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Robert Koch, Landarzt

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Während Pasteur »die deutschen Länder« von West nach Ost, von Westfalen bis Sachsen durchquert, entdeckt er ein Gebiet, das noch kein Staat ist. Seit den 1850er-Jahren befinden sich die Länder im Umbruch. Es ist der Beginn eines wirtschaftlichen Umbaus, einer tief gehenden Industrialisierung, deren augenfällige Zeichen den Reisenden überrascht haben. Besonders die Minen, Zeugnisse einer Industrialisierung im Aufbruch, die die Kohle- und Eisenproduktion, den Maschinenbau und die Baumwollverarbeitung in Rekordgeschwindigkeit beschleunigen wird und, Eckstein des Wandels, der sensationelle Aufschwung der Eisenbahn.

In der Eisenbahn, jener, die ihn von Hannover nach Magdeburg bringt, konnte Pasteur nicht die etwa 60 km südlich gelegenen Höhen des Harzes erahnen, eine Orientierung für Hexen und Dämonen, jedoch auch reich an Silber-, Blei und Eisenminen. Er konnte nicht ahnen, dass in diesem Augenblick ein kleiner Junge von neun Jahren, Robert, seinen kurzsichtigen Blick über diese Berge schweifen lässt, wo er geboren wurde und die er in- und auswendig kennt. Sein Vater, der Ingenieur Hermann Koch, überwacht die Aktivitäten des Bergbaus in der Region. Er wohnt in Clausthal, der Hauptstadt des Oberharz.

An diesem 10. September 1852 sind sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt: Louis, der junge Gelehrte, ungeduldig auf der Suche nach einem unwahrscheinlichen Graal, während Robert, der eifrige Schüler, über das Land zieht und botanisiert. Ihre Wege werden sich eines Tages, viel später, kreuzen. In der Zwischenzeit wird sich Pasteur mit der Gärung befassen und wird bewiesen haben, dass sie durch Mikroorganismen verursacht wird. Er wird den Grundsatz der spontanen Entstehung widerlegt, die Ursachen für die Krankheiten des Weins bestimmt und die Erforschung der Infektionskrankheiten in Angriff genommen haben – im besonderen Fall der Seidenraupen. Robert Koch, der Arzt geworden ist, richtet seine Aufmerksamkeit auf die ganz neue bakterielle Forschung.

Wie sieht der Weg aus, der den jungen Robert aus den Bergen des Oberharzes zu den Studien der Krankheiten, der Mikroorganismen bringt, bis dahin, dass er seinen Namen einem furchterregenden Keim gibt?

Das Bergwerksland, das Pasteur schwärmen lässt, ist Kochs Alltag. Hermann Koch, berühmter Fachmann, ist Verwalter der Minen von Clausthal, seine Ehefrau, Mathilde, Tochter eines Inspekteurs der Eisenminen. Das Elternhaus mit einer rosafarbenen Fassade ist riesig, denn der mehrköpfige Haushalt zählt 13 Kinder (zwei sterben sehr jung), zwei unverheiratete Tanten und die Dienerschaft. Fast zwanzig Personen füllen das Haus im Laufe der Jahre. Trotz Hermanns Honoratiorenstandes bedeutet dies, dass das Familienleben einfach und die Nahrung bescheiden ist. Man ist weit entfernt von der wohlhabenden Industriebourgeoisie, die Pasteur kennenlernt. In diesem Bienenstock voller Kinder regelt Mathilde die Versorgung; ansonsten herrscht wenig Aufsicht, die Freiheit regiert.

