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Ein Single Malt für Santa Claus

Bianca Röschl

Heiligabend

Wie in einer Decke aus schwarzem Samt hatte sich das verschlafene Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands in der Heiligen Nacht eingekuschelt zur Ruhe gelegt. Am Rande dieser Stadt lag das letzte Gebäude auf der Liste, das letzte Haus, welches Santa Claus überhaupt in diesem Jahr noch besuchen musste.

Mit seinem inzwischen leicht gewordenen Sack auf dem Rücken durchschritt Santa den großzügigen Hof des fabrikähnlichen Gebäudes und steuerte auf das angrenzende Herrenhaus zu. Behände kletterte er auf das Dach und rutschte den gemauerten Kamin hinunter. Er landete direkt im vornehmen Salon des Hauses. Einige Lampen warfen ein mattes Licht auf den Weihnachtsbaum, prächtig geschmückt mit roten Glaskugeln, Strohengelchen und allerlei buntem Zuckerwerk zum Naschen.

Santa Claus stellte den Leinensack auf den Boden, kramte das letzte Geschenk heraus und drapierte es hübsch vor dem Weihnachtsbaum. Ein in Papier gewickeltes Schaukelpferd für den kleinen Grant Gordon, dem jüngsten Spross des Hauses.

Anschließend ging Santa zum Kamin zurück und füllte den daran hängenden Weihnachtsstrumpf mit Mandarinen, Nüssen, Zuckerstangen und sonstigem süßem Naschwerk.

Gerade, als er wieder über den Kamin zurück zu seinem draußen stehenden Schlitten wollte, blieb sein Blick an einem kleinen Tischchen vor dem Kamin hängen. Genauer gesagt an dem großen Zettel mit der Aufschrift Für Santa – Fröhliche Weihnachten.

Überrascht beugte sich Santa über das Tischchen. Die Augen des alten Mannes leuchteten vor Freude auf, denn auf einem silbernen Tablett standen nicht die sonst üblichen Weihnachtsplätzchen mit einem Glas Milch dazu. Nein!

Dieses Kind hier bedachte den Weihnachtsmann mit einer Flasche Whisky und einer Holzschatulle voll feinster Zigarren.

Neugierig nahm Santa eine der handgedrehten Zigarren aus dem Kästchen und zog genüsslich den herb würzigen Geruch durch seine breite Nase. Allerfeinste Qualität, keine Frage.

Schöner kann man sein Tagwerk eigentlich nicht beenden, dachte er so bei sich und goss sich etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der Whiskyflasche in das bereitgestellte Glas ein.

Santa setzte sich in einen der bequemen Ledersessel, zündete sich die Zigarre an und nahm einen genießerisch ersten Schluck aus dem Glas.

Da schau an, ein Single Malt, stellte er überrascht fest, sicher mindestens fünfundzwanzig Jahre alt. Da hatte sich der Vater des Knaben aber nicht lumpen lassen. Nur das Beste für den Weihnachtsmann.

Santa nahm genüsslich einen weiteren Schluck. Ein samtig-frischer Geschmack tanninhaltiger Früchte in perfekter Harmonie mit kräftiger Eichennote und einem Hauch von würzig-herbem Tabak legte sich verführerisch auf Zunge und Gaumen. Beim Hinunterschlucken stellte er freudig fest, dass dieser Whisky lang und üppig im Abgang war mit einer zarten Malzsüße, die das Verlangen nach mehr entfesselte.

Völlig entspannt saß der Weihnachtsmann in dem Ledersessel, die Beine auf einen Schemel hochgelegt, zog zufrieden mit sich und der Welt an der Zigarre, atmete den Rauch in lustigen Kringeln wieder aus und trank ein Glas Single Malt nach dem anderen.

Erst als die hereinbrechende Morgendämmerung dem kleinen Städtchen die samtene Nachtdecke wegzog, schreckte Santa Claus aus seinem Sessel hoch. Es war allerhöchste Zeit zu verschwinden, ehe ihn noch irgendjemand im Haus zu Gesicht bekam.

Mit Wehmut nahm er den letzten Schluck aus der Whiskyflasche, steckte sich noch eine frische Zigarre in die Manteltasche, schnappte seinen Sack und kletterte rasch den Kamin hinauf. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Hausbewohner munter wurden.

