Читать книгу Die Festung im Moor - Matthias Scheele - Страница 9
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ОглавлениеDer Einsiedler blieb verschwunden. Auch Monate nachdem seine Hütte in den Mooren auf mysteriöse Art und Weise fast vollständig niedergebrannt war, gab es keinerlei Lebenszeichen mehr von ihm. Niemand hatte seither etwas von ihm gehört oder gar gesehen.
Nachforschungen bei Valdrs Bruder Arnodd im benachbarten Wurtendorf Fallward oder den anderen umliegenden Siedlungen in Barward und der Feddersen Wierde hatten ebenfalls keine Ergebnisse zutage gefördert. Alles, was von dem komischen Alten übrig geblieben war, war der hölzerne Hengst mit seinen acht Beinen, den Valdr nur aus alten Geschichten über die Götter kannte. Es hieß, dass kein Wesen es mit seiner Schnelligkeit und Wendigkeit aufnehmen könne. Sleipnir, so hieß der Hengst, konnte zudem auch über Wasser und durch die Luft reiten.
Es war inzwischen Mittag. Die dicken Regenwolken, die am Morgen noch den Himmel verdunkelt hatten, zogen sich zurück und machten der frühsommerlichen Sonne Platz, die ihre wärmenden Strahlen auf das Land warf. Valdr saß in seinem Wohnhaus auf einer Bank und sah ins Feuer, während er mit dem hölzernen Tier in seiner Hand spielte.
Noch etwas war gemeinsam mit dem Einsiedler langsam verschwunden. Die Monate seit dessen Verschwinden hatten Valdr stark verändert. Einst ein stolzer, starker Fürst und nun ein gebrochener Mann, der das Haus nicht mehr verließ. Gedankenverloren saß er nur noch vor dem Feuer und starrte hinein, während er den hölzernen Hengst nie aus der Hand legte. Er aß kaum noch und trank nur, weil seine Töchter Vighild und Gerdar ihn zwangen, indem sie so lange auf ihn einredeten, dass er es nur deswegen tat, damit sie endlich still waren. Ob es nur daran lag, dass der Alte aus den Mooren verschwunden war, oder ob Valdr das Alter nun doch zusetzte und das alles nur ein großer Zufall war, konnte niemand sagen.
Während sein Vater gedankenverloren in dessen Haus saß und grübelte, machte Ulfmarr sich immer größere Sorgen um ihn. War er noch imstande diese Stadt und ihre Bewohner zu führen? Sicher, was mit seinem älteren Bruder Gunnrik geschehen war, war für seinen Vater nicht begreiflich und sicher auch schmerzlich. Aber das war nun schon Monate her und so sehr sie sich bemüht hatten, sie hatten nichts herausfinden können. Je mehr Zeit verstrich, desto geringer wurde die Chance überhaupt noch etwas in Erfahrung zu bringen. Das alles setzte dem Fürsten in seinen alten Tagen noch zusätzlich zu.
Ulfmarr beschloss mit einem Karren zur Feddersen Wierde zu fahren. Eine Wurtensiedlung direkt am Meer und nordwestlich von Fabiranum. Es war ein Dorf, dass sich fast ausschließlich mit Handwerk und Viehzucht beschäftigte, weniger mit Ackerbau.
Mit einer Größe von beinahe vier Hektar Land, rund sechsundzwanzig Wohnstallhäusern und dreihundert Einwohnern ein nicht gerade kleines Wurtendorf, dessen Höfe halbkreisförmig um einen großen zentralen Platz angeordnet waren. An der Spitze der Siedlung befand sich ein Herrenhof, der mehrere Betriebe unterschiedlicher Art und eine große Versammlungshalle besaß, in der das Dorf zusammen kam, wenn es etwas wichtiges zu feiern oder zu besprechen gab. Die Versammlungshalle wurde auch für das Thing genutzt, um wichtige Angelegenheiten zur Abstimmung zu bringen, wie auch zu religiösen Zwecken.
Die Häuser der Höfe waren gewöhnliche Wohnstallhäuser, wie sie auch in den benachbarten Wurtensiedlungen, etwa Fallward oder Barward bekann waren.
