Читать книгу Die Festung im Moor - Matthias Scheele - Страница 7
In den Mooren
ОглавлениеGunnriks Tod war beinahe eine Woche her. Es war noch früh am Morgen und der Himmel wurde gerade erst schwach von der aufgehenden Sonne erhellt und Bodennebel umwaberte Wege, Wälder und Wiesen, da machte sich eine geheimnisvoll vermummte Gestalt auf, die Tore der Festung zu verlassen. Sie war in einen dunklen Mantel gehüllt und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Lediglich der weiße, mit Perlen verzierte Bart ließ erahnen, wer sich darunter verbarg.
Er schlug den Weg Richtung Moore ein und nahm exakt denselben Weg, der auch Gunnriks letzter gewesen war. Gedanken kreisten um ihn und Trauer stieg in ihm hoch. Er wollte die Stelle in den Mooren, die er als Gunnriks letzte Ruhestätte ausgewählt hatte noch einmal besuchen.
So betrat er den alten Bohlenweg und ging bis zu dessen Ende. Dorthin, wo der alte Wodens-Götze gestanden hatte und Gunnrik sein Ende fand. Nur noch ein tiefes Loch erinnerte an den alten Götzen, da Gundrik der Bildhauer den übrig gebliebenen Stumpf mittlerweile entfernt hatte. Noch immer war dort angetrocknetes Blut zu sehen. Er sah alles noch genau vor sich, wenn er die Augen schloss. Gunnriks letzter Weg. Valdr hatte noch keine der ersehnten Antworten gefunden. Noch immer irrten seine Gedanken im Kreis und er fragte sich, wer dieser Ásgeirr war, von dem der Geist seines Sohnes berichtet hatte, bevor er hinab gezogen wurde in die Unterwelt. Er wusste auch schon gar nicht mehr, ob das überhaupt noch wichtig war.
Valdr schüttelte den Kopf. Vermutlich war es doch nichts weiter als bloß ein Traum gewesen. Der Traum eines alten Mannes und trauernden Vaters, der nicht wahr haben wollte, was geschehen war und am Ende doch bloß Geister jagte.
Er schlug die Kapuze zurück und sah gen Osten, wo sich die Sonne langsam hinter einigen Wolken blicken ließ und ihre ersten Strahlen auf das Land warf. Ein wunderschöner Anblick.
>>Wie ich sehe ist hier noch jemand sehr früh wach<<, tönte hinter Valdr eine ihm wohl vertraute Stimme.
Als der Fürst sich zu dieser Stimme herum drehte erkannte er ihn. Es war Grimnir, der sich lässig auf einen Stab stützte. Bei genauerer Betrachtung bemerkte er jedoch, dass Grimnir den Stab an einem Ende angespitzt hatte.
>>Was tust du hier..?<< Valdr deutete auf den angespitzten Stock. Da raschelte es plötzlich hinter ihm im Busch und ein Glucken war zu hören.
Sofort hob Grimnir den Finger vor den Mund und bedeutete Valdr still stehen zu bleiben. Mit ruhigen, fließenden Bewegungen begab sich Grimnir in Position, hob seinen angespitzten Speer langsam auf Höhe seines Kopfes und zielte geduldig. DA. Da war es wieder, dieses Glucken. Grimnir schleuderte seinen Speer mit einer Kraft und Geschwindigkeit, dass Valdr staunte, wie schnell alles passierte. Das Glucken verstummte augenblicklich.
Grimnir ging zu besagtem Busch hin, aus dem noch ein Ende des Speeres heraus ragte, griff danach und zog ihn langsam raus.
