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Von der Stadt der Seele

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Intravit Jesus in quoddam castellum et mu- lier qaedam excepit illum etc. [Lk 10,38] Ich habe eben ein Wörtlein auf lateinisch ge­sprochen, das im Evangelium steht und auf deutsch also heißt: »Unser Herr Jesus Chris­tus ging in ein Städtchen und ward von ei­ner Jungfrau empfangen, die ein Weib war.«

Fürwahr, achtet nun aufmerksam dieses Worts. Es muss notwendig so sein, dass der Mensch, von dem Jesus empfangen ward, eine Jungfrau war. Jungfrau heißt so viel wie ein Mensch, der aller fremden Bilder le­dig ist, so ledig, wie er war, als er nicht war. Seht, nun könnte man fragen: Der Mensch, der geboren und zu vernünftigem Leben vorgeschritten ist, wie kann der so frei von allen Bildern sein, wie damals, als er nicht war, da er doch viel weiß, und das sind al­les Bilder: Wie kann er dann frei sein?

Nun achtet auf die Unterscheidung, auf die ich euch hinweisen will. Wäre ich so vernünftig, dass alle Bilder, die je Menschen empfangen haben und die in Gott selbst sind, vernünftig in mir stünden, und zwar, dass ich sie im Tun und im Lassen ohne Ei­genschaft begriffen hätte, ohne Vor und ohne Nach, dass sie vielmehr in diesem ge­genwärtigen Nu frei und ledig nach dem liebsten Willen Gottes stünden, um dem ohne Unterlass nachzukommen, dann wäre ich in Wahrheit Jungfrau, unbehindert von allen Bildern, und wahrscheinlich so, wie ich war, als ich nicht war. Wie die Meister sagen, dass gleich und gleich allein eine Sa­che der Einheit sei, so muss auch der Mensch keusch sein und Jungfrau, der den keuschen Jesus empfangen will.

Ich sage ferner, dass eine Kraft in der Seele ist, die nicht Zeit noch Fleisch berührt, sie fließt aus dem Geiste und bleibt in dem Geiste und ist ganz geistig. In dieser Kraft ist Gott allzumal grünend und blühend in aller Freude und in aller Ehre, wie er in sich selber ist. Da ist so herzliche Freude und so unbegreiflich große Freude, dass niemand genug davon sagen kann. Denn der ewige Vater gebiert seinen ewigen Sohn in dieser Kraft ohne Unterlass, sodass diese Kraft den Sohn des Vaters mitgebären hilft und sich selber denselben Sohn in der einigen Kraft des Vaters. Und hätte ein Mensch ein ganzes Königreich oder allen Reichtum der Erde und ließe das rein um Gottes willen und würde einer der ärmsten Menschen, der je auf Erden lebte, und gäbe ihm dann Gott so viel zu leiden, als er je Menschen auferlegt hat, und litte er alles dies bis an seinen Tod und gäbe ihm dann Gott einen Augenblick zu schauen, wie er in dieser Kraft ist: Seine Freude würde so groß, dass all dies Leiden und diese Armut dann noch zu klein wäre. Ja, gäbe ihm Gott gar her­nach kein Himmelreich mehr, er hätte dann doch noch zu großen Lohn empfangen für alles, was er je gelitten: Denn Gott ist in die­ser Kraft wie in dem ewigen Nu. Wäre der Geist allezeit mit Gott in dieser Kraft ver­eint, der Mensch könnte nicht altern. Denn das Nu, worin Gott den ersten Menschen machte, und das Nu, worin der letzte Mensch vergehen soll, und das Nu, worin ich spreche, die sind gleich in Gott, und es ist nichts als ein Nu. Nun seht: Dieser Mensch wohnt in einem Licht mit Gott, dar­um ist in ihm weder Empfangen noch Nachfolgen, sondern eine gleiche Ewigkeit. Diesem Menschen ist in Wahrheit gar viel abgenommen und alle Dinge stehen wesen­haft in ihm. Darum empfängt er nichts Neues von künftigen Dingen und von kei­nem Zufall, denn er wohnt in einem Nu, al­lezeit neu grünend und ohne Unterlass. Sol­che göttliche Herrlichkeit ist in dieser Kraft.

