Читать книгу Somber Side of Love - Teil 3 Ägypten - M.B. Bolder - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеInzwischen hat sie beide Hände vor das Gesicht geschlagen und versucht verzweifelt die Geräusche ihres heftigen Weinens zu unterdrücken.
Am liebsten würde ich sie jetzt sofort in die Arme schließen um sie zu trösten, aber Dr. Spector spricht weiter auf mich ein, somit wäre es unhöflich ihn einfach sitzen zu lassen.
„Die Bone Marrow Donors Worldwide und auch die europäische Stammzellenspenderdatei wurden bereits mit Ihren Daten gefüttert und mit ‚dringend‘ unterstrichen. Das heißt also, dass Sie ganz oben auf den jeweiligen Listen von möglichen Spendern stehen.“ führt Dr. Spector aus.
Verschwommen registriere ich zwar was er sagt, aber es kommt nicht wirklich bei mir an, weil ich mich gerade mehr auf Saundra konzentriere und ohnehin nicht so recht weiß was ich überhaupt denken soll.
„Mr. Bolder? Sind Sie noch da?“ kommt die nächste Frage von ihm und er drückt meine Hand, die er immer noch mit der seinen umfasst.
Ernüchtert schüttle ich kurz den Kopf und blicke ihm wieder in das besorgte Gesicht.
„Ja, natürlich!“ antworte ich wie automatisch.
„Es gibt da noch etwas Entscheidendes das ich Ihnen nicht verschweigen darf. Die Chemotherapie wird Sie mit aller Wahrscheinlichkeit unfruchtbar machen, daher bietet unsere Klinik die Möglichkeit an Sperma einzufrieren.
Schwester Megan wird Ihnen später einen Behälter bringen mit dem das möglich ist. Vielleicht sehen Sie noch eine Möglichkeit…„
Mit einem heftigen Kopfschütteln unterbreche ich ihn.
„Nein, das ist ohnehin keine Option! Saundra kann keine Kinder mehr bekommen und wir wollen auch keine. Also von daher hat sich dieses Thema von selbst erledigt.“
„Mr. Bolder! Bitte! Überlegen Sie es sich!“ sagt Dr. Spector eindringlich.
„Viele Beziehungen und große Lieben können auch nach Jahren noch in die Brüche gehen oder man überlegt es sich später eben doch anders, es gibt ja auch Leihmütter und Eizellen von Spenderinnen.
Ich weiß zwar auch, dass Sie jetzt sicher nicht in der Stimmung dazu sind, aber Sie sollten es auf jeden Fall versuchen.“
„Bis heute Nachmittag ist nicht allzu viel Zeit oder?“ frage ich leise.
„Das weiß ich auch, aber Sie sollten diese Zeit wirklich hierfür nutzen.“ sagt er drängend.
„Werden mir auch die Haare ausgehen?“ frage ich weiter.
„Ja, das werden sie auf jeden Fall.“ nickt er bekräftigend.
„Darum werden Sie nicht herumkommen, aber sie wachsen wieder wenn die Chemotherapie vorbei ist.“
Zustimmend nicke ich, denn daran hatte ich selbst schon gedacht und mir vorgestellt wie ich wohl mit kahlem Kopf aussehen werde.
„Aber ich habe trotz allem auch eine gute Nachricht für Sie Mr. Bolder.“ wirft Dr. Spector ein als ich keine Antwort gebe.
Hoffnungslos lache ich kurz auf.
„Was soll es denn jetzt noch für gute Nachrichten geben?“
„Das MRT hat ergeben, dass Sie soweit keine anderen Tumore oder Ungereimtheiten im Körper haben. Bis auf die Leukämie sind Sie völlig gesund, außer dass ein Lendenwirbel etwas gequetscht ist und Sie vermutlich ab und zu unter Rückenschmerzen leiden.“ sagt er, ringt mir dabei ein kleines Schmunzeln ab und ich schüttle kaum merkbar mit dem Kopf.
„Das konnten Sie alles sehen? Ja, das mit den Rückenschmerzen stimmt, aber die treten meistens nur auf wenn ich ein schlechtes Bett habe oder viel gebückt arbeiten muss.“
Dr. Spector lächelt mich nun ebenfalls an.
