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Mona

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Die neuen Möbel würden erst in ein paar Tagen kommen, aber so hatten wir wenigstens genug Zeit, um die neue Wohnung für unseren Einzug vorzubereiten. Ich hatte keine Vorstellung von ihr gehabt, als Liam mir erzählt hatte, dass er endlich etwas Passendes gefunden hätte.

Mein ganzes Leben hatte ich bisher in unserem Familienanwesen verbracht. Ich war es gewohnt, dass es im Winter kalt in den Zimmern war, da es keine Heizungen gab. Auch an den undichten Fenstern hatte ich mich nicht gestört. Selbst die Löcher im Dach, die in den letzten Jahren dazu gekommen waren, hatte ich irgendwie ignorieren können. Das gesamte Gebäude war von Efeu überwachsen. Früher hatte meine Großmutter sich darum gekümmert, dass zweimal im Jahr ein Gärtner kam und es zurecht schnitt, doch seit ihrem Tod verfiel das Haus immer mehr, sodass die Fenster alle dicht bewachsen waren und es im Inneren noch dunkler war. Selbst bei hellstem Sonnenschein konnte man in den Räumen ohne Kerzenlicht kaum etwas erkennen. Strom hatte es noch nie gegeben.

Die Wohnung, die Liam für uns beide ausgesucht hatte, war so ziemlich das komplette Gegenteil von dem Haus. Sie befand sich in einem Neubau in Wexford. Es war ein fünfstöckiges Gebäude, das hauptsächlich aus Glas und Stahl zu bestehen schien. Pro Stockwerk gab es drei Wohnparteien. Die Sonne spiegelte sich in den vielen Glasfassaden, die jedoch so verspiegelt waren, dass man nicht ins Innere blicken konnte. Selbst von außen strahlte das Haus Helligkeit aus. In dem modern gestalteten Hausflur gab es neben einer gewöhnlichen Treppe auch einen Aufzug mit dem wir in den fünften Stock hochfuhren. Liam wippte dabei ungeduldig auf seinen Fußballen. In seiner Hosentasche steckte der Schlüssel zu unserem neuen Zuhause mit dem er pausenlos klimperte. Er schien tatsächlich nervös zu sein.

Aidan, Winter und Dairine warteten vor dem Gebäude, da sie uns beim Tapezieren helfen wollten. Selbst Lucas und Evan würden sich später eine kurze Pause vom Lernen nehmen, um mitzumachen. Liam hatte jedoch darauf bestanden, dass er mir die Wohnung zuerst alleine zeigte.

Die Aufzugstüren glitten auf und wir betraten den hellen Flur von dem drei Eingangstüren abgingen. Liam schritt auf die Mittlere zu und zog grinsend den Schlüssel hervor. Er hielt ihn mir auffordernd hin. „Schließ du auf!“

Jetzt war ich tatsächlich auch etwas nervös. Meine Finger zitterten als ich ihn im Schloss drehte. Mit einem leisen Knacken sprang die Tür auf. Im ersten Moment musste ich die Augen zusammenkneifen, da die einfallende Sonne nicht nur den kompletten Wohnraum flutete, sondern bis zur Haustür reichte.

Liam ließ mich vorausgehen und hielt sich im Hintergrund, während ich mit unsicheren Schritten durch den kurzen Flur in das Wohnzimmer ging. Es war ein großer Raum. An der einen Seite befand sich noch eine offene Kochnische und in der Mitte waren große Flügeltüren im Glas, die einem Zugang auf die geräumige Dachterrasse gewährten. Von hier aus konnte man sowohl Wexford, als auch den Strand überblicken.

„Im Sommer können wir ein paar Blumen anpflanzen und eine Grillparty veranstalten“, meinte Liam, der neben mir an die Fensterfront getreten war und stolz seinen Blick über die Stadt schweifen ließ.

Sowohl das Wohnzimmer als auch die Dachterrasse waren wirklich schön, aber machten mich gleichzeitig etwas sprachlos, da ich mich selbst fehl in der Wohnung fühlte. Alles war so hell und modern, während ich mir selbst so farblos, geradezu blass vorkam.

Wir gingen weiter zu dem Badezimmer und den drei Schlafzimmern. Alle Räume hatten große Fensterfronten und boten genügend Platz für jede Menge Möbel.

„Du kannst dir dein Zimmer aussuchen“, sagte Liam und wirkte dabei verunsichert, weil ich bisher nichts zu der Wohnung gesagt hatte.

„Was machen wir mit dem dritten Zimmer?“

„Ich dachte wir benutzen es als Büro oder Musikzimmer.“

Ich entschied mich für den Kleinsten der drei Räume, aber selbst dieser war beinahe so groß wie unser Wohnzimmer in dem Anwesen. Liam hatte mir freie Wahl bei den Möbeln gelassen, aber außer einem Bett, einem Kleiderschrank, einem Regal und einem Schreibtisch hatte ich mir nichts bestellt. Ich würde mich in dem großen Zimmer verloren fühlen.