Noch eine Kraft gibt es, die auch unkör­perlich ist: Sie fließt aus dem Geiste und bleibt im Geiste und ist ganz geistig. In die­ser Kraft ist Gott ohne Unterlass glimmend und brennend mit all seinem Reichtum, mit all seiner Süßigkeit und mit all seiner Won­ne. Wahrlich, in dieser Kraft ist so große Freude und so große maßlose Wonne, dass niemand wahr genug davon sprechen und künden kann. Ich sage aber: Gäbe es einen einzigen Menschen, der hierin einen Au­genblick in Wahrheit und vernünftig die Wonne und die Freude schaute: Alles, was er leiden könnte und was Gott von ihm ge­litten haben wollte, das wäre ihm alles we­nig und sogar nichtig, ja, ich sage: Es wäre ihm zumal eine Freude und eine Wohltat.

Ich habe manchmal gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die allein frei sei. Zu Zeiten habe ich gesagt, es sei eine Hütte des Geis­tes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Ich sage aber jetzt: Es ist weder dies noch das. Es ist überhaupt kein Etwas; es ist höher über dies und das als der Himmel über der Erde. Darum nenne ich es jetzt in einer edleren Weise, als ich es früher nannte, und doch geht es über Edel­keit und Gradunterschiede und Wesen hin­aus und ist darüber erhoben. Es ist von al­len Namen frei und von allen Formen ganz los, ledig und frei, wie Gott in sich selbst le­dig und frei ist. Es ist so ganz eins und ein­fach, wie Gott eins und einfach ist, dass man auf keine Weise es anschaulich ma­chen kann. Dieselbe Kraft, von der ich ge­sprochen habe, in der ist Gott blühend und grünend mit all seiner Gottheit und der Geist in Gott in derselben Kraft, worin der Vater seinen eingeborenen Sohn gebiert, wahrlich wie in sich selber, und der Geist gebiert mit dem Vater denselben Sohn und sich selber und ist derselbe Sohn in diesem Licht und ist die Wahrheit. Könntet ihr mit meinem Herzen zuhören, ihr verstündet wohl, was ich spreche, denn es ist wahr, und die Wahrheit spricht es selbst.

Seht, nun passt auf: So eins und einfach ist diese Stadt in der Seele, von der ich euch spreche und die ich meine, und über alle Weise erhaben, dass die edle Kraft, von der ich gesprochen habe, nicht würdig ist, je­mals einen Augenblick hineinzublicken; und ebenso die andere Kraft, worin Gott glimmt und brennt, die darf auch niemals hineinblicken, so gar eins und einfach ist diese Stadt, und so über aller Weise und al­len Kräften ist dieses einig Eine, dass ihm niemals Kraft oder Weise zuschauen kann, ja nicht einmal Gott selbst. Mit guter Wahr­heit und so wahr Gott lebt: Gott selbst schaut niemals einen Augenblick hinein und hat nie hineingesehen, insofern er sich darstellt in einer Weise und in der Eigen­schaft seiner Personen. Dies ist gut zu ver­stehen, denn dies einig Eine ist ohne Weise und ohne Eigenschaft. Und wenn daher Gott jemals hineinblicken soll, so muss es ihn alle seine göttlichen Namen und seine persönliche Eigenschaft kosten: Das muss er alles vorher lassen, wenn er je hineinbli­cken soll. Wie er einfach eins ist ohne alle Weise und Eigenschaft, da ist er nicht Vater und nicht Sohn und nicht heiliger Geist in diesem Sinne und ist doch ein Etwas, das nicht dies und nicht das ist.

Seht, so wie er eins ist und einfach, so kommt er in das Eine, das ich eine Stadt in der Seele heiße, und sonst kommt er auf keine Weise hinein, sondern so kommt er hinein und ist darin. In diesem Stück ist die Seele Gott gleich und auf keine andere Wei­se. Was ich euch gesagt habe, ist wahr: Da­für stelle ich euch die Wahrheit als Zeugen und meine Seele als Pfand. Dass wir eine solche Stadt seien, in der Jesus eingeht und empfangen werde und ewig in uns bleibe in der Weise, wie ich gesagt habe, das walte Gott. Amen.

Meister Eckhart - Predigten

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