„Ja, das kann man alles sehen und noch viel mehr. Aber der Lendenwirbel bedarf durchaus noch keiner Behandlung, es ist zumindest noch kein Bandscheibenvorfall und wenn Sie wissen was Sie vermeiden müssen, dürfte es in der näheren Zukunft auch erträglich sein.“
Erneut drückt er meine Hand und schließt kurz die Augen, während er tief einatmet.
„Sie dürfen jetzt nicht aufgeben, glauben Sie an sich selbst und ihre innere Kraft. Versprechen Sie mir das bitte.
Sie werden in der nächsten Zeit sehr viel kämpfen müssen, auch wenn Sie den Feind nicht sehen und ich versichere Ihnen der Kampf wird nicht leicht werden.
Es wird ein harter, steiniger und beschwerlicher Weg den Sie jetzt einschlagen, aber bin überzeugt davon dass Sie als Sieger daraus hervorgehen werden.
Sie sind noch jung und haben eine bezaubernde, ebenso starke Frau an Ihrer Seite und die Hoffnung ist der beste Freund auf dem Weg zur Heilung.“ flüstert er tröstend.
„Das klingt ja fast so, als würde die Medizin mir gar nicht helfen können!“ stelle ich fest und lasse traurig den Kopf sinken.
„Wie soll mir da allein die Hoffnung und die Liebe einer wunderschönen Frau helfen?“ frage ich mit wenig Hoffung.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sich Saundra mit dem Rücken an der Wand auf den Boden rutschen lässt, ihre Knie mit den Armen umschlingt und die Stirn auf die Knie sinken lässt.
„Nein, Mr. Bolder!“ schüttelt Dr. Spector den Kopf.
„Nein so ist das nicht! Die Medizin kann Ihnen durchaus helfen durch die Chemotherapie, aber am besten wäre natürlich eine Stammzellenspende, welche wir finden werden … davon bin ich überzeugt…“ sagt er und drückt erneut tröstend meine Hand.
„… aber die Hoffnung und das ‚nicht Aufgeben‘ unterstützt das Ganze ungemein.
Sie glauben gar nicht, welche unglaublichen Geschichten ich schon erlebt habe und ich wünsche mir, dass Sie zu den guten davon gehören.
Bitte! Geben Sie nicht auf! Ihr Leben ist noch lange nicht vorbei und ich wünsche Ihnen und Miss Dunaway noch sehr viele glückliche Jahre.
Leider muss ich mich jetzt verabschieden, denn ich habe noch einen wichtigen Termin … nämlich den bei Ihrer Mutter und Ihren anderen Verwandten. Wir sollten keine Zeit verschwenden und so schnell als möglich handeln.
Ihre Schwester war übrigens heute Morgen schon in aller Frühe da, aber da hatte unser Labor und Miss Nolan noch geschlossen.
Ich glaube sie wartet noch immer auf dem Gang! Vielleicht nehme ich die jetzt als Erste gleich mit, in der Hoffnung, dass sie als Spenderin passt.“
Er lässt meine Hand endlich los und steht langsam und umständlich auf, indem er den Stuhl wieder Richtung Tisch dreht und ihn darunter schiebt.
„Kylie?“ frage ich fast erfreut im Nebel meiner hunderttausend verschiedenen Gefühle, welche im Moment gleichzeitig mit mir Achterbahn fahren.
„Ja! Ihre Schwester war die erste, die heute Morgen hier auftauchte und sich für eine Stammzellenspende gemeldet hat. Sobald wir mit der Probe fertig sind, schicke ich sie zu Ihnen, wenn Ihnen das Recht ist?“ lächelt er aufrichtig.
„Ja gerne! Ich habe meine Schwester seit Weihnachten nicht mehr gesehen und würde mich über ihren Besuch sehr freuen!“ antworte ich mit verhaltenem Lächeln, wobei mein Blick wieder auf die verzweifelte Saundra fällt, welche immer noch weinend und schluchzend auf dem Boden hockt.
Es wird Zeit, dass ich mich jetzt selbst etwas sammle und mich um sie kümmere.
Dr. Spector verabschiedet sich, indem er sich mit beiden Händen auf meine Achseln stützt und mir tief in die Augen blickt.
