Читать книгу Schattentochter - Maya Shepherd - Страница 6
Eliza
ОглавлениеIch starrte zu der makellosen weißen Decke empor und wünschte mir ich hätte etwas Farbe, um das Perfekte zu durchbrechen. Seit einer Woche wurde ich bereits in diesem Zimmer, das mir immer mehr wie ein Gefängnis erschien, gefangen gehalten. Rhona oder gar Charles hatten sich in dieser Zeit nicht einmal bei mir blicken lassen und ich fragte mich wirklich, warum sie mich überhaupt hatten mit an diesen Ort nehmen müssen, wenn sie sich nun nicht im Geringsten um mich kümmerten.
Mein einziger Kontakt war Faye, die dreimal am Tag nach mir sah und damit in der kurzen Zeit zu einer Konstante in meinem Leben geworden war. Mein gesamter Tagesablauf drehte sich um sie. Obwohl es in meinem Zimmer keine Uhr gab, konnte ich an dem Stand der Sonne erkennen, wann Faye etwa kommen würde. Auch heute saß ich bereits gewaschen und angezogen auf meinem Bett und lauschte auf ihre klappernden Schritte im Flur. Sie war nicht nur die Einzige, die zu Gesicht bekam, sondern auch die einzige Person, die ich überhaupt hörte. Ich hatte schon Stunden damit verbracht mein Ohr gegen die geschlossene Tür zu pressen und zu lauschen, aber ohne jeden Erfolg. Es war immer totenstill, dabei gab es neben meinem eigenen Zimmer noch so viele andere. Waren alle verlassen? Das erschien mir unwahrscheinlich, immerhin sollte das Anwesen der Hauptsitz der Fomori sein. Aber wo waren dann die ganzen Leute? Bei dem Ritual zur Wiedererweckung von Will waren es schon viele gewesen, doch Charles hatte behauptet es sei nur ein winziger Bruchteil von der tatsächlichen Größe der Fomori. Lebte vielleicht niemand von ihnen im Hauptsitz?
Das mir mittlerweile vertraute Klappern von Fayes Absatzschuhen hallte über den Flur. Ich setzte mich ruckartig im Bett auf und blickte erwartungsvoll zur Tür. Sie konnte mich nicht leiden und ich sie genauso wenig, dennoch war ich machtlos gegen die Freude, die in mir aufstieg, jedes Mal, wenn ich sie kommen hörte. Lieber stritt ich für ein paar Minuten mit jemandem als gar niemanden zum Reden zu haben.
Ich hörte wie sie vor der Tür inne hielt und das Tablett auf einer Hand balancierte, um mit der anderen den Schlüssel im Schloss zu drehen. Ein bekanntes Klicken ertönte, kurz bevor sie eintrat. Unsere Blicke begegneten sich. Sie war schon daran gewöhnt mich auf meinem Bett sitzen zu sehen und machte sich nicht einmal die Mühe Guten Morgen zu sagen als sie in das Zimmer stolziert kam. Viel mehr schien sie zu genießen, dass ich sie bereits erwartet hatte. Sie wusste ganz genau, dass ich auf sie angewiesen war.
Ich folgte ihr wie ein treuer Hund zu dem einzigen Tisch in dem Zimmer, auf dem sie das Tablett abstellte. Es gab süßes Brot, ein Stück Butter und zwei verschiedene Sorten Marmelade. Dazu eine Tasse Kaffee. Wie üblich fehlte die Milch.
Herausfordernd sah ich zu Faye auf, als ich mich auf den Stuhl setzte. Ihr provokantes Grinsen verriet mir, dass sie genau wusste, was ich fragen wollte, also verbiss ich es mir, um ihr den Gefallen nicht zu tun. Seit dem zweiten Tag bat ich sie mir zu meinem Kaffee Milch und Zucker mitzubringen, da ich schwarzen Kaffee kaum runterbekam. Am dritten Tag hatte sie mir zwar Milch und Zucker mitgebracht, aber mir dafür Haferschleim serviert, den ich verabscheute. Am vierten Tag hatte sie den Zucker durch Salz ersetzt, sodass der Kaffee ungenießbar war. Sie ließ sich jeden Tag etwas Neues einfallen, um mich zu ärgern. Wenn ich sie auf etwas davon ansprach, tat sie immer ganz überrascht.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie nun gehässig.
Ich legte meine Hände um den Kaffeebecher und hob ihn ihr prostend entgegen. „Nein, alles bestens. Schwarz, genauso wie ich ihn am liebsten mag.“ Ich lächelte ihr zu, nahm einen großen Schluck und verbat mir den Mund zu verziehen.