Sie waren in drei Bereiche unterteilt. Einen Wohnteil, in dem etwa fünfzehn bis zwanzig Menschen Platz hatten, einem Wirtschaftsraum, in dem Arbeitsgerät gelagert wurde und einem Stallteil, der, je nach größe des Hauses, genügend Platz für zwölf bis dreißig Rinder bot. Hier lebte nicht nur die Familie des Bauern unter einem Dach, sondern auch Sklaven und Mägde. Zentral im Wohnteil des Hauses, der etwa halb so groß war, wie der Stallteil, befand sich die Herdstelle. Schräg über der Herdstelle fand sich im Dach ein Loch, durch das der Rauch abziehen konnte. An den Seiten der Wände waren die Strohlager, auf denen die Menschen schliefen. Privatsphäre gab es keine.
Neben den Wohnstallhäusern gab es auf den Höfen noch einen Vorratsspeicher. Er war auf Pfählen errichtet, damit die Vorräte im Falle einer Flut sicher waren.
Rings um die Siedlung standen den Menschen noch etwa dreihundert Hektar Land zur Verfügung, welches aber größtenteils als Weideland für das Vieh und nur zu einem sehr kleinen Teil als Ackerland genutzt wurde.
Und Vieh gab es viel. Etwa fünfhundert Tiere, darunter Rinder, Schafe, Pferde, Schweine, aber auch Hunde, die auf den Weiden die Tiere zusammen hielten und sie vor Räubern schützten. Sie lieferten Fleisch, Felle, Wolle, Knochen und Horn. Knochen und Horn wurden vor allem für die Herstellung von Arbeitsgerät, Gefäßen oder Kämmen genutzt.
Der Weg dorthin war beschwerlich, besonders wenn noch ein Karren mit im Spiel war. Er bestand nicht nur aus festem Marschenland, sondern auch zu einem großen Teil aus Moor. Bohlenwege aus Eichenholz bildeten zwar sichere Passagen über die sumpfigen Gebiete, aber mit dem breiten Karren genügte ein einziger Fehltritt um festzustecken. Er kam auch an der zerstörten Hütte des Einsiedlers vorbei. Ulfmarr beschloss Halt zu machen und sah sich die verbrannten Überreste eine Weile an. Er fragte sich immer noch, wie das alles nur geschehen konnte und weshalb der Einsiedler nicht zurückgekehrt war. Sie hatten hier wirklich alles durchsucht und keine menschlichen Überreste gefunden. Es half aber nichts, er musste weiter.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die Sonne aber
ihren Stand nicht großartig verändert hatte, sah er endlich das Ziel vor Augen: Feddersen Wierde.
Ulfmarr kam her, um einige Bestellungen abzuholen, die er bereits vor Wochen den Handwerkern hier aufgegeben hatte. Seine Ziele waren unter anderem die Weberei, die Schmiede, ein Händler für Glasgefäße und Tongeschirr und außerdem benötigte er noch ein paar Kämme aus Knochen, sowie Leder aus der Gerberei.
Wer etwas benötigte, der wusste, dass es hier zu bekommen war. Auch andere Wurtensiedlungen schickten regelmäßig Männer oder Frauen zur Feddersen Wierde. Angefangen bei Aslum im Norden, über Mulsum, Fallward und Barward im Süden, bis hinunter nach Dingen. Betrieben wurde hier ganz normaler Tauschhandel. Benötigte jemand beispielsweise eine Schwertklinge, war diese mit einigen Rindern der Gegenseite auszugleichen, da die Beschaffung des Eisens für das Schmieden einer solchen Klinge teuer war und dieses oft erst über den Seeweg herangeschafft werden musste. Ein Schwert diente schließlich im Notfall der Verteidigung des eigenen Lebens und da Rinder in diesen schwierigen Zeiten für viele eine Lebensgrundlage bildeten, war eine Schwertklinge so kostbar, wie fünf oder sechs Rinder. Für zwei Ballen Stoff glich wurden beispielsweise ebenso viele Getreidesäcke ausgeglichen. Es wurden immer die Dinge getauscht, welche von der Gegenseite eines solchen Handels benötigt wurden.
