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Frankreich besiegt, Pasteur tief verletzt

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Anfang 1871, während die unerbittliche Kälte des Winters anhält, steigern die Nachrichten von der preußischen Besatzung der Region um Orléans Madame Pasteurs Angst. Die Feuillants, der Besitz ihrer Familie in Saint-Pryvé-Saint-Mesmin, waren besetzt und geplündert worden. Madame Danicourt, eine Tante von Marie Pasteur, ist gerade in Orléans gestorben, wohin sie sich zu einer andereren ihrer Nichten geflüchtet hatte. War die katastrophale Verwüstung der Grund? Pasteur empört sich darüber bei Madame Cribier, der Tochter von Madame Danicourt1: »Der Tod Ihrer vortrefflichen Mutter mitten in der Besatzung durch diese verruchten Räuber! Ist es zu viel und übersteigt die menschlichen Kräfte? Nein, nein. Schöpft Mut! Die Stunde der Befreiung wird kommen […]. Mit welcher Traurigkeit stelle ich mir die Feuillants vor, die so aufrichtige und herzliche Gastfreundschaft wurde auf immer jenen geraubt, die deren Seele waren, und sind heute beschmutzt und verwüstet von dem erbarmungslosesten Feind.«

1871 wird Pasteur noch etwas mehr in das Zentrum des Aufruhrs stürzen und ihn bei dem treffen, was ihm am liebsten ist.

Die feindlichen Batterien, installiert auf den Höhen von Châtillon, sind auf Paris gerichtet, das jeden Tag bombardiert wird. Die Granaten regnen auf die Stadt. Am 5. Januar schlägt eine Granate nahe der École normale ein und in der Nacht vom 8. auf den 9. wird das Museum für Naturkunde getroffen. Das ist zu viel. Die Schmähung wird bei der Académie des sciences durch den alten Chevreul2 angezeigt: »Der Arzneipflanzengarten, gegründet in Paris durch ein Edikt von König Louis XIII. im Januar 1626, in dem durch ein Dekret an den Nationalkonvent vom 10. Juni 1793 das Museum für Naturkunde eröffnet wurde, wurde bombardiert unter der Herrschaft von Wilhelm I., König von Preußen und den Grafen Otto von Bismarck durch die preußische Armee in der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1871. Bis dahin wurde er von allen Parteien und von allen nationalen und ausländischen Mächten respektiert.« Pasteur explodiert vor Zorn und schließt sich dem Protest an, indem er seinen Doktortitel honoris causa zurückschickt, den ihm die Universität Bonn 1868 verliehen hat und der ihm bisher so viel Genugtuung bereitet hat … und den er sich sogar gerahmt hatte. Er taucht seine Feder in Säure, um offiziell dem Dekan der medizinischen Fakultät dieser Universität mitzuteilen3: »Heute ist mir der Blick auf dieses Pergament abscheulich und ich fühle mich beleidigt, meinen Namen und die Bezeichnung virum clarissimum, mit der Ihr ihn schmückt, unter der Schirmherrschaft eines Namens zu finden, der von nun an zur Abscheu meines Vaterlandes verdammt ist, jenem des Rex Guilelmus. Indem ich meinen tiefen Respekt Ihnen und den berühmten Professoren gegenüber ausdrücke, die ihre Unterschrift an das Ende dieses Beschlusses der Mitglieder Ihres Ordens gesetzt haben, folge ich einem Schrei meines Gewissens, indem ich Sie darum bitte, meinen Namen aus den Archiven Ihrer Fakultät zu streichen und dieses Diplom zurückzunehmen; dies als Zeichen meiner Empörung, die diese Barbarei und die Heuchelei bei einem französischen Wissenschaftler verursacht hat, und die von einer Person kommen, die nur um ihren verbrecherischen Übermut zu befriedigen darauf beharrt, ein Massaker an zwei großen Völkern zu verursachen […].«

Das Postskriptum fügt der Respektlosigkeit noch hinzu: »Geschrieben in Arbois (Jura) am 18. Januar 1871, nach der Lektüre des Brandmals der Niedertracht, das auf die Stirn Ihres Königs durch den berühmten und ehrwürdigen Dekan der Académie des sciences, Monsieur Chevreul, geschrieben wurde in der Sitzung dieser Gesellschaft, die in Paris am 10. Januar 1871 abgehalten wurde.«