Sie erwiderte mein aufgesetztes Lächeln. „Ich weiß doch wie du deinen Kaffee am liebsten trinkst.“
Während ich mich an das Brot machte, ließ sie sich auf mein Bett sinken und würde dort warten bis ich mit dem Essen fertig war. Zuhause hatte ich nie mein Bett gemacht, weil ich keinen Sinn darin sah. Am Abend waren die Kissen dennoch immer wie von Zauberhand aufgeschüttelt, das Lacken glatt gezogen und die Tagesdecke lag fein säuberlich gefaltet darüber. Meine Mutter hatte den Anblick des ungemachten Betts nicht ertragen können und es deshalb jeden Tag für mich übernommen. Nun kümmerte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben selbst darum. Immerhin vergingen dabei ein paar wenige Minuten meines langen, einsamen Tages.
„Hast du eigentlich schon gefrühstückt?“, fragte ich Faye, nachdem ich den ersten Bissen von meinem Brot genommen hatte.
„Natürlich“, antwortete sie und fügte spöttisch hinzu: „Oder dachtest du etwa ich dürfte erst etwas essen, nachdem ich die Prinzessin versorgt habe?“
Sie sprach öfters von mir als Prinzessin, was mich nervte, da es nicht im Geringsten den Tatsachen entsprach. Zwar war ich die biologische Tochter des Oberhaupts der Fomori, aber das brachte mir keinerlei Vorteile ein. Ganz im Gegenteil: Man hielt mich in diesem Zimmer wie Rapunzel in ihrem Turm gefangen. In dem Fall war Faye wohl die böse Hexe, die dazu abgestellt worden war sich um mich zu kümmern.
Ich überging ihre Stichelei. „Hast du alleine gegessen?“
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete und ich konnte förmlich hören wie sie darüber nachdachte, was ich mit meiner Frage bezwecken können wollte. „Warum willst du das wissen?“
Ich drehte mich zu ihr herum. „Vielleicht könnten wir morgen ja zusammen frühstücken.“
Erst sah sie mich überrascht an, dann grinste sie boshaft. „Nein, danke, ich verzichte! Im Gegensatz zu dir kann ich mir meine Gesellschaft selbst aussuchen.“
Genervt zuckte ich mit den Schultern und wand ihr wieder den Rücken zu. Vor lauter Einsamkeit war ich schon so verzweifelt, dass ich Zeit mit einer Person verbringen wollte, die mich nicht nur nicht leiden konnte, sondern mich das auch bei jeder Gelegenheit spüren ließ.
„Beeil dich bitte etwas, ich habe heute noch etwas anderes zu tun“, erwiderte Faye hochnäsig, nachdem wir einige Zeit geschwiegen hatten.
„Was denn?“
„Das geht dich nichts an!“
Ich schluckte gerade mein letztes Stück Brot herunter und fuhr erneut zu ihr herum: „Was hast du überhaupt gegen mich? Habe ich dir irgendetwas getan? Seitdem ich hier bin, stichelst du in einer Tour gegen mich!“
„Oh, ist das Prinzesschen etwa zart besaitet?“, zog sie mich lachend auf und erhob sich von meinem Bett.
Ich baute mich vor ihr auf. „Ich meine es ernst, Faye! Was hast du für ein Problem mit mir?“
Ihre Augen funkelten mich zornig an und sie zog die Luft ein, unschlüssig, ob sie etwas sagen sollte. Schließlich presste sie hervor: „Ich mag einfach keine Menschen, die alles in den Schoss gelegt bekommen, ohne je etwas dafür tun zu müssen.“
Verständnislos sah ich sie an. „Sprichst du von mir?“
Sie rollte genervt mit den Augen. „Natürlich, von wem denn sonst?“
Fassungslos sah ich erst sie an und ließ dann meinen Blick durch den großen, aber kahlen Raum wandern. „Ich werde hier seit einer Woche gefangen gehalten. Mir fällt die Decke auf den Kopf! Wenn du neidisch auf das Zimmer bist, kannst du es meinetwegen sofort haben.“
„Tz“, machte sie herablassend und verschränkte abwehrend ihre Arme vor der Brust. „Dein blödes Zimmer kannst du behalten. Ich muss auch nicht in einer Besenkammer schlafen.“
„Was stört dich dann?“
Sie beugte sich bedrohlich zu mir vor. „Seien wir doch mal ehrlich, als Tochter des Oberhaupts trittst du früher oder später in seine Fußstapfen. Du wirst zu einer der mächtigsten Frauen weltweit werden und was musstest du dafür tun?“ Ihr Gesicht verzog sich voller Verachtung. „Nichts!“
„Ich habe mir das nicht ausgesucht“, verteidigte ich mich. „Außerdem glaube ich nicht, dass du dir irgendwelche Sorgen zu machen brauchst, Charles scheint sich nicht im Geringsten für mich zu interessieren. Wenn es nach ihm ginge, könnte ich vermutlich den Rest meines Lebens in diesem Zimmer verbringen.“
„Tust du nur so dumm oder bist du tatsächlich so blöd?“
Als sie sah, dass ich nicht verstand, worauf sie hinauswollte, schüttelte sie herablassend den Kopf. „Er will deinen Willen brechen, damit du ihm keine Probleme bereitest, das ist alles. Sobald du am Ende bist, wird er als großer Meister auftreten und dich aus deiner Hölle befreien. Dafür wirst du ihm so dankbar sein, dass du sogar vergisst, dass er es war, der dich hier eingesperrt hat.“
Ungläubig starrte ich sie an. Ihre Worte ergaben Sinn. „Du kannst ihm ausrichten, dass ich bereits jetzt am Ende bin“, entgegnete ich resigniert, doch sie verzog nur spöttisch den Mund. „Du bist noch lange nicht am Ende!“
„Faye, bitte! Ich halte es in diesem Zimmer wirklich kaum noch aus. Wenn ich nicht bald hier rauskomme, fange ich noch an Selbstgespräche zu führen.“
Die Vorstellung schien sie zu belustigen.