Robert, am 11. Dezember 1843 geboren, das dritte der Geschwister, lernt eifrig und glänzt in Mathematik ebenso wie in den anderen wissenschaftlichen Fächern – vielleicht die Verheißung auf eine Zukunft als »Gelehrter«. Er ist gut in Englisch, was ihm in seiner Karriere sehr nützlich sein wird, aber mittelmäßig im Französischen, was nicht ohne Folgen für seine Beziehungen zu der französischen Wissenschaft bleiben wird. Zu all dem gesellt sich eine Vorliebe für die Musik – er spielt Klavier und singt gelegentlich im Schulchor – und eine Leidenschaft für das Schachspiel, die ihn sein Leben lang begleiten wird. Ein Onkel, Eduard Biewend, ein Bruder von Mathilde, ist darauf bedacht, seine klassische Erziehung zu vervollständigen. Er nimmt ihn mit auf lange Ausflüge in die Berge und den Wald und fördert sein Beobachtungsvermögen. Man studiert, man trägt zusammen, man sammelt alles: Insekten, Pflanzen, Blumen, Steine … Und vor allem führt ihn Eduard in die heroischen Anfänge der Fotografie ein, indem er die Handhabung der Platten erklärt, die Zubereitung der Lösungen, eine Erfahrung, an die sich Robert zu erinnern wissen wird.

Nun kommt die Zeit des Herzklopfens und der Berufswahl. Seit seiner Kindheit liebt er eine Kusine seines Alters. Nun meint die vernünftige Agathe (Gödicke) jedoch, dass es ihnen mit ihren 15 Jahren noch an Reife mangelt, um sich einander zu verpflichten. Vier Jahre vergehen und die ausgedehnte Familie bietet Ersatz: Robert verliebt sich in Emmy Fraatz, eine andere Kusine. Sie wird seine Ehefrau. Agathe wird ihm, in treuer Erinnerung, Blumen zu seinem 66. Geburtstag schicken!

Doch welche Zukunft soll er mit seinen 19 Jahren anstreben? Robert träumt davon, Seemann zu werden, zu reisen, die Welt zu durchstreifen, ein Traum, der durch seine Kurzsichtigkeit und das Tragen einer Brille zunichte gemacht wird – ein wahres Handicap beim Leben auf einem Schiff. Soll er nach Amerika emigrieren, wie es drei seiner Brüder getan haben? Seine besorgte Mutter redet es ihm aus, während sein Vater ihn dazu ermuntert. Herz und Vernunft entscheiden. Er wird bei Emmy bleiben, nicht weit entfernt von seinen Bergen, und die nahe gelegene Göttinger Universität besuchen, um sich für eine Professur in den Wissenschaften ausbilden zu lassen.

Dann noch eine kurze Unschlüssigkeit, letztendlich entscheidet er sich für die Medizin, in der er 1866 sein Diplom erhält. Die Universität von Göttingen ist außergewöhnlich angesehen und beherbergte damals berühmte Professoren. In seiner Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin wird Robert Koch 1909 über die Ursprünge seiner Berufung berichten1: »Wenn ich nunmehr dazu übergehe, dem akademischen Brauche entsprechend, von meiner wissenschaftlichen Laufbahn und insbesondere von meinen Beziehungen zur Bakteriologie zu berichten, so möchte ich zunächst erwähnen, daß ich auf der Universität keine unmittelbare Anregung für meine spätere wissenschaftliche Richtung empfangen habe, einfach aus dem Grunde, weil es damals noch keine Bakteriologie gab2. Dennoch möchte ich einiger meiner damaligen Lehrer in Dankbarkeit gedenken, nämlich des Anatomen Henle, des Klinikers Hasse und besonders des Physiologen Meißner, welche den Sinn für wissenschaftliche Forschung in mir geweckt haben.« Lehrer, die zählten, besonders Jakob Henle. In einem 1840 veröffentlichten Buch war er einer der Ersten, der vermutete, dass die epidemischen Krankheiten von Mikroorganismen wie den Bakterien verursacht werden könnten. Aufgrund der nur schwachen Vergrößerungen der Mikroskope (was er bedauerte) konnte er diese Hypothese nicht untermauern. Er legte seine Postulate vor, die beinahe mit denen identisch sind, die Koch mit umfassenden Nachweisen etwa 40 Jahre später formulieren wird und auf die wir noch zurückkommen werden. Jedenfalls konnte Henle in Ermangelung der Hilfsmittel nie die experimentellen Beweise zur Unterstützung seiner mikrobiellen Theorie erbringen, an der er mehr und mehr das Interesse verlor. Er war nicht weniger als einer der bedeutendsten pathologischen Anatomen.

