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Der Vorfall

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Es war ein langer, anhaltender Winter mit massenhaft Schnee und wenig Sonnenschein. Auf dem Körberhof mühte sich Jens Jedro ab, die Berge von Schnee auf die nahe Wiese zu transportieren; die einzige Methode, um im Frühjahr die Keller nicht voll Wasser zu haben. Ein Wassereinbruch, so wie er zur Zeit der Schwemmwiesen im Spreewald gang und gäbe war, könnte das moderne Heizungssystem lahm legen.

Anfang März schneit es noch einmal heftig.

»Das Land ist heuer bepudert, wie Susan Hellmanns Gesicht«, sagt eine Frau im Laden. »Tauwetter nicht in Sicht. Wann hatten wir einen so langen Winter, mit so viel Schnee. Mein Hubert sagt, es musste so etwas kommen. Jetzt rächt sich In Lücke für die Störung der Totenruhe.«

Der Alte Sedlaczek, der immer mal wieder allein zum Laden gehumpelt kommt, obwohl ihm seine Söhne eine Haushalthilfe organisiert haben, gibt der Frau mit seinem knochigen Ellenbogen einen Rippenstoß und zieht seinen Kopf zu Jens Jedro, der gerade mit Milena Kieschnick aus dem Nebenraum kommt, wo sie offenbar die Bestelllisten durchgegangen sind.

Die Frau hält sich rasch die Hände vor ihren Mund. Jeder hier weiß, dass die Familien vom Körberhof und vom Haus In Lücke miteinander befreundet sind. Wie konnte sie den Jens übersehen?

Jens Jedro ist nur noch selten im Laden, aber noch immer sind ihm die Leute vom Dorf dankbar, dass er den alten KONSUM - trotz vieler Pflichten in der Gemeinde - vor Jahren reaktiviert und bis dato nicht wieder aufgegeben hat.

Für eine Weile hatte Rita noch an ihrer inneren Fassung zu arbeiten. Für eine längere Weile war ihr Mark sogar aus dem Wege gegangen und Rita hat mal wieder mit dem Gedanken gespielt, sie selbst könnte diese unselige Hoffnung in Mark gepflanzt haben. Beinahe hätte sie mit Jens darüber geredet. Beinahe. Manchmal ist es klüger zu schweigen. Sie war ja nicht schuld an dem, was Mark im Schilde führte und was durchaus hätte anders verlaufen können. Aber sie war beteiligt, und sie hat nur halbherzig dagegen angekämpft.

Das alles ist Vergangenheit. Mit den anhaltend warmen Sonnenstrahlen zieht wieder Hoffnung in die Gemüter der Leute, und auf dem Körberhof wie auch im Haus In Lücke ist längst wieder Normalität eingezogen.

Ein weiteres Gespräch mit Susan brachte Rita unlängst die Gewissheit, dass auch die Angelegenheit mit Lubina Kieschnick nur noch ein bisschen wie ein böser Traum in Susans Kopf herumgeistert. Irgendwann wird auch die vergessen sein.

Aus Susans Blick liest Rita mehr denn je, dass ihre Zweifel gegen sie, Rita, langsam verblassen. Andererseits kann sie sich vorstellen, dass Mark vor Susan kein gutes Haar an ihr lässt, um seine Niederlage besser verkraften zu können. Mark hat eine solche Ader. Je mehr Schmutz er auf andere wirft, desto sauberer fühlt er sich. In den ersten Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte sie ihm noch jedes Wort geglaubt, weil sie ihn mochte und weil jede seiner Bewertungen schlüssig war. Erst nach und nach war sie dahintergekommen, dass Mark Hellmann ein verdammter Egomane ist - weiß der Teufel, warum das so ist. Gemeinhin mag sie Menschen, die auch mal sagen können: Ich habe Scheiße gebaut. Genau das kann Mark Hellmann nicht. Mark geht gerne den Weg des Kahlschlags. Nur seinen eigenen Wald lässt er ungerodet.

