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Kay und die Russinnen

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Irgendetwas ließ sie hochschrecken. Es hatte geläutet, doch sie stand nicht auf. Es war Samstag und es war ein verregneter Tag. Sie hatte frei, und sie hatte sich ein paar Brote gemacht und einen ordentlichen Schluck Rotwein gegönnt. Dann war sie eingeschlafen, einfach so, mitten am Tag und ohne einen Gedanken in ihrem Kopf hin und her zu schieben. Soweit brachte sie ihre Lage zusammen, in der sie sich gerade befand. Zum ersten Mal seit Tagen war sie ein wenig zur Ruhe gekommen. Entspannt war sie nicht, dafür war die Zeit einfach zu aufregend, gerade jetzt. Es war gerade jetzt sehr nötig geworden, einmal durchzuatmen und gut zu überlegen, was das Gescheiteste war. Dafür brauchte sie Ruhe, und da sollte läuten, wer da läuten wollte.

Die tiefe Müdigkeit rührte vom Wein, die Erschöpfung von der Arbeit, die sie bisweilen hasste, weil sie die Unwürdigkeit, der sie tatenlos zuzusehen hatte, nicht mehr ertragen konnte. Die einen litten unter regelrechter Vernachlässigung, während die anderen, die über ein ansehnliches Konto verfügten, beinahe in Watte gepackt wurden.

Vielleicht gelang es ihr jetzt, wo das Läuten endlich aufgehört hatte, wenigstens noch eine halbe Stunde nicht an das Heim zu denken, die bedrückenden Bilder auszublenden und auch die Ungerechtigkeit zu vergessen, die ihr noch nutzen sollte, die aber dennoch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit blieb.

Sie fühlte sich furchtbar allein, aber es war ein gutes Gefühl, dem Läuten nicht nachgegeben zu haben. Es konnte nur Bodo sein, der mal wieder Familienanschluss brauchte. Jetzt hatte sie keine Muße auf ihn, auch, weil er drei Tage nicht hier gewesen war. Nach drei Tagen ohne ihre strikte Anweisung würde er seine Duftmarke mit sich führen, der sie ganz einfach nicht Herr werden konnte, bei allen guten Tipps und bei aller Einsicht von Bodo, der lieben Lola keine Last sein zu dürfen, sondern Freude.

»Ich bin es gewöhnt, immer das Falsche zu tun und das Falsche zu sagen. Aber was ich denke, das verrate ich nicht, auch dir nicht«, hatte er geantwortet und war schneller gegangen als erwartet.

Bis er das nächste Mal kommt, musste sie sich entschieden haben. Entweder sie setzt ihn vor vollendete Tatsachen, oder sie sagt kein Wort über Hasso Meyer. Bodo würde es nicht verstehen, dass auch er seit Monaten von Hassos Extrazuwendung profitierte. Er würde aber sofort verstehen, dass die Zeiten magerer werden, sobald sie Hassos Angebot abschlägt. Einen Glücksfall für Lola, hatte es die Chefin genannt, und eine Katastrophe für den Rest der Herrschaften, die Lola ebenfalls bevorzugten. Zwar wird sie auch von diesen Herrschaften belohnt und es bestünde keine Not, Hasso zu folgen, aber verlockend war es schon, dieses Angebot, wenn auch nicht vorhersehbar.

Lola schrak heftig zusammen. Mit ziemlicher Wucht bearbeiteten Fausthiebe ihre Tür. Es waren so heftige Schläge, dass die Gläser in der Vitrine leise klirrten. Ihr erster Impuls war, sich die Hände vor die Ohren zu pressen und abzuwarten, bis Bodo von selbst aufgab. Aber dann dachte sie, dass es albern sei und dass Bodo eine verdammt schlechte Nachricht haben musste, wenn er das ganze Haus zusammenpolterte. Die anderen Mieter zerrissen sich sowieso schon die Mäuler über ihr eigenartiges Verhältnis. Nicht, dass man sie in der Stadt zusammen sah. Nicht, dass sie als Liebespaar galten. Das würde man anstandslos hinnehmen. Nein, Bodo galt im Haus als ihr Faktotum. Das konnte sogar für einen wie Bodo nicht schmeichelhaft sein, sofern er es überhaupt wusste.

Während sie noch überlegte was zu tun war, hörte sie, wie nach einem mächtigen Donnern ihr Name gerufen wurde. Nicht der Name, wohl aber die Stimme irritierte sie. Die passte nicht zu Bodo.

