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New York Fashion Week

Die New York Fashion Week war mit Abstand der beste Job, den ich während meiner Model-Karriere jemals erhalten hatte. Es waren viele Mädchen dort, die ich aus Illustrierten kannte, von Titelblättern und Hochglanzmagazinen. Wir hatten zwei Tage lang geprobt, bis schließlich der große Abend gekommen war. Leider konnte sich David keine Zeit nehmen, dabei zu sein, obwohl ich eine gratis Eintrittskarte für ihn bekommen hatte. Die Halle war voll. Man reichte uns in den Garderoben Champagner gegen die Nervosität und trotzdem war ich dankbar, diesmal nicht als First Face laufen zu müssen. Dafür gab es Supermodels.

Als Auftakt stelzten alle Mädchen in kurzen Abständen eine gerade Linie bis ans Ende des Laufstegs und wieder zurück. Der Publikumsbereich war zum Glück so sehr abgedunkelt, dass man die vielen Leute und Kameras gar nicht erkennen konnte.

Zirka zehn Minuten später war mein Auftritt. Ich präsentierte Dessous von Michelle Klein und lief mit nur zwei weiteren Mädchen über den langen Catwalk. Diesmal beleuchteten einige Spots auch die ersten Reihen des Publikums und bei meinem streng geradeaus gerichteten Blick traf es mich plötzlich wie der Blitz ... Santiago!

Ich bildete mir ein, ihn in im Scheinwerferlicht gesehen zu haben – ganz am Ende des Catwalks frontal in der ersten Reihe. Das konnte er mir nicht antun! Mir stockte der Atem. Ich konzentrierte mich krampfhaft auf jeden einzelnen Schritt und bekam kaum noch Luft. Längst war ich nicht mehr im Takt, mir zitterten die Knie und als ich kurz vor ihm angekommen war, wurde er ein zweites Mal von einem Spotlight erleuchtet. Er war es tatsächlich! Der Schreck erfasste nun meine Beine mit voller Wucht. Ich wackelte, stürzte und fiel direkt vor ihm auf die Knie. Sofort musste ich meinen Blick von ihm losreißen, um wieder aufstehen zu können. Ich meinte, ihn im Augenwinkel lächeln gesehen zu haben. Endlos erschien mir der Weg zurück bis zum Vorhang. In den Garderoben angekommen, wartete bereits die Rechte Hand von Michelle auf mich. Völlig außer sich wollte er wissen, was mit mir los war. Ich erklärte ihm, dass mein Ex-Freund im Publikum saß und ich erschrocken war ... aber das interessierte ihn reichlich wenig. In einer Minute musste ich noch einmal raus ... mit Michelle Klein persönlich ... für den Abschluss-Applaus. Mein Outfit konnte ich anbehalten, eine Stylistin kümmerte sich um meine Haare, im nächsten Moment stand Michelle neben mir. Er reichte mir die Hand und dann kam unser Einsatz. Wir betraten die Bühne, er hielt mich weit von sich gestreckt und trotzdem war ich dankbar für den Halt, den er mir gab. Ich schaffte es ohne zu stürzen bis ans Ende des Laufstegs. Die Leute applaudierten. Hinter uns nahm die ganze Gruppe seiner Pariser Models Aufstellung. Es war hell und ich konnte Santiago gut sehen. Er war ganz in schwarz gekleidet. So schwarz wie seine Haare. Und so schwarz wie die auffällige Sonnenbrille, die modisch darin steckte. Er sah atemberaubend gut aus, extrem sexy, er hatte lässig seine Beine überkreuzt und applaudierte nicht. Stattdessen stützte er sich mit einem Ellenbogen auf die Lehne und hielt zwei Finger an die Schläfe gepresst, als würde er angestrengt nachdenken, während er mich mit seinen Augen fixierte. Wir bekamen Standing Ovations, alle Leute standen auf, nur Santiago blieb demonstrativ sitzen. Seine Miene flößte mir Angst ein. Ich meinte, er wollte mich töten mit seinen Blicken. Sie brannten auf meiner Haut. Sie brannten meinen Körper rauf und runter. Im selben Moment küsste mich Michelle auf die Wange. Reflexartig zogen sich Santiagos Augenbrauen zusammen, er riss sich von mir los und blickte zu Boden. Dann stand auch er auf, wandte sich von uns ab und während die Leute noch immer applaudierten, verließ er die Halle.

