln.
»Wirst du Frankfurt nicht vermissen?«
»Ein wenig, aber das ist es mir wert.«
»Was ist dir was wert?«
»Mein neues Leben.«
»Mmmh. Und die nächsten Tage? Hast du Pläne?«
»Ein paar Wohnungsbesichtigungen ...« Sie wickelte die Haarspitzen um ihre Finger.
»Ah.« Er nickte verständnisvoll.
»Vielleicht kommst du ja mit?« Er verschränkte seine Hand in ihrer. Dann legte er den Kopf zur Seite und sagte: »Nimm etwas nach deinem Geschmack.«
»Ich kenne die Stadt nicht so gut.« Sie freute sich wie ein Kind über sein empörtes Gesicht. »Oooh, nein, das nicht«, prustete er heraus, »du bekommst keinen Touristenführer.«
»Aber ich möchte dich an meiner Seite.«
In diesem Moment rappelte er sich auf und winkte mir zu.
»Wir haben etwas zu feiern.«
Ich nickte verständnisvoll. »Darf ich etwas empfehlen?« Die Blicke des Paares hafteten auf mir.
»Yamazaki, 18 Jahre, Single Malt. Ein würdiger Toast auf das neue Leben.«
Er stockte und sah mich mit geweiteten Augen an.
»Ich lese Lippen. Entschuldigen Sie.« Ich trat einen Schritt zurück. »Ist nicht meine Art, Leute zu belauschen. Aber sie sehen beide so glücklich aus.«
Das Paar lächelte und nickte mir zu.
»Dann zwei Yamazaki«, sagte er. Darauf hob sie die Hand zum Protest und zeigte mit dem Finger in meine Richtung.
»Einen Doppelten. Das zweite Glas können wir uns sparen.« »Heißt das, ich soll ...?« Mit gerunzelter Stirn hob er die Schultern.
Ich eilte zur Bar und holte den edlen Tropfen aus einem Kabinett unter der Theke hervor. Geübt füllte ich einen Tumbler.
»Wenn du willst. Deine Wohnung ist doch eh zu klein für zwei.«
Kurze Zeit später reichte ich den Drink.
»Das Glück kommt zu denen, die lachen«, sagte ich und beide griffen zum Glas.