Die Antwort lässt auf sich warten und ist wenig liebenswürdig4: »Der Unterzeichnende, derzeitiger Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Bonn, wurde beauftragt, auf die Beleidigung zu antworten, die Ihr gegen die deutsche Nation in der heiligen Person ihres erhabenen Kaisers, den König Wilhelm von Preußen, auszusprechen gewagt habt, indem er Euch den Ausdruck seiner ganzen Verachtung zurückschickt.«

Doktor Maurice Neumann fügt selbst auch ein Postskriptum hinzu: »um sich vor Beschmutzung zu schützen, schickt die Fakultät Ihnen anbei Ihre Schmähschrift.« Antwort Pasteurs5, das Vitriol der Tinte etwas verdünnt, aber ohne seine Verachtung für »die Könige […] wenn sie die Gesetze der Menschlichkeit beleidigen« zurückzuziehen. Er mildert seine Worte ab und endet mit dem bitteren Bedauern und »das Herz betrübt zu denken, dass Menschen, die wie Sie und ich ihr Leben der Suche nach der Wahrheit und dem Fortschritt des menschlichen Geistes geweiht haben, miteinander in dieser Weise sprechen, was von meiner Seite durch solche Handlungen begründet ist. Nun ist dies eines der Ergebnisse der Art, wie sie diesem Krieg von Eurem Kaiser aufgedrückt wurden. Ihr sprecht zu mir von Beschmutzung, Herr Dekan. Diese besteht, seien Sie versichert, und sie wird bestehen, bis in weit entfernte Zeiten hinein, in der Erinnerung an jene, die die Bombardierung von Paris begonnen haben, obwohl die Kapitulation wegen der Hungersnot unausweichlich war, und die diese grausame Aktion fortgeführt haben, als es augenfällig für alle geworden war, dass dies die Stunde der Kapitulation dieser heldenhaften Stadt nicht um eine Stunde beschleunigen würde«.

Dieser ungestüme Austausch steht in Einklang mit der allgemeinen hasserfüllten Feindseligkeit, so viele »Ausschreitungen, unbeschreibliche Gewalt durch die Preußen … Respektlosigkeit, Brände, Plünderungen«, angeprangert durch General Chanzy, empören das Volk. Das Gesicht des Krieges eben! Aber nun der Einmarsch in die Franche-Comté.

Jean-Baptiste und sein Cousin Joseph Vichot haben sich der Ostarmee von General Bourbaki angeschlossen, der die besiegte Loirearmee verlassen hat. Unter seinem Kommando hat eine Truppe von schlecht ausgerüsteten und schlecht trainierten Soldaten die Mission, bei polarer Kälte die Belagerung von Belfort zu beenden. Seit dem 3. November steht die Garnison des Oberst Denfert-Rochereau, Gouverneur des Ortes, in heldenhaftem Widerstand, obwohl sie seit Januar durch Typhus und Pocken geschwächt ist. Bald schon werden die Verschanzten das Geräusch der nahen Kanonen hören, ein Hoffnungsschimmer.

Bourbaki und seine Männer, die an einem kleinen Bahnhof nahe Besançon angekommen sind, marschieren über Villersexel (Departement Haut-Saône). Am 9. Januar beginnt die Schlacht und setzt sich am Folgetag fort, schrecklich, im Nahkampf. Die Preußen ziehen sich zurück. Sieg der Franzosen! Von kurzer Dauer. Bourbaki verliert entscheidende Tage. Es wird heißen, dass die Siege, die durch Mut gewonnen werden, nicht ausgenutzt werden! Als sich die Franzosen zur Verfolgung entscheiden, prallen sie entlang des Flusses Lizaine, von Montbéliard bis Héricourt, auf eine Verteidigungslinie, da die preußische Armee genug Zeit hatte, sie zu verstärken.

Der Frontalangriff, eine Entscheidung Bourbakis, schleudert eine ziemlich ausgebrannte Armee in erbitterte Gefechte, in denen die gesamten Bataillone bestehend aus Savoyaden und Zuaven unterliegen. Am 15. Januar kommt es bei Héricourt zum blutigsten aller Zusammenstöße. Ein Durchbruch ist unmöglich. Bourbaki ruft am 18. aus Vorsicht zum Rückzug in Richtung Pontarlier auf. Die Flucht in Richtung Schweiz.