Heiligabend, ein Jahr später

Friedlich hielt das kleine Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands seinen wohlverdienten Schlaf in der Heiligen Nacht, so dass niemand die rege Geschäftigkeit eines einzelnen Mannes bemerkte, der schwer beladen mit einem Sack voller Geschenke von Haus zu Haus ging, um allen braven Kindern eine Freude zu machen.

Auch dieses Jahr war die große örtliche Whiskybrennerei samt Herrenhaus am Stadtrand wieder das letzte Gebäude auf Santas Liste.

Zügig kletterte er aufs Dach hinauf und rutschte den Kamin zum Salon des Hauses hinunter.

Dieses Jahr zierte ein goldener Stern die Spitze des Weihnachtsbaumes im Raum. Ein großer Nussknacker auf dem Fenstersims hielt Wache, dass auch niemand heimlich von den bunten Zuckerkringeln am Baume naschte.

Gewissenhaft legte Santa Claus das Geschenk für den kleinen Grant Gordon unter den Baum. Heuer hatte eine ganze Armee von Zinnsoldaten auf dessen Wunschliste gestanden.

Den Weihnachtsstrumpf am Kamin füllte der Weihnachtsmann wie letztes Jahr wieder mit Nüssen, Obst und Zuckerwerk.

Erst danach wagte er einen Blick auf das kleine Tischchen zu werfen. Seine sehnsuchtsvolle Erwartung wurde erfüllt: Auf einem silbernen Tablett standen erneut eine Flasche Single Malt Whisky und eine Holzschatulle mit Zigarren. Dazwischen lag ein weißer Zettel aus feinstem Büttenpapier mit der Aufschrift Für Santa – Frohe Weihnachten und wohl bekomm’s!

Der Weihnachtsmann ließ sich nicht zweimal bitten, schenkte ein Glas Whisky ein und zündete eine Zigarre an. Er setzte sich wieder in einen der bequemen Ledersessel, vergaß für eine Weile Zeit und Raum und genoss einfach nur den Augenblick. Schöner konnte die Heilige Nacht selbst im Himmel nicht sein …

In der hereinbrechenden Morgendämmerung nahm Santa Claus den letzten Schluck Whisky aus der Flasche, kritzelte noch etwas auf das Papier und kletterte rasch den Kamin hinauf. Keine Sekunde zu spät, denn an der Hand seines Vaters trat bereits der kleine Grant Gordon freudestrahlend in den Raum. Mit einem jauchzenden Schrei stürmte der Junge zum Weihnachtsbaum. »Papa, Papa, sieh nur, der Weihnachtsmann war da!«

Liebevoll lächelnd nickte der Vater seinem Söhnchen zu und las mit Freude im Herzen die Nachricht auf dem Stück Papier bei der leeren Whiskyflasche:

Lieber Grant Gordon,

besten Dank für die feinen Zigarren und den vorzüglichen Whisky. Dein Vater ist wahrlich ein Meister unter den Whiskybrennern. Du hast mir eine sehr große Freude gemacht.

Gesegnete Weihnachten für Dich und Deine Familie,

Dein Santa Claus

Heiligabend, im darauffolgenden Jahr

Santa Claus war in hektischer Eile. In Rekordzeit hatte er dieses Jahr all seine Geschenke auf der ganzen Welt verteilt. Denn so, wie er Kindern in allen Ländern der Erde eine Freude machte, so gab es ein Kind im schottischen Dufftown, welches dem Weihnachtsmann seit zwei Jahren ein ganz besonderes Glücksgefühl bescherte. Seit der letzten Heiligen Nacht konnte Santa nämlich an nichts anderes mehr denken, als an dieses eine Haus am Rande der Stadt und an den wohligen Genuss, welcher ihn dort hoffentlich wieder erwarten würde.

In Windeseile hüpfte er durch den Kamin des Herrenhauses, rannte zum Weihnachtsbaum, um dem kleinen Grant Gordon dieses Jahr eine Spielzeugeisenbahn darunter zu legen. Anschließend noch rasch den Weihnachtsstrumpf am Kamin gefüllt und endlich, endlich den anstrengenden Tag mit einem Glas besten Whiskys und einer guten Zigarre gemütlich im Ledersessel ausklingen lassen. Das Leben konnte einfach herrlich sein.

