Читать книгу Die Festung im Moor - Matthias Scheele - Страница 8

Der Einsiedler

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Als Valdr gegen Mittag zur Festung zurückkehrte, schien zunächst alles wie immer zu sein. Männer behielten von den Wehrtürmen aus die Umgebung im Blick und beäugten auch Valdr skeptisch, als sich dieser der Stadt näherte, trug er doch noch immer den alten Umhang und hatte sich bei seiner Rückkehr die unscheinbare Kapuze tief ins Gesicht gezogen. In den alten, verschlissenen Kleidern, mit denen er sich am Morgen hinausgeschlichen hatte, erkannte ihn niemand sofort. Doch Normalität schien nur außerhalb der Stadttore zu bestehen. Es herrschte heller Aufruhr, als er die Festung durch das nördliche Tor betrat. Etwas war während seiner Abwesenheit geschehen, dass spürte er deutlich. Er versuchte in der Masse seinen Sohn zu finden, während ein Großteil seiner Krieger versuchte die Leute zu ordnen, die begannen sich um seinen Sohn Ulfmarr zu scharen. Alle sprachen durcheinander.


Der Fürst schlug seine Kapuze zurück, löste die bronzene Fibel, die den Umhang zusammen hielt und ließ seine Verkleidung auf den Boden fallen. Darunter trug er sein eigentliches Gewand: eine mit blauen Borten verzierte, grüne Tunika aus fein gewebtem Wollstoff, eine einfache Hose aus Leinenstoff und einen grauen Mantel aus grober Wolle, der ebenfalls mit bemusterten Borten verziert war und von einer runden Bronzefibel vor seiner Brust zusammen gehalten wurde. An seinem Gürtel hing ein Schwert, ohne das er die Stadt niemals verlassen hätte. Es erinnerte an die römischen Schwerter, auch Spathae genannt. Im Schwertheft, dem Griff, waren Messing, Holz und Hornteile verarbeitet. Es besaß eine kurze Parierstange und war länger als die römischen Schwerter. Anders als die Spathae der Römer besaß es zwei Schneiden und eine ausgeprägte Hohlkehle.


Als Ulfmarr seinen Vater unter den ganzen Menschen erkannte, verschaffte er sich mit den Armen Platz, wobei er beinahe eine junge Frau mit ihrem Kind zu Boden gestoßen hätte. Doch er bemerkte seinen Fehltritt noch rechtzeitig und konnte schlimmeres verhindern, indem er mit einer Hand die Frau und mit der anderen ihre Tochter von vielleicht vier Jahren fest hielt. Dabei löste sich versehentlich eine der Fibeln, die das Gewand der jungen Frau über ihren Schultern zusammen hielt, und gab auf diese Weise den Blick auf ihr schlichtes, naturfarbenes Leinenunterkleid preis, das knapp über ihren Knöcheln endete.


>>Bitte verzeih.<< entschuldigte Ulfmarr sich und hielt die Hände der jungen Frau.


>>Schon in Ordnung.<< erwiderte sie kühl und wagte nicht Ulfmarr in die Augen zu sehen. Sie war angespannt, das konnte er deutlich spüren. Langsam zog sie ihre Hände zurück, drehte sich weg und ging.


Ulfmarr wollte sie aufhalten, doch dann ließ er sie ziehen als er seinen Vater auf sich zukommen sah.


Valdr schien nicht amüsiert über die Situation zu sein. Nur selten hatte er so ein Chaos in seiner Festung erlebt. Der Fürst sah seinen Sohn mit einem Blick an, der ernster nicht hätte sein können.

>>Was passiert hier?.<<


>>Ich weiß es nicht genau. Aber es hat wohl etwas mit dem Einsiedler aus den Mooren bei Fallward zu tun. Der Figurenschnitzer. Jedenfalls wurde es mir so gesagt. Ich habe den Mann vorhin gesehen, kurz bevor der Aufruhr begann.<<


>>Ist der hier?.<< wollte Valdr wissen, da stieß auch schon Bjorn, ein Rohling, aber einer seiner loyalsten und fähigsten Krieger, dazu.