Ändern wir uns nicht alle? denkt Rita und lässt ihren kritischen Blick über den gut arrangierten Abendbrottisch schweifen. Mit einer Hand bewegt sie aus Gewohnheit das wippende Klappstühlchen, obwohl Timi brav an einem Biskuit knabbert und gar nicht ungeduldig ist. Timi war schon als kleines Baby außergewöhnlich friedlich. Er schrie selten und legte mit seinen wachen, hellgrünen Augen ein erstaunliches Interesse an seiner Umwelt an den Tag. Die Hauptsache war, er konnte von seiner Position aus alles überblicken, weshalb die Wiege, die Jens in seiner Vaterschafts-Vorfreude voreilig und eigenmächtig gekauft hatte, bald nur noch für die Nacht genutzt wurde.

Die Tage sind wieder länger, die Geschäftigkeit im Dorf nimmt zu, dennoch ist hier nichts mit dem zu vergleichen, was Rita in der Stadt erlebt hat. Die holprige Straße zum Wochenboten, die laute Doppellallee vor dem Verlagshaus der Spreerundschau, in deren Mitte im fünf Minuten Takt die Straßenbahnen dahindonnern. An trockenen Tagen wirbeln sie Staubwolken auf, bei Regenwetter ziehen sie dichte Nebelschleier hinter sich her. Und dann der ständige Stau an der großen Kreuzung zur Feierabendzeit und das Nadelöhr durch die Stadtmitte, wo sich die Blechlawine non stopp hindurch quält. Was sie wirklich vermisst, sind die Cafés und Kneipen, wo sie gerne gesessen und den Leuten zugesehen hat, wo sie einfach nur Freunde getroffen hat. Auch mit Mark hat sie oft in einer der Bars gesessen. Auch mit anderen Kollegen war das so, und sie haben über das absonderliche Personalkarussell im Verlag diskutiert. Auf den Trittbrettern vor der Chefredaktion sah man stets dieselben Gestalten.

Jetzt ist ihr Leben mit keiner von all den Querelen mehr belastet. Wenn sie einen Auftrag erhält, führt sie ihn aus, oder sie lehnt ihn ab. Sie ist untertarifliche Pauschalistin mit einem Quäntchen mehr Freiheit. Bis jetzt hatte sie nicht den Hochmut, einen Auftrag abzulehnen. Sie übt ihren Beruf nach den Möglichkeiten aus, die man ihr bietet und die sie ihrem Kind und Jens zumuten kann. Man wäre auch als Freischaffende nicht frei. Es gibt keine unabhängigen Berufe. Jeder, der eine Arbeit verrichtet, ist von irgendjemand abhängig. Sogar als Romanautorin ist das so. Wer hat schon seinen eigenen Verlag? Und selbst wenn, allein das Marketing würde Grenzen aufzeigen. Wenn einer ehrfürchtig auf ihre Bücher schaut, dann spricht sie gerne vom Bettelpoeten. Und als solchen sieht sie sich auch.

Noch vor der ersten Zeile im Manuskript beginnt das Betteln. Für Recherchen braucht es Partner, die möglichst nicht unverschämt die Hand aufhalten. Dann bettelt man nahtlos weiter. Lektoren, Verlagschefs, Gestalter, Sponsoren. Und wenn das Buch dann fertig in den eigenen Händen liegt, beginnt die Bettelei von vorn. Lesestellen. Lokalredaktionen. Kulturredaktionen …Käufer

Sie hat keine Wahl. Noch bettelt sie keiner um ein Manuskript, weshalb ihr der Zeitungs-Job noch sehr willkommen ist. Langsam weiß man bei der Spree-Rundschau, welche Themen ihr zusagen, und man hält an ihrem Status fest, trotz erbittertem Kampf um Plätze und Ränge in der Redaktion. Manchmal kam ihr schon der Gedanke, Mark könnte in der Redaktion an den entscheidenden Schrauben gedreht haben, damit man sie nicht vergisst. Aber seit jenem merkwürdigen Tag denkt sie genau das Gegenteil.