Wenn Robert Koch, während er in Göttingen studierte, zuweilen nach Clausthal zurückkehrte, hätte er dort … Alfred Nobel treffen können. Der schwedische Chemiker hatte sich tatsächlich zwischen 1864 und 1865 dort aufgehalten, nachdem er darüber informiert worden war, dass man in den Minen des Oberharzes eine Methode entdeckt hatte, Nitroglyzerin zu stabilisieren und seine Benutzung weniger gefährlich zu machen. Tatsächlich hatte ein Ingenieur, der in diesen Minen arbeitete, die Idee, das sehr instabile Nitroglyzerin mit einem grobem Sand (Pochsand), den man bei der Förderung der Erze erhielt, zu mischen, was es viel beherrschbarer machte. Hermann Koch war einverstanden, Alfred Nobel zu empfangen, damit er bei den Versuchen zusehen konnte, an denen übrigens Hugo Koch, ein Bruder Roberts, beteiligt war. Ein sehr nützlicher Besuch für Nobel, denn auf der Heimreise hatte er die Idee, Pochsand durch Kieselgur (Diatomeenerde) zu ersetzen, was sehr viel wirkungsvoller war. So erfand er das Dynamit. Wegen dieses so einträglichen Besuches gab er aus Dankbarkeit gegenüber Hermann Koch zwei Brüdern von Robert das Kapital, Minen in Amerika abbauen zu können, wohin sie emigriert waren. Falls Robert Koch Alfred Nobel bei dieser Gelegenheit tatsächlich begegnet ist, dann ist er ohne Zweifel der einzige Empfänger des Nobelpreises, der den Schöpfer des Preises, der seinen Namen trägt, getroffen hat.3

Nachdem er sein Diplom erhalten hat, verbringt Koch drei Monate an der Berliner Charité. Dort besucht er einen Kurs von Rudolf Virchow4, ohne Zweifel der renommierteste Arzt Deutschlands jener Zeit. Dieser unangefochtenen Autorität wird er 20 Jahre später heftig widersprechen. Robert Koch findet kaum Muße, seine Vorliebe für die Forschung, die in Göttingen geweckt wurde, hier zu befriedigen. Und die beiden während seines Studiums veröffentlichten Artikel erfüllen seine Hoffnungen nicht. Sein aktuelles Vorhaben ist, Emmy zu heiraten und ihr einen gewissen Wohlstand zu bieten, was bedeutet, rasch und angemessen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Anzeige für eine Assistentenstelle am Hamburger Krankenhaus erreicht ihn im richtigen Moment. In der Stadt herrscht gerade eine Choleraepidemie. Er arbeitet sich in diese Krankheit ein und lernt ihren klinischen Verlauf kennen. Bei dieser Gelegenheit sieht er im Stuhlgang der an Cholera Erkrankten Vibrionen, die er 17 Jahre später identifizieren wird. Er zeichnet sie, jedoch ohne ihre Bedeutung zu verstehen.

Während Koch sich in Hamburg niederlässt, bricht am 16. Juni 1866 der Krieg zwischen Österreich und Preußen aus. Ab August, mit dem Prager Frieden, annektiert Bismarck ganz Hannover und andere Gebiete für Preußen, die den Norddeutschen Bund formen werden. Die Grenzen haben sich verschoben. Plötzlich wird Koch Preuße.

Leider, so lehrreich sie sei, ist seine Funktion am Hamburger Krankenhaus nicht ausreichend lukrativ, um Robert in den Augen der Erwählten seines Herzens zu einer akzeptablen Partie zu machen. Er nimmt eine Stelle in einer Einrichtung für geistig zurückgebliebene Kinder an in dem kleinen Dorf Langenhagen im Norden Hannovers. Ein festes Einkommen ist gesichert und er weitet seine Aktivität aus, indem er eine Landarztpraxis eröffnet. Rasch wird er als Arzt von den Dorfbewohnern geschätzt. Nun erlaubt ein anständiger Verdienst die Hochzeit mit Emmy. Sie findet am 16. Juli 1867 in der Kirche von Clausthal statt. Die sehr große Zahl der Anwesenden spiegelt die Bekanntheit der beiden Familien, der von Hermann Koch, dem »Patron« der Minen in der Region, und der von Emmys Vater, der wichtige Ämter in der evangelistischen Kirche der Stadt bekleidete.

