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Der Krieg

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Als Pasteur von der Villa Vicentina zurückgekehrt ist und an der École normale eintrifft, ist diese am Sieden. Rasch reagieren die Schüler auf die allgemeine Mobilmachung, obwohl ihre 10-jährige Verpflichtung sie davon befreit. Bouillier, der Direktor, und Bertin, der Verwalter, ein Freund Pasteurs, der ihm auf diesen Posten gefolgt ist, wollen das große Haus nicht ohne Weiteres aufgeben und haben die Idee, es in ein Krankenhaus für verwundete Seminaristen zu verwandeln. Der Sohn Pasteurs, Jean-Baptiste, der sein Juraexamen abgelegt hat, begibt sich als Sanitäter zum Val-de-Grâce. Dieser Monat August ist eine Quelle der Besorgnis für die Pasteurs. Die Nachrichten von Katastrophen häufen sich. Und Jean-Baptiste hat das Pech, sich in den Sälen der Verwundeten und Kranken, mit denen er täglich in Kontakt kommt, ein Typhusfieber zuzuziehen1. Glücklicherweise erholt er sich rasch. Trotzdem steht nicht zur Debatte, dass er in einem Krankenhaus im Hintergrund bleibt. Pasteur interveniert, damit er für die Front eingeteilt wird.

Die französischen Illusionen lösen sich in Rauch auf. Etwa 20 Tage reichen aus. Schneid und Heroismus gehen rasch in schweren und blutigen Niederlagen unter, die der Unfähigkeit der Armeeführung geschuldet sind. Die Nachricht über die ersten Rückschläge betäubt die Bevölkerung. Das Debakel wird größer. Mac Mahon, unschlüssiger und konfuser Stratege, zieht sich in wilder Flucht zurück, Bazaine wird in die Enge getrieben und schließt sich in Metz ein (die Belagerung wird lange dauern), die preußische Armee rückt vor. Der kranke Kaiser bringt sich aus dem belagerten Metz in Sicherheit und wird selbst in Sedan eingeschlossen. Nach drei Tagen erbitterter Kämpfe und des letzten verzweifelten Widerstandes, ist die Katastrophe vollkommen. Am 2. September kapituliert Napoléon. Am 3. verlässt er als Gefangener endgültig Frankreich, um in Preußen interniert zu werden. Am 4. September verkündet Léon Gambetta seinen Thronverzicht. Das Kaiserreich liegt am Boden. Die Dritte Republik wird ausgerufen. Und der Krieg geht weiter …

Die Bewunderung, die Pasteur für den Kaiser empfindet, ändert sich trotz seiner Fassungslosigkeit über einen so unerwarteten Zusammenbruch nicht. Am Tag nach Sedan, am 5. September 1870, schreibt er an Marschall Vaillant: »Ich bin zerbrochen vor Schmerz. Alle meine Illusionen sind verschwunden. Sie wissen um meine Hingabe an das Gemeinwohl und das Kaiserreich. Gewährt mir die Gunst und nennt meinen Namen, wenn Ihr an Seine Majestät die Kaiserin schreibt, nennt ihn unter den Personen, die sich für alle Ewigkeit ihrer Güte und der des Kaisers erinnern werden. Trotz des unnützen und dummen Geschreis in den Straßen und der schändlichen Fehler der letzten Zeit kann der Kaiser mit Zuversicht das Urteil der Nachwelt erwarten. Seine Herrschaft wird eine der glorreichsten unserer Geschichte bleiben. Meine größte Freude wäre es gewesen, meine Familie Ihrer Majestät der Kaiserin vor Ihrer Abfahrt vorstellen zu können. Ein Gefühl der Diskretion hat mich, wie Ihr unschwer verstehen werdet, davon abgehalten, um diese Ehre nachzusuchen.«

Pasteurs Lähmung befreit ihn davon, in ein Bataillon einzutreten. Unnütz für die Front arbeitet er weiter und dies, dank der freundschaftlichen Hartnäckigkeit von Bertin, vorzugsweise fern von Paris. Hierzu veranlasst ihn die Bekanntmachung vom Untergang des Kaiserreichs. Am 5. September, am gleichen Tag, an dem er sich »zerbrochen vor Schmerz« nennt, verlässt er Paris. Nun beginnt eine Folge von Rundreisen und unvorhergesehenen Ereignissen, die ihn zuerst nach Arbois führen!