Gegen halb sieben - Jens ist noch nicht zu Hause - merkt sie, dass sie friert.

Ihre Wahrnehmung von Wärme hat sich in diesem Winter stak verändert. Noch nie haben sie so oft zusätzlich den Kamin geheizt, wie in diesem Jahr.

Sie läuft durch die Räume, schaut, ob alle Fenster dicht verschlossen sind, schichtet Holz aufeinander und entzündet das Feuer. Dann nimmt sie Timi auf den Arm und läuft mit ihm zum Küchenfenster. Manchmal glaubt sie, er spürt genau, ob es sein Papa ist, wenn ein Auto an der Hofeinfahrt hält.

Die kleinen Hoflampen sind angesprungen, die Straßenlaterne funzelt schon, aber von Jens ist noch nichts zu sehen.

Kurz nach sieben braust ein Krankenwagen mit Blaulicht die Dorfstraße entlang. Timi strampelt vor Aufregung mit den Beinen gegen Ritas Hüften.

»Das war nicht der Papa«, sagt sie beruhigend, »der Papa kommt gleich. Aber nach dem Essen geht es ab in die Heia.«

Einen Moment denkt sie, bei der jungen Frau auf dem Gehöft neben dem Gasthaus In Mühle könnten die Wehen eingesetzt haben. Aber dann kann sie an den blitzenden Spiegelungen auf der feuchten Straße deutlich erkennen, dass der Sanka geradeaus weiter zur Dorfmitte fährt. Sie spürt die Versuchung in ihr aufbrechen, sofort an Jens zu denken. Gleichzeitig weiß sie, dass es keinen Grund dafür gibt. Sie bleibt stehen, aber sie zwingt sich, so zu tun, als gehe sie ein Rettungswagen nichts an. In der Stadt fuhren alle Nase lang die Rettungswagen. Da war sie nie auf die Idee gekommen, einen unguten Gedanken auszubrüten.

So sehr sie sich ablenkt, so sehr sie mit Timi scherzt, ihn knuddelt und ihn zum Jauchzen bringt, es bleibt etwas in ihr, das sie beunruhigt. Auf eine leise, unbestimmte Art gehen ihre Gedanken auf die Reise durch die letzten Wochen, und irgendwie bleiben sie an Mark hängen und an dem Tag, als sie das letzte Mal in der Kita ausgeholfen hat.

Ihre Sachlichkeit Susan gegenüber, die für lange Zeit die aufgezwungene Freundschaft erträglicher gemacht hat, ist seit diesem Tag von ihr gewichen.

Zum ersten Mal war sie froh gewesen, dass Susan nicht ihre Freundin ist und die Sache mit Mark nicht als Verrat an der Freundin ausgelegt werden kann. Anderenfalls wäre sie in eine ziemlich knifflige Lage gekommen. Wenn Susan ihre Freundin wäre, hätte sie ihr von Mark erzählen müssen. Wer weiß, was sie damit ausgelöst hätte.

Während sie - noch immer Timi auf dem Arm – ziellos durch die Wohnung läuft, versucht sie sich des Gefühls zu erinnern, das sie damals hatte, als sie aus völlig unverständlichen Gründen plötzlich Angst um Jens hatte, nur weil er nicht zu Hause war, als sie von Berlin zurückgekommen war. Sie hofft, dass sie das Gefühl jetzt nicht wieder überfällt. Dieses Ziehen im Bauch, dieses Frösteln vor ängstlicher Sorge, dieses Drehen im Kopf kann sie nicht brauchen. Jetzt hat sie das Kind bei sich.

Irgendetwas war damals für einige Zeit völlig schief gelaufen in ihrer Beziehung. Die Zweifel kamen und gingen, sie sprangen von einen auf den anderen, und irgendwie hatte alles mit Eifersucht zu tun und mit falschen Schlüssen.