„Ich rechne ganz fest mit Ihnen und vor allem darauf, dass Sie kämpfen werden.
Bis heute Nachmittag! Ich denke es wird so vier Uhr p.m. werden.“ sagt noch einmal nachdrücklich.
Ohne weitere Worte verlässt er das Zimmer und ich stütze zunächst die Ellbogen auf den Tisch und lasse mein Gesicht in beide Hände fallen.
Langsam lasse ich mir noch einmal alles was Dr. Spector gesagt hat durch den Kopf gehen, bis mich Saundras verzweifeltes Schluchzen aus den Gedanken reißt.
Somit lasse ich mich neben ihr ebenfalls auf den Boden nieder und schlinge meine Arme um sie herum.
Tröstend lege ich ihren Kopf an meine Schulter und raune ihr zu.
„Nicht doch Saundra! Wir dürfen jetzt nicht verzweifeln.“
Über mich selbst erstaunt, dass meine Stimme so fest und überzeugend klingt spreche deshalb leise weiter.
„Du hast doch gehört, was Dr. Spector gesagt hat. Wir dürfen jetzt die Hoffnung nicht aufgeben und das werde ich auch nicht.
Ich will weiterleben, vor allem für dich, darum werde ich kämpfen und alles Erforderliche über mich ergehen lassen bis ich wieder gesund bin und dich endlich heiraten kann.“
„Ja, ich weiß!“ flüstert sie schluchzend.
„Aber ich habe solche panische Angst, dass ich dich verlieren könnte. Ich liebe dich doch so sehr. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du sterben würdest, ich glaube ich würde dann ganz einfach mit dir gehen. Was will ich denn allein auf dieser Welt ohne dich.“
„Saundra!“ sage ich leise aber eindringlich.
„Ich werde nicht sterben. Dr. Spector wird alles dafür tun, dass das nicht passiert. So und jetzt komm‘ endlich wieder vom Boden hoch.“
Mühsam rolle ich mich zunächst auf die Knie und stehe auf, wobei ich sie an den Händen mit mir nach oben ziehe.
Vorsichtig steuere ich sie Richtung Bett, woraufhin sie sich auch bereitwillig hinsetzt und ich sehe in ihr verweintes, verquollenes Gesicht.
Angespannt versuche ich ein Lächeln hinzubekommen, setze mich neben sie und küsse sie zart auf die Lippen.
„Wie wollen wir das anstellen mit dem Sperma?“ fragt sie nach dem Kuss plötzlich leise und sucht meinen Blick mit den Augen.
„Das ist doch nicht wichtig Darling! Nachdem wir ohnehin keine Kinder haben wollen, hat sich das Ganze doch ohnehin erledigt.“ antworte ich leise.
„Nein, ist es nicht! Du hast doch auch gehört, was der Doktor gesagt hat. Die besten Beziehungen können in die Brüche gehen und wenn du dann eine andere Frau kennenlernst die Kinder haben will, was ist dann? Oder wer weiß, vielleicht denken ja auch wir beide in ein paar Jahren ganz anders über das Thema. Du solltest das machen und diese Möglichkeit annehmen.“ sagt sie fest, während ihre Tränen langsam versiegen.
„Okay! Vielleicht hast du Recht, aber dann musst du mir helfen, allein schaffe ich das nicht.“ lächle ich kurz zurück, als es an der Tür klopft und Schwester Megan ausgerechnet jetzt mit dem Behälter erscheint und gleichzeitig wortlos einen Zimmertürschlüssel daneben legt.
„Aber jetzt geht es sowieso nicht.“ sage ich nachdem Schwester Megan wieder gegangen ist.
„Kylie wollte doch vorbeikommen nachdem sie ihre Probe abgegeben hat.“
„Ach ja, deine Schwester!“ lächelt Saundra nun wieder etwas.
„Ich bin sehr gespannt auf sie, immerhin habe ich sie noch gar nicht kennengelernt. Wie sieht sie aus? Sieht sie dir ähnlich?“
Überlegend drehe ich meine Augen nach oben und versuche mir Kylies Gestalt in Erinnerung zu rufen.
„Hmm, ich weiß nicht recht, viele behaupten zwar, dass wir uns ähnlich sehen, aber ich persönlich finde das gar nicht.