Die unerwartete Nachricht bewirkt bei Pasteur ein Unverständnis, das ihn versteinern lässt. Was hätte sein Vater gedacht, Haudegen des Premier Empire? Sein bonapartistisches Herz blutet, niedergeschlagen »von dem Verhängnis, das unser liebes Vaterland getroffen hat. So weit wie möglich wende ich meine Gedanken ab von diesen grauenvollen Abgründen, die sich ohne Ende unter unseren Füßen aufgetan haben.« Die Bewunderung, die er dem deutschen Volk zollte, ist einem intensiven Hass gewichen. Allerdings äußert er hellsichtig seine Meinung über die Ursache all des Übels2: »Welch Unwissenheit unserer Armeeführer über den Zustand der jeweiligen Streitkräfte der beiden Nationen! Oh! Wir anderen Wissenschaftler hatten Recht, die Erbärmlichkeit des Erziehungsministeriums zu bedauern: Der wahre Grund für all unser derzeitiges Unglück liegt dort […]. Ich wünschte, dass Frankreich sich gewehrt hätte bis zum letzten Mann, bis zum letzten Bollwerk! Ich wünschte, dass sich der Krieg hingezogen hätte bis ins Herz des Winters, damit uns die Elemente zu Hilfe gekommen wären, alle diese Vandalen umgekommen wären in der Kälte, durch Elend und Krankheiten. Jede meiner Arbeiten bis zu meinem letzten Tag soll das Epigraf tragen: Hass auf Preußen. Rache. Rache.«

Was ist in der Zwischenzeit mit Robert Koch geschehen, dem Arzt von Rakwitz?

Nach den Plänen Bismarcks sollten alle deutschen Staaten hinter Preußen, der angegriffenen Macht, einen Block bilden, eingehüllt in der Verteidigungsposition. Man muss mit Härte gegen den Angreifer vorgehen, der nach seiner Ansicht Elsass und Lothringen unberechtigt besitzt!

So wie Pasteur in seiner Jugend eher deutschlandfreundlich war, so hatte die Familie Robert Kochs eine gewisse Verbundenheit für Frankreich gezeigt. Roberts Vater, Hermann, war einige Jahre lang Bergbauingenieur in dem Land gewesen und sein ältester Sohn Adolf wurde 1840 dort geboren. Als jedoch der Krieg ausbricht, ist es geboten, sich zu beteiligen: eine Frage der Ehre. Drei von Roberts Brüdern, Hugo, Albert und Ernst, melden sich freiwillig. Von der Bewegung mitgerissen, will Robert sich auch engagieren. Leider trägt ihm seine Kurzsichtigkeit den Stempel »Freistellung« in seinem Dienstbuch ein. Die patriotische Ader überwindet diese zu energische Ablehnung und dank seines einflussreichen Lehrers Virchow gelingt es ihm, sich im August 1870 als Militärarzt in ein Feldlazarett bei Mainz abkommandieren zu lassen. Bald wird er nach Saint-Privat-la-Montagne geschickt im Département Moselle, wo er die ersten Schäden feststellt, die durch den Krieg entstanden sind. Eine weitere Versetzung führt ihn nach Ay, nahe Metz, wo er sich etwas langweilt und sich wünscht, andere Regionen Frankreichs zu sehen. Das wird Neufchâteau nahe Nancy sein, dann Orléans. Auf der Fahrt nach Orléans, während er Nemours passiert, meint er die Kanonen nahe Paris zu hören. Er hofft, dass die Belagerung der Stadt rasch von Erfolg gekrönt sei und zum Ende des Krieges führen werde. Die Begeisterung der ersten Tage, getragen von dem raschen Sieg der deutschen und preußischen Armee, lässt nach und macht Platz für die Hoffnung auf eine baldige Entlassung, zu seiner Familie zurückzukehren und seine Praxis wiederzusehen.

Dennoch hat ihm dieser Krieg viele Beobachtungen und Überlegungen erlaubt, die nützlich für seine medizinische Schulung sind. Wie er an seinen Vater schreibt, lernt er während seiner kurzen Anwesenheit im Militärlazarett mehr, als er es in sechs Monaten in einem zivilen Krankenhaus getan hätte. Im Hospital von Neufchâteau macht er sich mit dem Typhus vertraut und vor allem mit den Komplikationen, die aus Kriegsverletzungen entstehen. Er hat außerdem die Möglichkeit, den Nutzen der Pockenimpfung – die einzige Impfung, die zu dieser Zeit existierte – zu studieren. Tatsächlich waren die deutschen Truppen, die systematisch geimpft worden waren, nur gering von einer Pockenepidemie betroffen, die während des Feldzuges auftrat, wohingegen die französischen Truppen, die nicht geimpft waren, schwer unter ihr litten.

