Читать книгу Die Katzen von Key West - Matti Lieske - Страница 9

Kapitel 7

Оглавление

„Gehen wir“, sagte mein wenig charmanter Tischgenosse, der beim heutigen Abendessen mit großer Wahrscheinlichkeit ziemlich einsam sein würde. Dann grinste er und fügte hinzu:

„Oh, ich vergaß die Fußfesseln.“

Er bückte sich und nahm mir selbige ab, wobei er sich tunlichst außerhalb der Reichweite meiner Beine hielt und ich das Vorhaben, ihn in einen tödlichen Schwitzkasten zu nehmen, sogleich wieder aufgeben musste. Ein weiterer Trumpf, der sich als zu niedrig entpuppte.

Ich dachte natürlich nicht daran, mich freiwillig zu erheben, aber darauf war er vorbereitet.

„Ich zähle bis drei“, sagte er und förderte ein extrem tödlich aussehendes Gerät zutage, „wenn Sie dann nicht auf den Füßen stehen, lege ich Sie gleich hier um.“

Das wollte ich lieber vermeiden. Ich erhob mich und ging, wie geheißen, langsam auf die Schlucht zu, während er in sicherem Abstand hinter mir blieb. Langsam wurde es eng, denn der Bursche schien nicht gewillt, auch nur den geringsten Fehler zu machen. Aus den Augenwinkeln blickte ich nach links und nach rechts, entdeckte aber nichts, was mir die kleinste Hoffnung auf Rettung geben konnte. Ich durchforstete mein Hirn nach der erlösenden Idee, aber auch hier tat sich nichts Nennenswertes.

„Gibt es irgendetwas, das Sie zu einer Änderung ihrer unmittelbaren Pläne bewegen könnte“, startete ich halbherzig einen Bestechungsversuch, von dem ich von vornherein wusste, dass er vergeblich sein würde. Aber vielleicht konnte ich auf diese Art wenigstens Zeit gewinnen.

Er machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten und beschränkte sich darauf, ein kurzes „Weiter!“ zu knurren.

Wenig später waren wir an der Schlucht angekommen. Tatsächlich war mein geduldiger Schatten kein Freund vielen Federlesens. Ich spürte einen Schubs im Rücken und hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Mit großer Geschwindigkeit sauste ich dem Grund der Schlucht entgegen. Das war’s dann also. Eine glorreiche Karriere vom Tübinger Gastwirtssohn zum berühmten Weltraumdetektiv fand ein spektakuläres, aber wenig beachtetes Ende auf einem fernen und öden Planeten, den sich nicht mal eine Wüstenmaus als letzte Ruhestätte ausgesucht hätte. Ich schloss die Augen, um der Versuchung vorzubeugen, dem mit rasender Geschwindigkeit näherkommenden Boden entgegenzublicken, und machte mich auf einen sehr unangenehmen Aufprall gefasst. Da spürte ich plötzlich, wie sich etwas um meine Füße legte. Erschrocken riss ich die Augen auf und machte die erstaunliche Feststellung, dass ich keineswegs im Geschwindigkeits-, Höhen- oder Todesrausch halluzinierte, sondern tatsächlich eine Art Seil um meine Knöchel gebunden war. Im nächsten Augenblick gab es einen Ruck und ich hatte das Gefühl, heftig emporgerissen zu werden. In Wahrheit hatte sich nur mein Sturz verlangsamt. Dann fiel ich wieder schneller und wurde erneut zurückgerissen. Irgendwoher kannte ich dieses Gefühl. Ich brauchte nicht lange, um darauf zu kommen. Es war wie beim Bungee-Springen, das ich einmal probiert und nicht sehr gemocht hatte. Jetzt war es allerdings äußerst angenehm, vor allem, wenn ich die Alternative bedachte, die mir bis vor wenigen Sekunden noch als unausweichliches Schicksal vor Augen gestanden hatte.