Er sah mir mein Unbehagen an. „Was ist los? Gefällt dir die Wohnung nicht?“

„Doch“, behauptete ich schnell, um ihn nicht zu enttäuschen. Er würde perfekt hier her passen. Ich konnte ihn schon mit seiner Gitarre vor dem großen Fenster oder auf der Dachterrasse sitzen sehen. „Ich weiß nur nicht, ob ich zu der Wohnung passe.“

Er legte mir seinen Arm um die Schulter und zog mich an sich. „Du musst nicht zu der Wohnung passen, sondern die Wohnung zu dir. Wir werden alles so einrichten und gestalten, dass du dich schon bald zuhause fühlen wirst.“

Zweifelnd sah ich zu ihm auf. „Es tut mir leid, dass ich so wenig Begeisterung zeige. Ich weiß, du hast dir viel Mühe gegeben…“

Er unterbrach mich kopfschüttelnd: „Ich will vor allem, dass es dir bald bessergeht. Wir müssen beide neu anfangen und diese Wohnung wird uns dabei helfen. Weißt du schon wie du dein Zimmer streichen möchtest?“

Die Wände waren in makellosem Weiß gestrichen, während der Fußboden mit hellem Laminat ausgestattet war. „Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt streichen möchte.“

„Das solltest du unbedingt! Du kannst etwas Farbe in deinem Leben dringend gebrauchen. Wie wäre es mit Rot?“

Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Rot verband ich automatisch mit Blut und davon hatte ich in den letzten Monaten mehr zu sehen bekommen, als gut für mich war. „Dann schon eher blau.“

„Blau wie das Meer“, lächelte Liam. „Frag aber nicht Dairine um Rat, sonst ist dein Zimmer später pink.“

Das brachte mich ebenfalls zum Grinsen. Trotz allem, was gewesen war, hatten wir es geschafft, so etwas wie Freunde zu finden. Das war mehr als ich je zuvor gehabt hatte. Manchmal konnte ich es selbst kaum glauben.

„Sollen wir jetzt vor den anderen ein bisschen angeben?“, fragte Liam mit hochgezogenen Augenbrauen und frechem Grinsen. Er machte mir Mut und half mir daran zu glauben, dass vielleicht irgendwann wirklich alles gut werden würde. Ich spürte immer noch die Dunkelheit in mir, aber sie wurde mit jedem Tag etwas weniger und die Helligkeit dieser Wohnung würde vielleicht ihren Teil ebenfalls dazu beitragen.

Während Lucas und Evan das Wohnzimmer in einem warmen Beige strichen und Tapeten mit Steinmuster anbrachten, kümmerten Dairine und Winter sich in Liams Zimmer um einen hellgrauen Anstrich. Aidan und ich hatten uns für einen hellblauen Farbton entschieden, auf den wir später noch ein weißes Wolkenmuster anbringen wollten. Liam ging zwischen den einzelnen Zimmern hin und her und spielte den Kontrolleur. Aus dem Radio im Wohnzimmer plärrte laut Musik. Die Stimmung war ausgelassen, beinahe albern.

Es klingelte an der Tür. Das musste der Lieferservice sein, bei dem Liam eine Runde Pizza bestellt hatte. Da niemand sonst die Klingel gehört zu haben schien, ging ich zur Tür. Sie verfügte über eine Sprechanlage.

Etwas skeptisch hob ich den Hörer ab und drückte auf die Gegensprechanlage. „Hallo?“

Anstatt aus dem Hörer, kam die Antwort durch ein Klopfen gegen die Wohnungstür. „Ich bin schon da.“

Ich erschrak mich etwas. Es war eine weibliche Stimme. Misstrauisch stellte ich mich auf die Zehenspitzen und späte durch den Spion.

Vor der Tür stand eine Frau mittleren Alters mit dunklen Haaren, einem schwarzen Mantel und schwarzen Stiefeln. Ihr Äußeres ließ bereits darauf schließen, dass sie nicht vom Lieferdienst kam, aber die Tatsache, dass sie keinen Karton bei sich trug, bestätigte es noch zusätzlich.

Unsicher sah ich mich nach Liam oder einem der anderen um, doch ich befand mich alleine im Flur. Fremden Menschen gegenüber fühlte ich mich nach wie vor unwohl. Vielleicht war es eine Nachbarin.

Es klopfte erneut gegen die Tür, dieses Mal jedoch etwas leiser, beinahe behutsam. „Mach bitte die Tür auf. Ich würde mich dir gerne vorstellen.“

Sie sprach mit mir, als ob sie mich trotz der geschlossenen Tür sehen könnte. Zögernd drückte ich die Klinke runter und öffnete einen Spalt breit.

Die fremde Frau lächelte mich an. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit runden, rosigen Wangen und auffallend blauen Augen, die in starkem Kontrast zu ihrem dunklen Haar standen. „Hallo Mona, ich bin Ava McCarthy.“ Sie streckte mir höflich ihre Hand entgegen.