Den Menschen hier ging es gut. Ihre Tage waren geprägt von harter Arbeit doch sie waren zufrieden. Jeder von ihnen hatte sein Auskommen und trotz der harten Arbeit und der Anstrengungen sah spielten hier auch Kinder und es gab immer jemanden, der Zeit hatte Späße mit ihnen zu treiben. Jetzt, wo endlich die Sonne schien, konnte Ulfmarr den Blick Richtung Meer genießen. Eine beinahe gespenstische Stille lag über den seichten Wellen, die sich mit gleichmäßigem Rauschen am Strand brachen. Hier zu sein ließ Ulfmarr für eine kurze Zeit die Sorgen um seinen kranken Vater vergessen.
Während die Zeit verstrich, die Sonne langsam tiefer sank und Ulfmarr sich Tag für Tag um die Belange Fabiranums kümmerte, saß Valdr noch vor seinem Feuer und starrte hinein.
Eigentlich war der Sohn längst an die Stelle des Vaters getreten, seit dieser sich nur noch zurückzog. Gab es wichtige Entscheidungen, wie beispielsweise Reparaturarbeiten an Gebäuden oder den wichtigen, schützenden Eichenpalisaden um die Stadt herum, so war es Ulfmarr, der darüber entschied, was zu tun war. Gerade das Erneuern der Eichenpalisaden im feuchten Moorboden war nicht nur mit viel Arbeit, sondern auch mit hohen Kosten verbunden. Er musste den Seehandel koordinieren, da regelmäßig Schiffe mit ausländischen Waren, wie beispielsweise Glasgefäße im Hafen eintrafen und dafür sorgen, dass mit solchen Waren auch vorsichtig umgegangen wurde. Die Getreidespeicher der Stadt mussten regelmäßig kontrolliert werden. Sich um Streitigkeiten kümmern, Gericht zu halten, Verhandlungen zu führen und für Händler, die über Land zu ihm kamen sichere Passagen zu schaffen, sowie diese instand zu halten zählten auch zu seinen Aufgaben.
Am Abend bekam Valdr Besuch von seinen Töchtern.
Vighild kniete sich neben ihren Vater.
>>Vater bitte.<< flehte sie verzweifelt. >>Bitte sag doch etwas. Du bist für niemanden mehr zu sprechen, lange schon bleiben alle Geschäfte an unserem Bruder hängen. Sag uns bitte, was wir tun sollen.<<
Gerdar kam ebenfalls dazu, nahm die Hand ihres Vaters und drückte sie sanft >>Wir wissen, dass die letzten Monate nicht einfach waren. Aber so, wie es jetzt ist, kann es nicht weiter gehen.<< sagte sie ruhig zu ihm >>Sonst wird ein neuer Fürst gewählt.<<
Valdr reagierte plötzlich und sah Gerdar ruhig an >>Sieh doch ins Feuer. Da...da ist er. Er redet mit mir, wisst ihr<< der einst so starke Fürst drehte er sich um und blickte wieder starr ins Feuer, die Augen weit aufgerissen. Er lächelte und nickte, als würde aus dem Feuer tatsächlich jemand zu ihm sprechen. Manchmal bewegte er auch die Lippen, als wolle er antworten. Doch ein Wort kam über seine Lippen.
Gerdar rüttelte leicht an ihm >>Vater. Wer ist denn da? Mit wem redest du?<<
Valdr lächelte nur. >>Wer da ist? Siehst du ihn nicht? Hörst du ihn nicht?<< er lachte.
>>Nein Vater.<< entgegnete seine Tochter und versuchte dabei so gefasst wie möglich zu bleiben. >>Ich sehe niemanden.<<
>>Sieh tiefer hinein.<< zitternd deutete Valdr mit einem Finger auf die Flammen.
Gerdar schüttelte verzweifelt den Kopf und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Vighild nahm Gerdars Hand und auch sie konnte nicht anders. Sie musste weinen. Der starke Fürst, der Valdr einst gewesen war, der vor Monaten noch mit seinen Töchtern und seinem Sohn am Tisch gesessen und Späße gemacht hatte, war fort. Hier vor ihnen saß nur noch eine leere Hülle. Ein gebrochener Mann, der dabei war sich selbst aufzugeben.
Sie gingen und ließen ihn vorerst allein. Sie wollten auf Ulfmarr warten und dann mit ihm reden.
