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Der Preis des süßen Lebens
ОглавлениеHasso Meyer hatte viel Energie darauf verwendet, dass Lola mit in sein Haus ziehen möge, aber sie hatte abgelehnt. Sie brauche ihre kleine, bescheidene Freiheit und sie brauche ihr eigenes Bett. Das von der Freiheit hatte ihm weniger gefallen, aber das Wort bescheiden um so mehr.
Hasso Meyer hatte ihr nach dieser Niederlage sehr eindringlich und noch konsequenter seine Instruktionen erteilt, was zu welcher Zeit im Haus zu erledigen sei, wie mit den Nachbarn zu verkehren sei und wann sie ihm pure Gesellschafterin zu sein hatte. Es war neu für Lola und es war aufregend zugleich. Noch eine andere Art Aufregung ließ ihr keine Ruhe. Sie wusste, wie oft Bodo auf schräge Gedanken kam. Sie brauchte ihn, aber sie hatte Angst vor seiner unberechenbaren Dummheit.
Lola trat an diesem Morgen leise in den Flur und drehte sofort von innen den Schlüssel im Schloss herum. Hasso schien noch im Bett zu liegen. Sie wusste sehr gut wie es aussah, wenn Hasso seinen Körper in den Kissen wälzte. Diesen Anblick brauchte sie jetzt nicht, nicht auf nüchternen Magen. Ganz still bereitete sie in der Küche sein Frühstück und deckte den Tisch für sich mit, er hatte es so angeordnet. Solange der Kaffee in die Kanne gluckste und die Eier leise köchelten, setzte sie sich auf jenen Stuhl, der den Blick aus dem Fenster zuließ, schloss aber bald die Augen und presste ihre Handteller fest vor die brennenden Lider. Der Tag versprach ähnlich zu verlaufen wie jeder der vorangegangenen Tage. Sie hatte bis jetzt nicht eine Minute Ruhe gehabt vor Hasso, konnte sich nicht in ihrer ungewohnten Lage orientieren und - was am schlimmsten war - sie konnte sich ihrer Vorstellung vom künftigen Leben nicht klar werden. Jedes Wort von ihr, jede Bewegung, hatte er in sich aufgesogen, als zehre er seinen letzten Lebensmut daraus, und bisweilen war es ihr, als durchfluteten ihn heiße Wellen, die er kaum beherrschen konnte.
Sie hatte nicht geglaubt, in die Höhle eines Löwen gegangen zu sein, aber ihr Entschluss war kein für alle Zeit endgültiger. Leider waren da die unheimlichen Züge an Hasso, ähnlich, wie sie die alten Leute den russischen Soldaten nachsagten, die monatelang an der Front im Dreck gelegen hatten und irgendwann im Flüchtlingstreck am Straßenrand das erste junge Mädchen erblickten.
Lolas Wünsche, über die sie sich endlich im Klaren werden musste, schlossen zwar einen neuen Mann an ihrer Seite nicht völlig aus, aber sie konnte auch keine Freude empfinden, wenn sie in ziemlich totem Fleisch diese Art Erregung erzeugte.
Die Eieruhr war abgelaufen und der Kaffee musste in die Thermoskanne umgefüllt werden. Mit schnellen Griffen erledigte sie, was zu tun war und suchte im Schrank nach Eierwärmern. Alte Leute benutzten eine Art kitschiger Hühnchen oder Zipfelmützchen, also musste es auch in diesem Haushalt einige davon geben.
Der Küchenschrank hatte im oberen Teil Glasvitrinen mit zarten bunten Gardinen. Lola nahm sich einen Stuhl und durchstöberte die am höchsten gelegenen Fächer. Außer diversen Einzelteilen aus alten Services, die durchaus ihren Wert hatten aber im Moment keinen solchen erfüllten, fand sie nicht, was sie suchte. Ein schmuckloses Päckchen lag zwischen den antiquierten Stücken, das wie ein Fremdkörper wirkte. Lola nahm es an sich, stieg vom Stuhl und schaute zur Uhr. Es war ihr unheimlich. Von den alten Leuten im Heim schlief kaum einer bis acht Uhr. Jetzt war es gleich halb neun.
