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Die Rückführung

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Im kleinen Spreewaldhaus ist es still. Duftschwaden von Bergamotte wälzen sich durch die Räume der kleinen Frau, mischen den Geruch ölgetränkter Bohlen, die die Wände des uralten Fachwerks zusammenhalten. Durch die Butzenscheiben sieht man die Kante vom wulstigen Schilfdach. Feuchtigkeit perlt heraus, glitzert im Licht des Tages.

Drinnen das Abbild göttlicher Ungerechtigkeit: Das Mädchen Tiombe, vom Schöpfer üppig mit Schönheit bedacht. Ein Wesen wie Milch und Muskat, mit Lippen wie Orchideen und Wimpern so dicht, dass keine Träne den Weg über die Wange findet.

Und Miriam. Sie ist alt und klein. In ihrer scheinbaren Unscheinbarkeit von großem Wert für das Mädchen.

Miriam spricht leise, nachdrücklich, mit langen Pausen.

»Du gehst nun zurück in die Zeit, an die du dich erinnern willst. …

Du fühlst dich wohl und gehst den Weg von Anfang an. …Fange jetzt deine Reise an und erzähle mir laut und deutlich was du siehst und was du fühlst.«

Die Lider des Mädchens sind geschlossen, darunter rollen die Augäpfel hin und her. Der Körper des Mädchens glänzt kupfern. Es scheint zu schweben.

Langes Schweigen. Dann kommen die Worte schwer über die jungen Lippen.

»Ich trete in das Zimmer und sehe das Bild an der Wand. Ein Gefühl kommt über mich … ich sehe mich ... im Spiegel …

Dieser Spiegel …! Er hat ihn anbringen lassen. In meiner Badestube. Der Fürst erwartet mich gut gepflegt und wohlriechend…«

Zwischen schwerem Atem rollen an diesem Nachmittag viele unglaubliche Worte aus dem jungen Mund...

Die Journalistin Rita Georgi beobachtet still, was da vor sich geht. Sie hadert mit sich: Ist es Zufall? Oder hat Bestimmung dieses fremde Mädchen Tiombe hier her in die Lausitz gezogen?

Ausgerechnet Machbuba? Rita kennt die Geschichte der dunkelhäutigen Sklavin des Fürsten Pückler. Der Geliebten. Der Kindsfrau. Aber sie weiß nicht, was Wahrheit und was Dichtung ist.

Als die junge Stimme versagt, quillt Feuchte unter den dichten Wimpern heraus.

Zutiefst beeindruckt von dem, was sie gesehen und gehört hat, ist Rita gezwungen, sich Fragen zu stellen: Herrscht in dem Mädchen eine Mischung zwischen erinnern und vorstellen?

Ist es Wahn?

Ist es geniale Kreativität?

Kann die Trance zu Irrtümern führen?

Ein Abgleich mit der Realität ist ausgeschlossen. Das Bewusstsein ist wehrlos gemacht; das hat sie gelesen.

Gibt es unbewusste Erinnerungen tief in der Psyche des Menschen verborgen? Erinnerungen an ein früheres Leben? Wie schafft es Miriam, dass Tiombe in eine Zeit hineinschaut, die weit vor ihrer liegt?

In den letzten Wochen war Rita dem Mädchen zugetan, hat sich fast liebevoll in sie eingelebt. Nur ihr wacher Verstand versucht unaufhörlich zu erklären: Das Erlebte kann nach menschlichem Ermessen gar nicht sein.

Ist menschliches Ermessen der Weisheit letzter Schluss? Versucht nicht die Metaphysik seit Jahrhunderten zu entdecken, was unerkannt in uns liegt? Wenn Zugvögel auf geheimnisvolle Weise ihre Wanderrouten von Geburt an erkennen, warum sollte der Mensch nicht ähnliche Fähigkeiten in sich tragen?

Doch dann kommt Rita ein schlimmer Satz in den Sinn, den Tiombe zuweilen auf den Lippen trägt und in dem das uralte Wort Bastard zu hören ist. Rührt dieser Satz aus einem früheren Leben?

Zwei Seelen der Tiombe van R.

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