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Winter

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Die so genannte Boutique hatte wenig mit den eleganten Ladenzeilen aus Frankreich zu tun. Es war mehr ein, für seine kleine Größe, viel zu voll gestopftes Warenlager. An der einen Wand stapelten sich Anzüge, an der anderen Kleider und zwischendrin standen so viele runde Kleiderständer, dass man sich beinahe wie in einem Labyrinth vorkam, wenn man versuchte sich einen Weg hindurch zu bahnen. Dennoch war der Laden beliebter als irgendein anderes Geschäft in Wexford, sodass es noch enger war. Überall drängten sich Frauen jeden Alters. Obwohl es mehr als genug Auswahl gab, schien jede einzelne Angst zu haben, dass wenn sie nicht schnell genug wäre, man ihr das beste Stück vor der Nase wegschnappen würde.

Es war mir ein Rätsel, was die Frauen mit den ganzen Kleidern anfangen wollten. Sie konnten sich unmöglich alle für St. Patricks Day einkleiden wollen und ansonsten gab es in Wexford nur wenige Gelegenheiten, um solche Kleider zu tragen. Hier gab es keine schicken Dinnerpartys, keine High-Society und der nächste Abschlussball war erst im Sommer.

Dairine hatte sich bereits zahllose Kleider über den Arm gehängt und suchte dennoch geradezu hektisch weiter. Ich sehnte mich nach Mona, die von der Situation noch überforderter gewesen wäre als ich. Wir hatten versucht sie zu überreden, aber sie hatte eine Möbellieferung für die neue Wohnung als Ausrede benutzt. Vermutlich war es nicht einmal eine Ausrede, sondern ein Zufall, der ihr gerade Recht kam.

So sehr ich Dairine auch mochte, konnte sie mir gewaltig auf die Nerven gehen, wenn es ums Shoppen ging. Dabei kannte sie keinen Anfang und kein Ende. „Hast du schon etwas gefunden?“, fragte sie mich, ohne den Blick von den bunten Kleiderständen zu lösen.

Meine Hände waren leer. „Mir ist es hier zu voll, aber ich kann dir deine Kleider abnehmen, dann kannst du besser schauen“, schlug ich ihr hilfsbereit vor. Sie fuhr mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht zu mir empört herum. „Ich dachte wir probieren beide etwas an!“

Ich deutete auf den gewaltigen Kleiderstapel in ihren Armen, mit dem sie kaum noch laufen konnte. „Du hast genug für uns beide ausgesucht.“

Sie war ein paar Zentimeter kleiner als ich, aber hatte den weiblicheren Körper, sodass wir die gleiche Kleidergröße trugen. Seitdem sie mit Evan zusammen war, trug sie keine pinken Strähnen mehr in ihren Haaren und verzichtete etwas auf das auffällige Aussehen. Manchmal war weniger wirklich mehr, denn so kam ihre natürliche Schönheit besser zum Ausdruck. Mit ihrem langen schwarzen Haar und den strahlenden blauen Augen war sie ein echter Blickfang.

„Na gut“, seufzte sie und drückte mir die Kleider in die Arme, bevor wir uns weiter durch den Laden bis zu den Umkleiden kämpften. Dort mussten wir erst einmal warten bis die nächste Kabine frei war.

„Weißt du schon mit wem du zum Ball gehst?“, fragte sie mich scheinheilig, während sie ihre Auswahl durchsah.

„Vermutlich alleine“, erwiderte ich und verschwieg dabei, dass ich eigentlich keine Lust hatte überhaupt dorthin zu gehen. Aber ich spürte wie wichtig es ihr war dort gesehen zu werden. Evan war ihr erster fester Freund in Wexford und ich konnte verstehen, dass sie sich so ein Ereignis nicht entgehen lassen wollte. Wir waren beste Freundinnen und deshalb war es meine Pflicht diesen Tag mit ihr zu teilen. Sie war schließlich auch immer für mich da, wenn ich sie brauchte.

Sie beugte sich etwas näher zu mir. „Ich finde immer noch, dass du ein heimliches Treffen mit Liam ausmachen solltest. Ihr versteht euch doch wieder besser, oder?“

Wir verstanden uns wieder gut, aber das lag nur daran, dass wir das Thema Eliza mieden. Ich fühlte mich in seiner Nähe wohl, aber gleichzeitig hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Zeit nicht mit Flirten verschwenden sollte, sondern lieber meine Schwester suchen sollte. Eliza hatte meinetwegen ihre Beziehung mit Lucas riskiert, weil sie mich niemals aufgegeben hatte.