»Lola, mach auf. Ich weiß, dass du da bist! «

Mit einem Satz stand sie senkrecht, so ruckartig, dass sich die Welt in ihrem Kopf zu drehen begann. Einigermaßen irritiert lief sie zur Tür. Der Pfiff durch die Zähne war ihr vertraut, die Worte waren nur logisch:

»He, wer hat denn unser altes Inventarstück so sexy aufgemotzt. Neuer Kopf, neue Brille. Was ist noch neu?«

»Kay! Warum bist du hier? Was ist passiert? Wer hat dir meine Adresse …. «

»Das sind zu viele Fragen auf einmal«, donnerte die Stimme ihres Sohnes durch das kahle Treppenhaus.

»Ja, ja. Komm rein. Aber schrei nicht das ganze Haus zusammen. «

Der junge Mann war groß und von kräftiger Gestalt. Sein Haar kurz geschoren, kürzer, als sie es je bei ihm gesehen hatte, und das verstärkte die Röte in seinem Gesicht. Anstelle einer Erklärung schob ihr Sohn seinen Arm nach rechts und förderte mit eben diesem zwei Frauen zutage, die auf den abwärts führenden Stufen gestanden hatten.

»Das ist Lena und das ist Olga. Ich dachte schon, du willst uns den ganzen Tag hier draußen stehen lassen.«

Lola befand sich noch immer in Erregung. Bis zu diesem Moment hatte sie aber noch einem ganz anderen Übel gegolten. Jetzt - in dieser Sekunde - wälzte sich etwas in voller Wucht auf sie, womit sie an diesem freien Tag nicht gerechnet hätte. Für den Moment war sie überfordert und konnte nicht einmal Kays Großmannsmanier Paroli bieten. Alex wäre es nie eingefallen, unverhofft und dazu noch mit zwei fremden Grazien bei seiner Mutter aufzukreuzen.

Während Kay kurz darauf wie ein Wasserfall redete, blieben die jungen Frauen still wie die Fische. Nicht einmal als Lola lobte, was für hübsche Mädels Kay da aufgetrieben habe, lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Ein eher hilfloser Blick huschte zu Kay, und die Schultern der dunkelhaarigen, großäugigen und samtmündigen hoben sich leicht und fielen ebenso sacht wieder zurück, während das andere Mädchen ihre Augen in der bescheidenen Bude herumwandern und zuweilen staunen ließ.

»Sie verstehen dich nicht. Das sind Russen.«

Russen. Dieses Wort hatte früher schon einen abfälligen Klang. Aus Kays Mund klang es nicht besser, dabei waren es ganz reizende Mädchen, die man - sollten sie wirklich von so weit hergekommen sein - mit keinem männlichen Attribut bedenken sollte. Russinnen? Bringt Kay so viel Anstand auf?

»Wir müssen eine Nacht hier bleiben. Ich hab morgen noch was zu erledigen.«

»Hier?«

»In Forst, an der Grenze. Danach sind wir weg, und wir waren nie hier, wenn du verstehst? «

Lola verstand es, und noch viel mehr verstand sie. Wenn Kay ihr gegenüber kein Sterbenswörtchen von Geld verlor, dann hatte er eine Quelle angezapft, die ihn gut ernährte. Dafür gab es ein logisches Argument. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Nachdem sie einen starken Kaffee gekocht hatte, an dem die Frauen nur nippten, dem sich Kay um so genüsslicher ergab, redete er ziemlich laut und ziemlich lange über seinen Bruder Axel und über dessen Feigheit und darüber, dass der wohl für diese Welt zu gutmütig sei und es nicht weit bringen werde. Er habe ihn einbeziehen wollen in sein Geschäft, aber Axel habe kein Interesse an heißen Eisen, wie er es genannt habe.

»Du hast meine Adresse von Axel. Gib ΄s zu. «

»Bingo.«

Das war nicht gut, was sie da eben ausgeplaudert hat, so wie nicht gut war, dass sie dem einen Sohn reinen Wein eingeschenkt hatte und dem anderen nicht. Das mit dem reinen Wein war aber nun wirklich nicht ihr einziger Fall. Da stand ihr noch einer bevor, von dessen kluger Planung sie in dieser Stunde abgehalten wurde.

Irgendwann zwischen dem Wortgewölle ihres Sohnes und ihrer Sorge, wie die drei unverhofften Besucher in ihrer kleinen Wohnung nächtigen sollten, hatte Lola dann eine Idee. Es gab schließlich ein Ausweichquartier in diesem Haus. Das aber war weniger die rettende Idee gewesen. Das war in Wahrheit nur ein Alibi. Ihr ging es um Bodo. Es sollte leichter sein, durch die Blume mit ihm zu reden, als mit der Tür ins Haus zu fallen.