Ulfmarr mochte Bjorn nicht. Er mischte sich seiner Meinung nach viel zusehr in familiäre Dinge ein, die ihn nichts angingen. Außerdem stellte er ständig seinen Schwestern nach, die offenkundig kein Interesse an dem Mann hatten. Aber, und das musste Ulfmarr sich eingestehen: Bjorn war durchaus ein fähiger Mann. Führungsstärke, Urteilsvermögen, die Fähigkeit mit Worten gut umzugehen und andere von seinen Zielen zu überzeugen, waren sicher Bjorns herausragendste Stärken. Aber auch Gefühlskälte und Gleichgültigkeit wurden ihm nachgesagt. Er wirkte auf andere oft einschüchternd, denn mit seinem schulterlangen, rotbraunem Haar, den dicken, buschigen Augenbrauen und dem dichten Vollbart wirkte er neben seinen breiten Schultern auf viele wie ein großer Bär, der sich bedrohlich vor seinen Feinden aufzurichten vermochte.


Nichtsdestotrotz hatte Ulfmarr nicht die Antworten parat, die der Fürst hören wollte, also wandte er sich an Bjorn, den Bären.

>>Was ist hier los?.<<


>>Der Einsiedler, Herr.<< begann Bjorn mit seiner gewohnt brummigen Stimme und hob die blutverschmierten Hände, nachdem er sein Schwert zurück in den Gürtel gesteckt hatte.

>>Er hat jemanden ermordet. Arnulf und einige andere bringen ihn und sein Opfer gerade zum Thingplatz.<<


>>Wer ist der Tote?<< hakte Valdr nach, während er Bjorn von oben bis unten musterte. Der Fürst konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der alte Mann, der etwa sein Alter haben musste und noch dazu in den Mooren hauste, fähig war, einen Mord zu begehen.


>>Es ist ein Mann namens Ottmar. Er ist Händler und kommt ein- bis zweimal im Monat mit einem großen Karren her, um am Hafen seine Waren anzubieten. Meist begleiten ihn dabei Frau und Kind.<< erklärte Bjorn und wischte sich sie blutigen Hände an seiner Kleidung ab.


Valdr nickte kühl und sah zu seinem Sohn.

>>Berufe das Thing ein.<<


Die Thingstätte Fabiranums war Teil des zentral gelegenen ehemaligen Stabsgebäudes. Im hinteren Teil gab es einen kleinen Raum, der einst das Fahnenheiligtum gewesen war, wo sich nun aber ein Götteraltar befand. Normalerweise verbot Valdr, dass Frauen am Thing teil nahmen. In diesem Fall aber musste er eine Ausnahme machen, da Frau und Kind vielleicht etwas von den Geschehnissen gesehen hatten und wichtige Zeugen waren. Trotzdem war es ihnen nicht erlaubt selbst zu sprechen. Für solche Fälle gab es immer den sogenannten Fürsprecher. Ulfmarr bot sich gleich dafür an. Obwohl es auch jeder andere von Valdrs Männern hätte tun können bestand Ulfmarr darauf. Also ließ Valdr ihn gewähren.


Jeder Mann musste seine Waffen vor dem Thingplatz ablegen, denn der Fürst achtete den Thingfrieden. Ein Gesetz, welches besagte, dass es zu keinerlei Gewalt während eines Things kommen durfte. Dies Gesetz war heilig. Wurde es missachtet, konnte sich der Zorn der Götter über den Stamm entladen.


Um auf den Thingplatz zu gelangen, musste eine reich verzierte Querhalle durchschritten werden. Marmorböden, bunte Wandmosaiken von heidnischen, römischen Göttern und Tieren, sowie hölzerne Verzierungen an den Toren des Gebäudes, versetzten jedes Mal jene in Staunen, die noch nicht diese Stadt besucht hatten.


Danach folgte ein den Thingplatz umlaufender Säulengang. Anschließend erreichten die Teilnehmer des Things den steinernen, rechteckigen Innenhof. In den Ecken des Hofes, der nicht überdacht war, befanden sich vier kleine Wasserbrunnen. An der Spitze des Hofes, an einer Stelle, die etwas erhöht lag und wo sich einst der Legionsadler in die Luft erstreckte, wurde Valdrs Thron aufgestellt.