In seinem Refugium in Arbois erreicht das Echo der Ereignisse Pasteur nur hin und wieder. Jean Baptiste ist zu seiner Genesung zu Besuch gekommen, danach, wieder gesund, hat er sich zurück zu seinem Armeecorps begeben. Häufig widersprechen sich Nachrichten, sicher ist nur, dass die Preußen sich dem Jura nähern. Arbois ist nicht sicher, Pasteur zieht in Betracht, »falls es sein muss, den Barbarenhorden zu entfliehen« und in die nahe Schweiz zu gehen, obwohl sein Schüler Jules Raulin ihm Asyl in Pont-Gisquet, im Département Gard anbietet.

Pasteur hat sich diesen Krieg mit »unbegrenzter Unterstützung« gewünscht. Jean-Baptiste und sein Cousin Joseph Vichot befinden sich im Zentrum des Getümmels, in einer unvorbereiteten Armee aber tapfer um jeden Preis. Pasteur, von einer »solchen Desorganisation« alarmiert, verliert nicht die Hoffnung3: »Die Nachrichten über Paris und Bazaine sind ziemlich ausgezeichnet. Bazaine könnte unser Retter werden. Unsere Rekruten sind geschlagen aber diese Gefechte härten sie ab.« Leider unterzeichnete Bazain am 27. Oktober die Kapitulation von Metz – später wird er des Verrats und der heimlichen Verbindung mit dem Feind angeklagt werden.

Der Fall von Metz befreit die belagernde deutsche Armee, die nach Orléans marschiert, um die Truppen anzugreifen, die in aller Eile versammelt worden waren, die Loirearmee. Die Depechen sind widersprüchlich. Die Loirearmee, unter dem Kommando von Aurelle de Paladines und dem mutigen Chazin, verteidigen das Gebiet tapfer gegen die Deutschen, erringen Erfolge, aber am 2. Dezember wird dieselbe Armee bei Loigny überwältigt und verliert am 4. Dezember Orléans. Meung-sur-Loire und Beaugency fallen, die gesamte Region ist besetzt. Die Loirearmee, »der Stolz, letzte Hoffnung und Heil Frankreichs«, zieht sich unter Rückzugsgefechten in den Süden zurück.

Am 5. Dezember betreten deutsche Truppen mit klingendem Spiel Orléans. Ein Teil der Armee bezieht Quartier im Rathaus von Orléans und im Palais des Bischofs Dupanloup. Man greift auf die Kathedrale zurück, um die zahlreichen Gefangenen unterzubringen und sie vor der Kälte zu schützen, die so groß geworden ist, dass auf der Loire Eisschollen treiben. Die Ambulanz ist im bischöflichen Palais untergebracht.

Koch befindet sich Anfang Dezember nicht in dieser Ambulanz. Er ist noch in Neufchâteau. Falls seine Brüder an den Kämpfen um Orléans teilnahmen, so kommt er selbst dort nicht vor dem 13. Januar an und wird nicht für das bischöfliche Palais, sondern für ein Hospital in der Vorstadt Bannier eingeteilt. Er befindet sich also nur wenige Kilometer entfernt von Saint-Pryvé-Saint-Mesmin, wo sich der Besitz der Familie von Marie Pasteur befindet, die Feuillants, der von den Besatzungstruppen geplündert werden wird.

Kochs Aufenthalt in Orléans ist von kurzer Dauer. Am 16. Januar informiert ihn der Generalarzt, dass er entlassen werden kann – die Einwohner von Rakwitz verlangen nach ihrem Arzt. Er versucht jedoch, ihn davon zu überzeugen, bis zum Ende des Krieges zu bleiben, das nicht mehr lange dauern sollte. In der Furcht, seinen Posten zu verlieren, wenn er nicht zurückkehrt, akzeptiert Koch, aus dem Kriegsdienst entlassen zu werden. Für ihn ist der Krieg beendet.

Bevor er Emmy wiedersieht, die die Trennung von ihrem Gatten nicht sehr schätzte, fährt Robert nach Clausthal, um seine leidende Mutter zu sehen. Ein letztes Mal umarmt er sie. Sie wird wenig später, um 13. April, an einer Lungenentzündung sterben, nur 52 Jahre alt, ohne Zweifel verbraucht von 13 Schwangerschaften.

Robert Koch und Louis Pasteur

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