Lola ließ sich keines der Worte entgehen, die seit mehr als einer Stunde zwischen Kays Lippen heraussprudelten, aber ihr Unterbewusstsein war schon einen Schritt voraus. Sie rauchte ihre Zigarette zu Ende, drückte den Stummel auf der Untertasse aus, nahm den Untersetzer der Kaffeekanne und schlängelte sich an den beiden Frauen vorbei zum kleinen Fenster hin. Dreimal mit längeren und dreimal mit sehr kurzen Unterbrechungen schlug sie den Untersetzer gegen das Heizungsrohr, das an dieser Stelle kaum noch einen Farbanstrich aufwies. Nach den Blicken ihrer Augen zu urteilen, schienen die Frauen sich zu ängstigen. Und sogar Kay. Von seinem Gerede war er dennoch nicht abzubringen. Lola erfuhr auf diese Weise mehr über ihren Sohn, als sie es jemals erfahren hatte und als sie jemals erfahren würde. Insgeheim war sie mit seiner Meinung einverstanden. Auch sie könnte dieser Zeit und dieser Politik getrost Attribute zuordnen, wie sie Kay benutzte.

Einerseits war es gut, dass mal wieder geredet wurde zwischen diesen vier Wänden, andererseits waren es nicht die Themen, die Lola gewöhnlich beschäftigten. Mit Bodo redete sie nicht viel, aber wenn, dann hatten sie beide ein gleiches Bild vor Augen, dem sie sich hingaben, jeder nach seinem Vermögen, die Dinge zu beleuchten. Obwohl sie inzwischen seit Monaten in regelmäßigen Abständen zusammenkamen, mündeten ihre Gespräche nicht selten beim gleichen Thema. Auch wenn Bodo in völlig zusammenhanglose Gedanken verfiel, er klebte förmlich an seinem Wunsch nach Anschluss und ein bisschen auch an einem Wunsch nach mehr Geld. Ansonsten war er einer der unklarsten Menschen, die ihr je untergekommen waren. Sie wusste nie, was Bodo wirklich dachte, sofern er überhaupt etwas allein zu durchdenken imstande war.

Gegen sechs Uhr läutete es an der Tür. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag verstummte Kay, und aus den Augen der Mädchen blitzte so etwas wie Angst.

Bodo stand in der Tür. Zuerst hatte er schon von draußen Kay entdeckt. Er durchbohrte ihn mit Blicken, schob sein Haar, das heute weniger glänzte und wohl deshalb nach vorn in die Stirn fiel, über den Scheitel zurück, als brauchte er jetzt unbedingt klaren Durchblick. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, und weil Lola jetzt hinter ihm stand, um die Tür zu schließen, sprach er ziemlich laut und trotz der Kürze seiner Worte ziemlich stotternd.

»Was … gibt΄s denn … eigentlich.«

Wenn Bodo aufgeregt war, stotterte er ein wenig.

»Grüne Bohnen mit Hammelfleisch.« Sie wusste, dass seine Frage so nicht gemeint war.

»Warum … hast du geklopft?«

»Wie du siehst, habe ich Besuch. Auf einen Esser mehr kommt es nicht an.«

»Na dann …«

Erst jetzt sah Bodo die Mädchen, die sich in die Nische zwischen Schrank und Balkontür gezwängt hatten. Nun, wo Kay mit einem Wink Entwarnung gab, taten sie so, als habe es da draußen gerade etwas Interessantes zu sehen gegeben. Bodos Augen wurden starr vor Staunen, aber sein Inneres schien aufzuweichen wie Wachs in der Sonne. Er hielt nichts von Etikette, aber instinktiv gelang ihm das Kunststück, zuerst den Mädchen die Hand zu geben und erst dann von Kays derbem Händedruck beinahe in die Knie zu gehen.

»Das ist Kay, mein Sohn. Und das sind seinen Freundinnen.«

Die Namen der Mädchen nannte Lola nicht. Die hatte sie schon wieder vergessen.

Lola ging in die Küche, um eine Schüssel und eine Tüte mit Inhalt zu holen, den Bodo nicht sehen konnte. Warum er dennoch gleich wieder aufsprang und nach der Schüssel griff, das wusste nur Lola, das konnte keiner der anderen im Raum erraten. Wortlos ging Lola an ihm vorbei um den Tresen herum und stellte alles zusammen darauf ab, um den Esstisch abzuräumen. Den Mädchen gab sie quasi mit Händen und Füßen zu verstehen, was zu tun war. Ein kleines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, das sein doppeltes Echo in kindlichem Gekicher fand; die ersten wahren Töne, die aus den Mündern der Mädchen gehuscht waren. Es gefiel ihnen offenbar, nicht länger nur sinnlose Schmarotzer zu sein.