Bald kam die Jo-Jo-Bewegung zum Stillstand, ich hing ruhig in der Luft und hatte endlich Gelegenheit nach oben zu schauen. Dort schwebte lautlos ein kleiner schnittiger Raumgleiter, an dem jenes Gummiseil befestigt war, an dessen anderem Ende meine Wenigkeit baumelte. Hesperia! Ich hatte keine Ahnung, wie sie mich gefunden und es geschafft hatte, ausgerechnet in diesem prekären Moment mit geeignetem Equipment an der richtigen Stelle zu sein, aber es gab keinen Zweifel: es musste sich um Hesperia handeln, meine Mitarbeiterin, Gefährtin, Geliebte und notorische Lebensretterin, deren Intuition mich ein weiteres Mal vor einem unrühmlichen Ende bewahrt hatte.

Hesperia war ein ungefähr 240 Jahre alter weiblicher Android und stammte vom hintersten Mond des Planeten Krambambuli. Mit anderen Worten: ich liebte eine krambambulianische Androidin. Das war nicht weiter verwunderlich, denn die Krambambulianer hatten ihre Roboter aus unerfindlichen Gründen körperlich und mental als exakte Kopien der Erdbewohner angelegt, obwohl sie niemals irgendwelche Erdbewohner gesehen und auch nicht das Geringste von ihnen gehört hatten. Der einzige Unterschied war, dass die humanoiden Androiden Haare auf der Zunge hatten, was beim Küssen angenehm kitzelte. Möglicherweise hatten ja die Krambambulianer selbst so ausgesehen, aber das wusste niemand, denn sie waren schon seit vielen Lichtjahrtausenden ausgestorben. Nur die Roboter hatten überlebt, diejenigen, die ihre Schöpfer noch gekannt hatten, waren jedoch alle längst verschrottet und hatten es nicht für nötig gehalten, ihren Nachfahren das Aussehen der Urbevölkerung des Planeten zu überliefern.

Die krambambulianischen Androiden galten im ganzen Universum als ziemlich angenehme Zeitgenossen, eine Einschätzung, die ich voll und ganz teilte, besonders was Hesperia betraf. Sie war die perfekte Reisebegleiterin, Arbeitskollegin und Geliebte. Ihr Elektronengehirn ersetzte jeden Taschenrechner, sie wusste praktisch alles, ohne damit zu protzen, und niemals vergaß sie etwas, war aber taktvoll genug, einen nicht ständig an irgendwelche überflüssigen Dinge zu erinnern, die man selbst vergessen hatte. Ihr logisches Denkvermögen war selbstverständlich hoch entwickelt, doch die vorausschauenden Krambambulianer hatten durch die Einprogrammierung eines Unlogik-Faktors verhindert, dass diese Eigenschaft in elende Besserwisserei ausartete. Im Übrigen hatten sie ihren Androiden eine vollständige Gefühlspalette eingebaut, ohne allerdings Extreme wie tiefe Depression oder wüste Aggressivität zu berücksichtigen. In einem Anfall von Sadismus hatten sie sogar ein gemäßigtes Schmerzempfinden angelegt.

Hin und wieder unterliefen jedoch jenen Androiden, die nach dem Verschwinden der Urbevölkerung die Programmierung der Nachkommenschaft übernommen hatten, kleinere Fehler. Hesperia etwa konnte weinen wie ein Schlosshund und fluchen wie ein Raumschiffer, aber sie vermochte nicht zu lügen und wurde sehr schnell rasend eifersüchtig. Außerdem, das allerdings war Absicht der konsequent sanftmütig gesinnten Konstrukteure, konnte sie nicht töten, es sei denn, sie geriet in unbändige Wut. Die Tötungshemmung wirkte sich bei der Ausübung unseres Berufes als intergalaktische Detektive manchmal ein wenig ungünstig aus. Einmal hatte mich Hesperia gebeten, sie doch an einen mit ihrem Planeten verbundenen Rechner anzuschließen und entsprechende Umprogrammierungen vorzunehmen. Gegen eine Dämpfung des Eifersuchtsimpulses hätte ich zwar nichts einzuwenden gehabt, aber ich lehnte dennoch ab. Ich wäre mir wie ein Manipulator vorgekommen, außerdem liebte ich sie, wie sie war, und wer konnte ahnen, was passieren würde, wenn mir ein Fehler unterlief.