Vielleicht war ihr der Gedanke, es könne auch an Mark gelegen haben, schon früher gekommen, und sie hat ihn verdrängt. Vielleicht wollte sie bewusst die unklaren Bilder in sich behalten, weil Mark für sie stets ein toller Mann gewesen war. Seit einiger Zeit funktioniert der Mechanismus nicht mehr, den sie ständig angewendet hat, des lieben Friedens willen. Seit Marks Worten, man könne den Spaß am Leben verdoppeln, ohne sein Leben teilen zu müssen, was ja nichts anderes bedeutet als fremdzugehen, weiß sie definitiv, dass sie gezwungen ist, ihr Leben mit ganzer Klarheit zu betrachten und sich von allem energisch loszureißen, was nicht zu ihrem Leben passt – Mark Hellmann inbegriffen. Alles andere gefährdet ihren inneren Frieden und den von Jens und Timi. Sie wird zu Mark konsequent Distanz halten, notfalls muss sie mit Jens über den Grund dafür reden. Sie wird schon bei dem nächsten Aufeinandertreffen einen deutlich kritischen Unterton benutzen.

Sie wird ihn einfach fragen, warum er es plötzlich nötig habe, fremd zu gehen, wo er doch vor aller Ohren in unerträglicher Weise von Susans Sexappeal schwärmt.

Es ist spät geworden. Als Jens aus dem Auto steigt, das er aus unerklärlichem Grund nicht in die Garage fährt, schaut er auf seine Uhr, die er im Schein der Hoflaternen kaum erkennt. Der Himmel über ihm ist eine tiefschwarze Kuppel. Bleiern oder stählern? Jedenfalls so, wie er sich gerade fühlt. Und er weiß nicht, wie er sich gerade fühlt. Er ist müde, und er friert. Trotzdem geht er noch nicht ins Haus. Jens kann noch kein einziges Wort der Erklärung finden, was passiert ist und noch weniger dazu, warum er gerade in der Nähe war. Wiedereinmal. Wie bei Lenkas Unfall.

Sie hatten genau dieses Thema seitdem strikt vermieden. Es hätte nichts gebracht, außer sich der Zweifel neu zu erinnern, die damals so schmerzhaft zwischen ihnen lagen.

Und nun ist es Susan. Kein Mensch weiß, was mit Susan geschehen ist, so wird er es Rita sagen.

Warum war Mara nicht bei ihr ist?, wird sie ihn fragen. Immer ist Mara bei ihr. Warum nicht an diesem Tag?

Mark hat Mara für ein paar Tage zu den Großeltern gebracht, damit Susan einmal ausspannen kann. Sollte er Rita stattdessen sagen, wie eigenartig Marks Auftritt gewesen war? Das Schlechteste wäre es nicht. Aber er kann sich Ritas Antworten schon jetzt alleine geben: Vielleicht ist es seine Art, mit dem Schock erst einmal fertig zu werden. Vielleicht findet ein Typ wie Mark Hellmann nie die Kraft, eine Schwäche zuzugeben.

Die Sache mit Susan ist gegen siebzehn Uhr passiert. Wenn Rita fragt, warum niemand in Susans Nähe war, wird er sagen, er selbst habe einen Anteil an dieser Misere. Es müssten eigentlich immer zwei Betreuer vor Ort sein, schließlich geht es um Kinder, die keinem Erzieher im Notfall eine Hilfe sein können.

Er wendet sich ab vom bleischwarzen Himmel und geht langsam der Haustür entgegen. Durch die tiefliegenden Scheiben der Außentür schimmert schwach ein Licht. Im Haus ist es still. Einer der wenigen Abende, an denen er Timi nicht mehr gesehen hat, bevor er zu Bett gebracht wurde.