Hinter den Kulissen suchte ich als erstes nach meinem Handy. Ich hatte Angst, Santiago würde vor dem Eingang auf mich warten. Was sollte ich bloß tun? Ich musste David Bescheid sagen, dass er hier war. Vielleicht konnte er mich abholen kommen? »David ... David ... bitte heb ab ... DAVID!«

»JA!« rief er. Gleichzeitig schüttelte er mich!

Ich hielt mich an ihm fest und bekam kaum Luft.

Verwirrt sah ich mich in meinem Schlafzimmer um ...

Ich hatte geträumt!

»Das kann nicht sein! David! Es war so realistisch«, keuchte ich. »Ich hab von Santiago geträumt, er war auf der NY Fashion Week, im Publikum!«

»Es war nur ein Traum!«, beruhigte er mich.

Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich war schweißnass und noch immer atemlos. David küsste mich auf die Wange und wir legten uns wieder nieder. Jetzt erst merkte ich es ... »Wieso schläfst du bei mir?«, fragte ich ihn.

Er lächelte. »Ich habe dir doch versprochen, dich weniger allein zu lassen.«

»Bitte versprich mir noch etwas«, bettelte ich.

»Was denn?«

»Wenn ich wirklich dort laufen darf, musst du bei mir sein und ganz vorn sitzen!«

»Natürlich! Ich lasse dich nicht allein!«

Dankbar küsste ich seine Hand. »Ich bin so froh, dass du da bist.«

David umarmte mich liebevoll, bis ich wieder eingeschlafen war.

***

Am nächsten Morgen behandelte er zum letzten Mal meine Füße mit Ultraschall. Ich konnte wieder schmerzfrei barfuß laufen. Dafür irritierte mich die Chili-Entzündung zwischen meinen Beinen ziemlich heftig und ich beschloss, den Zeitpunkt meiner Selbst-Entjungferung zu vertagen.

Ich bekam eine Zusage für die NY Fashion Week! Michelle Klein hatte mich mitsamt meiner Makel gebucht. Meine Freude war groß ... trotz meines vorangegangenen Albtraumes. David sprach noch einmal mit meiner Agentur und ersuchte, dass nach Möglichkeit vermieden werden sollte, Interessenten über meine laufenden Jobs und Termine Auskunft zu geben.

Fast alles verlief, wie ich es vorhergesehen hatte. Meine Aufregung war unbeschreiblich, genauso unbeschreiblich wie die Schönheit der ganzen anderen Models, die ich zu Gesicht bekam. Alle trugen Dessous und unsere Haare wurden zu beeindruckenden Kunstwerken gestylt. Ich gehörte zu jenen, die ihre großen wallenden Locken offen tragen durfte. Kurz vor dem Auftritt reichte man uns ein Glas Sekt – anstelle von Champagner – und zum Glück, als ich den Laufsteg betrat, wich alle Nervosität von mir. Ich konnte vorbildlich laufen und freute mich endlos, David in der zweiten Reihe zu erblicken. Nur am Schluss, war nicht ich diejenige, die an Michelles Seite für den Abschluss-Applaus auf die Bühne durfte, sondern ein anderes Mädchen. Es gab auch keine Standing Ovations.

David wartete nach der Show beim Hintereingang auf mich und obwohl man hätte denken können, er müsste nach diesem Auftritt stolz auf mich sein, war ich es, die stolz darauf war, von ihm abgeholt zu werden. Ich fand die meisten der anderen Models hübscher als mich selbst – trotzdem wartete er auf mich! Und er war mit Abstand der attraktivste unter all den Männern, die hier auf ihre Töchter oder Freundinnen warteten. Er lächelte und schloss mich in seine Arme. Und obwohl bereits die ganze Anspannung von mir abgefallen war, produzierte mein Adrenalinspiegel noch immer reihenweise Glückshormone, die sich nun alle auf David fokussierten, mit dem Ergebnis, dass ich ganz verrückt nach ihm war. Wohl wissend, dass er so ein Verhalten nicht leiden konnte, begann ich im Taxi, ihn anzubetteln, mit mir die Nacht zu verbringen. Ungeniert fasste ich meine überschwängliche Sehnsucht in Worte, ohne Rücksicht auf den Fahrer. Zur Strafe bekam ich keine Antwort. Wortlos blickte David aus dem anderen Fenster, während ich an seiner Schulter um seine Liebe flehte. Aber ich hatte Erfolg. Er schlief bei mir. Jedoch – wie vorhergesehen – ohne mich von meinem mittlerweile chronischen Problem zu befreien.

***

Eine gute Woche später schickte mich meine Agentur zu zwei weiteren Castings, wo es um Printkampagnen ging. Leider machten hier jedoch andere Mädchen das Rennen.

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