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Kapitel 1: Ich bin wieder da

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Washington, D.C., November 2015 bis 7. Juli 2016

Stille. Unendliche Stille – und doch eine geradezu präzise, das ganze Universum umfassende Aktivität.

Er erfasst die Teilung. Jede einzelne, die exakt wie ein Uhrwerk rasend voranschreitet. Die Architektur der Zellen steht und ist bis ins kleinste Detail vorherbestimmt. Er genießt seine beginnende Vollkommenheit, die Stunde für Stunde, Tag für Tag Gestalt annimmt. Unnötig, Befehle zu erteilen. Alles ist bis auf die kleinste Komponente geplant. Seine Bestimmung.

Noch sieht er aus wie eine Kaulquappe, durch eine hauchdünne Schnur mit der ständig größer werdenden Plazenta verbunden. Er ist versorgt. Er erkennt seine Augen, die sich als winzige Höcker am Kopf ausgebildet haben, genießt, in völliger Ruhe, sein Gehirn wachsen zu sehen. Wie ein dünnes Röhrchen windet es sich bis zum Steiß, um später das Rückenmark entstehen zu lassen. Alles um ihn herum wabert. Sämtliche Zellen folgen strikt ihrem Bauplan – ihren Anweisungen – bilden Organe, Muskeln, Haut, Haare, Hoden, Schweißdrüsen. Seit über dreißig Tagen beobachtet er sich nun – bis sein Herz zu schlagen beginnt. Das berauschende Gefühl der Existenz überkommt ihn, als er sich am Takt des Herzschlags seiner Mutter orientiert. Nur doppelt so schnell.

Seine Mutter: Afroamerikanerin, seit ihrer Geburt in Washington lebend, strahlend weiße Zähne. Sie liebt ihn bereits über Wochen, Monate hinweg abgöttisch und wird ihm all ihre Fürsorge zuteilwerden lassen. Noch weiß sie nicht, dass er sie auserwählt hat. Sie ahnt nicht, dass sie eine besondere Rolle innehat.

Er dreht sich, betrachtet seine Finger, seine Zehen – trotz geschlossener Augen.

Dann kommt der Tag, sein Tag, der 7. Juli 2016. Er spürt die Kontraktion der Gebärmutter, seine verschränkten Arme auf der Brust, die Beine angezogen. Es ist eng, sehr eng. Das Hormon Kortison durchflutet ihn. Er wird es benötigen, um den ersten Atemzug zu tun. Der Schleimpfropf, welcher den Muttermund verschlossen hat, geht ab und er wird in immer kürzeren Abständen nach unten gedrückt. Er nimmt die hechelnde Atmung seiner Mutter wahr, wie sich ihre Lungenflügel prall mit Sauerstoff füllen, um eine Sekunde später gepresst Kohlenstoffdioxyd auszupusten. Ihr Herz rast, pumpt nun im gleichen Takt wie das seine. Sie keucht, schreit auf, als sie abermals eine heftige Wehe überkommt. Er registriert ihre spitzen Schreie, so als ob seine Ohren unterhalb des Wasserspiegels einer Badewanne versunken wären. Panik erfasst ihn, als sein Kopf gequetscht wird und zwei Hände ihn umfassen.

Dann geht es schnell. Ein letzter Druck gegen sein Steißbein und – durch eine glitschig-feuchte Hautspalte wird er ins Freie gepresst. Gleißendes Licht blendet ihn, während er in blutig-schleimiger Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen liegt. Er schreit, spürt die Kraft des Sauerstoffs in den Lungen und denkt:

Achtet auf die Sperlinge!

Ich bin wieder da!

Chris Owen - Die Wiedergeburt

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