Während sich seine Töchter um die Ablösung ihres Vaters sorgten, erlebte Valdr ganz anderes, denn vor sich sah er kein Feuer. Er befand sich nicht einmal in seinem Haus, sondern auf einer riesigen Ebene, dem Jörmungrund, wie sie es nannten. Es war die Ebene der Menschenwelt Midgard. Inmitten dieses Tals erhob sich der Himmelsberg, der dem Glauben seines Stammes nach die Welt der Götter Asgard mit Midgard, der Welt der Menschen verband. Er war so hoch, dass sein Gipfel fast zur Gänze in den Wolken verschwand.
Aber noch etwas konnte Valdr sehen. Seine Vision erlaubte ihm zu ergründen, was sich über den Wolken und auf dem Gipfel des Berges befand. Ließ er seinen Geist über die Wolken steigen, konnte er den Gipfel sehen. Ein gewaltiger Gebirgskamm. Hier, in Asgard lebten die Aesir, ihre Götter. Doch nie konnte er dichter herangehen. Ihm war nur der Blick aus der Ferne vergönnt. Manchmal hörte er hier die Stimme des Einsiedlers, die zu ihm sprach und ihm sagte, dass er sich nicht zu sorgen brauchte, dass alle seine Fragen schon bald beantwortet würden.
Er lebte jetzt in seiner ganz eigenen Welt. Ob er sie lediglich erträumte, oder die Götter ihm Visionen schenkten, vermochte niemand zu sagen. Ohne starke Führung waren sie für jeden angreifbar und die Schwäche des Fürsten würde sich bald herumsprechen. Nicht nur in den umliegenden Siedlungen.
Als Ulfmarr am Abend mit seinem voll beladenen Karren aus der Feddersen Wierde zurückkehrte wurde er bereits von seinen Schwestern in der Nähe des westlichen Tores erwartet.
>>Ulfmarr? Wir müssen reden...über Vater.<< begann Vighild mit ruhiger Stimme. Doch so sehr sie auch versuchte ruhig zu sprechen, was auf andere durchaus überzeugend gewirkt hätte, hörte Ulfmarr auch deutliche Besorgnis und ein leises Zittern heraus.
>>Ich fürchte es führt kein Weg drum herum.<< antwortete er, nachdem er von seinem Pferd gestiegen war. Er rief ein paar starke Männer heran und befahl ihnen den Karren zu entladen.
Die drei Geschwister beschlossen alles bei einem gemeinsamen Abendessen zu besprechen. Sie speisten in Ulfmarrs Haus, dass sich nahe am Thingplatz befand.
Es war ein Haus in typisch altitalischer Bauweise, ähnlich dem seines Vaters. Wurde es durch das Eingangstor betreten, musste erst ein kurzer Flur durchschritten werden. Danach erwartete einen der zentral gelegene Teil des Hauses, das Atrium. Es war ein unüberdachter Innenhof, der von einer umlaufenden Säulenreihe umrahmt wurde. In der Mitte des Hofes befand sich ein rechteckiger Wasserbrunnen, dessen Aufgabe es war das Regenwasser, welches vom Dach tropfte aufzufangen und in die Zisterne zu leiten. So hatte die Stadt stetig frisches und sauberes Trinkwasser. Von hier aus waren die Zimmer der Sklaven zu sehen, von denen es insgesamt vier gab. Es waren eher kleine Räume, die Platz für drei bis vier Personen boten. Die Privaträume Ulfmarrs, sowie ein Garten, der aber eher ungepflegt und wild wirkte, waren von hier aus auch zu erreichen.
Das Esszimmer grenzte an den Garten und Ulfmarrs private Räume. Den Mittelpunkt des Raumes bildete ein schwerer Tisch aus Marmor, der umgeben war von drei ˋKlinenˋ. So wurden in Rom die Speisesofas genannt, auf denen nur halb liegend das Essen eingenommen wurde. Ulfmarr hatte diese Art zu essen stets gefallen und so entschied er sich dafür sein Esszimmer ebenfalls so einzurichten.
Es gab Roggenbrot, Beeren und Äpfel. Zu Trinken hatten sie Wasser. Ulfmarr hätte auch Met trinken können, doch brauchte er für das folgende Gespräch einen klaren, kühlen Kopf. Schließlich ging es um die Ablösung seines Vaters.