Sie ist etwas kleiner als ich, sehr schlank und sie hat ihre kurzen fransigen Haare immer mal wieder in einer anderen Farbe gefärbt, beim letzten Mal als ich sie sah waren sie kupferrot.
Aber sie hatte sie auch schon strohblond, blauschwarz, haselnussbraun, pink, blau…“
„Jetzt hör‘ aber auf!“ sagt Saundra.
„Ist das ehrlich wahr oder willst du mich nur veräppeln?“
„Nein, ehrlich wahr! Grün hatte sie die Haare auch schon. Sie wirkt manchmal etwas ausgeflippt, wahrscheinlich hat Mum deswegen manchmal so ihre Probleme mit ihr.
Sie wirkt oft wie ein Überbleibsel aus der Punkerszene, denn sie liebt Lederkleidung mit vielen Nieten und hat meistens zwei verschieden farbige Strümpfe und einen Minirock an.
Mich wundert es immer wieder, wie sie so an den Top-Job bei Boston-Software gekommen ist, aber offenbar sind die weniger am Aussehen als am Können interessiert. Und mit Computern und IT kennt sie sich wirklich super aus, sie schreibt ja sogar eigene Programme.“ führe ich weiter aus.
„Da bin ich jetzt aber wirklich gespannt! Denn Mut und Selbstbewusstsein scheint sie ja zu haben, wenn sie so herumläuft und sich sogar so bewirbt.“ stellt Saundra staunend fest.
„Ja das hat sie! Eigentlich ist sie ganz anders als ich. Sie ist laut, sie ist quirlig, ständig auf Achse und sie liebt Rock-Musik.
Ich dagegen bin eher der ruhige Typ, aber das weißt du ja und ich stehe viel mehr auf moderne Country-Musik. Aber ich liebe sie, weil sie meine Schwester ist und weil sie eben anders ist als ich.“
Der Gedanke an meine Schwester zaubert mir nun doch ein Grinsen auf das Gesicht, wenn ich sie mir so vorstelle.
„Manchmal wirkt sie auf mich wie ein Paradiesvogel, aber sie ist trotzdem eine ganz Liebe und du wirst sie mögen.
Vor allem trifft sie mit Ihren direkten Äußerungen immer den Nagel auf den Kopf, das darf man dann manchmal nicht krumm nehmen, aber so ist sie nun einmal. Ich mag sie, weil sie ganz einzigartig ist.“ erzähle ich weiter von Kylie.
„Ich bin wirklich neugierig auf deine Schwester. Irgendwie kann ich mir sie gar nicht so vorstellen, wenn man dich und deine Eltern kennt.“ sagt Saundra erwartungsvoll.
„Tja, vielleicht wollte sie früher damit Mum’s Aufmerksamkeit erregen, weil sie ja immer etwas eifersüchtig auf mich und Mum’s übertriebene Liebe zu mir war, aber irgendwie ist sie einfach so geblieben.“ antworte ich und meine Gedanken schweifen in unsere gemeinsame Kindheit ab.
Saundra legt ihren Kopf an meine Schulter und seufzt tief.
„Ach wie gerne hätte ich auch Geschwister gehabt…“ raunt sie ohne den Satz zu beenden.
Nach einer Weile die wir schweigend nebeneinander sitzen kommt mir eine ganz andere Idee, weil meine Gedanken am Ende natürlich wieder bei der Leukämie angekommen sind.
„Saundra?“ frage ich vorsichtig.
„Ja, Darling!“ flüstert sie zurück, woran ich spüre, dass sich ihre Gedanken ebenfalls wieder um meine Krankheit drehen.
„Würdest du mir bitte die Haare abschneiden?“ frage ich leise, doch sie hebt den Kopf und sieht mich mit weitaufgerissenen Augen an.
„Wie bitte? Deine schönen braunen Wellen? Niemals!“ sagt sie entrüstet und wuschelt dabei durch mein Haar.
„Darling! Bitte! Sie werden durch die Chemotherapie ohnehin ausgehen und mir wäre es lieber sie gleich ganz kurz zu schneiden, bevor ich jeden Tag Büschel davon in Händen habe wenn ich mir an den Kopf fasse.