„Ich will keine heimlichen Treffen!“, stöhnte ich genervt. Das Gespräch führten wir immer und immer wieder. „Eigentlich möchte ich gerade überhaupt keine Beziehung, aber wenn, dann etwas Festes! Ich bin nicht der Typ Mädchen, das Affären eingeht und schon gar nicht mit meinem Lehrer.“ Die letzten Worte zischte ich ihr ins Ohr, aus Angst, dass uns jemand hören könnte. Ich sah sie ernst an. „Ich gönne dir dein Glück mit Evan, aber ein bisschen beneide ich dich auch. Denn das ist genau das, was ich auch wollen würde. Eine normale Beziehung!“

Sie wendete den Blick ab und ein trauriger Ausdruck huschte über ihr Gesicht. „So normal ist unsere Beziehung gar nicht.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe dir doch erzählt, wie schüchtern er ist, wenn wir alleine sind. Bisher hat sich daran nichts geändert und ich verliere langsam die Geduld.“

Ich zweifelte nicht an ihren Worten, aber es fiel mir schwer mir Evan schüchtern vorzustellen. Er war zwar nicht unbedingt ein Draufgänger, aber er war nie um einen lässigen Spruch verlegen und scherzte viel. Im Grunde war seine Freundschaft zu Lucas ganz ähnlich wie meine zu Dairine. Sie sorgten beide dafür, dass so zurückhaltende Menschen wie Lucas und ich uns nicht in unserem Schneckenhaus verkrochen.

Zwei Umkleiden wurden frei, was Dairine nutzte, um unser Gespräch abrupt abzubrechen. Stattdessen drückte sie mir einen Stapel Kleider in die Arme, die sie für mich ausgesucht hatte, während sie mit den anderen in der Kabine verschwand.

Ich entschied mich als erstes für ein grünes Seidenkleid, das meiner Meinung nach am besten zu St. Patricks Day passen würde. Es reichte bis zum Boden, aber mit ein paar Absätzen hätte es genau die richtige Länge. „Bist du fertig?“, rief ich Dairine neugierig zu.

„Ja, aber kannst du zu mir in die Kabine kommen?“

Überrascht runzelte ich die Stirn. Normal genierte Dairine sich nur selten. Passte ihr das Kleid etwa nicht?

Ich steckte meinen Kopf aus der Umkleide und huschte schnell zu ihr, als niemand zu uns schaute. Als ich sie in dem Spiegel sah, verstand ich, was sie hatte zögern lassen. Sie trug praktisch einen schwarzen Hauch von nichts. Das Kleid bestand hauptsächlich aus transparenten schwarzen Stoff, der sich eng an Dairines wohlgeformten Körper schmiegte. Lediglich an Brust und Po war der Stoff blickdicht, dafür reichte das Kleid ihr nur etwa bis zur Mitte ihres Oberschenkels. Unsicher sah sie mich an. „Was meinst du?“

„Ich weiß, was du damit vorhast“, erwiderte ich vorsichtig. „Aber ich glaube nicht, dass es funktionieren wird.“

Ihre Augenbrauen zogen sich zornig zusammen. „Steht es mir oder nicht?“

„Du siehst super aus, aber das liegt nicht an dem Kleid, sondern an dir! Wenn Evan bisher nicht wollte, wirst du ihn auch nicht mit dem Kleid dazu bringen.“

„Vielleicht braucht er nur einen Schubs in die richtige Richtung!“, meinte sie hoffnungsvoll und drehte sich zweifelnd vor dem Spiegel.

„Warum redest du nicht stattdessen mit ihm? Du hast dich doch in ihn verliebt, weil er nett und verständnisvoll ist.“

„Das ist peinlich!“

„Ist es nicht!“ Ich ließ meinen Blick an ihrem Kleid entlangwandern. „Das… hast du nicht nötig!“

Zuerst sah sie aus, als wolle sie mich wütend aus der Umkleide jagen, aber dann nickte sie betrübt. „Du hast ja Recht. Ich fühle mich auch nicht wirklich wohl damit.“

„Eliza hätte dir Beifall applaudiert und wenn du das Kleid selbst nicht gewählt hättest, hätte sie es sich garantiert unter den Nagel gerissen“, sagte ich, ohne nachzudenken. Die Worte stolperten ungehindert aus meinem Mund. Bereits beim ersten Anblick hatte mich das freizügige Kleid ungemein an meine Schwester erinnert, da es genau der Stil war, den sie bevorzugen würde.

Dairine verzog den Mund. „Haben wir uns zuletzt nicht noch darüber lustig gemacht? Und jetzt zwänge ich mich selbst in so einen blöden Fummel!“ Sie warf zum ersten Mal einen Blick auf mein Kleid, schien aber nicht sonderlich begeistert. „Grün ist definitiv deine Farbe, aber ansonsten ist es ziemlich lahm!“

Ich zuckte mit den Schultern und deutete auf die volle Kleiderstange. „Willst du noch weiter nach Kleidern schauen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mir ist jetzt mehr nach einem Schokocroissant und einer großen Tasse Kaffee!“

Erleichtert nickte ich und drückte sie kurz an mich. „Mach dir keine Gedanken wegen Evan. Du wirst in jedem Kleid atemberaubend aussehen!“

Sie lächelte mich dankbar an. „Wenn er mir nicht bald sein Verhalten erklärt, kann er sich eine neue Begleitung für den Ball suchen und wir gehen stattdessen alleine hin.“

„Guter Plan!“, grinste ich frech, bevor ich zurück in meine Umkleide huschte.


Schattentochter

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