Zu gern hätte ich sie auf der Stelle in die Arme geschlossen, aber das war mir in meinem augenblicklichen Schwebezustand leider nicht möglich. Außerdem waren wir noch nicht außer Gefahr. Meinem kurz vor dem Ziel gescheiterten Mörder war die für ihn ungünstige Entwicklung der Dinge sicher nicht entgangen, und wenn Hesperia nicht einen brauchbaren Plan hatte, um ihn uns vom Leibe zu halten, konnten wir uns auf eine unangenehme Verfolgungsjagd gefasst machen. Die sinnvolle Steuerung eines Raumgleiters, an dem an einem Gummiband ein völlig nutzloses, aber überaus empfindliches Anhängsel baumelt, würde wohl selbst Hesperia, ansonsten eine geradezu atemberaubend gute Fliegerin, überfordern.

Aber ich sorgte mich ohne Grund. Hesperia hatte an alles gedacht. In steilem Flug schoss sie aus der Schlucht heraus und flog einen weiten Bogen um den uns in ohnmächtiger Wut nachstarrenden Agenten des Bonnie & Clyde-Syndikats herum, so dass dieser uns mit den diversen Waffen, die er vermutlich bei sich trug, nicht zu gefährden vermochte. Lange hielt er sich allerdings nicht mit Starren auf, sondern rannte los, um sein eigenes, auf der anderen Seite des großen Felsens geparktes Raumschiff zu erreichen und die Verfolgung aufzunehmen. Doch Hesperia war schneller. Dreiauge hatte noch kein Viertel seiner Wegstrecke zurückgelegt, da waren wir schon über seinem Gleiter. Ein Schuss aus dem Bordlaser, und unter uns befand sich nur noch ein Haufen Schrott. Mein eigenes Luftschiff stand zwar noch in der Nähe, aber das nützte ihm nichts. Den Sicherheitscode der Startautomatik würde er unmöglich knacken können. Der gute Mann musste wohl zu Fuß nach Kamtschatka zurückkehren. Ich gönnte es ihm und hoffte von Herzen, dass er niemals ankäme - eine angesichts der glühenden Wüste, die er zu durchqueren hatte, ziemlich realistische Vorstellung.

Hesperia flog ein paar Kilometer mit mir im Schlepptau, dann näherte sie sich vorsichtig dem Boden und setzte mich, so sanft es ging, ab. Ich löste das Gummiband von meinen Füßen, dankte innerlich noch einmal den krambambulianischen Programmierern, dass sie an die zum Lassowerfen erforderliche Koordinationsfähigkeit gedacht hatten, und wartete auf Hesperia, die inzwischen ein Stückchen weiter weg gelandet war und nun strahlend auf mich zukam.

Wortlos umarmte ich sie und küsste sie auf das rechte Ohrläppchen, was auf Krambambuli als Zeichen höchster Hochachtung und Zuneigung gilt.

„Was machst du hier“, fragte ich grinsend, „hatte ich dir nicht gesagt, dass ich allein klarkomme?“

„Ich entsinne mich. Verzeih meine Einmischung, aber ich hatte auf Kryptis alles erledigt. Außerdem hörte ich, dass dir eine Laus im Pelz sitzt. Also dachte ich, ich schaue lieber mal vorbei.“

„Laus ist äußerst vornehm ausgedrückt. Skrupelloser, heimtückischer Fettsack wäre passender. Mögen ihn die Wüstenbären fressen, die es hier auf Murgos hin und wieder geben soll. Gesehen habe ich noch keinen. Aber ich glaube, ich habe noch nicht danke gesagt.“

„Oh, gern geschehen“, winkte Hesperia ab, „das nächste Mal bist du wieder dran. Aber wir sollten nicht zu lange hier herumstehen. Sonst kommen doch noch die Wüstenbären. Außerdem müssen wir diesen Planeten so schnell wie möglich verlassen.“

„Heureka!“

„Freu dich nicht zu früh. Ich habe unangenehme Neuigkeiten.“

„Und ich habe Hunger. Lass uns schnell zum Hotel fliegen. Dort kannst du mir bei einem Gläschen Schumm alles erzählen.“

„Okay. Steigst du mit ein oder soll ich dir wieder das Gummiband um die Füße wickeln?“

Einen eigenartigen Humor, das sollte ich vielleicht erwähnen, hatten die Krambambulianer ihren Androiden auch mitgegeben.

Die Katzen von Key West

Подняться наверх