Dieser war aus einem ausgehöhlten Erlenstamm gefertigt worden. Er war mit vielen Schnitzereien und Verzierungen versehen. Die Sitzfläche bildeten Holzstäbe, die durch vorgebohrte Löcher gesteckt waren. Seine Füße ruhten auf einem ebenfalls reich verzierten und mit Runen versehenen Holzschemel.


Das war der Ort, von dem aus Valdr Gericht halten, wo er beobachten und die Zeugen des Vorfalls hören wollte.


Es gab keine weiteren Sitzmöglichkeiten, sodass alle außer Valdr stehen mussten. Zu seiner Rechten stand sein Sohn und zur Linken hatte sich Bjorn positioniert.


Arnulf brachte den gefesselten Einsiedler, dessen wahren Namen niemand kannte und zwang ihn sich vor Valdr niederzuknien, indem er den Alten unsanft an den Schultern packte und nach unten drückte. Offenbar war der Einsiedler verprügelt worden, denn er hatte eine blutende Wunde über den Augenbrauen und ein geschwollenes Auge.


Valdr warf einen strengen Blick in Bjorns Richtung >>War das nötig? Er ist ein alter Mann.<<


Bjorn schwieg aber. Er stand nur da und hatte seinen strengen Blick auf den Einsiedler gerichtet, während er den Griff seines Schwertes, welches in seinem Gürtel steckte, nicht losließ. Jeder Zeit bereit es zu ziehen und seinen Herrn zu verteidigen.


Ulfmarr sah wesentlich entspannter aus. Er kannte den Einsiedler als freundlichen, alten Figurenschnitzer, der manchmal etwas seltsam wirkte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser einen Mord begehen konnte.


Es war die Aufgabe des Fürsten die Wahrheit herauszufinden. Beim letzten Thing hatte er hier seinen Sohn vor sich. Es war schon bezeichnend, dass nun der Einsiedler hier vor ihm kniete, der Valdr doch versprochen hatte ihm in der Sache zu helfen, die ihn so beschäftigte.


Anschließend wurde der Leichnam des Opfers, der eine klaffende, offene Wunde im Bauch hatte, zu ihm gebracht und legte ihn neben dem Einsiedler ab, der den Blick nach wie vor gesenkt hielt. Das Blut aus der Wunde über seinem Auge tropfte auf den Boden.

Die Männer, die sich hier versammelt hatten, waren aufgebracht. Alles redete durcheinander, jeder nach seinem eigenen Denken. Dabei gestikulierten sie wild und zeigten immer wieder abwechselnd auf den knienden Alten und den Leichnam daneben.


Valdr nickte seinem Sohn zu, der einen Schritt vortrat und die Hände hob. >>Seid ruhig..<<


Als alle verstummt waren, erhob Valdr seine Stimme.

>>Gibt es Zeugen, die gesehen haben, wie der Mann ermordet wurde?<<


Jemand hob die Hand >>Ich.<<


>>Tritt vor. Und erzähle, was du gesehen hast.<< verlangte der Fürst, der sich mit den Händen auf seine Knie stützend, gespannt nach vorne lehnte.


Ein junger, schlanker Mann, vielleicht in der Mitte seiner Zwanziger trat hervor. Er hatte fettiges, kurzes Haar und wirkte schlaksig. >>Ich sah den Einsiedler, wie er mit einem Dolch in der Hand über dem Toten kniete.<<


Bjorn reichte Valdr den Dolch, dessen Klinge mit angetrocknetem Blut bedeckt war.


>>Ist dies dein Dolch?<< fragte Valdr den Einsiedler mit ruhiger, gefasster Stimme.