Nachdem die Sache mit der Übernachtung für Kay geklärt war, was Bodo geradezu freudig begrüßte, setzte Lola sich zu den beiden, die noch kein gutes Thema für eine Unterhaltung unter Männern gefunden hatten.

»Keiner muss heute noch Auto fahren, nehme ich an?«

Lola hob die Flasche an und schielte zuerst zu Kay, um blitzschnell mit einem fast unbemerkten Zucken auf die Mädchen zu weisen.

»Schto Gramm?«, rief Kay den Mädchen zu. Die beiden kicherten wieder, nickten aber heftig. Für Bodo war es wie Weihnachten, so sagte er es wenigstens. Er trinke sonst nie Braunen. Davon bekäme er Schädelbrummen. Aber heute sei schließlich ein besonderer Tag.

Kays Blicke wanderten von Lola zu Bodo. Er grinste dabei ziemlich unverschämt und stellte seine Frage in eben dieser Weise: »Schlaft ihr miteinander?«

Die Antwort kam auf den Punkt, aber sie fiel nicht synchron aus. »Schon«, sagte Bodo, was seine Antwort für »ja« bedeutete. »Wo denkst du hin!«, sagte Lola in einer Schärfe, die erklärte, dass sie gar nicht bemerkt hat, was Bodo geantwortet hat und wie seine linke Wange zuckte.

»Wenn es mir darum ginge«, lachte Lola, um sofort in eine traurige Stimmung zu verfallen, »wäre ich vom Fleck weg unter der Haube.«

Kay begann lauthals zu lachen, dazwischen gurgelte er:

»Schön dumm. Sieh dich an. Du gehst glatt noch als Fünfunddreißigjährige durch den TÜV.«

Bodo saß wie gelähmt und konnte sich nicht rühren, nicht seine Augen, nicht seine Lippen. Nur seine linke Wange zuckte, und ein sonderbarer Wechsel von Licht und Schatten lag auf seinen Zügen. Lola wusste, warum das so war. Sein Blick machte ihr klar, dass auch er es wusste, sich aber nicht wehren konnte gegen das Gefühl, das ihm auf einmal die Eingeweide zerwühlte.

»Ich wusste, dass du dem Paul nicht lange hinterher trauerst«, gurgelte Kay. »Aber in dieser gottverdammten Gegend wirst du keinen reichen Mann finden.«

Kay schielte auf Bodo, und Bodo konnte seine starren Augen nicht von Lolas Lippen lösen. Eine Sekunde lang sagte sie nichts, und sogar Kay verstummte in der Schusslinie ungewohnter Blicke. Im Zimmer hörte man nur das leise Schnippen der Messer, mit denen sich die Mädchen über die Bohnen hermachten.

»Diese Gegend ist nicht gottverdammter als die, aus der du kommst.«

Lola kannte sich inzwischen gut in der Gegend aus, aber sie musste es niemandem sagen, wie grün und wie sauber diese Stadt an der Spree war, und welch herrliche Parks es hier gab und wie viele schöne Häuser bereits wieder in prächtigem Glanz erstrahlten. Bodo würde es selbst wissen und die anderen würden am Sonntag wieder verschwinden, ohne auch nur einen einzigen Augenaufschlag den Schönheiten der Stadt zu widmen. Aber jetzt war die Zeit gekommen, um eine Botschaft ganz anderer Art zu verkünden.

»Ich arbeite zu viel. Bin ausgepowert bis aufs Blut. Ich sollte wahrhaft über mein stoisches Gehabe nachdenken, so wie es Hasso Meyer genannt hat.«

»Hasso? Ist das jetzt ein Hund …?«

»Kein Hund!« Beinahe war sie wütend auf Bodo geworden. »Vielleicht ein stinkreicher Hund. Ach. Ist nicht so wichtig …«

»Na hör mal«, ging Kay dazwischen, »stinkreich ist immer wichtig.«

Bodos Augen weiteten sich. Sein Herz pochte irgendwie anders als sonst, mehr im Hals, aber er wollte es sich ums Verrecken nicht anmerken lassen.