Wir werden uns leider daran gewöhnen müssen, dass ich eine Zeit lang eine Glatze haben werde. Aber Dr. Spector versicherte mir, dass sie wieder wachsen werden, wenn die Therapie vorbei ist.“ sage ich leise, wobei mir dabei selbst die Tränen in den Augen stehen.
„Nein! Ich kann das nicht!“ schüttelt sie heftig mit dem Kopf und beginnt wieder zu weinen.
„Warum muss ausgerechnet uns das passieren? Warum du? Warum dürfen wir nicht einfach nur glücklich sein, so wie andere Menschen auch?“
Sie drückt ihr Gesicht an meinen Hals und fängt erneut heftig zu weinen an.
Shit!
Ich hätte lieber den Mund halten sollen, aber nun ist es schon passiert und ich versuche verzweifelt sie durch sanftes Streicheln über den Kopf und ihr wunderbares Haar zu beruhigen.
Es gelingt mir allerdings nur mäßig, bis es verhalten an der Tür klopft und sich nach meinem „Herein!“ ein kurzer fransiger pflaumenfarbiger Haarschopf durch den Türspalt schiebt.
„Hey! Bruderherz! Was machst du denn für Sachen? Musst du uns alle so erschrecken?“ kommt es von dort, in der gewohnten Lautstärke meiner Schwester.
Saundra löst sich augenblicklich erschrocken von mir und wischt sich nervös die Tränen aus dem Gesicht, während ich von der Bettkante rutsche und mich vor meiner Schwester aufbaue.
„Kylie!“ rufe ich trotz aller Trauer möglichst freudig aus.
Sie lässt ihre überdimensionale schwarze Handtasche, die eher aussieht wie ein halber Seesack auf den Boden neben dem Bett fallen und umarmt mich stürmisch.
„Mann, Mann, Mann! Du lässt es ja mal wieder krachen! Muss das sein? Hätte diese verdammte Vergiftung im Dschungel nicht schon gereicht?
Musst du ausgerechnet mit so etwas noch eins drauf setzen?“ fragt sie und schiebt mich von sich, um mir ins Gesicht zu sehen.
„Bist ganz schön blass um die Nase herum, Bruderherz! Das ist gar nicht gut!“ sagt sie, gibt mir einen geschwisterlichen Schmatz auf den Mund und wendet sich Saundra zu, indem sie ihr die Hand reicht.
„Hi! Ich bin Kylie, Matts Schwester und du bist sicher Saundra? Mum hat mir schon von dir erzählt, sie mag dich anscheinend sehr und Dad redet ohnehin nur noch von ‚seinem Mädchen‘! Sag‘ mal Matt, wirst du da nicht eifersüchtig?“ sprudelt es aus ihr heraus und ein kurzer Seitenblick auf Saundra sagt mir, dass sie mit Kylies Redefluss völlig überfordert ist.
Abwehrend hebe ich daher kurz die Hände.
„Langsam Kylie! Langsam! Ja, das ist Saundra, die Frau meines Lebens und ich liebe sie sehr. Also begegne ihr mit ein wenig Respekt und nein ich bin nicht eifersüchtig auf Dad, weil ich weiß, dass Saundra nur mich liebt.“ antworte ich und bedenke Saundra mit einem kurzem Blick und leicht lächelnden Mundwinkeln.
„Zum anderen wollte ich bestimmt ‚keins draufsetzen’, so wie du es ausdrückst…“ kurz mache ich eine kleine Pause, nehme wieder einen ernsteren Ausdruck an und schlucke hart.
„… ich habe mir das verdammt noch mal nicht ausgesucht Kylie und wüsste auch etwas Schöneres. Aber ich freue mich wahnsinnig, dass du da bist.“ sage ich liebevoll und denke dabei komischerweise an das entstehende Spielzimmer in Lafayette Hill.
Gleichzeitig frage ich mich jedoch, ob ich es jemals sehen und vor allem benutzen werde.
Kylie geht vor mir in die Hocke, setzt eine Leidensmine auf und antwortet etwas leiser.