Mit dem Öffnen der Haustür dringen Kälte und Feuchtigkeit in die Diele. Von drinnen her kriecht sanft ein Geruch nach Kamin in seine Nase.

Rita liegt auf der Couch. Sie trägt ein wollweißes Oberteil mit Kapuze, als habe sie es gebraucht, um immer wieder in die Nacht hinaus zu lauschen. Ihre Beine sind in eine weiße Wolldecke gehüllt und das Buch liegt aufgeschlagen auf ihrer Brust. Er sieht ihre Augen nicht, aber die frischen Scheite im Kamin sprechen für sich.

»Du hättest nicht auf mich warten müssen.«

Es spricht sehr leise und mit einem Mal ist er sehr froh, dass sie noch wach ist. Er könnte jetzt nicht allein sein. Er weiß nicht einmal, warum er so denkt. Ein emotionaler Klotz ist er nie gewesen, aber diesmal bewegt ihn etwas anderes. Er denkt nicht mehr an Susan. Er denkt über Mark nach.

Sie haben noch eine Stunde zusammengesessen, nachdem der Krankenwagen mit Susan davongefahren war. Mark ist nicht mitgefahren und auch sonst war er wie einbetoniert. Eine gewisse Zeit verharrte er in Schweigen, sah Jens mit leerem Blick an, bis sein Körper vibrierte und er sich mit einem Schlag von etwas abwandte.

»Hast du ihr Gesicht gesehen. Ich glaube einfach nicht, dass das die Frau ist, die ich …«

Mark hatte nicht weiter gesprochen, aber das Schütteln hatte ihn verraten.

»Rita«, beginnt Jens vorsichtig zu reden, aber Rita bleibt stumm. Für eine Weile stockt auch er. »Ich wollte es dir vor der Nacht ersparen …«, beginnt er von vorn, greift nach ihrem Handgelenk und hält es fest. Er spricht langsam und vermeidet nun doch, von Mark zu reden. Aber seine Stimme zittert, wie sie niemals zittern müsste, wenn man davon ausgehen kann, dass ein Mensch, der einem nach eigenem Bekunden nicht allzu viel bedeutet, einmal einen Ohnmachtsanfall bekommt. Sein Herz klopft bei dem Gedanken, das alles wäre Rita oder Timi geschehen. Würde er in diesem Falle auch nur Kälte und Abscheu vor der momentanen Schwäche seiner Frau zeigen? Zumindest in diesem Moment glaubt er, er wird sie noch im Tode lieben, oder im Wahn. Im Siechtum. Im Koma. Wahre Liebe braucht keine Schönheit? Und dann erinnert er sich an Ritas verdammt schöne Illusion: Schönheit wachse aus der Liebe.

Irgendwie muss Rita seinen Pulsschlag spüren, denn er hält noch immer ihr Handgelenk ganz fest.

»Susan ist mit Blaulicht in die Klinik gebracht worden. Zu dem Zeitpunkt, als man mich rief, schnappte sie so eigenartig nach Luft. Irgendwann fühlte ich keinen Puls mehr. Das Rettungsauto kam zuerst. Die Sanitäter haben Herzmassagen gemacht und sie weiter beatmet.«

»Wiederbeatmet meinst du?«

»Nein weiter. Ich hatte mich schon versucht. Der Notarzt kam etwas später. Er stabilisierte Susan mit einer Spritze und mit der Beatmungsmaschine. Ich denke, das ist alles optimal gelaufen, wenn man bedenkt, wo wir hier leben.«

»Ich konnte ja nicht wissen …«, sagt sie und greift nach seiner Hand.

»Ich dachte mir, dass du dir Sorgen machst. Aber du sollst wissen, dass das, was ich mit Mark erlebt habe, bei mir niemals geschehen würde.«

Jetzt kann er ruhig und besonnen über die Stunde reden, die er mit Mark verbracht hat. Am Ende des Abends wird er feststellen, dass er diesen einen Satz mindestens dreimal wiederholt hat, mindestens mit je einer Steigerung seiner Leidenschaft aber auch seiner inneren Abscheu gegen einen Menschen, den er nie richtig hat einschätzen können, den er trotzdem in seinem Haus hat willkommen geheißen; Rita zuliebe.