In Belfort ist die kurze Hoffnung auf Befreiung erloschen. Immer noch verschanzt gibt Denfert-Rochereau nicht nach, bis am 18. Februar die Regierung unter der Leitung von Thiers den Befehl erteilt, die Waffen zu strecken6. Nach einer Belagerung von 104 Tagen verlassen die Verteidiger stolz eine zerstörte Stadt und hinterlassen nahezu 5000 Tote, mit dem Gefühl, die Ehre eines gedemütigten Frankreichs gerettet zu haben7.

Obwohl sich die französischen Truppen auf eigenem Boden haben abschlachten lassen, erklärt Pasteur zwischen Stolz und Besorgnis8: »Der tapfere Jean-Baptiste […] hat die Ehre, in diesem Moment gegen diese unbedeutenden Schurken zu kämpfen.« Er weiß nicht, dass sein tapferer Sohn in Villersexel war, dass sein Neffe Joseph Vichot bei Héricourt zwei Verwundungen am Bein erhielt, und dank eines Taschenmessers, das die Kugel ablenkte, einer dritten entkam, die hätte tödlich enden können.

Die Nachricht vom Rückzug der Ostarmee, oder von dem, was von ihr übrig ist, erreicht Arbois am 24. Januar und treibt die Angst der Pasteurs auf ihren Höhepunkt. Wo ist ihr Sohn? Verwundet, krank, verschwunden? Die Preußen nähern sich, ihnen gehen Geschichten von schrecklichen Grausamkeiten voraus. Das Schicksal, das für seine Familie in Reaktion auf seinen Brief, den er wegen des Königs von Preußen schrieb, bestimmt sein könnte, beunruhigt Pasteur.

Italien bietet ihm einen Lehrstuhl für angewandte Chemie und Landwirtschaft an der Fakultät in Mailand an. Das Angebot ist schmeichelhaft. Annehmen? Ablehnen? Das Dilemma ist rasch gelöst. Frankreich zu verlassen, käme einem Verrat gleich. Jedoch vereinen sich der Wunsch, den Soldaten Jean-Baptiste wiederzufinden, und die Panik. Die Familie muss aus Arbois fliehen.

Am gleichen Abend9 drängen sich alle Familienmitglieder in eine überalterte, klapprige Kalesche, denn die Fahrzeuge wurden beschlagnahmt. »Wir fahren in die Nähe von Pontarlier«, sagt Pasteur zum Kutscher. Das ist genug gesagt über die Irrfahrt, welche die Kutsche nimmt, auf diesen Wegen, die rissig sind vor Frost.

Auf dem Hochland des Jura werden etwa 70 Kilometer verschneiten Weges in drei Etappen zurückgelegt. Am Morgen des 27. fährt die Kutsche in Pontarlier ein, in ein unbeschreibliches Chaos. Überall Soldaten, entkräftet, in Lumpen, verwundet, verstümmelt, hungrig, hier um ein Feuer lagernd, da vor der beißenden Kälte in die Strohballen geflüchtet, dort zusammengedrängt in einer Kirche … Das betrübliche Schauspiel dieser Trümmer einer Armee entreißt Pasteur einen Schrei: »Der Rückzug aus Russland kann nicht schrecklicher gewesen sein.« Ein ratloser Bourbaki versucht sich umzubringen. Zuvor hat er an den Kriegsminister telegrafiert: »Sie machen sich keine Vorstellungen von den Leiden, die die Armee seit Anfang Dezember ertragen hat.« Pasteur und seine Frau gehen durch die Straßen, unermüdlich fragen sie: »Haben Sie Neuigkeiten vom 21. Bataillon der Chasseurs à pied? Kennen Sie den Verpflegungs-Obergefreiten Pasteur?« Der Kommandant Bourboulon, Neffe von Saint-Claire Deville, den sie zufällig treffen, kann keine Auskunft geben. Die einzige Information, die sie von einem Soldaten erhalten, ist nicht beruhigend: »Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass von einem Bataillon von 1200 Männern nur 300 überlebt haben.« Ein anderer Soldat bestätigt, dass Jean-Baptiste am Leben ist: »Er war gestern mein Bettnachbar in Chaffois. Er ist zurückgeblieben; er ist krank. Sie könnten ihn vielleicht treffen, wenn Sie auf der Straße weitergehen, die nach Chaffois führt.« Sofort laufen die Pasteurs weiter und, kaum haben sie Pontarlier verlassen, treffen sie auf eine Karre voller Soldaten. Einer von ihnen richtet sich auf, Jean-Baptiste, überrascht, seine Eltern zu erkennen. Die Familie ist wieder vereint, beruhigt erreicht sie Genf. Ab Februar nimmt der Freiwillige seinen Dienst wieder auf, während Pasteur sich in Lyon bei seinem Schwager Adrien Loir niederlässt, Dekan der wissenschaftlichen Fakultät.