„Sorry! Bruderherz! Das war nicht so gemeint, aber du kennst mich doch! Ich wollte euch nur ein wenig aufmuntern.“
„Schon gut Schwesterlein, du weißt doch genau, dass ich dir nicht böse sein kann.“ raune ich, ziehe sie dabei an den Oberarmen wieder nach oben und nehme sie herzlich in die Arme, wobei ich sie hin- und herwiege und ihren vertrauten Geruch tief in mich aufsauge.
„Wie geht es dir?“ frage ich und blicke ihr dabei in die stahlblauen Augen, wobei mir auffällt, dass wir doch eine große Gemeinsamkeit haben … die Augenfarbe.
„Du hast dich seit Weihnachten kaum noch bei mir gemeldet. Bist du so sehr im Stress, dass du nicht einmal mehr Zeit hast deinem Bruder eine E-Mail zu schreiben?“
„Ach du und Mum mit euren blöden E-Mails! Das dauert doch alles viel zu lange. Heutzutage macht man so etwas über WhatsApp, aber ich weiß ja dass ihr beide es mit den Mobile Phones nicht so habt.
Wenn ihr euch nicht langsam daran gewöhnt, seid ihr irgendwann von der Welt abgeschnitten. Mann, ihr müsst mit der Zeit gehen und euch mehr an die neue Technik anpassen, sonst seid ihr irgendwann verloren.“ plappert sie darauf los.
Saundra schaut immer noch verständnislos von einem zum anderen und wagt es nicht Kylies Ausführungen zu unterbrechen.
„Kylie! Das ist im Moment auch gar nicht wichtig! Ich habe dich gefragt wie es dir geht, also gib‘ mit bitte eine Antwort darauf.“ sage ich ruhig und sehe ihr dabei fest in die Augen.
„Mir? Och mir geht es rundherum super! Im Job läuft es toll, ich bin gerade eben mit der Programmierung für ein CAD-Programm betraut worden, was zwar sehr anspruchsvoll, aber auch sehr interessant ist.“ erzählt sie, wird jedoch plötzlich ernst und fragt im Gegenzug.
„Wen interessiert es eigentlich wie es mir geht? Wie geht es dir eigentlich gerade? Sorry! Das war vorhin nicht so gemeint mit dem ‚eins draufsetzen‘.
Ich weiß ja durch Mum und Dr. Spector, dass es diesmal ziemlich ernst sein soll. Das wollte ich nicht Matt! Nie! Du bist mein Bruder und ich liebe dich, deshalb bin ich auch gleich gekommen und hoffe sehr, dass ich dir helfen kann.“
Mit einem weiteren Seitenblick auf Saundra winke ich mit einem leichten Kopfschütteln ab und warte auf die Reaktion in Kylies Gesicht, ob sie mich verstanden hat.
„Ach, das wird schon wieder werden! Du kennst mich doch, ich bin ein Kämpfer!“ antworte ich und setze mich erneut neben Saundra, um sie in den Arm zu nehmen.
„Wolltest du nicht Lázló anrufen sobald wir das Ergebnis der Untersuchung haben, Darling?“ frage ich leise.
„Ach ja!“ flüstert sie halb apathisch und lächelt Kylie schief an.
„Ich gehe dazu am besten ins Bad.“
Sie sucht kurz nach ihrem iPhone in ihrer Handtasche und verschwindet damit im Bad.
Kylie zieht die Augen zu Schlitzen zusammen, nachdem Saundra die Tür hinter sich zugemacht hat und fragt argwöhnisch.
„Matt! Ich kenne dich doch, wie geht es dir wirklich?“
„Scheiße, geht es mir Kylie! Wie soll es mir schon gehen? Meine Gefühle fahren gerade Achterbahn, die ewige Müdigkeit macht mich wahnsinnig und ich fühle mich, als wäre ein Panzer über mich hinweggerollt, aber ich muss trotzdem stark bleiben…“ sage ich in dem selben Moment, als ein lautes Schluchzen und Weinen aus dem Bad zu hören ist, was meinen Körper angespannt zusammenziehen lässt.
Saundra hat Lázló offenbar telefonisch erreicht und ich würde am liebsten zu ihr eilen, um sie in den Arm zu nehmen.
„Wegen ihr?“ fragt Kylie und zeigt mit ihrem Kopf Richtung Bad.
