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PREDIKTEN Vom Schweigen

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Wir begehen das Fest von der ewigen Ge­burt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt ge­schehe immer. So sie aber nicht in mir ge­schieht, was hilft es mir dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.

Wir haben ein Wort des Weisen: »Da alle Dinge mitten im Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem könig­lichen Stuhle ein verborgenes Wort.« Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

»Inmitten des Schweigens ward mir zu­gesprochen ein verborgenes Wort.« Ach, Herr, wo ist dies Schweigen, und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgendwelcher Kreatur.

Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach außen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewir­ken oder zu Stande bringen. Und ebenso ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt. Die fließen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: In diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttli­chen Wesen ohne irgendein Mittel zugäng­lich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Nie­mand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften außen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herber­ge empfangen hat. Denn jedes Mal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Be­rührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise ent­steht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kom­men, und die Seele nähert sich jeder Krea­tur nur dadurch, dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem ge­genwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer, wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss es notwen­digerweise von außen durch die Sinne her­einkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt wie sie sich selbst. Es sagt ein

Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen ler­nen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: Daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle an­dern Dinge, nur sich selber nicht. Von kei­nem Ding weiß sie so wenig wie von sich selbst um des Mittels willen. Und das müs­set ihr auch wissen, dass sie innen frei ist und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schran­ken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, umso unmittelbarer ge­schieht auch sein Werk und umso einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äußern Werken; bis er diese Werke hervor­bringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. So­bald sie ihren Schein ausgießen, in demsel­ben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für sei­ne Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles, was die unter ihm Stehenden in Man­nigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in ei­nem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hin­kam als er selbst mit seinem eigenen We­sen. Das kann keine Kreatur tun.

Wie gebiert Gottvater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich nein!, son­dern: ganz in der Weise, wie er in der Ewig­keit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gottvater hat eine vollkommene Ein­sicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst ohne jedes Bild.

Und so gebiert Gottvater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern ge­biert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgendein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und voll­bracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?

Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre un­seres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Le­ben kommen kann, das ist, dass du schwei­gest und Gott allda wirken und sprechen lässest. Wo alle Kräfte von allen ihren Wer­ken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: »Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.« Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergis­sest, umso näher bist du diesem und umso empfänglicher. Könntest du aller Dinge zu­mal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kom­men, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht,das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl« - da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde - so sollte der Mensch al­len Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen al­ler Dinge und seiner selber kommen. In die­sem Sinne sprach ein Meister zur Seele: Zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn »gut« oder »wahr« gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines ge­macht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: Er tat es nur um der Leute wil­len, die es nicht anders verstehen und fas­sen konnten. Gott hat nicht mehr dazu als das eine: Er wollte, und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwir­kens empfänglich bist und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, umso näher bist du diesem.

Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jün­ger Timotheus und sprach: Lieber Timothe­us, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finster­nis, auf dass du zu einer Erkenntnis des un­bekannten übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es, in Bildern zu wir­ken.

Nun könntest du fragen: Was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Un­wissen bringt sie zum Wundern und be­wirkt es, dass sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiß nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren, und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen, und hat doch kein Dabeibleiben, darum: Die un­erkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit. Da sprach der andre Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute bei­sammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: Würde das in mir vollendet und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber da­mit, dass es sich ein wenig zeigt und offen­bart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: »Herr, nimm ihnen ihren Geist und gib ih­nen dafür deinen Geist.« Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: »Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: Als sie einging, da musste ich hinschwinden.« Das meinte auch Chris­tus, als er sprach: »Wer etwas um meinet­willen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge ver­zichten, und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen fol­gen.«

Nun könntest du fragen: Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, dass sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren? Nein! Was weißt du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja die noch verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher musste ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das Mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es schon ein Unwissen heißt und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von außen: Denn dies Unwissen des Äußern reizt und zieht dich von allen Wissensdin­gen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mut­ter lässt und alles, was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig.« Als ob er spräche: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen lässt, der kann in diese göttliche Geburt we­der empfangen noch geboren werden. Ja wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhel­fe uns Gott, der neugeboren ist in Men­schengestalt, dass wir arme Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.

Meister Eckhart - Predigten

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