>>Ich werde morgen ein Thing ankündigen. Auf der Versammlung werde ich den Zustand meines Vaters erklären und zu Neuwahlen aufrufen. Mir bleibt nichts anderes. Wenn die anderen Stämme hiervon erfahren werden sie nicht lange warten, bis sie versuchen unsere reiche Stadt anzugreifen.<<
Gerdar nickte zögerlich, während sie an ihrem Wasserglas nippte >>Was mag ihn nur so verändert haben?<<
>>Siehst du das wirklich nicht?<< fragte Vighild ihre jüngere Schwester schnippisch. >>Der Verlust unseres Bruders und falsche Versprechungen haben uns an diesen Punkt gebracht.<<
>>Falsche Versprechungen? Du meinst diesen Einsiedler Gaius?<< hakte Ulfmarr nach und unterbrach das Gespräch, als zwei Sklaven die Hauptmahlzeit hereintrugen und diese auf dem Tisch platzierten.
Es war ein einfaches Essen. Eine Möhrensuppe, welche lediglich aus einer Kräuterbrühe und in Scheiben geschnittenen, weich gekochten Möhren bestand. Dazu aßen sie gewöhnliches Brot aus Roggenmehl.
Mit einer Holzkelle gab einer der Sklaven jedem jeweils eine Kelle Suppe auf einen hölzernen Teller und reichte diese zusammen mit einem Stück Brot an Ulfmarr und seine Schwestern weiter.
Erst als die Sklaven den Raum verlassen hatten, fuhr Vighild fort Ulfmarrs letzte Frage zu beantworten.
>>Den meine ich. Er hat unseren Vater in seinem Wahn bestärkt, dass die Götter etwas damit zu tun hatten. Wenn ihr mich fragt ist Gunnrik einfach wahnsinnig geworden. Vielleicht war der Druck auf ihn einfach zu groß.<<
Gerdar aber schüttelte den Kopf >>Und was ist mit den Visionen, die Vater nach Gunnriks Tod hatte?<<
Vighild sah ihre Schwester ungläubig an.
>>Visionen? Weshalb sollten die Götter unserem Vater Visionen schicken? Das waren doch nur die Träume eines trauernden, alten Mannes die dummerweise von irgend so einem Spinner aus den Mooren auch noch falsch gedeutet und bestärkt wurden. Da hat jemand gezielt versucht unseren Vater in genau diesen Zustand zu treiben, in dem er sich jetzt befindet. Wer weiß denn schon, was dieser Römer im Schilde führt? Wahrscheinlich ist er gerade in diesem Moment bei seinen eigentlichen Herren und berichtet fleißig, was hier vor sich geht. Und dann?<<
Gerdar sah ihre ältere Schwester verständnislos an. >>Weshalb sollte jemand so etwas tun?<<
>>Überleg doch mal.<< entgegnete Ulfmarr.
>>Wenn jemand Vater auf diese Weise gezielt in den Wahnsinn treiben wollte, dann doch nur aus einem Grund. Um die Kontrolle über diese Stadt zu gewinnen.<<
Ulfmarr sah finster über den Rand seines Wasserglases >>Ich denke, wir finden es bald heraus. Über Jahrhunderte hinweg haben andere Stämme versucht gewaltsam die Kontrolle über Fabiranum zu erringen. Jahrhunderte lang konnten unsere Vorfahren verhindern, dass solches geschieht. Ob nun mit Hilfe der Götter, oder aus ganz eigenen Kräften. Stets wurde über die Nachfolge als Herrscher im Thing entschieden. Und so wird es auch diesmal passieren. Wer immer dahinter steckt, wird sich beim Thing zu erkennen geben.<<
Seine Schwestern nickten zustimmend.
Sie alle beendeten nun ihr Mahl und zogen sich für die Nacht zurück.
Ulfmarr jedoch blieb noch lange auf, kümmerte sich um seinen Vater, half ihm beim Essen und auch beim Waschen. Noch nicht einmal umziehen konnte er sich mehr alleine. Es war beinahe so, als hätte Ulfmarr hier nur noch die leere Hülle seines Vaters sitzen, denn seine Seele schien wie fort geweht. Schließlich brachte er seinen Vater zu Bett.
Danach kehrte er in sein eigenes Haus zurück und schaute aus dem Fenster seines Schlafzimmers in den Himmel dieser sternenklaren Nacht. Er bat die Götter um ein Zeichen, nein eigentlich eher um ein Wunder, dass er am Morgen aufwachte und alles so wie früher war. Der morgige Tag würde über die Zukunft seiner Familie und die der ganzen Stadt entscheiden.