Sie lieben sich zur Mitternacht, während Timi gleichmäßige Atemstöße aus seiner kleinen Brust entlässt. Jens ist noch dicht bei ihr und hält sie fest, aber seine Muskeln sind schlaff. Er schläft. Rita kann nicht schlafen. Irgendetwas stimmt nicht, denkt sie. Nicht in ihrem Leben. Etwas stimmt nicht an den Worten von Jens und an der Schilderung über Susan und Mark.

Wann ist die Liebe der beiden aus dem Gleichgewicht geraten? War es die Zeit des Hausbaus, wo Susan ihren Mann schnöde allein gelassen hat? So etwas muss sich rächen.

Später hatte Susan kein Problem damit, in Marks schönem Haus zu wohnen. Ihr ist sogar, als betrachtete sie das Haus als mindest angemessen, als perfekte Kulisse, die ihr mit Bedacht auf den Leib gezimmert wurde.

Schon damals hatte sie das erbärmliche Gefühl, Mark sei wütend über die verfahrene Lage, in die er gekommen war, aber sein Ego erlaube ihm nicht zu klagen. Nur einmal, da soll er zu Jens gesagt haben: Es ist mir egal, was sie macht, Hauptsache sie vergeudet nicht ihre Tage und unternimmt bald etwas, um ein bisschen Geld zu verdienen. Sie kann sich einfach nicht einschränken.

Sie kann nicht einmal einschätzen, welche Dinge sich ändern könnten, damit wir uns nicht allzu sehr einschränken müssen.

Anfangs nur unmerklich, aber dann rollte etwas über Marks Wesen wie eine Lawine, das nicht vorhersehbar war. Er hat offenbar diesen gewissen Sinn, der ihm die kleinen Katastrophen ankündigt, von denen er vorher partout nichts hören wollte. Die Extravaganzen an Susan sind noch nicht verblasst, immerhin hat sie gelernt, nicht gleich in Ohnmacht zu fallen, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Daran wird ihr jüngstes Dilemma also nicht liegen.

Jens hält Rita noch fest umschlungen. Sie gleitet geschmeidig aus seinem Arm. Das Geräusch ihres schlafenden Kindes in der Wiege und die Wärme der Haut ihres Mannes haben etwas ungemein Beruhigendes für Rita. Für ein paar Minuten will sie diesen friedlichen Moment in sich bewahren, um mit sich selber ins Reine zu kommen. Wegen ihrer Zweifel gegen Jens fühlte sie sich am Abend miserabel, aber da war noch etwas Anderes. Etwas, was sie nicht vorhersehen konnte. Es ist auf sie geschwappt und hat alle gerade gefassten Vorsätze wieder zunichte gemacht.

Auch wenn es der denkbar schlechteste Moment für diese Art Gespräche war, so steckt auch etwas Gutes darin. Die Liebe ist auch dafür gemacht, den Ernst des Lebens gemeinsam zu bestehen und Jens hat recht.

»Wir sind befreundet«, hat er gesagt, als ihre größte Lust noch gar nicht richtig verebbt war. »Wir müssen uns ein wenig um Mark kümmern, so, wie wir uns um Lenka gekümmert haben. Schließlich hat er ein Kind und ist nicht geübt in den häuslichen Dingen.«

Die traurige Wahrheit ist nur, dass Jens nicht weiß – nicht wissen kann - wie es um Mark steht. Sie kann ihre Augen nicht einfach vor dieser Wahrheit verschließen, aber sie kann so tun, als wäre das mit Mark nicht wirklich passiert. Und wenn sie es nur für Mara tut. Irgendwann kommt Susan ja wieder.

Zwei Leben der Susan H.

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