Aus einem unerklärlichen Antrieb heraus steckte sie das Päckchen in ihre Tasche und begab sich nach oben zu Hassos Schlafzimmertür, legte ihr Ohr an das Holz und lauschte.
»Guten Morgen Täubchen«, hörte sie die Stimme wie von Ferne und doch so erschreckend nah für diesen Moment. Er musste ihren Schatten unter der Tür gesehen haben oder mit dem Teufel im Bunde sein, wie sonst konnte er wissen …
»Ich warte nur, dass du kommst.«
Was war in diesem Moment zu erwarten? Was sollte sie tun? Wenn diese Ungewissheit, dieses lauernde Abtasten, noch lange anhielt, würde es bald ein Zerwürfnis geben, und den Kürzeren würde sie selbst ziehen.
Sie ging hinein, selbst auf die Gefahr hin, etwas über sich ergehen lassen zu müssen, was ihr den morgendlichen Würgereiz einbrächte.
Die Augen von Hasso funkelten genau so, wie damals Benno Pluras Augen gefunkelt hatten, und ihr war klar, dass seine Versuchung hier in seinem Haus viel größer ausfiel, als Bennos Versuchung im Heim ausgefallen war, und dass diese Versuchung nicht eher aufhören würde, bis eine Verfluchung daraus werden würde.
Zum Morgengruß reichte Hasso ihr nicht nur die Hand, er breitete die Arme aus und drückte sie an seine feuchte nackte Brust, die er schon entblößt hatte, aber offenbar nicht ohne ihre Hilfe aus der Pyjamahose fand.
Es gab in ihrem Leben durchaus Männer, an dessen Körper sie sich anzulehnen sehnte, aber an einem Körper wie diesen sollte sie sich höchstens mit Wasser und Seife zu schaffen machen. Dazu war sie schließlich auch hier.
Lola hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und ersticken zu müssen. Sie riss sich los und schrie etwas von Eiern, die sich noch tot kochen würden. Fürs Erste war die Gefahr gebannt.
Hasso lachte leise auf, als er sich später zu Tisch setzte und die frisch gekochten Eier sah. Ansonsten verlief das Frühstück ohne Vorkommnisse.
»Entschuldige …«, sagte Lola in das stumme Schmatzen hinein, das Hassos gesunden Appetit verriet. Er legte noch eine Scheibe Schinken auf ΄s Brötchen und schlug das Ei mit der Messerkante seitlich ein, sichtlich zufrieden, weil es genau so zubereitet war, wie er es liebte. Erst dann hob er die Hand und bedeutete ihr, dass die Angelegenheit erledigt sei. Dem war aber mitnichten so. Den ganzen Tag über bekam Lola zu spüren, dass sie seine Magd war und nichts anderes als eine Magd, sofern sie nicht seinem vollen Anspruch genügte.
Lola schlief in dieser Nacht sehr tief. Zwar quirlten allerlei verworrene Bilder durch ihren Kopf, die allesamt mit einer besonders brutalen Gegenwehr gegen einen unliebsamen Liebhaber zu tun hatten, aber sie hatte den Traum nicht überbewertet. Das kam schon mal vor, wenn man keine klaren Regeln aufstellte. An diesem Tag wachte sie zum ersten Mal auf, ohne das Gefühl zu haben, in Kürze ihre Seele verkaufen zu müssen. Hasso Meyer war für das Wochenende zu einem seiner Kinder eingeladen. Er hatte Lola beschworen, ihm die Post zu besorgen, die noch im Altenheim für ihn angekommen war. Er habe seinen Kindern noch keinen reinen Wein eingeschenkt und das nur ihr zuliebe. Seine Kinder wären sehr skeptisch und hätten vielleicht Angst, nicht genug zu erben, wenn er ihnen von seinem Entschluss erzählte, den er um alles in der Welt nicht rückgängig machen wollte, weil er ihn schließlich nicht bereute.
Wenn Hasso Meyer solche Reden hielt, dann stets mit einem kleinen Beiklang von Drohung. Lola hielt es Hassos Beruf zugute. Als Militär war er es gewöhnt, anderen Menschen seine Order aufzuzwingen, so wie ihr Vater es gewöhnt war, seine Kinder mit jenen derben Händen zu erziehen, wie er sie unter Tage gebraucht hatte.