In Langenhagen richtet sich das junge Paar in einer großen Wohnung mit sieben Zimmern ein. Robert erwirbt ein Kabriolett mit einem Pferd, dann zwei, was ihm erlaubt, den Radius seiner Hausbesuche zu erweitern und zugleich sein Ansehen bei der Bevölkerung zu erhöhen.

Neben seiner Praxis als Mediziner pflegt Robert weiterhin die ihm von seinem Onkel Eduard eingeimpfte Leidenschaft für das Sammeln und Bestimmen von Proben aus der Natur. Jedoch interessiert er sich mehr und mehr und besonders für die Mikroorganismen, die er mit einem relativ wenig entwickelten Mikroskop beobachtet. Der zukünftige Mikrobiologe ist im Entstehen.

Dieses idyllische Leben hätte sich ohne Zweifel lange Zeit fortgesetzt, wenn Roberts Stelle in der Langenhagener Einrichtung nicht aus administrativen und finanziellen Gründen abgeschafft worden wäre … und wenn Emmy nicht schwanger geworden wäre.

Es folgt eine sehr schwierige Zeit für Robert. Er ist 25 Jahre alt. Bei seiner Suche nach einer neuen Lebenslage folgen Versuch auf Versuch und Umzug auf Umzug. Im Juni 1868 eröffnet er eine Praxis in Braetz, nahe Frankfurt an der Oder, kann sich jedoch gegenüber einem gut installierten Arzt vor Ort nicht durchsetzen. Nach drei Monaten wirft er das Handtuch und bricht auf nach Niemegk, nahe Potsdam, nicht weit von Berlin. Emmy hat sich während dieser Zeit nach Clausthal zu ihren Eltern geflüchtet und schenkt am 6. September 1868 unter großen Schmerzen einer Tochter, Gertrud, das Leben. Für sein ganzes Leben wird sie Roberts Stolz und Freude sein. Sie wird seine kleine Trudy sein.

Die Familie lässt sich in Niemegk nieder, aber der Aufenthalt ist kurz. Die Bewohner ziehen die Heilkundigen den Medizinern vor, die finanzielle Situation bessert sich nicht. Mit diesen Schwierigkeiten beginnt sich eine gewisse Spannung zwischen den Eheleuten aufzubauen. Sie verlassen Niemegk im Juli 1879 für Rakwitz (Rakoniewice), eine kleine Stadt in der damals preußischen Provinz Posen. Mit geschickter Politik ermutigt die preußische Regierung die Niederlassung deutscher Ärzte in den annektierten Regionen, eine Methode, einen sanften germanischen Einfluss durchzusetzen. Mit Leichtigkeit passt sich der junge Arzt an, lernt polnisch, baut Beziehungen auf. Ein heimischer Baron, großer Landbesitzer und sehr unbeholfen, verletzt sich versehentlich mit seiner Pistole. Die eifrige Sorgfalt, die ihm Robert widmet, festigt seinen Ruf.

Robert wird stark in Anspruch genommen und arbeitet sehr viel. Im Dezember 1869 schreibt er an seinen Vater, dass er am Tag seines Geburtstages fünf verschiedene Besuche auf dem Lande abgestattet hat und dass er von 4:30 Uhr bis 23:30 Uhr auf den Beinen war! Trotz eines erschöpfenden Tempos gelingt es ihm, etwas Zeit für seine wissenschaftlichen Beobachtungen zu finden. Er hält eine Reihe von Tieren, macht Musik und besucht ziemlich häufig die örtlichen Restaurants und Bierstuben. Er hat gewissermaßen einen Ruf als Lebemann, der ihm die Sympathie seiner Patienten sichert. Wie einige Jahre zuvor in Langenhagen hat sich das Glück eingestellt und die Zukunft erscheint strahlend. Nun schlägt das Schicksal erneut zu. 1870 bricht der Deutsch-Französische Krieg aus.

Robert Koch und Louis Pasteur

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