»Der Hasso will mich als private Pflegerin engagieren. Er würde mir mehr Geld zahlen, als ich jetzt verdiene, sagt er. Das kann gut sein, muss aber nicht. Das Gute daran wäre, ich hätte nur diesen einen Graukopf zu versorgen. Verstehst du. Nur einen einzigen.«

»Bingo«, schrie Kay, als wisse er sofort Bescheid, warum dieses das größte Glück war, das seiner Mutter widerfahren konnte.

»Moment«, Lola hob die Hand. »Hasso meint: mehr als mein Gehalt. Wir … Bodo und ich … haben aber jetzt noch das, was die anderen Speichellecker locker machen. Mit allem zusammen können wir gut leben.«

Kay zog die Lippen nach unten, was Lola nicht sonderlich gefiel. Er hatte also sofort verstanden, wen sie mit wir gemeint hatte, und es war nicht klug gewesen. Nicht vor einem, der wie Kay das Geld über alles liebte. Andererseits hatte er nicht das Recht, ihre Verbindung zu Bodo als unwichtig zu bezeichnen. Aber er war auch keiner, der an Magendrücken litt, wenn es um die Wahrheit ging. Er lehnte sich grinsend in den Sessel zurück.

»Wenn du einen dicken Fisch an der Angel hast und nicht kurbelst ...? Man, man, man. Was soll man dazu sagen. Diese alten Knaster schwimmen im Geld. Die brauchen doch nix mehr. Wenn du Glück hast, beerbst du den noch. Kapierst du?«

Kay überraschte sie, und irgendwie war er plötzlich der Glücksumstand des Tages. Bewusst oder unbewusst, Kay war der Sache so nah, wie es Lola niemals vermutet hätte. Einen von denen zu beerben, die es nicht mehr lange machen würden, genau das war das einzig lohnende Ziel. Aber das lag bei Hasso zugegeben noch in weiter Ferne. Hasso war vitaler als jeder andere auf der besonderen Etage der Residenz, und Hasso hatte nicht vor, den hilflosen Greis zu geben. Trotzdem würde es ihr, bis es soweit wäre, nicht schlecht ergehen. Der Hasso war ein anderes Kaliber als der Benno. Der hat sie noch nie befummelt.

Kay gönnte ihr diese Chance, wenn sie seine Euphorie richtig verstand. Aber da war noch Bodo, der jetzt seinen Kopf in beide Hände stützte, als müsste er nachdenken. Sie hatte sich an Bodos Zupacken gewöhnt. Das würde wegfallen, wenn sie den Hasso in seinem Haus zu versorgen hat. Dort blieben alle Unannehmlichkeiten des Alltags an ihr hängen, und wenn sie es richtig wusste, hatte Hasso ein kleines Häuschen am Stadtrand mit Ofenheizung und einem kleinen Vorgarten. Ofenheizung bedeutete Kohlen schleppen und Asche tragen und wer weiß was noch. Da hätte sie ja gleich daheim in der Moorstraße bleiben können. Den Verkauf der Doppelhaushälfte wollte Hasso erst angehen, wenn die neue Nobelresidenz an der Spree fertig gestellt sein würde. Hasso hatte vom künftigen Betreiber einen Vertrag in der Tasche – alte Seilschaften. Inzwischen hatte er andere Pläne, und daran hatte sie gedreht mit ihren kleinen Extras, die dem Hasso den Speichel aus dem Maul fließen ließen. Sie hatte das eigentlich so nicht gewollt, aber seit diesem Tag, wo er sie zu sich kommen ließ und ihr das Angebot gemacht hatte - ganz seriös und im Beisein der Heimleiterin Frau Hegewald - seit diesem Tag gab es Stunden, wo sie sich nichts mehr gewünscht hätte, als das Haus Am Sandberg zu verlassen, wo das Elend immer deutlicher zutage trat, seit sie den Goldschein am Horizont erblickte.

»Du hast doch einen guten Job«, stotterte Bodo.

»Ein guter Job ist nur einer, wo man gutes Geld verdient, mein Lieber. Auch noch ein gutes Gefühl im Job zu haben, das wäre schon zu viel des Guten. Kannst ja mal einen Tag mitkommen. Nur einen einzigen Tag.«

Sie wusste es genau. Bodo konnte es sich nicht vorstellen, wie deprimierend es in einer Einrichtung wie dieser zuging, aber er hatte ihr einmal gesagt, was er sich sehr gut vorstellen konnte: Wie die Männer sie begrabschten. Bei dieser Vorstellung war er wie wahnsinnig im Zimmer auf und ab gelaufen, und sie konnte nichts anderes tun, als ihn für kindisch zu erklären.

Die Rache des Faktotums

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