Heiligabend, elf Jahre später

Gerade zwängte sich Santa Claus aus dem engen Kamin eines Mehrfamilienhauses, als sein Blick freudestrahlend auf den Schornstein der benachbarten Whiskybrennerei Dufftowns fiel. Wie immer, das letzte Haus auf seiner Schottlandliste und das letzte Haus seiner gesamten Route. Er konnte es kaum mehr erwarten, dort endlich im Ledersessel am Kamin zu sitzen, Whisky zu trinken und Zigarre zu rauchen. Seit etlichen Jahren der krönende Abschluss getaner Arbeit. Seine ganz persönliche Weihnachtsfreude.

Wie jedes Jahr kletterte der Weihnachtsmann durch den Kamin in den elegant eingerichteten Salon des Herrenhauses. Zielstrebig steuerte er den Weihnachtsbaum in der Ecke des Raumes an, als er plötzlich innehielt.

Etwas war anders als sonst.

Etwas, das niemals, unter keinen Umständen passieren sollte. Ein ungutes Gefühl beschlich den alten Mann.

Er konnte es bis in seine Knochen spüren.

Er war nicht allein in diesem Zimmer …

Schlagartig drehte er sich um. Er warf eine Prise Sternenstaub in die Luft, welche den Salon augenblicklich taghell erleuchtete.

Da sah er ihn …

Den jungen Mann in einem der Ledersessel, der ihn erwartungsvoll anlächelte.

Er wusste sofort, wen er da vor sich hatte. »Guten Abend, Grant Gordon«, begrüßte er den Jungen.

»Guten Abend, Santa«, antwortete dieser, indem er aufstand und einen kurzen Diener in Santas Richtung machte.

Etwas verlegen standen sich die beiden gegenüber, bis Grant das Wort ergriff: »Willst du dich nicht setzen?« Er deutete auf einen der Ledersessel.

Santa nickte und setzte sich schwerfällig. Grant nahm die bereitgestellte Flasche, schenkte dem Weihnachtsmann seinen liebgewordenen Whisky ein und reichte ihm das Glas. Sich selbst schenkte er ebenfalls ein Glas ein und setzte sich Santa gegenüber.

»Bist groß geworden, Grant«, stellte Santa fest.

»Deshalb habe ich heute Abend auch auf dich gewartet«, entgegnete Grant.

»So?« Überrascht zog Santa die graue Augenbraue hoch.

»Ich wollte einfach einmal dem Mann ins Gesicht blicken, der seit Jahren wie kein zweiter unseren besten Whisky zu genießen versteht«, erklärte Grant.

Verlegen drehte Santa das Glas in seiner Hand umher. »Ich muss gestehen, junger Master Gordon, dass ich dem Whisky deines Vaters regelrecht verfallen bin. Es gibt auf Erden kein besseres Wässerchen, als dieses hier in diesem Glas. Du glaubst gar nicht, wie sehr mir inzwischen Milch und Plätzchen zuwider geworden sind, seit ich weiß, welcher Genuss mich in diesem Haus erwartet.«

»Vater war immer der Meinung, ein richtiger Mann brauche nur drei Dinge in seinem Leben: Eine starke und intelligente Frau an seiner Seite, ein Glas selbstgebrannten Whisky und eine gute Zigarre.«

Santa Claus lachte. »Ein sehr kluger Mann, dein Vater.«

Sein Gegenüber lächelte traurig. »Genau darüber wollte ich mit dir reden.« Auch er drehte gedankenverloren sein Glas in der Hand. »Die Sache ist nämlich die, dass wir heute das erste und gleichzeitig letzte Mal zusammensitzen werden.«

»Was soll das heißen? Das erste und letzte Mal?«, fragte Santa Claus erstaunt.

»Das soll heißen, dass du dieses Haus nächstes Jahr nicht mehr aufsuchen wirst, weil ich mir nichts mehr von dir wünschen werde.«

»Aber Grant, warum solltest du dir nichts mehr von mir wünschen wollen?« Der Weihnachtsmann verstand nicht, worauf Grant hinauswollte.