„Du liebst sie sehr, nicht wahr?“
„Ja, Schwesterherz! Wegen ihr!“ flüstere ich und sehe ihr dabei mit gerunzelter Stirn und trüben Gedanken in die Augen.
„Sie hat es ohnehin nicht leicht … ach weißt du in Ungarn ist so viel passiert...“
„Ich weiß!“ unterbricht sie mich bedrückt.
„Mum hat es mir am Telefon erzählt … von ihrer Vergewaltigung, dem ungewünschtem Kind und so weiter und von ihrem Vater und jetzt auch noch deine Leukämie! Das würde sogar mich aus der Bahn werfen.“ sagt sie besorgt, doch überschwänglich wie Kylie eben ist, nimmt sie mich erneut in die Arme und drückt mich wie verrückt, so dass mir fast die Luft web bleibt.
„Kylieee!“ rufe ich kurz aus und löse mich wieder von ihr.
„Du erdrückst mich ja! Dann bin ich eventuell noch viel schneller tot als dir lieb ist.“ versuche ich zu scherzen.
„Nein, das will ich natürlich nicht! Ich möchte meinen Lieblingsbruder gerne noch eine Weile … nein noch sehr viele Jahre, behalten.“ sagt sie einfühlsam, während sie in meinen Haaren wuschelt und mir direkt in die Augen sieht.
Erneut dringt ein Schluchzen durch die Badezimmertür und es drückt mir das Herz ab, das sich zu einem Klumpen zusammenzieht, wobei mir Tränen in die Augen treten.
„Ich kann es kaum ertragen Saundra so traurig zu erleben und sie sagte erst vorhin, dass sie mit mir gehen will, falls ich sterben sollte. Das kann ich doch nicht zulassen…“ sage ich tränenerstickt und fahre leise fort.
„… ich liebe sie von ganzem Herzen und ich will, dass sie glücklich ist. Ich wollte sie heiraten Kylie, aber ich habe keine Ahnung, was jetzt daraus wird!?“ flüstere ich halb flehend und halb fragend.
Kylie setzt sich neben mich und nimmt nun mich in den Arm und wiegt mich hin und her.
„Ach, komm‘ schon Bruderherz! Du wirst wieder gesund werden und dann kannst du deine Saundra meinetwegen jedes Jahr aufs Neue heiraten!
Aber für das erste Mal musst du unbedingt mir die Planung überlassen. Am besten fange ich gleich morgen damit an, denn das kostet unheimlich viel Zeit.
Ach egal jetzt! Ich mache mir auf jeden Fall meine Gedanken darüber und ihr beide werdet mit Sicherheit die schönste Hochzeit aller Hochzeiten Amerikas feiern, die es je gegeben hat.“ sagt sie und lässt nach ihrem Redeschwall endlich wieder locker und sieht mir erneut in die Augen.
„Hey, Bruderherz! Es wird alles wieder gut werden, dessen bin ich mir sicher, also lass‘ den Kopf nicht hängen, du packst das schon.“
Etwas belustigt über die Art meiner Schwester schüttle ich leicht lächelnd den Kopf.
„Nun mach‘ einmal langsam mit deinen Hochzeitsvorbereitungen! Ich habe Saundra ja noch nicht einmal einen Antrag gemacht und du redest dich leicht, denn du bist nicht in der gleichen Situation wie ich, aber egal jetzt. Ich habe eine ganz andere Bitte an dich!“ raune ich leise.
„Okay! Schieß los! Du weißt ganz genau, dass ich meinem einzigen Lieblingsbruder nichts abschlagen kann.“ lächelt sie verhalten.
„Rasiere mir bitte die Haare zu einer Glatze! Ich werde durch die Chemotherapie sowieso alle Haare verlieren und es wäre mir lieber wenn sie gleich weg sind, als wenn ich sie mir büschelweise ausrupfen muss wie bei einem Huhn.
Saundra hatte ich schon darum gebeten, aber sie schafft es emotional nicht! Bitte Kylie, tu‘ mir den Gefallen!“ bitte ich sie mit Tränen in den Augen.
„Puuh!“ schnauft sie auf und wischt sich mit beiden Händen über das Gesicht.