Alles in mir sträubte sich dagegen sie anzubetteln, aber was blieb mir schon anderes übrig? „Du bist scheinbar für mich zuständig. Wenn du ihm sagst, dass ich so weit bin, dann wird er auf dich hören und mich hier rauslassen.“
Ihr triumphierender Blick verriet mir, wie sehr sie mein Betteln genoss. „Was hätte ich davon?“
„Wenn es wirklich eines Tages so kommen wird wie du behauptest und ich zum nächsten Oberhaupt der Fomori werde, würdest du in meiner Gunst weit oben stehen…“
Scheinbar hatte ich die falschen Worte gewählt, denn ihr Blick verfinsterte sich schlagartig und sie rauschte zornig an mir vorbei und schnappte sich das Tablett, wobei die halbvolle Kaffeetasse umfiel und sich auf den sauberen Boden ergoss. Auch ihre weiße Seidenbluse hatten braune Spritzer abbekommen, was sie wütend fluchen ließ. „Was glaubst du eigentlich wer du bist?“, schrie sie mich aufgebracht an. „Glaubst du, ich habe all die Jahre die ganze Drecksarbeit gemacht, um am Ende im Schatten von irgendjemandem zu stehen? Ich will an die Spitze und nicht an die Seite einer Person, die von nichts eine Ahnung hat und ihr Glück nicht einmal zu schätzen weiß!“
„Glück?“, wiederholte ich empört. „Bezeichnest du es etwa als Glück, wenn dir jemand droht jedem Menschen, den du liebst, etwas anzutun, wenn du nicht mit ihm kommst? Ist es Glück, wenn man seine Familie nie wiedersehen darf? Ist es Glück aus seinem Zuhause gerissen zu werden und nie wieder ein normales Leben führen zu können?“
Meine Worte bewegten Faye nicht im Geringsten, obwohl sich mir selbst vor Wut der Hals zuschnürte.
„Oh, mir kommen gleich die Tränen!“, stichelte sie boshaft. „Wenigstens hast du so etwas wie eine Familie! Es könnte schlimmeres geben als in einer Villa leben zu müssen und die Tochter eines der mächtigsten Männer zu sein. Siehst du nicht, dass du erst jetzt wirklich Zuhause bist?“
Es kam selten vor, dass ich sprachlos war, doch ehe mir eine passende Antwort einfallen wollte, verließ sie bereits Türen knallend das Zimmer. Ich fühlte mich von ihr zu Unrecht verurteilt. Sie stellte es so dar, als sei ich ein verwöhntes Mädchen, das nicht zu schätzen wusste, was das Leben ihr für eine Chance geschenkt hatte, aber so fühlte ich mich nicht – ganz und gar nicht.
Vielleicht war es Fayes großer Traum einmal die Führung der Fomori zu übernehmen, aber ich hätte alles dafür gegeben einfach ein normales Mädchen sein zu können, das zusammen mit ihrem Freund den Schulabschluss machte, auf Partys ging und sich mit ihrer Schwester wegen Belanglosigkeiten zankte. Mir fehlten Lucas und Winter mehr denn je. Ich hatte versucht stark zu sein, nach vorne zu schauen und das Beste aus meiner ausweglosen Situation zu machen, aber Fayes Vorwürfe und dieses Zimmer, in dem ich kaum Luft bekam, ließen meine Stärke wie ein Kartenhaus in sich zusammen stürzen. Es war mir egal, ob mich jemand weinen hörte. Vielleicht wäre es sogar ganz gut so und es würde Charles, Faye, Rhona oder wer auch immer darüber zu entscheiden hatte, davon überzeugen, dass sie ihr Ziel erreicht und mich gebrochen hatten. Alles was besser, als weiter in diesem Zimmer gefangen zu sein.