»Mein Vater ist vor ein paar Tagen überraschend von uns gegangen«, erzählte der Junge leise. »Großvater verlangt von mir nun, umgehend die Leitung der Brennerei zu übernehmen. Er wird mich in alles einweisen, also wie man den besten Whisky brennt, ihn lagert, vermarktet und in alle Welt verkauft. Verstehst du? Ich werde Herr über all das hier sein, über dieses Haus und über die Brennerei. Als Geschäftsführer und Firmeninhaber schreibt man demzufolge keine Wunschbriefe mehr an den Weihnachtsmann.«

»Dies wird also tatsächlich mein letzter Whisky hier sein?«, fragte Santa ungläubig.

Grant Gordon nickte traurig.

»Nun, dann erst einmal mein herzliches Beileid zum Tode deines Herrn Vaters und gleichzeitig viel Erfolg für deine Zukunft in der Brennerei.« Wehmütig erhob Santa sein Glas.

Grant Gordon erhob ebenfalls sein Glas und stieß mit dem Weihnachtsmann an: »Slàinte Mhath!«

»Slàinte Mhath!«, wiederholte auch Santa das traditionell gälische »Prost«.

»Ein wunderbarer Tropfen«, schwärmte Santa beim Genuss des edlen Getränks. »So weich und frisch, dass man meint, einzelne Früchte wie Birnen und Orangen, verfeinert mit Honig und Heidekraut, herauszuschmecken. Ebenso wie das zarte Eichenholzaroma, in welchem der Whisky gelagert wurde.«

»Da spricht ein wahrer Kenner«, lobte Grant anerkennend.

Santa nickte lächelnd. »Im Abgang würde ich sagen, schließt er sich langanhaltend mit einer leicht trockenen Note von Pinien und Torf an, abgerundet durch eine sanfte Vanillesüße.«

»Der beste Single Malt eben, den man in dieser Gegend bekommen kann«, erwiderte Grant nicht ohne Stolz. »Es gibt für einen Whiskybrenner keine größere Freude, als mit einem Freund zu trinken, der einen guten Whisky so richtig zu schätzen weiß.«

»Hm«, brummte der Weihnachtsmann gedankenverloren. Plötzlich jedoch sprang er aus dem Sessel auf und rief: »Wo steht eigentlich geschrieben, dass ich nur zu Kindern kommen darf, die mir einen Wunschzettel geschickt haben?«

Grant zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht …«

»Ja eben«, entgegnete Santa Claus, »ich auch nicht. Weil es nämlich nirgendwo geschrieben steht! Humbug! Ich kann besuchen wen ich will, wann ich will und wo ich will.«

Grant blickte etwas irritiert auf.

Triumphierend reckte Santa sein Glas in die Höhe. »Mein lieber Grant Gordon, mein alljährliches Whiskytrinken bei dir ist mir inzwischen zu solch lieber Tradition geworden, dass ich nur ungern damit brechen möchte. Deshalb sehe ich keinen Hinderungsgrund, warum ich dich nächstes Jahr nicht wieder besuchen kommen kann. Du brauchst mir keinen Wunschzettel zu schreiben. Es reicht völlig, wenn du mir wieder meinen Whisky und meine Zigarren bereitstellst.«

Nun sprang auch Grant voll Enthusiasmus aus seinem Sessel empor. »Es wird mir eine Freude sein, lieber Santa, auch nächstes Jahr in der Weihnachtsnacht meinen besten Single Malt mit dir persönlich zu trinken. Du bist jederzeit herzlich willkommen in meinem Hause.«

»So soll es sein, mein junger Freund.« Vergnügt stießen die beiden auf den Vorschlag des Weihnachtsmannes an.

So also kam es, dass in dem kleinen Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands jedes Jahr zu Heiligabend Santa Claus nach getaner Arbeit in das herrschaftliche Anwesen der dortigen Whiskybrennerei einkehrte, mit dem Herrn des Hauses einen vorzüglichen Single Malt Whisky trank, genüsslich eine handgedrehte Zigarre rauchte und mit ihm angeregt über Gott und die Welt plauderte.

Auch die Söhne und Enkelsöhne von Grant Gordon führten diese Tradition fort. Ein jeder sorgte stets dafür, dass in der Heiligen Nacht etwas ganz Bestimmtes im Salon bereitstand: Ein Single Malt für Santa Claus, bis zum heutigen Tage …

Single Malt Weihnacht

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