„Allerliebster Bruder, das wird auch für mich nicht leicht, denn du weißt wie sehr ich deine braunen welligen Haare liebe und gern ich darin herumwuschle.
Aber wenn es nicht anders geht, dann mache ich eben für deine Saundra die böse Schwester, auch wenn ich sie kaum kenne und rasiere dir den Kopf.“
Kylie hat in diesem Moment selbst Tränen in den Augen, als ich ihr den Langhaarschneider reiche, welchen ich schon heute Morgen aus dem Bad entführt habe, noch bevor Dr. Spector mit seiner vernichtenden Diagnose erschienen ist.
„Okay! Dann machen wir es am besten gleich!“ sagt sie tief einatmend, zieht einen Stuhl freistehend in die Mitte des Raumes und bedeutet mir mit der Hand mich darauf zu setzen.
„Denn wenn ich anfange darüber nachzudenken, schaffe ich das auch nicht.“
Sogleich ziehe ich mein T-Shirt über den Kopf und setze mich mit nacktem Oberkörper auf den Stuhl, bis Kylie eine Steckdose sucht und den Langhaarschneider surren lässt.
Sie fängt am Scheitel an einen breiten Streifen meines Haares von vorne nach hinten abzurasieren und sagt kaum hörbar.
„Dr. Spector hat mich übrigens auch um etwas gebeten!“
„Dich? Worum hat er dich denn gebeten?“ frage ich, während Kylie einen weiteren Streifen Haar abrasiert.
„Er meinte die Chemotherapie macht dich mit großer Wahrscheinlichkeit unfruchtbar und es wäre wichtig, dass du noch Sperma abgibst das eingefroren werden soll für den Fall der Fälle.
Aber er sagt du willst das nicht machen, weil ihr sowieso keine Kinder wollt und Saundra offenbar auch keine mehr bekommen kann.
Aber ich finde du solltest das trotzdem unbedingt machen. Denn wer weiß, ob du ewig mit Saundra zusammen bist oder vielleicht denkt ihr in ein paar Jahren schon ganz anders über das Thema.“ wiederholt sie fast Dr. Spectors Worte.
„Kylie!“ unterbreche ich sie scharf.
„Sollst jetzt du mich etwa dazu überreden? Saundra kann keine Kinder mehr bekommen, außerdem fühle ich mich momentan wirklich nicht in der Stimmung mir einen runter zu holen.“
„Matt!“ sagt sie nun ebenfalls bestimmt und rasiert einen Streifen nach dem anderen von meinem Kopf.
„Dr. Spector hat doch Recht! Du hast eine wunderschöne Frau an deiner Seite, da dürfte das doch kein Problem sein.
Mensch! Du bist noch jung und du wirst noch sehr lange leben, also versucht es doch wenigstens! Wer weiß, was euch noch erwartet im Leben!“ mault sie mich fordernd an, als sie an die Feinheiten meines neuen Haarschnittes geht und braune wellige Büschel von meinem Oberkörper auf den Boden wischt.
„Ich werde auch Mum und Dad solange von euch fernhalten, denn die werden auch bald wieder hier sein und ihre Gewebeproben abgeben.
Bitte Bruderherz, du bereust es später vielleicht.“
Kylie macht den Langhaarschneider aus und wischt mit der Hand über meinen Kopf, der sich nun ziemlich kalt anfühlt.
Zudem klopft sie mit den Händen meinen Oberkörper ab und bläst mit dem Mund noch einige Haare weg.
„So Auftrag erledigt und weißt du was?“ sagt sie und betrachtet mich prüfend.
„Es steht dir gar nicht so schlecht. Nun kommt endlich dein, für einen Mann, sehr schönes Gesicht so richtig zur Geltung.“
Kylie stellt sich vor mich und streichelt mit ihren feingliedrigen Händen über meine neue Glatze und mein Gesicht, woraufhin sie mir einen sehr liebevollen schwesterlichen Kuss auf die Stirn gibt.
„Du schaffst das! Ich weiß es!“ sagt sie seufzend und mir war schon gar nicht mehr bewusst, dass sie auch flüstern kann.
In diesem Moment geht die Badezimmertür leise und zögernd auf und Saundra betritt nachdenklich das Zimmer, als sie auch schon augenblicklich erschrocken stehen bleibt.