Anstatt sie anzunehmen, wich ich misstrauisch vor ihr zurück. „Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Ich kenne viele Namen. Von den Lebenden, ebenso wie von den Toten. Deinen hast du mir so laut entgegen geschrien, dass ich ihn gar nicht überhören konnte.“

Ihre Stimme hatte einen warmen, angenehmen Klang. Trotzdem schüttelte ich verständnislos den Kopf. „Ich habe Sie noch nie zuvor gesehen!“

„Bist du dir sicher? Du und ich wissen doch am besten, dass man nicht die Augen braucht, um Dinge sehen zu können. Deine Seele hat um Hilfe gerufen, deshalb bin ich hier.“

Ich runzelte skeptisch die Stirn. „Sind Sie ein Medium?“

„Was sind schon Namen und Bezeichnungen. Ich stehe genau wie du mit dem Übernatürlichen in Verbindung. Für mich verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Tod.“

„Was wollen Sie von mir?“ Erneut sah ich mich verunsichert nach einem der anderen um. Ich entdeckte Aidan in dem Türrahmen zu meinem Zimmer. Als er meinen besorgten Ausdruck sah, kam er in meine Richtung gelaufen.

„Du bist eine verlorene Seele und ich möchte dir helfen zurück zu dir selbst zu finden.“

Diese fremde Frau schien so viel von mir zu wissen, dass es mir unheimlich war, selbst für ein Medium. „Woher wissen Sie das?“

„Ich spüre es! Aber nicht nur das. Ich spüre auch die Finsternis, die von dir Besitz ergriffen hat und ebenso deine Magie. Weißt du eigentlich wie stark du bist?“

Ich schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich habe meine Magie an die Dunkelheit verloren.“

„Genau deshalb bin ich hier! Ich will dir helfen sie zurückzubekommen.“

Sie reichte mir eine Visitenkarte, dabei fiel mir auf, dass ihre Hände wie die einer alten Frau aussahen und nicht zu ihrem faltenlosen Gesicht passten. Altersflecken und hervorstehende Adern zogen sich über ihren Handrücken. Zögerlich nahm ich die Karte von ihr entgegen. Außer ihrem Namen und einer Handynummer stand nichts darauf.

„Wie wollen Sie das machen?“

„Wollen wir das nicht drinnen bereden?“, fragte sie. In dem Moment erschien Liam hinter mir und drückte die Tür etwas weiter auf, um ebenfalls in den Flur blicken zu können. „Wer ist das, Mona?“, wollte er misstrauisch wissen.

„Das ist Ava. Sie ist ein Medium und hier um mir zu helfen.“

Er zog kritisch die Augenbrauen zusammen und wand sich direkt an Ava. „Ich kenne Sie nicht. Wie haben Sie uns gefunden?“

Die Frau lächelte vielsagend. „Mona verfügt über eine große Magiequelle. So etwas lässt sich nicht verstecken. Ihre Magie fließt wie ein roter Faden durch die gesamte Stadt.“

„Was wollen Sie von ihr?“, fragte Liam unfreundlich weiter.

„Ich will ihr helfen wieder mit sich ins Reine zu kommen. Am Wichtigsten ist, dass sie zu sich selbst findet.“

„Das sehe ich genauso und genau deshalb brauchen wir Leute wie Sie nicht in unserem Leben. Folgen Sie einem anderen Faden durch die Stadt und kommen bitte nicht noch einmal hierher“, sagte er entschieden und schloss die Tür ohne auf eine Antwort von Ava zu warten. Ich sah ihn fassungslos an.

„Vielleicht hätte sie mir helfen können!“

„Wie denn? In dem sie die Dunkelheit wieder Stück für Stück in dein Leben holt? Du wärst zuletzt beinahe gestorben! Wir sind nicht grundlos in die neue Wohnung gezogen, sondern um neu anzufangen. Das bedeutet keine Schatten und keine Magie!“

Ich fühlte mich von ihm unverstanden. Liam konnte genauso wenig auf die Schatten verzichten, wie ich auf meine Magie. Er brauchte die Gefühle anderer Menschen, um überleben zu können und ich brauchte die Magie, um mich vollständig fühlen zu können. Mir den Kontakt zu ihr zu untersagen, war wie mir das Atmen verbieten zu wollen. Sie war ein Teil von mir!

In meiner Hand lag immer noch die Visitenkarte von Ava. Die Begegnung war seltsam gewesen und ich wusste nicht, ob ich ihr vertrauen konnte, aber das kurze Gespräch hatte mich daran erinnert, dass ich nicht einfach mit der Magie abschließen konnte, auch wenn Liam das gerne gehabt hätte.

Er ließ mich im Flur stehen und als ich erneut durch den Türspion blickte, war Ava bereits verschwunden.


Schattentochter

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