Читать книгу Die Rache des Faktotums - Maxi Hill - Страница 7
Ein ungleiches Paar
ОглавлениеDer Frühling war die Zeit des Aufatmens, aber der Sommer fiel erdrückend aus. Daran trugen nicht die tristen Häuser im jammervollen Stadtteil Schuld, daran trug auch die Nähe von Bodo keine Schuld, der sich angewöhnt hatte, bei ihr ein- und auszugehen und von dem sie sich angewöhnt hatte, alles Lästige erledigen zu lassen, was das Leben bereithielt.
Sie hatte mühelos die Anstellung bei der Seniorenresidenz Am Sandberg bekommen, und die schwere Arbeit bewirkte sogar eine gewisse Zufriedenheit. Aber just in diesem Moment, wo sich ihre ganz spezielle Anstrengung auf angenehme Art auszuzahlen begann, starb der Mann, der Benno Plura hieß und dessen Name in ihren Ohren einen literarischen Klang hatte - ein bisschen zumindest. Sie war ja nicht dumm, sie hatte nur nicht die besten Zensuren bekommen, weil sie nie das richtige Schulzeug besaß.
Vom Literaten Benno Pludra hatte sie nie etwas gelesen, weil nie Geld für Bücher übrig war. Aber diesen alten Benno Plura im Heim, den hat sie bemuttert, wie sie ihre Söhne nicht bemuttert hatte. Zum Dank dafür bekam sie oft einen guten Schein zugesteckt.
Für eine Weile musste sie sich merkwürdiger Fragen seiner Familie erwehren. Als ob es in dieser Zeit außergewöhnlich wäre, für Extra-Zuwendung extra belohnt zu werden. Als ob es hiesige Menschen nicht gewöhnt wären, den Ausgleich des Mangels besonders zu vergelten. Der Mangel hieß jetzt Zuwendung, gerade in Einrichtungen dieser Art.
Für eine längere Zeit hatte sie darüber nachgedacht, ob es nicht einen besseren Job geben könnte. Sie hatte sich die Arbeit leichter vorgestellt; angenehmer. Alte Männer sind kein Segen für eine attraktive Frau. Umgekehrt funktionierte die Konstellation Jung zu Alt als Segen, aber leider sah Benno nicht nur in ihren helfenden Händen einen Segen. Ein kleines Schütteln erfasst sie. Der Gedanke an seine Hände – von braunen Altersflecken übersät, mit gelben brüchigen Fingernägeln gekrönt – versetzte sie in den Zustand völliger Appetitlosigkeit. Selbst wenn er nur ihre Hände gestreichelt hätten, wäre dafür auf Dauer Überwindung vonnöten gewesen. Je öfter er in seine Geldbörse griff, desto sicherer wurde sein Griff nach anderen Körperteilen. So gesehen war sie vom Regen in die Traufe gespült worden, von Paul zu Benno, nur, dass der Benno wesentlich mehr übrig hatte als Paul, und dass er sich - laut Totenschein - nicht tot gesoffen hat.
Sie hatte für einen schwachen Moment daran gedacht, sich in die Frauenabteilung versetzen zu lassen, aber dann war sie bei ihrem Vorsatz geblieben, und vermutlich war das der einzige Weg, der ihr blieb. Schuldgefühle hatte sie nicht. Sie war ihm zwar zuletzt in einer unkontrollierbaren Sekunde an die Gurgel gegangen, aber davon hatte Benno keinen Schaden genommen. Was ihm geschehen war, war nicht ihre Schuld. Wenn es etwas gab, das sie sich vorwarf, dann den Abend danach, als sie Bodo davon erzählte, weil sie ohne Benno wieder mehr auf ihr Geld achten musste. Aus Frust haben sie sich zusammen so sehr betrunken - er an weißem Fusel, sie an Kräuterlikör - dass sie nicht mehr wusste, wie sie ins Bett gekommen war und warum Bodo in ihrem Wohnzimmer auf der Couch geschlafen und am Morgen pfeifend das Frühstück für sie zubereitet hatte.
Sie wollte ihn nicht danach fragen. Jede Gewissheit verpflichtet. Also sparte sie diesen Abend aus ihrer Erinnerung aus und ließ alles beim Alten. Bodo gab sich seitdem sehr vertraulich und mühte sich beflissen, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Vielleicht weil er etwas völlig falsch einschätzte. Vielleicht weil er glaubte, noch mehr von ihr zu profitieren.
An das Zuweisen der Aufgaben für Bodo hatte Lola sich schnell gewöhnt. Sehr schnell.
Der Sommer war Vergangenheit und die Normalität war zurückgekehrt in Lolas und Bodos Leben. In ihrem Herzen aber blieb Lola zerrissen – bisweilen sanft und gütig, dann auch mal hartherzig und ungerecht, besonders zu Bodo.
Sie brauchte Bodo, und sie war sicher, in ihm einen passablen Helfer zu haben. Ohne ihn gäbe es nicht halb so viele Bequemlichkeiten in ihrem stressigen Dasein. Aber er hatte auch seine dunklen Seiten – wer hatte die nicht.
Bisweilen störte sie sein stets unverhofftes Auftauchen, und wenn sie ihn in die Schranken wies, kramte er tausend unlogische Gründe aus seinem Hirn, warum er gerade jetzt dieses oder jenes für sie erledigen müsse. Sie schalt ihn dann als egoistisch, und weil ihn das selten störte, sagte sie einmal, er sei paranoid. Nach seiner derben Reaktion wurde ihr immer klarer, dass etwas in ihm steckte, was man getrost als Paranoia bezeichnen konnte, sofern es nicht Eifersucht war. Dieser Umstand belustigte sie, befremdete sie aber mindestens ebenso stark. Um sicher zu sein, dass es Eifersucht war, erzählte sie manchmal von dem einen oder anderen Witwer, der sie mit Kosenamen bedachte und der vor lauter Dankbarkeit wer weiß was tun würde. Es waren die vielen Einzelheiten, die Bodo innerlich zur Weißglut brachten. Er war unberechenbar, und wie es schien, ebenso zerrissen wie sie selbst. Diese Erkenntnis versöhnte Lola auf ganz gewisse Weise. Wenn sie je über Bodo als Mann nachgedacht hatte, dann war es ihrer eigenen Ungewissheit wegen. Sie hatten nie mehr über die durchzechte Nacht gesprochen und was womöglich passiert war. Vorstellen konnte sie sich nichts, aber manchmal schaute er sie so versonnen an und in seinen Augen lag ein bettelnder Blick, wie ihn nur ein verliebter Kater haben konnte. Dieser Blick stellte ihn dann in ihren Augen auf die gleiche Stufe mit den hilflosen Grauköpfen, was ihre Macht über Bodo in gleicher Weise erstarken ließ, wie sie die Macht über den einen oder anderen Graukopf spielen ließ.