Er grinste zufrieden und deutete auf das Spitze Ende des Speeres. >>Ein Moorhuhn. Und auch noch so ein dickes. Das wird ein fabelhaftes Frühstück. An dem Tier ist so viel dran, da werden wir beide noch von satt. Komm, ich lade dich ein, als Dank für deine Gastfreundschaft.<<
Valdr staunte >>Du willst gehen?<<
>>Ich bleibe nie lange an einem Ort. Ich war eine Woche hier. Nach dieser Zeit werden die Leute meiner oft überdrüssig. Du und deine Familie habt mich gut aufgenommen. Deine Töchter haben mir die Stadt gezeigt und ich tat das, was ich am besten kann. Ich habe sie unterhalten. Jetzt wird es für diesen alten Wanderer Zeit weiter zu gehen.<<
Schnell hatte Grimnir sich ein paar trockene Stöcke und Zweige gesammelt und diese mit Moos auf dem Boden zu einem Haufen aufgeschichtet. Mit Hilfe von zwei kleinen Feuersteinen, die er aus seiner Tasche holte, hatte er nach kurzer Zeit ein Feuer entfacht. Nun begann er das Moorhuhn zu rupfen und auszunehmen. Für solche Zwecke hatte er immer ein gutes, scharfes Messer bei sich. Nachdem der Kopf und der Hals abgetrennt und das Huhn ordnungsgemäß vorbereitet war, steckte er es auf seinen Speer zurück, den er jetzt über das Feuer hielt.
>>Nun, da wie ich sehe keine Möglichkeit besteht dich vom Bleiben zu überzeugen, nehme ich deine Einladung gerne an. Das ist wohl das Mindeste. Außerdem konnte ich gutem Essen noch nie widerstehen<<, gab Valdr grinsend zu und setzte sich. Für einen kurzen Moment hatte er sogar vergessen, weshalb er eigentlich hergekommen war.
Grimnir deutete auf die Stelle mit dem angetrockneten Blut. >>Was ist dort passiert? Und wieso das Loch im Boden?<<
>>Ein schweres Verbrechen, dass gesühnt werden musste. Es war vor etwa einer Woche, kurz bevor du auftauchtest. Ich frage mich bis heute, wieso es soweit kommen konnte. In der Nacht nach der Urteilsvollstreckung hatte ich einen Traum. Es war mein…...der zum Tode Verurteilte, der mich warnen wollte. Vor einem Mann mit dem Namen Ásgeirr.<< Valdr fuhr sich kurz über die Augen >>Verzeih. Ich will dich nicht mit den Albträumen eines alten Mannes belästigen.<<
Grimnir nickte und drehte dabei den Spieß langsam und gleichmäßig über dem Feuer
>>Reden hilft, wenn kein Rat mehr tröstet. Ich weiß, wie es ist Albträume zu haben. Ich kenne das nur all zu gut. Der Mann der hier getötet wurde war dein Sohn, richtig? Was hat er getan…?<<
Er sah, während er redete stets ruhig und konzentriert zum Moorhuhn, welches er nun langsam zu drehen begann, während sich der Duft des gebratenen Fleisches in ihre Nasen schlich. Erneut griff Grimnir in eine seiner Taschen und holte eine Hand voll getrockneten Giersch heraus, womit er das halb fertige Moorhuhn einrieb und dann wieder über das Feuer hielt. Das sollte dem Fleisch eine leichte Würze verleihen.
Valdr erzählte ihm währenddessen, was sein Sohn getan hatte und von den mysteriösen Ereignissen, die voraus gegangen waren. Es fiel ihm merklich schwer das alles wieder aus seinem Gedächtnis hervorzukramen. Doch Grimnir ließ nicht locker, fragte weiter, nicht aufdringlich, sondern mit einer derart freundlichen Art, dass Valdr gerne mehr erzählte, selbst wenn es schmerzte.
Nachdem Grimnir alles gehört hatte wurde er nachdenklich. Das Moorhuhn war mittlerweile gut durch und er nahm es vom Feuer. Er wartete einen Moment, bis es soweit herunter gekühlt war, dass es gerade so angefasst werden konnte und riss für Valdr eine der Beinkeulen ab. Dankend nahm der Fürst die Keule entgegen und begann zu essen.