>>Dieser Dolch gehört nicht mir.<< war die Antwort des Angeklagten. >>Als ich den Mann vor der Stadt fand, lag er bereits im Sterben.<<


Valdr hob eine Augenbraue. Er war skeptisch geworden. Wenn der Tote schon vorher sterbend vor den Stadttoren lag, wieso hatte dies niemand bemerkt? >>Schwörst du das im Namen der Götter?<<


Der Alte war merklich nervös. Kein Wunder, denn bei einem Schuldspruch hatte er nicht weniger als den Tod zu erwarten. Seine Stimme zitterte als er antwortete. >>Bei allen Göttern, ja. Ich schwöre, es ist die Wahrheit.<<


Valdr blickte wieder zu dem jungen Mann, der behauptet hatte, den Mord gesehen zu haben.

>>Hast du gesehen, wie er es tat?<<


Der Zeuge wirkte empört. >>Nein. Aber es ist doch offensichtlich, was geschehen ist.<<


Jetzt wurde Valdrs Stimme schon etwas lauter, denn wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann waren es die vorlauten Worte eines Lügners >>Was hier offensichtlich ist und was nicht, entscheide immer noch ich. Du hast nicht gesehen, wie er den Mord beging, sondern lediglich, dass der Beschuldigte das Messer in der Hand hielt. Was noch lange nicht bedeuten muss, dass er auch für den Tod des Mannes verantwortlich ist. Gibt es hier noch andere unter euch oder euren Frauen, die gesehen haben wollen, wie der Mord geschah?<<


Ulfmarr trat vor und bat die junge Frau des Toten zu sich. Seine Schwester Gerdar kümmerte sich derweil um die Tochter der Frau. Da es Frauen verboten war vor der Thingversammlung zu sprechen wollte Ulfmarr dies übernehmen. Sie würde leise zu ihm sprechen und er sollte es dann laut verkünden.


Valdr sah sie junge Frau, deren Augen ganz rot waren, weil sie offensichtlich viel geweint hatte, ruhig an >>Wie ist dein Name?<<


Sie schluckte stark und begann fortan Ulfmarr alles in sein Ohr zu flüstern.


>>Ihr Name ist Fenna. Sie war die Frau des Toten. Sie und ihre Tochter sahen, wie der Alte mit dem blutigen Messer über dem Leichnam kniete. Als sie schrie, waren Bjorn und Arnulf die ersten, die zu ihnen stießen und den Einsiedler von dem Toten weg zerrten.<< er gab alles an das Thing weiter, was sie ihm zuflüsterte.


Der Mann, der hier vor Valdr kniete, machte nicht den Eindruck als könne er jemanden umgebracht haben. Er war ein Figurenschnitzer, der einsam im Moor zwischen der Festung Fabiranum und Fallward in einer ärmlichen Holzhütte hauste. Doch machten auch Gerüchte die Runde, er könne womöglich magische Kräfte besitzen und in die Zukunft sehen. Valdr hatte lange Zeit an diese Geschichten geglaubt. Er wusste, dass Menschen dazu neigten Mysterien zu erfinden, wenn sie etwas nicht verstanden. Der Einsiedler war ein geheimnisvoller Mann, der Götterfiguren schnitzte, diese verkaufte und ansonsten nichts von sich preisgab. Aber dann fiel Valdr etwas an seinem rechten Arm auf. Eine Tätowierung.


Er sah zu Bjorn und deutete auf den Arm des Einsiedlers. Der junge Krieger verstand, ging zum Angeklagten hin und riss ihm den zerfetzten Ärmel seiner einfachen leinenen Tunika vom Arm. Nun konnten alle die römischen Schriftzeichen >S.P.Q.R< sehen.


Vor ihnen kniete also ein Römer. Wieso war Valdr das nie aufgefallen?


>>Sprich, Römer. Bist du ein Spion? Ein Kundschafter?<< sprach der Fürst mit ernster Stimme.