Auf ihrem Gesicht lag ein weicher, ein wenig trauriger Ausdruck. Im Gegensatz zu ihrem Vater war Hasso großmütig und spendabel, und dass er alt war, das hatte sie vorher gewusst. Und wie die Alten tickten, auch das war nicht neu für sie.
Jetzt, wo sie ihren Blick über die bescheidenen Möbel ihrer kleinen Wohnung wandern ließ, fiel ihr Blick auf das sündhaft teure Kleid an ihrem Schrank, über das sich Bodo maßlos gewundert hatte und dabei ganz grün geworden war. Ihre Lippen kräuselten sich. So könnte ihr das Leben durchaus gefallen, wenn der Preis dafür nicht wäre. Sicherlich wäre es nicht unmöglich, Hasso ein bisschen ums Maul zu gehen. Freilich wäre es für sie besser, wenn er weniger agil und mehr auf ihre Hilfe angewiesen wäre. Aber könnte diese Zeit nicht bald kommen? Hasso wäre der erste Mann, der bis an sein Ende Begierde und Tatendrang lebte. Sie wusste, wie schrecklich es sich anfühlte, was sie wünschte. Würde er mit trüben Gedanken im Lehnstuhl sitzen und sie würde ihm Geschichten vorlesen von der Bosheit dieser Welt, könnte sie sich wohler fühlen. Sie würde ihn streicheln und ihm versichern, ihn vor allem zu beschützen, was ihm Angst mache. Hasso würde vor Dankbarkeit überschäumen und von diesem Schaum könnte sie etwas abschöpfen.
Es war ein schöner Gedanke, aber wenn sie den Worten seines Hausarztes Dr. Schäfer glauben konnte, dann könnte Hasso bei vernünftiger Lebensweise hundert Jahre alt werden. Außer einem kleinen Magenproblem und einer stotternden Prostata wusste Lola nicht, was Hasso fehlen könnte. Das einzige Indiz, dass es etwas gab, war die Packung aus dem Küchenschrank und ihr Wissen, Männer überschätzen sich gern und Ärzte sind nicht allwissend …
Allein in ihrer Wohnung fühlte sie sich irgendwie verlassen, irgendwie in ihre Kindheit versetzt, und es fehlte nicht viel, da wären die Tränen gerollt.
Sie hatte in ihrem Leben nie wirklich viele Tränen vergossen, nicht einmal in ihrer Kindheit. Lola hat niemals geweint, wenn Menschen in ihrer Nähe waren. Auch vor ihren Geschwistern nicht und vor ihren Eltern. Selbst dann nicht, wenn Vater nach dem Riemen griff, weil sie nicht auf ihre Geschwister geachtet hatte und eines von ihnen etwas Dummes angestellt hatte. Die Tränen, die ein Mensch zu weinen hatte, musste sie aufsparen. Die hatten einen Zweck zu erfüllen. Wenn sie zum Betteln geschickt worden war, dann mussten sie fließen. Es hatte kaum noch jemanden gegeben, der etwas herausrückte, ohne dass ihre Tränen in Strömen geflossen waren.
Es funktionierte noch immer, das hatte sie unlängst zu spüren bekommen. Die Wirkung ihrer Tränen war wie in ihrer Kindheit ausgefallen, nur wertvoller. Diese Wirkung war rot, hatte vier Räder und stand vor dem Haus. Lola beleckte ihre trockenen Lippen. Zu gerne hätte sie einen anderen Wagen gefahren, einen größeren.
Was gab es doch für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit auf der Welt. Sie fühlte den alten Hass ihrer Kindheit in sich, der sie nie verlassen hatte, der nur hier und da ein wenig in Vergessenheit geraten war, weil niemand ihre Meinung über diese Welt hören wollte. Sogar Paul hatte sie einmal geschlagen, als sie sich weigerte, bei einem reichen Wessi putzen zu gehen. Damit der von seiner üppigen »Buschzulage« seine Lakaien bezahlen kann, hatte sie gewettert und ihn gefragt, ob er vor Jahren eine solche bekommen hätte.