>>Das mit deinem Sohn tut mir Leid<<, hörte er Grimnir nach einer Weile schmatzend sagen >>Was auch immer ihn trieb, es ging sicher um mehr. Er hatte einen Grund zu tun, was er tat. Und jemand gab ihm diesen Grund. Er wusste, welche Strafen auf die Dinge standen, die er getan hatte und trotzdem tat er sie. Seltsam, nicht? Hat er nichts gesagt? Nicht darüber geredet, was ihn antrieb?<<
Valdr schüttelte den Kopf. >>Nein. Kein Wort. Und nun sitze ich hier mit mehr Fragen als Antworten, mit einem Namen aus einem Traum, der vielleicht gar nicht existiert.<<
Grimnir deutete in Richtung Stadt. >>Fabiranum war einst in Römerhand, richtig? Auch wenn sich viel geändert hat, der Baustil ist römisch.<<
Valdr nickte >>Das ist richtig. Meine Vorväter nahmen einst die Stadt ein<< er wunderte sich, worauf Grimnir hinaus wollte.
>>Und ich sah vor zwei Tagen, wie ein römisches Handelsschiff spät am Abend den Hafen verließ. Treibt ihr öfters Handel mit den Römern?<< er biss noch einmal schmatzend von seiner Keule ab.
>>Alle ein bis zwei Monate kommt eines ihrer Handelsschiffe hier vorbei und beliefert uns mit Eisen, Stoffen und Getreide<< antwortete er und nahm einen Schluck kühles Wasser zu sich, dass er in einer Feldflasche an seinem Gürtel mit sich trug. Er bot Grimnir einen Schluck an, der nicht nein dazu sagte.
Valdrs Gast fuhr sich nachdenklich mit einer Hand über den Bart. >>Und dort passierte nie etwas Ungewöhnliches?<<
>>Vor zwei Monaten gab es einen Vorfall. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas damit zu tun hat.<<
Grimnir sah ihm ruhig in die Augen >>Was ist passiert?<<
>>Vor zwei Monaten erzählte Ulfmarr mir etwas Ungewöhnliches. Der Kapitän eines römischen Schiffes hatte seine Tochter mit. Ich glaube ihr Name war Melina. Sie überwachte die Übergabe der Ladung. Gunnrik als mein Ältester war für den Hafen und die Ladungen zuständig. Soweit ich weiß, traf er sie. Ulfmarr sah die beiden zusammen, wusste aber keine Einzelheiten, wie er sagte. Einen Tag später legte das Schiff ab und das war auch der Tag, an dem er sich plötzlich verändert hatte. All der Ärger und die Trauer müssen mich blind gemacht haben. Aber...all das wegen einer Frau?.<< er schüttelte den Kopf
>>Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.<<
Grimnir sah ihn ruhig an und zuckte mit den Schultern >>Wer weiß? Menschen sind manchmal unberechenbar, wenn es um die Liebe geht.<<
>>So viele Menschen sind täglich in meiner Stadt. Schiffe kommen und fahren. Wenn es so gewesen sein sollte, wieso konnte er dann nicht mit mir reden? <<
>>Vielleicht hatte er Angst, dass du ihm seine Gefühlsduselei als Schwäche auslegst. Vielleicht glaubte er, dass du ihn nicht mehr für einen guten Anführer halten könntest. Gründe, die Menschen in die Verzweiflung treiben, können vielfältig sein. Aber das sind alles nur Spekulationen und Hirngespinste. Ásgeirr war möglicherweise nur ihr wahrer geliebter. Wir können nicht wissen, ob es wirklich so war. Und auch ich werde jetzt wieder meiner Wege gehen. Vielleicht kreuzen sich unsere irgendwann wieder.<<
Inzwischen waren von dem Moorhuhn nur noch Knochen übrig. Grimnir nahm Erde vom Boden auf und warf sie in das Feuer, um es zu löschen. Nachdem es nur noch glimmte trat er ein paar mal mit seinem Fuß darauf, bis alles aus war.
Valdr reichte Grimnir zum Abschied die Hand.
>>Mögen die Götter dich schützen. <<
Grimnir seinerseits tat dasselbe und wünschte Valdr von Herzen alles Gute. Der Fürst hob noch schnell den angespitzten Speer auf, doch Grimnir war schon fort. Es schien als hätte er sich einfach ins Nichts aufgelöst. Gerade so wie der Nebel, der scheinbar zusammen mit Grimnir verschwunden war.