Der Einsiedler atmete tief durch, hielt den Blick allerdings gesenkt, während er sich mit den Händen auf seine Knie stützte. >>Ich kann dir und euch allen hier versichern, dass ich weder ein Spion, noch sonst etwas anderes für die Römer bin. Ich genieße nur meinen Ruhestand als Handwerker und Holzschnitzer. Dies ist die Wahrheit. Wahr ist auch, dass ich einst ein Bürger Roms war. Ich diente der Legion und war ihr Feldarzt. Doch das ist lange her. Als ich vor vielen Jahren hierherkam, war Fabiranum nichts weiter als ein Nachklang aus Geschichten, die ich hörte. Geschichten von barbarischen Chauken und Sachsen, die einst meine Vorfahren verrieten. Versteh mich nicht falsch, Fürst, ich hege keinen Groll gegen dich und deinesgleichen. Als ich hier als junger Mann her kam, lernte ich nicht nur euer Volk, sondern auch eure Götter kennen. Beides erschien mir jedoch nicht annähernd so barbarisch zu sein, wie es mir als Kind in Geschichten und auch später noch erzählt wurde. Um mir in meinen alten Tagen etwas Brot zu verdienen begann ich diese Figuren zu schnitzen.<<

Jetzt sah er zu Valdr auf.

>>Ich habe diesen Mann nicht ermordet. Mein Name ist Gaius Decimus Gnaeus und...ich habe noch nie in meinem Leben gemordet. Ich habe stets versucht zu helfen.<<


Gaius. Das war also der wahre Name des Mannes, der so lange ein Geheimnis um sich und seine Herkunft gemacht hatte. Valdr war hin- und hergerissen. Dieser Mann tat ihm Leid und er wusste genau, dass Gaius nichts verbrochen hatte. Das alles verriet ihm die Körperhaltung, mit der er vor ihm kniete. Valdr maß sich in seinen alten Tagen und nach vielen gelebten Jahren eine gewisse Menschenkenntnis zu. Gaius zitterte und hatte Tränen in den Augen. Sicher, er musste Angst haben, dass es ihm genauso erging wie allen Mördern, die erst erhängt, dann noch lebend wieder abgeschnitten und mit aufgeschnittener Kehle, mit Steinen beschwert im Moor endeten.


>>Aber du wurdest gesehen, wie du mit dem Messer in der Hand vor dem Toten knietest.<< wiederholte Fürst Valdr ernst. >>Wie ist das zu erklären?<<


>>Weil ich ihm helfen wollte.<< entgegnete Gaius verzweifelt. >>Das Messer steckte ihm bereits im Bauch, als ich ihn fand. Ich zog es heraus und presste meine Hände auf die Wunde, um die Blutung unter Kontrolle zu bekommen. Doch dann wurde ich von deinen Männern gepackt und sie zerrten mich von ihm weg. Dadurch verblutete er und starb. Nicht, weil ich ihm ein Messer in den Körper stieß. Bitte glaubt mir, denn so war es.<<


Valdr brauchte nicht mehr Beweise für die Unschuld des Mannes. Er spürte einfach instinktiv, dass Gaius die Wahrheit sagte. Außerdem konnte niemand hier wirklich stichhaltige Gegenbeweise erbringen. Alles, was er bisher zu hören bekam waren Vermutungen und Halbwahrheiten. Er sah zu Ulfmarr, der ihm einen eindeutigen Blick zu warf. Sein Sohn glaubte auch nicht an die Schuld des Einsiedlers. Er wandte seinen Blick zu Bjorn. Dessen Blick ließ erahnen, dass Bjorn nicht an die Unschuld des Alten glaubte. Dennoch musste jetzt eine Entscheidung her.


>>Wer denkt der Mann sei schuldig, der hebt die Hand.<< rief Valdr den beim Thing Anwesenden zu und erhob sich von seinem Thron.


Es gab nicht viele, die sich aufgrund der dürftigen Beweislage wagten, die Hand zu heben und so konnte Valdr ein schnelles Mehrheitsurteil fällen.


>>Ich erkläre Gaius für Unschuldig den Mord begangen zu haben. Jedoch darf er sein Zuhause im Moor bis auf weiteres nicht verlassen. Bis ich etwas anderes sage ist Gaius einzusperren, sollte er sich nochmal innerhalb der Festung zeigen.<<


Mit diesem Urteilsspruch wollte Valdr auch jenen gerecht werden, die nach wie vor an die Schuld des Alten glaubten. Er durfte keinen Aufstand riskieren. In ein paar Wochen, wenn ein wenig Gras über die Sache gewachsen war, konnte er die Verbannung aufheben.