Diese Worte waren nichts als Alibi gewesen. Sie wusste zu gut, dass Paul ihr würdelos verdientes Geld in Fusel umsetzen wollte. Gegen seine Schläge war sie noch machtlos. Damals. Grün und blau an Armen und im Gesicht, wünschte sie Paul den Tod, doch dafür war die Zeit noch nicht gekommen …
Es war nicht erkennbar, warum sie auffuhr und mit nackten Füßen in den Flur hinaus lief, um nach ihrer Tasche zu greifen. Lola kannte ihre Spontaneität. Sie musste nicht darüber nachdenken. Aber in diesem Augenblick war sie nicht spontan. Irgendeine Eingebung hatte ihr etwas ganz Konkretes zugeflüstert, etwas, wovon sie eine direkte Vorstellung hatte, der nachzugehen sie nicht länger aufschieben wollte.
Das Päckchen aus Hassos Schrank war noch ebenso verschnürt, wie sie es gefunden hatte. Sie schüttelte es an ihrem Ohr und hörte sofort, was sie vermutet hatte.
Warum ihr dabei Paul in den Sinn kam, das wusste nur sie allein.
»Da schau her«, murmelte sie. »Diazepam. Und gleich drei Großpackungen.«
Lola hatte einige Erfahrung damit gesammelt, wie man erregte Insassen eines Pflegeheimes für kurze Zeit ruhig stellen konnte, und wenn sie sich nicht irrte, verabreichten die ausgebildeten Kräfte einigen der Bemitleidenswerten eben auch dieses Diazepam, was Schwester Irmelinde immer Ost-Valium nannte. Von Irmelinde hatte sie auch gelernt, dass diese Mittel unter strenger Kontrolle standen und dass genau Buch geführt wurde, wer, wann, was bekam. Warum aber Hasso in seinem Schrank dieses Zeug hortete, das begriff sie erst im nächsten Moment. Auf einer der Packungen standen der Name und die Darreichungsform. Gundula Meyer. Und darunter ebenfalls kaum leserlich - tgl. ½ Tablette. Eine halbe, das war die Dosis, die Irmelinde den unruhigen Insassen im Heim verabreichte. Der nachlässigen Handschrift auf der Packung nach konnte es auch ein bis zwei bedeuten.
Lola hatte noch keine Ahnung, warum Hasso das Zeug noch immer im Schrank hatte. Womöglich kannte er seine Wohnung selbst nicht so genau. Vermutlich würde er nicht einmal auf die Idee kommen, irgendetwas anzufassen, was er nicht unmittelbar und sofort nötig hatte.
Warum sie das Päckchen eingesteckt hatte, wusste sie auch nicht mehr. Der einzige gute Grund war: Sie hatte ein gefährliches Zeug vor unwissenden Händen bewahrt. Und dass es gefährlich war, sagten ein paar Sätze der Packungsbeilage.
Als häufigste Nebenwirkungen waren Müdigkeit, Libido-Abnahme, Muskelschwäche und unter Umständen auch Erinnerungslücken angegeben. Das von der Libido gefiel ihr für einen unbeherrschten Moment. Aber da war die strenge Warnung, während der Einnahmezeit auf jeglichen Alkohol zu verzichten, und Hasso konnte so schwer verzichten. Jeden Tag nach dem Essen und dann noch einmal, bevor sie sich von ihm verabschiedete, musste sie mit ihm ein Gläschen Spreewaldbitter trinken, und wer weiß, was er später noch trank. Er sagte zwar stets, es mache ihm keinen Spaß, allein zu trinken, aber gewiss nur, um diesen Umstand auszunutzen, sie endlich zum Einzug in sein Haus zu überzeugen. Dabei hatte sich Hasso selbst ein Eigentor geschossen. Seit sie eigens für diesen Job das kleine Auto von ihm bekommen hatte, war sein Argument der schnellen Hilfe im Notfall abgeschwächt. Die Gefahr der schnellen Hilfe bestand nicht. Nur im Alkohol am Nachmittag lag eine nicht zu unterschätzende doppelte Gefahr, auch für sie.