Als einige Wochen vergangen sind, die er in höchster Wut, Angst, Hass, Verbitterung und vor allem im Angesicht des Dramas der Niederlage gelebt hat, wird Pasteur eine Analyse erstellen, die seit langer Zeit gereift zu sein scheint. Die Erinnerung an seine Reise durch Deutschland 1852 ist dabei vielleicht nicht unbeteiligt. Im März 1871 schreibt er im Le Salut public: »Warum hat Frankreich im Augenblick der Gefahr keine hervorragenden Männer gefunden.« Ein Plädoyer, um der Pflege der Wissenschaften wieder den maßgeblichen Platz zu geben, den sie zu Beginn des Jahrhunderts inne hatte. Er zeigt hier den Ursprung des Verhängnisses Frankreichs, seiner Niederlage gegenüber Deutschland auf. Er bemängelt »das Vergessen, die Verachtung, die Frankreich für die großen Errungenschaften des Wissens, besonders in den Naturwissenschaften übrig hatte«. Dies gibt ihm die Möglichkeit zu vergleichen: »Während Deutschland die Universitäten vermehrt hat, es zwischen ihnen das heilsamste Wetteifern etabliert hat, es seine Lehrenden und seine Doktoren mit Ehre und Achtung umgeben hat, es riesige Laboratorien schuf und die besten Apparate bereitstellte, schenkte Frankreich, entnervt von den Revolutionen, immer beschäftigt mit unfruchtbaren Recherchen nach der besten Regierungsform, seinen Hochschulen nur eine zerstreute Aufmerksamkeit.« Er zeigt auf, dass die Wissenschaft, die den Boden wässert, auf dem sich die Medizin, die Industrie, die Landwirtschaft aufbauen, die Quelle des Fortschritts ist und dass der Fortschritt ein Volk stark macht.

Nach dieser Abrechnung mit der Nachlässigkeit der französischen Regierung langweilt sich Pasteur. Er will die schöpferische Betriebsamkeit seines Labors wiederfinden. Am 29. März schreibt er an Duclaux10: »Ich habe den Kopf voll mit den schönsten Arbeitsprojekten. Der Krieg ließ mein Gehirn brach liegen. Ich bin bereit für neue Forschungen. Ach, vielleicht mache ich mir Illusionen! Auf jeden Fall werde ich es versuchen.« Laboremus!

Am Vorabend war der Conseil de la Commune in Paris eingesetzt worden, der dem Aufstand vom 18. März folgte. Vor den Augen der Preußen, die immer noch Paris einkesseln, beginnt ein erbarmungsloser Bürgerkrieg. Tausende Tote, endgültige Zerstörungen bis hin zu gewalttätiger Unterdrückung, die Semaine sanglante de mai.

Für die Familie steht es außer Frage, nach Paris oder Arbois zurückzukehren. So nimmt Duclaux sie in Clermont-Ferrand auf und räumt Pasteur eine Ecke in seinem Labor ein, wo er sich in Studien über das Bier vertieft … ein französisches Bier, das besser sein soll als das deutsche, »das Bier der nationalen Vergeltung«!

Die Katastrophe ist vollendet. Der Friede von Frankfurt, unterschrieben am 10. Mai 1871, bestätigt den vorbereitenden Friedensvertrag von Versailles von Bismarck und Thiers vom 26. Februar. Er beendet diesen Krieg, der nahezu 185.000 Tote und 233.000 Verwundete zählte. Frankreichs Tribut wiegt schwer, das Elsass-Lothringen verliert und innerhalb von drei Jahren eine Abfindung von fünf Milliarden Goldfranken bezahlen muss11. Das Deutsche Reich, vereint unter der preußischen Krone, wird Europa über nahezu 30 Jahre dominieren. Frankreich, diplomatisch isoliert, ist davon ausgeschlossen.

Das Bier, das Pasteur im Herzen der Auvergne entwickelt, wird nicht ausreichen, den Wunsch des französischen Volkes nach Rache zu stillen. Pasteur erholt sich nicht vom Verlust des Elsass und Lothringens. Ein Gefühl der Verbitterung stellt sich ein, einhellig geteilt von seinen Landsleuten. Der Same des Großen Krieges, der noch blutiger werden wird, ist gelegt.

Robert Koch und Louis Pasteur

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