An Gaius gewandt sagte Valdr: >>Dir bleibt Zeit bis Sonnenuntergang die Festung zu verlassen und dich in deine Hütte zurückzuziehen.<<


So löste sich das Thing auf. Und, obwohl Gaius für unschuldig befunden wurde, wirkte er niedergeschlagen. Mit gesenktem Haupt verließ er die Thingstätte und machte sich auf zum westlichen Tor, welches in Richtung Marschenland und Moore führte. Er durchquerte den Ringwall und wurde dabei von zwei Wachen beobachtet, die oberhalb der Palisaden die Umgebung im Auge behielten und zudem darauf zu achten hatten, dass Gaius auch wirklich den Weg in Richtung Marschenland und Moor einschlug.


In seinem Zuhause angekommen setzte sich Gaius, wie er sich nannte, auf einen Hocker, zog sein zerrissenes Hemd aus und begann den Ärmel wieder anzunähen.

Als er damit fertig war, sah er sich um. Seit einer Ewigkeit machte er jetzt schon diese Holzfiguren, die hier überall in irgendwelchen Regalen standen. Zumeist waren es Götterfiguren. Aber auch Tiere, vor allem aus der mythologischen Welt. Er nahm sich eines zur Hand. Es war ein stolzer Hengst. Er streichelte die hölzerne Mähne des achtbeinigen Tieres und sah es lange an. Beinahe lebendig wirkte das Tier vor dem inneren Auge des Einsiedlers und er lächelte >>Es läuft alles, wie geplant.<<


Dann sah er zum Fenster. Der Himmel verdunkelte sich und der Regen begann schlagartig. Aus der Ferne hörte er Donnergrollen, wie das Trampeln gewaltiger Tiere, die über den Himmel ritten.


Mitten während des Unwetters hörte er, wie etwas Schweres einige Meter vor seiner Tür aufschlug und schwere langsame Schritte, die sich seiner Hütte näherten. Da kam jemand. Die Schritte stoppten. Dann klopfte es dreimal so heftig, dass der Alte Graubart meinte, seine Tür flöge jeden Moment aus den Angeln.

Er stellte das Tier zur Seite und öffnete dem Besucher. Vor ihm stand ein hochgewachsener, braun-bärtiger Mann, mit breiten, kräftigen Schultern, der sich die Kapuze tief ins Gesicht und den Mantel eng um die Schultern geschlagen hatte.


Der triefend nasse Hüne schlug die Kapuze zurück und sah den Alten ruhig an.

>>Wir müssen reden. Es gibt ein Problem.<<

Die Stimme des Mannes klang wie der Donner selbst.


Der Alte nickte und ließ den Gast wortlos eintreten.


Es dauerte nicht lange, bis bald darauf Rauch aus dem Moor aufstieg. Es war die Hütte des Einsiedlers. Sie brannte lichterloh. Offenbar war sie während des Unwetters von einem Blitz getroffen worden. Danach war alles vorbei. Das Gewitter verzog sich genauso schnell wieder, wie es gekommen war und überließ die Hütte des Einsiedlers den Flammen.


Als Ulfmarr nur wenig später mit einigen Männern dort ankam, um nachzusehen, was hier geschehen war, war es bereits zu spät. sie fanden nur noch Asche vor. So sehr sie auch suchten, sie fanden keine Spur des Einsiedlers. Sie fanden keinen Leichnam, keine Kleidung oder sonstige persönliche Habe. Das einzige, was sie unter den verbrannten Resten fanden, waren einige der Holzfiguren, die der Alte immer geschnitzt hatte.


Fassungslos starrte Ulfmarr in die Asche und hatte auf einmal das Gefühl hier nicht sein zu dürfen. Er wusste nicht, woher es so plötzlich kam, doch er beschloss darauf zu hören. >>Wir sollten gehen und dem Fürsten berichten.<<


Bevor sie gingen, stolperte Ulfmarr noch über etwas. Es waren die verkohlten und teilweise zerstörten Überreste der Holzfigur, die der Einsiedler zuletzt in den Händen gehalten hatte. Er beschloss sie mitzunehmen, bevor sie sich auf den Rückweg machten.

Die Festung im Moor

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